Titel: | Die Functionen des Gloverthurmes; von Dr. Ferd. Hurter. |
Autor: | Ferdinand Hurter |
Fundstelle: | Band 227, Jahrgang 1878, S. 465 |
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Die Functionen des Gloverthurmes; von Dr.
Ferd. Hurter.
Hurter, über die Functionen des Gloverthurmes.
Unter obigem Titel ist vor einiger Zeit von Fr.
Vorster eine Abhandlung veröffentlicht worden (1874 213 411) 506), welche zum ersten Male die beiden
Functionen des Gloverthurmes – Concentration und -Denitration – messend behandelte.
Diese Abhandlung ist neulich (1877 225 474) 570. 226 648) zum zweiten Male von Professor G. Lunge in Zürich angegriffen worden, wie mir scheint,
in nicht ganz zutreffender Weise.
Vorster kam in seiner Abhandlung zum Schlusse, dass der
Gloverthurm als Concentrationsapparat vorzüglich, als Denitrationsapparat aber
verwerflich sei, nicht deshalb weil die Denitration unvollständig, sondern weil im
Gloverthurme Reactionen vorkämen, in Folge deren ein grosser Theil der
Sauerstoffverbindungen des Stickstoffes bis zu Stickstoff reducirt werden könnte.
Wegen der sofort zu erwähnenden Einsprache Lunge's
(1875 215 56) 216 179) änderte
Vorster (1875 215 558)
diese Schlüsse und gab Letzterer zu, dass er zu weit ging, wenn er annahm, es
könnten unter Umständen im Gloverthurme gegen 60 Proc. der
Sticksauerstoffverbindungen zersetzt werden, behauptet aber, dass die damals von Lunge veröffentlichte Rechnung diese Schlüsse nur
modificirt, aber nicht, wie Lunge meinte, schonungslos
über den Haufen geworfen hätte.
Weiter hat dann Vorster nichts mehr veröffentlicht. Auf
meine Anfrage, ob er seine Meinung über diesen Gegenstand geändert, antwortete
derselbe, dass er zwar noch immer von dem Vorhandensein jener zu weit gehenden
Reduction der Stickstoffverbindungen überzeugt, dass er aber aus triftigen Gründen
nicht im Stande sei, Lunge's letzte Arbeit zu
beantworten und sich zu vertheidigen. Seine jetzige Stellung, als Director einer
grösseren chemischen Fabrik, lasse ihm nicht die nöthige Zeit für analytische
Untersuchungen, ohne welche aber eine Vertheidigung unmöglich sei.
Nun hatte ich, angeregt durch Specialuntersuchungen über den Verlust an salpetriger
Säure, welche ich bei Anlass der von der englischen Regierung eingeleiteten
Untersuchung über schädliche Dämpfe zu machen hatte, die sämmtlichen Vorster'schen Experimente wiederholt, schon vor dem
Erscheinen der Lunge'schen Abhandlung über diesen
Gegenstand; zudem besass ich noch andere werthvolle Resultate, welche auf diese
Frage, ob im Gloverthurm alle salpetrige Säure wieder gewonnen wird, etwas Licht
werfen konnten. Weil nun meine Schlüsse mit denen von Vorster übereinstimmten, entschloss ich mich, diese Resultate den Lunge'schen an die Seite zu stellen und dadurch diese
Frage, welche durch die anscheinend erschöpfenden Versuche Lunge's
ihren Abschluss erhalten
hätte, der weitern Untersuchung anderer Chemiker offen zu behalten. Ich that dies um
so lieber, als Prof. Lunge sich nicht damit begnügte,
das Gegentheil zu beweisen, sondern die Vorster'schen
Versuche auf eine ganz eigenthümliche Weise kritisirte. Meine Abhandlung wird einem
ähnlichen Schicksale wohl auch entgegen sehen müssen.
