Titel: | Präcisionssteuerung von Carl Kliebisch in Sangerhausen. |
Autor: | M-M. |
Fundstelle: | Band 234, Jahrgang 1879, S. 267 |
Download: | XML |
Präcisionssteuerung von Carl Kliebisch in
Sangerhausen.Vgl. Die Corliſs- und Ventil-Dampfmaschinen sowie die mit
denselben zusammenhängenden Dampfmaschinensysteme mit und ohne
Präcisionssteuerung... Herausgegeben von W. H.
Uhland. Mit Holzschnitten, Skizzenblättern und einem Atlas von etwa 60
Tafeln Constructionszeichnungen in Photolithographie. (Leipzig 1878. G. Knapp.)Dieses vortrefflich ausgestattete Werk enthält in zahlreichen Originalzeichnungen
eine Reihe der bedeutendsten Corliſs-Dampfmaschinen, sowie verwandte Systeme;
der sorgfältig verfaſste Text zeichnet sich vorzüglich durch die lehrreichen
Schieberbewegungsdiagramme aus, welche ein rasches und erschöpfendes Urtheil
über die principiellen Eigenschaften der einzelnen Systeme ermöglichen. – Das
Werk wird eine erste Stelle in der technischen Literatur der Gegenwart
einnehmen.M-M.
Mit Abbildungen auf Tafel 21.
Kliebisch's Präcisionssteuerung.
Eine höchst eigenartige und von allen bisher angeführten gänzlich abweichende
Steuerung ist das von der Sangerhauser
Actien-Maschinenfabrik und Eisengieſserei, vormals Hornung und Rabe in Sangerhausen an ihren Corliſs-Dampfmaschinen
ausgeführte patentirte System Kliebisch.
Je nach der Wahl des Voreilungswinkels der Einlaſshähne läſst diese Steuerung mit
noch günstiger Dampfvertheilung Füllungen bis zu 0,75 des Kolbenhubes zu.
Man ersieht aus Fig. 1 Taf.
21, daſs zum Antrieb der Steuerung im Niveau des Cylindermittels und senkrecht zur Maschine
seitlich vor den Dampfcylinder eine horizontale Welle gelegt ist. Auf dieser Welle
sitzt ein Excenter A1,
welches mittels der Excenterstange E1 den Hebelarm L1 des Auslaſshahnes H direct in Oscillation versetzt. Die Bewegung, die infolge dessen der
Hahn macht, ist selbstverständlich symmetrisch zu seiner Mittelstellung, also ganz
genau dieselbe wie bei einem gewöhnlichen Drehschieber. Dieselbe Art der Bewegung
der Auslaſshähne haben wir auch bei den Maschinen von J. und E. Wood gefunden (vgl. *1874 211 161).
Hinter dem eben erwähnten Excenter befinden sich auf der Steuerwelle zwei andere
Excenter mit etwas kleinerem Hube, deren jedes für sich mittels des
Klinkenmechanismus die entsprechende Bewegung auf die Einlaſshähne überträgt. In
Fig. 1 geben wir eine Zeichnung des einen Excenters A, welches den vorderen Einlaſshahn G bewegt.
Als Träger des ganzen Steuerungsmechanismus dient ein an den Bajonetbalken der
Maschine geschraubtes Gestell von eigenthümlicher Form, welches demgemäſs die
Steuerwelle, die Luftbuffer O, die Drehzapfen der Hebel
R und K trägt.
Letzterer wird durch die Excenterstange E symmetrisch
vom Excenter in Schwingung versetzt. Auf der zum Theil abgeflachten Nabe dieses
Hebels sitzt mit langem Schlitze ein Schlüssel N,
welcher in der Längsrichtung für den Ausschlag seiner geringen Bewegung den
gehörigen Spielraum hat. Das untere Auge des Schlüssels N nimmt eine Klinke n auf, welche durch die
Wirkung einer in den Schlüssel eingelassenen Spiralfeder mit Stift stets nach
abwärts hinter den viereckigen Theil o der Bufferstange
gedrängt wird, vor gänzlichem Herabfallen aber durch einen Anschlag an den Schlüssel
gesichert ist, welcher durch ihren hinteren kürzeren Arm gebildet wird.
