Titel: | Ueber neue Explosivmischungen; von Prof. Dr. H. Schwarz. |
Autor: | H. Schwarz |
Fundstelle: | Band 226, Jahrgang 1877, S. 513 |
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Ueber neue
Explosivmischungen; von Prof. Dr. H. Schwarz.
Schwarz, über neue
Explosivmischungen.
Die in neuerer Zeit so vielfach angewendeten modernen
Explosivstoffe charakterisiren sich im Allgemeinen durch
übermäßig brisante Wirkungen und sind fast ausschließlich zum
Sprengen, mit Anwendung von Detonationszündern, bestimmt. Zum
Forttreiben von Geschossen wird dagegen fast ausnahmslos das
alte Schießpulver angewendet, welches genügende Kraft mit
geringer Brisanz verbindet und auch bei gewöhnlichen Zündern
seine Wirkung entwickelt. Der Umstand, daß in Oesterreich das
Pulvermonopol noch mit aller Strenge aufrecht erhalten wird, wie
es scheint, besonders auf Verlangen der ungarischen Regierung,
hat zu der eigenthümlichen Erscheinung geführt, daß dort
alljährlich neue Patente auf Sprengmittel der verschiedensten
Art, oft von geringer Wirkung und unzweckmäßiger
Zusammensetzung, genommen werden, welche nur wegen der hohen
Monopolpreise für das gewöhnliche Sprengpulver in Gebrauch
gekommen sind.
Man sollte meinen, daß das Dynamit in seinen verschiedenen
Abstufungen und Mischungen wegen seiner energischen Wirkung alle
weiteren Sprengmittel überflüssig machen müßte, vergißt aber
dann, daß für Bruchsteine und für Kohlen die Wirkung desselben
auf die nächste Umgebung des Bohrloches zu heftig ist und allzu
viel kleine Bruchstücke liefert. Gerade wegen eines solchen
neuen Sprengmittels für Braunkohlen wendete sich ein
Industrieller an den Verfasser, dem es auch gelang, eine den
gestellten Anforderungen entsprechende einfache Mischung
herzustellen. Bei diesen Versuchen kam ich indessen auf mehrere
andere interessante Mischungen und habe mich des umständlichen
Concessionswesens halber entschlossen, die erlangten Resultate
ohne weiteres zu veröffentlichen.
Das Schießpulver ist bekanntlich aus Salpeter, Schwefel und Kohle
zusammengesetzt; letztere ist meist noch reich an
Wasserbestandtheilen. Es lag nun der Gedanke nahe, Schwefel und
Kohlenstoff in Form einer Verbindung, statt in der eines
Gemisches, anzuwenden. Nach der Analogie der Pulverkohle
konnte auch ein Gehalt an Wasserbestandtheilen keinen Schaden
bringen, da der verbrennende Wasserstoff ebenso gut Wärme
liefert und der entstehende Wasserdampf die Rolle eines
permanenten Gases übernimmt. Bei gleichem Sauerstoffs erbrauche
mußte der absolute Wärmeeffect sogar größer sein, als bei
Kohlenstoff. Ein Theil Sauerstoff, Kohle zu CO₂, bezieh.
Wasserstoff zu H₂O verbrennend, liefert 3000 bezieh.
4200c. Dadurch konnte
in Betreff des Pyrometrischen Wärmeeffectes – der
Temperatur, welche die Gasausdehnung oder Pression bestimmt
– der Ausgleich dafür stattfinden, daß die specifische
Wärme des Wasserdampfes (0,475) größer ist als die der
Kohlensäure (0,216).
Nachdem ich Sulfamilid und Schwefelkohlenstoff Schwefelkalium
vergebens versucht, kam ich endlich auf die xanthogensauren
Verbindungen. Ich habe die Methyl-, Aethyl-, Amylxanthogenate
von Kali, Natron, Baryt, Kupfer etc. versuchsweise dargestellt,
blieb aber schließlich wegen der leichten und billigen
Darstellung in reiner Form bei dem allbekannten
äthylranthogensauren Kali stehen, obwohl auch das Methylxanthat
genügt hätte, während das Amylxanthat nur einen geringen Erfolg
ergab.
Zur Darstellung des xanthogensauren Kalis löst man
krystallisirtes oder geschmolzenes und gepulvertes Kalihydrat in
starkem Alkohol und fügt dann die nöthige Menge
Schwefelkohlenstoff hinzu. Das Kali löst sich im absoluten
Alkohol nur schwierig, insbesondere das geschmolzene. Man erhält
freilich aus dieser Lösung das xanthogensaure Kali besonders
rein. Ich habe gewöhnlich Alkohol von 90 bis 93 Proc.
angewendet, der vollkommen genügt. Nachdem sich das
krystallisirte Kalihydrat darin zu einer schwach bräunlichen
Flüssigkeit gelöst, wurde in 1cc der Lösung der
Kaligehalt acidimetrisch ermittelt und daraus für das ganze
Volum die nöthige Menge Schwefelkohlenstoff berechnet. Beim
Zusetzen muß man kräftig umrühren; bei größeren Mengen tritt
eine so starke Erwärmung ein, daß Schwefelkohlenstoff verdampft.
Bei der Darstellung im Großen wäre eine Blase mit
Rührvorrichtung, einem Einflußrohr für den Schwefelkohlenstoff,
einem Ablaßhahn und einem aufsteigenden Kühler anzuwenden. Die
Blase wäre mit einer Blechhülle zu umgeben, welche beim Zusatze
des Schwefelkohlenstoffes zur Circulation des Kühlwassers, nach
vollendeter Operation dagegen zur Erwärmung mittels Dampf zu
verwenden wäre, um das sich sonst rasch und in verfilzten
Krystallen abscheidende xanthogensaure Kali behufs der
Entleerung in verschließbare Kühl- und Krystallisationsbehälter
wieder in Lösung zu bringen. Die fast ganz durch Krystallisation
erstarrte Masse läßt den überschüssigen Alkohol auf einem
mit Glaswolle verstopften Trichter, der mit einer Luftpumpe in
Verbindung steht, sehr rasch und vollkommen ablaufen, so daß ein
kurzes Trocknen genügt.