Fassen wir mit wenigen Worten die verschiedenen Einwände zusammen, welche Lunge gegen Vorster's
Schlüsse vorbrachte, so bestehen dieselben:
1) In einer Rechnung, welche zeigen soll, dass Vorster's eigenen Zahlen ein Salpeterverbrauch von 18
Proc. (1875 215 56) bis 94 Proc. (1877 225 485) entsprechen müsste, wenn seine Versuche richtig
wären. Weil nun aber Vorster selbst angibt, dass blos 5
Proc. Salpeter, auf den verbrannten Schwefel berechnet, verbraucht würden, so glaubt
Lunge mit dieser Rechnung den mathematischen Beweis
geliefert zu haben, dass die Forster'schen Resultate
unmöglich seien (1877 225 475).
2) In der Behauptung, man brauche bei Verwendung der Gloverthürme eher weniger als
mehr Salpeter.
3) In einer Arbeit über analytische Methoden zur Bestimmung von Salpetersäure und
salpetriger Säure (1877 225 182) 284).
4) In Specialversuchen über die denitrirende Function der Gloverthürme, deren
Resultat das gerade Gegentheil von dem beweist, was die Forster'schen Versuche zeigten, nämlich, dass die Denitration der
Schwefelsäure ohne Verluste stattfinde (1877 225 474) 570. 226 648).
Ich will nun meine Abhandlung in Hauptabschnitte eintheilen, welche eben diesen
verschiedenen Einwänden entsprechen.
1) Die Rechnung Lunge's als mathematischer Beweis, dass
die Vorster'schen Resultate unmöglich seien, stützt
sich auf folgende Angaben Vorsters. Durch zwei
Gloverthürme A und C genannt (ein Thurm B war in der Fabrik zwar entworfen, aber
noch nicht gebaut), von denen jeder einem eigenen Kammersystem angehörte, flössen
während 17 Tagen 29647k Säure täglich, mit einem
N2O;3.
Durchschnittsgehalt, entsprechend 4,27 Proc. Natronsalpeter, also 1265k,9 täglich. Er sagt ferner, dass die mit der
Kammersäure verlorene Menge Salpeter 12k,3 N2O3 = 27,5 Salpeter
betrage. Die gesammte Production der Fabrik schätzt Vorster auf 210t Natronsulfat
wöchentlich und die durch den Gloverthurm A gehende Menge Schwefel zu 4005k täglich, so dass man annehmen kann, die
Differenz zwischen diesem und der der Production entsprechenden Schwefelmenge sei in
den Thurm C eingeflossen.
Diese Angaben Vorster's hat nun Lunge auf folgende Weise benutzt: Von der täglich durch die beiden Thürme
A und C fliessenden Menge salpetriger Säure, entsprechend 1265k,9 Salpeter, nimmt er die Hälfte als zersetzt an,
also 632k,9 und berechnet nun, wie viel dies auf
100 verbrannten Schwefel
ausmachen würde. Hierzu nimmt er aber nur die durch den Thurm A gegangene Menge
Schwefel, nicht die durch die beiden Thürme gegangene. Er findet so, dass der
zersetzte Salpeter 14,8 auf 100 Schwefel ausmacht. Dann addirt er noch weitere 3
Proc. um – wie Lunge sagt – die Verluste, welche man
durch die Kammersäure und die abziehenden Gase erleidet, zu decken. So kommt er zum
Schlusse, dass, wenn Vorster's Angaben alle richtig
wären, die Muspratt'sche Fabrik 18 Proc. Salpeter zur
Deckung ihrer Verluste bedürfte. Weil nun aber Vorster
bestimmt angibt, dass dort nur 5 Proc. verwendet werden, so sieht Lunge hierin den mathematischen Beweis der Absurdität
der Vorster'schen Behauptung.