In der in Fig. 1
gezeichneten Stellung hat das Excenter schon einen Theil seines Hubes zurückgelegt
und demnach ist die Bufferstange durch die Klinke n in
der Richtung des Pfeiles bewegt worden. In der Verlängerung des Buffergehäuses O liegt eine Spiralfeder, die auf einen an der
Bufferstange befindlichen Bund der Bewegungsrichtung entgegenwirkt.
An ihrem dem Cylinder zugekehrten Ende trägt die Bufferstange den metallenen
Luftbufferkolben und ein schmiedeisernes Auge, welches eine kurze Zugstange e mit dem Auge des Hebels L verbindet. Damit ist nunmehr die Bewegungsübertragung von dem Excenter
A auf den Hahnhebel L
geschlossen. Es handelt sich nun darum, die Klinke n
durch Einwirkung des Regulators je nach Bedürfniſs auszulösen. Zu diesem Zwecke ist
der obere Theil des Schlüssels N bogenförmig
durchbrochen und in die so entstandene Oeffnung kann sich ein stählerner Zapfen wie
der Stein in einer Coulisse verschieben. Dieser Zapfen sitzt in dem Auge eines
Hebels r, der vom Regulator durch die Zugstange M und der Hebel R in
geeigneter Weise verstellt wird. Das Gewicht der beweglichen Theile ist durch ein am
Winkelhebel R aufgeschobenes Gegengewicht ausgeglichen.
Gegen Ende des Excenterhubes muſs der Regulator auf alle Fälle ausgelöst haben, wie
wir später nachweisen werden.
Nach der Auslösung ist die Bufferstange durch die Wirkung der Spiralfeder
zurückgeschnellt, wobei der Luftbuffer den Stoſs verhindert, und der
Dampfeinlaſskanal ist geschlossen. Fig. 2
veranschaulicht die Lage der betreffenden Theile gegen einander nach dem Hubwechsel
des Excenters A.
Je nach der Stellung der Regulatorhülse wird der Schlüssel N durch den Hebel r mehr oder weniger gehoben
und dadurch die durch die Oscillation des Schlüssels N
hervorgebrachte Schwingung mehr oder weniger groſs. Es ist demnach einleuchtend,
daſs die Klinke n, welche die Schwingungen des
Schlüssels N mitmacht, mit ihrer Nase um so früher
auſser Berührung mit dem flachen Endstück o der
Bufferstange kommen muſs, je kleiner der Halbmesser des Schwingungsbogens wird,
welchen das untere Ende des Schlüssels N beschreibt.
Dies bestätigt auch die Skizze Fig. 3,
welche die Stellung der Klinke n für bestimmte
Roibenwege angibt. Man ersieht hieraus, daſs die Wege der Klinke n wegen der Kurbelbewegung des Excenters allmälig
kleiner werden, so daſs sie z.B. zu Anfang des Kolbenhubes von 0,0 bis 0,1 gröſser
sind als während des Kolbenhubes von 0,6 bis 0,7 des Weges. Daraus geht hervor, daſs
der Regulator die Auslösung bei kleinen Füllungen genauer bewirkt als bei höheren
Füllungen.
Schon oben haben wir erwähnt, daſs mit dieser Steuerung niemals volle Dampffüllung
gegeben werden darf; nach dem Diagramm des Einlaſshahnes, Fig. 4, wird
der Grund dafür leicht aufzufinden sein. Je nach der Wahl des Voreilungswinkels kann
der Punkt g auf einen beliebigen Punkt der Linie AB fallen, d.h. die Grenze der selbstthätig
variablen Expansion kann bei der Anwendung eines besonderen Excenters für die
Einlaſshähne zwischen 0,0 und 1,0 des Kolbenhubes zu liegen kommen. Bei der
Anwendung von einem Excenter für sämmtliche Hähne muſs bekanntlich der Punkt g stets vor 0,5 des Kolbenhubes liegen, damit die
Bedingung der gleichmäſsigen Function beider Auslaſshähne eingehalten werden kann.