Um aber die Fehler dieser Rechnung ganz deutlich zu zeigen, darf man sie nur in
umgekehrter Ordnung anstellen und dabei die sämmtlichen Angaben Vorsters benutzen. Die Muspratt'sche Fabrik flacht 210t Sulfat
wöchentlich, entsprechend 50t verbranntem
Schwefel. Bei einem Verbrauch von 5 Proc. Salpeter findet man einen täglichen Bedarf
von 357k Salpeter. Nun werden aber in den
Gay-Lussac-Thürmen täglich 1265k,9 Salpeter in
Form von Nitrose gewonnen. Hieraus geht ganz klar hervor, dass dies jedenfalls die
gesammte Menge Nitrose war, die in der Muspratt'schen
Fabrik circulirte. Es wurden also täglich die Kammern mit 1265,9 + 357 = 1622k,9 Salpeter gespeist, vorausgesetzt, dass im
Glover nichts zersetzt wurde. Nun gibt Vorster den
täglichen Verlust mit der Kammersäure zu 12k,3
N2O3 an. Ueber
die am Ende der Gay-Lussac-Thürme entweichende salpetrige Säure sagt Vorster nichts. Auf meine Anfrage, wie hoch sich jener
Verlust belaufe, antwortete mir der Chemiker der Muspratt'schen Fabrik, Hr. Dr. Jurisch, dass
er ihn zwischen mindestens 0,5 bis höchstens 7 Proc. der verwendeten Salpetermenge,
also zwischen 1,8 und 24k,9 täglich bestimmt habe.
Diese Angabe stimmt vollständig mit den unten zu erwähnenden Bestimmungen, welche
ich in der Fabrik von Gaskell, Deacon und Comp. habe
ausführen lassen. Nehmen wir 5 Proc. als Durchschnitt an, so ergibt sich ein
Gesammtverlust von 27,5 + 17,8 = 45k,3
Salpeter.
Zieht man diese 45k,3 ab von der täglich
zugesetzten Menge, nämlich von 357k, so bleibt
eine gewisse Menge Salpeter, welche auf andere a]s mechanische Weise verloren geht;
diese beträgt 312k täglich. Auf die circulirende
Menge Salpeter berechnet, ergibt sich also ein Verlust von 19 Proc., auf die
zugesetzte Menge Salpeter aber 87 Proc. auf anderem als mechanischem Wege. Mit
anderen Worten: es circuliren in den Muspratt'schen
Systemen 1623k Salpeter, von welchen täglich 45k,3 theils mit der Kammersäure, theils mit den
abziehenden Gasen verloren gehen, und von welchen 312k auf andere als mechanische Weise verschwinden. Von diesen nehme ich mit
Vorster an, sie seien zersetzt worden; wie aber Lunge das Verschwinden erklären will, vermag ich nicht
zu sagen.
Man sieht also, dass auf diese Weise benutzt (und es ist meiner Ansieht nach die
allein richtige) die Vorster'schen Zahlen seinen
Schluss, es werde im Gloverthurm Salpeter zersetzt, noch eher unterstützen, als
verneinen.
Nun wird mir Lunge vorwerfen, dass ich zu dieser
Rechnung Zahlen benutzt hätte, die ihm nicht zu Gebote gestanden und welche noch
ausserdem von seinen Erfahrungen bedeutend abweichen.
Was ersteres anbelangt, so kann eine Rechnung, wie Lunge
sie durchführte, mit Vorsters Zahlen allein nicht
ausgearbeitet werden. Man ist also gezwungen, aus eigener Erfahrung das weitere
zuzufügen. Während ich mir die Mühe gab, aufzufinden, wie viel der Salpeterverlust,
zur Zeit als Vorster seine Versuche machte, in der Muspratt'schen Fabrik am Ende der Gay-Lussac-Thürme
betrage, hat Lunge sich mit einer unzuverlässigen
Schätzung begnügt. Wenn er es als allgemeine Erfahrung aufstellt, dass die
mechanischen Verluste 3 Proc. betragen, so muss man sich über diese Unkenntniss der
genauen Verhältnisse wundern. Der Beweis ist ganz leicht zu führen, dass die
Kammersäure allein, selbst ohne Denitration, keine 3 Proc. Salpeter auf 100 Schwefel
verlieren könnte! Was den Gay-Lussac-Thurm betrifft, so würde, wenn dort 1 Proc.
entwiche, die Farbe der Gase merklich auf Abhilfe des Fehlers dringen.