Wird aber die Bewegung der Einlaſs- und Auslaſshähne von verschiedenen
Antriebsorganen bewirkt, so bleibt im allgemeinen freie Wahl für die Lage des
Punktes g auf der Linie AB. Hat man jedoch, wie in dem vorliegenden
Falle, die Voreilung bestimmt, damit der Hahn sich bei Beginn des Hubes schon
beschleunigt bewegt, so ist damit auch die Expansionsgrenze bezieh. die Lage des
Punktes g gegeben. Je näher an B dieser zu liegen kommt, desto später erfolgt auch der Abschluſs des
Kanales für den Fall, daſs nicht ausgelöst wurde. Bei der in Rede stehenden Maschine
wird dies, wie Fig. 4
zeigt, erst bei i, d.h. erst dann stattfinden, wenn der Kolben beim
Rückgänge 0,2 seines Weges zurückgelegt hat. Es würde also bis dahin auch noch
frischer Dampf einströmen, und um dies zu verhindern, muſs dafür gesorgt werden,
daſs die selbstthätige Auslösung, wenn nicht früher, so doch bei g auf alle Fälle vor sich gehe. Aus diesem Grunde ist
in der Zeichnung des Diagrammes die den Weg der Hahnkante bezeichnende Linie von g bis l nur punktirt, weil
dieser Weg nie gemacht werden darf.
Selbstverständlich kann bei dem Einlaſsexcenter von einem Voreilungswinkel in dem
Sinne, wie man ihn durch die Zeuner'schen Schieberdiagramme zu bezeichnen gewohnt
ist, nicht mehr die Rede sein. Bei dieser Steuerung hat das Einlaſsexcenter eine
Drehung von 65° aus seiner Hubrichtung vollendet, wenn der Kolben sich im todten
Punkte befindet; das Excenter muſs also, um die zugehörigen Steuerungstheile in die
äuſserste Lage zu bringen, noch eine Drehung von 115° machen. Es ist deshalb wohl
richtiger, bei derartigen Anordnungen von einem Aufsteckwinkel des Excenters vor oder hinter der Kurbel, je nach den eingeschalteten Hebeln,
zu sprechen.
Aus dem Diagramm des Auslaſshahnes in Fig. 5 ist
der gleichmäſsige Ausschlag aus seiner Mittelstellung ersichtlich. Die langsame
Bewegung oder nahezu der Stillstand der nicht arbeitenden Corliſshähne ist hier
nicht vorhanden.
Wir haben den in Fig. 4 und
5 gegebenen Diagrammen die Dimensionen der (im Atlas des Werkes näher
dargestellten) Corliſsdampfmaschine zu Grunde gelegt. Die Kanalbreiten messen 18
bezieh. 23mm bei einer Länge von 320mm. Für den Einlaſshahn beträgt das lineare
Voreilen 1mm,5 für den Auslaſshahn 5mm; dabei wurde das Einlaſsexcenter (22mm Excentricität) mit 65° vor der Kurbel
aufgesteckt, dem Auslaſsexcenter (40mm,5
Excentricität) dagegen ein Voreilungswinkel von 11° gegeben.
Die betreffende Corliſsdampfmaschine wird von der Sangerhauser Maschinenfabrik als 30 pferdig bezeichnet.
Bei dieser Maschine beträgt die Bohrung des Cylinders 380mm, der Kolbenhub 750mm, und während die Kurbel 60 Umdrehungen in der Minute macht, nimmt der
Kolben eine mittlere Geschwindigkeit von 1m,5 in
der Secunde an. Da die eben angegebene Normalarbeit der Maschine bei 5at Dampfüberdruck im Cylinder ohne Condensation
bei 0,2 bis 0,25 und mit Condensation bei 0,1 bis 0,13 Cylinderfüllung geleistet
wird, kann dieselbe mithin bei gröſseren Füllungsgraden leicht um die Hälfte erhöht
werden.