2) Was die Behauptung anbelangt, man erspare bei Anwendung des Gloverthurmes
Salpeter, so steht diese keineswegs im Widerspruch mit Vorsters Ansichten. Früher verlor man in den meisten Fabriken den
sämmtlichen in der Kammersäure enthaltenen Salpeter gänzlich. Der Gloverthurm bietet
nun gerade die Gelegenheit, diesen Salpeter völlig wieder zu gewinnen,
vorausgesetzt, dass keiner zersetzt werde. Wenn aber auch etwas davon zersetzt wird,
so muss man doch die Wiedergewinnung eines Theiles als eine Ersparniss betrachten;
übrigens ist letztere nicht so gross. In vielen englischen Fabriken wurde der
Gay-Lussac- und der Glover-Thurm gleichzeitig eingeführt, weshalb man gar nicht
entscheiden konnte, wie viel der Ersparniss dem einen und wie viel dem anderen
Apparat zuzuschreiben sei.
Lunge hat in seinen historischen Notizen angegeben, dass
in Lancashire der Gloverthurm bei Gaskell, Deacon und
Comp. 1869 eingeführt worden. Diese Firma arbeitete fast 2 Jahre mit
Gloverthürmen, ohne gleichzeitig Gay-Lussac-Thürme zu haben. Es geben deshalb die
folgenden Betriebszahlen ein ungefähres Bild von der Grösse dieser
Salpeterersparniss, wie sie vom Gloverthurme allein bewirkt wird.
Der erste Gloverthurm wurde am 29. December 1868, der zweite am 21. Mai 1869, der
dritte am 21. Juli 1870 dem Betrieb übergeben, in späterer Zeit wurde deren Zahl auf
8 vermehrt. Während der Jahre 1868 bis 1870 wurde am Kammersysteme sonst nichts
verändert.
Tabelle I.
Zeitraum
Anzahl derGloverthurmeim Betrieb
WöchentlicheProductionvon Sulfat
Sulfat aus100 Schwefel
Salpeter auf100 Schwefel
Proc. derdenitrirtenKammersaure
Kammerraumfür 1t Sulfatdie Woche
1868October bis December
–
t276
386
13,7
–
Cubikfuss1604
1869Januar bis Mai
1
272
399
11,6
50
1628
1869Mai bis December
2
272
379
10,7
100
1628
1870Januar bis März
2
289
395
12,2
100
1530
1870Juli bis December
3
306
380
11,3
100
1447
Tabelle I gibt die erste Spalte die wöchentlich fabricirte Menge Natronsulfat, um von
der Regelmässigkeit des Betriebes während der Zeit 1868 bis 1870 einen Begriff zu
geben. Die zweite Spalte gibt die aus 100 verbranntem Schwefel erzeugte Menge
Sulfat, die dritte den auf 100 Schwefel verbrauchten Natronsalpeter, die vierte die
von der erzeugten Schwefelsäure im Gloverthurme denitrirte Procentmenge und die
fünfte den Kammerraum für 1l Natronsulfat die
Woche, alles im Durchschnitt. Ich habe die Zahlen nicht ins metrische System
umgerechnet, weil nur ihre relativen Werthe hier in Betracht kommen.
Diese Zahlen zeigen nun allerdings, dass man bei Verwendung des Gloverthurmes
„eher weniger als mehr Salpeter“ verbraucht; sie zeigen aber ebenfalls,
dass die Ersparniss an Salpeter nur eine geringe ist und behaus nicht augenfällig
genug, um mit Vorsters Ansichten in Widerspruch zu
gerathen. Man beachte nur, wie klein der Unterschied im Salpeterverbrauch ist,
nachdem ein zweiter und dritter Gloverthurm in das System eingeschoben worden.
3) Was die Arbeiten Lunge's
anbelangt, welche sich auf Bestimmung von salpetriger Säure beziehen, so haben diese
für uns nur sofern Interesse, als sie dazu dienen, die Harcourt-Siewert'sche Methode, welche Vorster
bei seinen Versuchen anwendete, als ungenau und unzuverlässig zu charakterisiren,
ferner insofern eine Modification der Chamäleon-Methode als für solche Versuche
zweckmässiger empfohlen wird.
Was die Harcourt-Siwert'sche Methode betrifft, so kann
ich aus eigener Erfahrung sagen, dass, wenn man sich Zeit genug gibt und namentlich
die Reduction der Salpetersäure zu Ammoniak als eine, die Destillation des Ammoniaks
als eine zweite Operation betrachtet, man hierbei immer constante Resultate erhält.
Es ist aber überflüssig, über diese Methode hier viel zu schreiben, nachdem Dr. J. M. Eder (vgl. S. 318 d. Bd.) dieselbe einer so
genauen Prüfung unterworfen hat. Lunge nahm von dieser
Arbeit, welche etwas früher als die seinige erschien, gar keine Notiz.
Bei der Chamäleon-Methode misst eben das Chamäleon nicht Stickstoff, sondern eine
Sauerstoffdifferenz. Zudem kann es vorkommen, dass man mit Chamäleon in einer
Schwefelsäure salpetrige Säure findet, wenn jene gar nichts von dieser enthält. Lunge's Halbnormal-Chamäleonlösung kann alle möglichen
Mengen von Stickstoff anzeigen von 0 bis 0g,035
auf 1cc. Man muss sich immer erst überzeugen, ob
neben den Stickstoffverbindungen nicht noch andere reducirende Substanzen vorhanden
sind, und wenn solche gefunden, ob überhaupt Stickstoffverbindungen vorliegen. Bei
Abwesenheit anderer reducirender Substanzen muss man sich noch ausserdem davon
Rechenschaft geben, welches Oxyd des Stickstoffes man vor sich hat.
Alle diese Vorsichtsmassregeln hat Lunge bei seinen
Special versuchen vernachlässigt und sich damit begnügt, anzunehmen, dass keine
schweflige Säure zugegen und dass aller Stickstoff in Form von salpetriger Säure
bezieh. einer Auflösung von Nitrosulfonsäure vorhanden gewesen sei. Die folgenden
Versuche zeigen aber offenbar, dass, wenn NO2 von
Schwefelsäure absorbirt wird, in dieser ein Gemenge von N2O3 und NO2 wieder gefunden wird.
1. Versuch: 80g,6702 Schwefel
säure von 1,8452 sp. G. bei 15° wurden mit NO2
behandelt. Dieses wurde erhalten, indem man Stickoxyd mit Ueberschuss von Sauerstoff
mengte und das Gemenge durch Clorcalcium so vollständig als möglich trocknete. Nach
theilweiser Sättigung wog die Säure 109g,7130 und
hatte deshalb 29g,0428 Stickstoffverbindungen
absorbirt, so dass sie jetzt 26,471 Proc. ihres Gewichtes von diesen Verbindungen
enthielt. Um nun zu erfahren, wie viel N2O3 und wie viel NO2
vorhanden sei, brauchte man blos mit Chamäleon zu titriren, die Sauerstoffmenge,
welche dos Chamälon an die Stickstoffverbindungen abgab, zum Gewichte dieser
Verbindungen addiren und aus der so erhaltenen Menge N2O5 den vorhandenen Stickstoff
berechnen.