Für den Dampfcylinder ist die allgemein gebräuchliche Form ohne
Dampfmantel gewählt worden. Die metallenen Blattspindeln in den Hähnen haben
Bearbeitungskanten, liegen also nicht mit der ganzen Fläche an. Oben in dem
Längskanal mündet das Dampfrohr von 100mm
Durchmesser oder 1/14 des Cylinderquerschnittes. Unten leitet ein kupfernes Rohr von 140mm Durchmesser oder ⅛ des Cylinderquerschnittes
den Abdampf zum Condensator.
Eine geschlossene Hintermutter mit flachem Gewinde hält den
zweitheiligen Kolben, der durch zwei guſseiserne Ringe mit eingelassener gemeinsamer
Feder gedichtet wird, auf dem zur Hälfte conischen Kolbenstangenende und die 59mm dicke Kolbenstange aus Guſsstahl ist in dem
guſseisernen Kreuzkopfe verkeilt. Letzterer erleidet in seinen cylindrischen
Führungen einen excentrischen Druck, weil die Kurbelstange 145mm von seiner Mittellinie entfernt angreift. Dem
entsprechend sind die Gleitstücke mit doppelter Keilnachstellung versehen.
Die Kurbelstange, welche 5,26mal so lang als die Kurbel und in der
Mitte 95mm dick ist, hat am Kreuzkopfzapfen (100mm lang und 75mm
Durchmesser) einen offenen, dagegen am Kurbelzapfen (100mm lang, 80mm Durchmesser) einen
geschlossenen Kopf.
Ein selbstständiges Guſsstück bildend, ist der Bajonetbalken, den
Cylinderdeckel etwas übergreifend, mit diesem an den Cylinder und mit dem
Kurbellager verschraubt. Die viertheiligen guſseisernen Lagerschalen, von 310mm Länge und 175mm Bohrung, sind mit 15mm starkem
Weiſsmetall ausgefüttert und die eine seitliche Schale kann durch zwei Kopfschrauben
nachgestellt werden.
In die guſseiserne Kurbel, welche auf der auf 172mm abgesetzten Welle mit einer nur 125mm langen Nabe sitzt und hart an das Lager stöſst,
ist der guſsstählerne Kurbelzapfen eingenietet. Die Kurbelwelle geht in gleicher
Stärke, 175mm Durchmesser, bis zum zweiten Lager
von 240mm Länge und 155mm Bohrung.
Vier Schrauben halten das zweitheilige Schwungrad in der Nabe,
während am Kranze die Verbindung durch eine eingelegte Schiene und zwei Keile
hergestellt wird. Bei 200mm Kranzbreite beträgt
der Durchmesser des Schwungrades, welches 6 Arme von elliptischer Form hat, 3400mm.
Wir begegnen hier auch dem neuerdings so viel genannten Buſs'schen Cosinusregulator, welcher von der 39mm starken Steuerwelle durch Kegelräder (16mm,5 Theilung) angetrieben wird und 298 Touren in
der Minute macht. Durch eine an seine Säule seitlich angeschraubte Oelbremse wird zu
heftiges Schwanken vermieden.
Sämmtliche Zugstangen der Steuerung sind durch Muffenverschraubung
justirbar gemacht und die Gelenke zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit von Stahl
angefertigt. Die conischen Räder an der Kurbelwelle sowie bei der Steuerung haben
20mm,5 Theilung.
Die beschriebene Steuerung ist im Deutschen Reiche patentirt unter *Nr. 1696 und
Zusatz Nr. 1833 vom 7. October 1877 ab; die neueste Gestaltung der Construction ist
im Zusatzpatent Nr. 5917 (vom 24. October 1878 ab) dargestellt.