Bei diesen Versuchen, welche schon i. J. 1871 von (dem inzwischen
verstorbenen) Jekyll und mir gemeinschaftlich gemacht
worden, bedienten wir uns folgenden Verfahrens; Wir saugten die Nitrose in kleine
Glaskügelchen auf, verschmolzen diese zu und wogen die Säure, statt sie in Bürette
oder Pipette zu messen. Zuerst berechneten wir die Menge Chamäleonlösung, welche
unter Annahme, es sei aller Stickstoff als NO2
vorhanden zur Oxydation nöthig wäre, gössen diese in ein Becherglas, setzten das
nöthige Wasser und so viel Schwefelsäure hinzu, dass die Lösung warm wurde; dann
wurde die Glaskugel eingeworfen und am Boden des Glases zertrümmert. Aber die so
berechnete Menge Chamäleonlösung war nicht hinreichend, um die ganze
Sauerstoffdifferenz zwischen der Substanz und N2O5 zu decken. Man konnte das Umrühren so
bewerkstelligen, dass die oberste Schichte der Flüssigkeit immer stark roth gefärbt
blieb, und nun durch weiteren Zusatz von Chamäleonlösung die Titration vollenden,
ohne auch nur eine Spur von Gas zu verlieren. Um aber jeder Möglichkeit eines
Verlustes vorzubeugen, wurde ein erster Versuch gemacht, um die nöthige Menge
Chamäleon zu erfahren, und dann ein zweiter so ausgeführt, dass diese ganze nöthige
Menge von Chamäleon bis auf einen kleinen Bruchtheil auf einmal zugesetzt wurde.
a) 0g,3968 nitroser
Schwefelsäure verbrauchten 18cc 2 einer
Chamäleonlösung, von welcher 100cc = 0g,9176 metallisches Eisen = 0g,1311 Sauerstoff anzeigten.
b) beim zweiten Versuch wurden verbraucht 2g,9068 nitroser Säure und 134cc Chamäleonlösung.
Hieraus berechnen sich folgende Zahlen:
a
b
Gewicht der Stickstoffverbindung
0,10504
0,76954
Addirter Sauerstoff
0,02385
0,17567
–––––––
–––––––
Gewicht des resultirenden N2O5
0,12889
0,94521
Darin enthaltener Stickstoff
0,03342
0,24503
Damit ursprünglich verbundener
Sauerstoff
0,07162
0,52441
Auf 1 Atom Stickstoff fallen Atome
Sauerstoff
1,88
1,87.
2. Versuch: Nach Erscheinen der Arbeit Lunge's beschloss ich diesen Versuch wiederholen zu lassen, mit noch viel
grösserer Vorsicht. Während beim ätzten Versuch das Stickoxydgas durch Einwirkung
von Salpetersäure auf Kupfer erhalten und dann mit reinem Sauerstoff gemengt, durch
einige Clorcalciumröhren getrocknet wurde, stellte ich in diesem Versuche das
Stickoxyd durch Einwirkung von Eisenchlorür auf Salpeter dar, trocknete das Gas mit
concentrirter Schwefelsäure, mengte es mit vorher ebenfalls durch concentrirte
Schwefelsäure getrockneter Luft, und zwar im Verhältnisse von 1 Stickoxyd zu 5 Vol.
Luft. Um dieses Verhältniss genau einzuhalten, war ich gezwungen, zu einem
Anemometer Zuflucht zu nehmen, welches gestattet, Gasströme von sehr geringer
Geschwindigkeit (z.B. 50cc in der Minute hebt eine
Flüssigkeitsäule scheinbar mehr als 1cm hoch) mit
grosser Sicherheit constant zu halten. Dieses trockene Gasgemenge wurde wieder durch
eine gewogene Menge Schwefelsäure geleitet, aber die Sättigung nicht so weit
getrieben wie früher.
43g,5723 Schwefelsäure
absorbirten 4g,1910 Stickstoffverbindungen, so
dass die resultirende Kitrose 8,775 Proc. ihres Gewichtes von diesen Verbindungen
enthielt.
Die Analyse, welche ganz wie früher ausgeführt wurde, ergab
folgende Wahlen:
a) 5g,4102 Nitrose
wurden in Permanganatlösung einfliessen gelassen und verbrauchten 166cc,1 dieser Lösung, von welcher 1cc = 0,08 Sauerstoff äquivalent war.
b) 4g,1840 Nitrose
verbrauchten 127cc,1 derselben Lösung.
a
b
Gewicht der Stickstoffverbindung
0,4747
0,3671
Addirter Sauerstoff
0,1328
0,1017
––––––––
–––––––
Gewicht der entsprechenden N2O5
0,6075
0,4688
Entsprechender Stickstoff
0,1575
0,1215
Verhältniss der Anzahl der
Stickstoffatome zu den Sauerstoffatomen
1 : 1,763
1 : 1,768
Um nun der Sache noch sicherer zu sein, wurde die während der
Analyse b erzeugte Menge Salpetersäure nach Lunge's
Methode direct gemessen; dabei wendete ich aber doch den continuirlichen
Kohlensäurestrom an, um die Luft von der Eisenlösung abzuhalten, und begnügte mich
nicht mit dem blosen Einwerfen von Natriumbicarbonat. Es waren 201cc,4 Eisenlösung (1000 = 28g Fe) zugesetzt, von denen beim Zurücktitriren
51,4 als durch Salpetersäure oxydirt sich erwiesen. Diese entsprechen 0g,4626 N2O5. Benutzt man nun diese Zahl zusammen mit der durch
Chamäleonlösung angezeigten Menge Sauerstoff zur Berechnung, so ist man von dem
ursprünglichen Procentgehalt der Nitrose unabhängig., und man findet die
Zusammensetzung der Verbindung, wie folgt:
Durch Eisenlösung angezeigtes N2O5
0,4626
Dieses enthält Stickstoff
0,1207
Und durch Chamäleon gelieferten
Sauerstoff
0,1017
Also war ursprünglich vorhanden
Sauerstoff
0,2402
Das Gewicht der in der Nitrose enthaltenen
Verbindung ist
0,3609
Stickstoff : Sauerstoff
1 : 1,72.
Die durch Eisenanalyse und unabhängig vom früher bestimmten Gewicht der
Stickstoffverbindung gefundene Verhältnisszahl stimmt so genau mit den andern beiden
Zahlen überein, als dies zu erwarten ist Die Eisenmethode
gibt immer zu wenig NO2
und zu viel N2O3 an, man mag arbeiten, wie man will.
Diese Versuche beweisen nun zur Genüge, dass Schwefelsäure aus
Untersalpetersäuredämpfen ein Gemenge von NO2 und
N2O3 absorbirt,
sogar wenn Sauerstoff in Ueberschuss vorhanden. Man nimmt gewöhnlich an, dass der
Untersalpetersäure bei gewöhnlicher Temperatur die Formel N2O4 zukomme. Nimmt
man dies als ihre wirkliche Molecularformel an, so zeigen diese Versuche, dass in
der Schwefelsäure auf je 1 Mol. N2O3 1 bis 3 Mol. N2O4 fallen, was wahrscheinlich von dem im
Gase vorhandenen Verhältniss von Stickoxyd zu Sauerstoff abhängig ist.
Wenn schon Cl. Winkler gezeigt hatte, dass NO2 von Schwefelsäure absorbirt wird, und wenn die
Annahme, Stickoxyd werde bei Sauerstoffüberschuss zu NO2 oxydirt, richtig ist, wenn ferner Lunge
selbst zugibt, dass bei richtigem Betrieb der Kammer schweflige Säure in den
Gay-Lussac-Thurm nicht eintreten, viel weniger aber durchgehen sollte (vgl. 1877 226 173), so muss man staunen, wie Lunge selbst nicht einsah, dass bei gut geleitetem
Kammerprocesse die Nitrose ein Gemenge von N2O3 und N2O4 enthalten muss, oder wenigstens enthalten kann,
und dass er hierauf bei seinen Specialversuchen auch nicht die geringste Rücksicht
nahm. Dass die aus den Gay-Lussac-Thürmen abfliessende Nitrose immer nur N2O3 enthalte, ist
durch den einzelnen Versuch Cl. Winkler's mit der
Halsbrücker Nitrose und durch Lunge's Analyse der
Uetikon-Nitrose noch durchaus nicht bewiesen.
In unserer Fabrik wurde die Zusammensetzung der Stickstoffverbindungen für lange Zeit
täglich zweimal untersucht. In einer abgemessenen Menge der Nitrose wurde durch
Chamäleon der zur vollständigen Oxydation zu N2O5 nöthige Sauerstoff und in einer andern
abgemessenen Menge durch Eisenlösung der Sauerstoff bestimmt, welcher bei Reduction
zu Stickoxyd abgegeben wurde. Aus beiden Bestimmungen liess sich das Verhältniss von
N2O3 zu N2O4 berechnen. Die
folgende Tabelle II enthält einige solcher Bestimmungen.
Tabelle II.
Zeit1871
Chama-leon*
Eisen-losung †
Mol. N2O4auf 1 Mol.N2O3
Sauerstoffder Gase
13. Februar
cc45,4
cc45,4
3,48
Proc.6,9
14. „
43,2
38,7
2,37
5,8
17. „
57,0
50,6
2,22
4,6
20. „
63,0
47,3
1,30
6,0
23. „
68,0
44,4
0,85
4,5
1. März
61,8
42,5
1,01
4,4
2. „
70,5
38,4
0,48
5,2
* 1cc Chamäleon se 0,0790 NO2. † 1cc
Eisenlösung = 0,0575 NO2.
Diese Tabelle werde ich später Doch etwas ausführlicher mittheilen. Ich habe hier den
Sauerstoffgehalt der abziehenden Gase mit angeführt. Ina Allgemeinen zeigten die
Versuche, dass je mehr Sauerstoff vorhanden, desto mehr Stickstoff sich in der
Nitrose in Form von NO2 befindet. Natürlich hängt
die Zusammensetzung noch weit mehr von der Anwesenheit von schwefliger Säure ab,
diese wurde leider nicht mit bestimmt.
Hiermit glaube ich zur Genüge gezeigt zu haben, dass die Nitrose der Fabriken ebenso
wie diejenige, welche im Laboratorium hergestellt, ein Gemenge nach wechselnden
Verhältnissen von N2O3 und NO2 enthalten, und dass nur dann,
wenn durch das Vorhandensein einer reducirenden Substanz alles NO2 in N2O3 übergeführt wird, die Nitrose allen Stickstoff in
Form von N2O3
enthält. Solche Nitrose finden wir immer, wenn die Schwefelsäureproduction schlecht
ist, d.h. wenn verhältnissmässig viel schweflige Säure am Ende des
Gay-Luesac-Thurmes entweicht.
Unter diesen Umständen kann ich der ausschliesslichen Verwendung der Chamäleonlösung
zur Bestimmung des in der Nitrose enthaltenen Stickstoffes nicht beistimmen und muss
deshalb die Versuche Lunge's, welche sich auf
Denitration beziehen, trotz ihrer anscheinenden Uebereinstimmung als nicht beweisend
verwerfen und dies auch namentlich aus dem Grunde, weil er die Abwesenheit von
schwefliger Säure in seinen Absorptionsapparaten nur behauptet, aber keineswegs
bewiesen hat. Nach meinen Bestimmungen absorbirt starke Schwefelsäure von 1,84 sp.
G. etwa 16 Vol. SO2, und verändert dieser
Absorptionscoefficient sich nur wenig mit abnehmender Concentration der Säure bis
1,55 sp. G.
Hiernach muss ich zu dem bestimmten Schlusse kommen, dass bei
aller Abwesenheit von Cautelen, sich gegen Täuschung durch SO2
und möglicherweise vorhandenes NO2
zu schützen, die Lunge sehen auf alleiniger Verwendung von
Chamäleonlösung beruhenden Versuche nicht beweisend sind, trotz ihrer
anscheinend guten Uebereinstimmung.
(Schluss folgt.)