Das Filtrat abdestillirt, ergibt noch eine zweite reichliche
Krystallisation, die letzte wässerige Mutterlauge krystallisirt
dagegen schlecht und erscheint stark rothgelb gefärbt. Die
Ausbeute nähert sich der theoretischen: K₂O + 2
C₂H₆O + 2 CS₂ = 2
(C₂H₅OCS₂K) + H₂O.
Ein Versuch ergab auf 104g maßanalytisch bestimmtes Kali und 141g Schwefelkohlenstoff statt
353g 300g Ausbeute an
xanthogensaurem Kali. Selbst bei geringerer Ausbeute würden sich
die Kosten nicht zu hoch stellen:
1k
krystallisirtes Kalihydrat
= 2,50 M.
2
Alkohol von 90 Proc.
= 2,60
1
Schwefelkohlenstoff
= 0,70
Arbeitskosten
= 0,20
–––––
2k
xanthogensaures Kali
= 6,00 M.
Dabei nehme ich aber einen starken
Alkoholverlust an, der jedenfalls zu vermeiden ist. Es kostet
also 1k höchstens 3
M.
Ich habe übrigens auch durch Zusammenschütteln von gepulverter
Potasche, Kalthydrat, Alkohol und Schwefelkohlenstoff, durch
Stehenlassen und nachträgliches Erwärmen und Abfiltriren sehr
schönes xanthogensaures Kali erhalten.
Wird das gepulverte Salz mit Kalisalpeter vermischt, so erhält
man beim Anzünden eine lebhaft glänzende Flamme. Wenn man mit
dieser Mischung aber einen Schuß in einer
PulverprobirmaschineDie von mir benutzte Maschine, welche ich der Freundlichkeit
eines Grazer Pulverfabrikanten, Hrn. Mayer, verdanke, besteht aus einem zwischen zwei
verticalen Eisenstäben geleiteten schweren Stempel, der an einem
am Rande eingekerbten, in gleiche Theile getheilten Stabe sitzt.
In die Kerbenreihe fällt ein Sperrzahn ein, welcher den Stab
zurückhält, wenn er durch eine abgewogene Pulverladung in die
Höhe geworfen wurde. Das Pulver ist in einem dickwandigen
Cylinder enthalten, der in das Bodenbret mit einem viereckigen
Zapfen eingesetzt wird. Das Abfeuern geschieht durch eine
Stoppine, welche durch ein seitliches Zündloch eingeführt
wird.Der Pulvermörser, bis oben gefüllt, faßt etwa 2g Sprengpulver; dann kann
man den Stempel unmittelbar aufsetzen. Ist bei stärkeren
Explosivmitteln nur eine geringere Menge zulässig, so muß man
die Ladung mit einem Baumwollenpfropfen ergänzen.Die
erhaltenen Zahlen sind zwar kein absolutes Maß, gestatten aber
doch eine Vergleichung der Wirkung. macht, so ist
die Wirkung nur unbedeutend. Sie wird merkwürdiger Weise sehr
energisch, sobald man eine kleine Menge fein gepulverter
Holzkohle zusetzt und zwar nur soviel, um die Normalformel des
Pulvers zu vervollständigen. Ich habe vornehmlich zwei
Mischungsverhältnisse benutzt, welche beide fast gleich günstige
Effecte ergaben:
I) C₂H₅OCS₂K + 4 KNO₃ + 2 C =
C₅H₅N₄S₂K₅O₁₃.
(In Gewichtstheilen 160, 404 und 24.) Die Formel der Zerlegung ist
dann, wenn man obige Zahlen verdoppelt:
C₁₀H₁₀N₈S₄K₁₀O₂₆
= 4 K₂S + K₂CO₃ + 5 H₂O + 9
CO₂ + 8 N.
II) 4 (C₂H₅OCS₂K) + 12 KNO₃ + 3 C =
C₁₅H₂₀N₁₂S₈K₁₆O₄₀.
(In Gewichtstheilen 160, 303 und 9.) Die Zerlegungsformel ist
dann:
C₁₅H₂₀N₁₂S₈K₁₆O₄₀
= 8 K₂S + 10 H₂O + 12 N + 15 CO₂.
Ich weiß, daß nach den Untersuchungen von Bunsen und Schischkoff man die
Bildung von Schwefelkalium beim Pulver nicht mehr als nothwendig
ansieht, und gebe daher diese Formel nur als ein Mittel, um sich
ein Bild der Umsetzung zu machen.
Sehr merkwürdig war mir indessen, daß ein weiterer Zusatz von
Salpeter, wodurch sich hätte schwefelsaures und kohlensaures
Kali bilden sollen, statt der erwarteten Steigerung der Wirkung,
eine Verminderung derselben bewirkte. Ich versuchte auch das
Mischungsverhältniß genau dem bekannten Durchschnittsverhältniß
des gewöhnlichen Schießpulvers in der Art anzupassen, daß der
zur Verbrennung verfügbare Wasserstoff, als durch sein
Aequivalent Kohlenstoff ersetzt, in Anrechnung kommt. Das
Schießpulver enthält auf 100 Salpeter 16 Schwefel und 18
Kohlenstoff. 160 Kalixanthat enthalten 64 Schwefel oder 40
Proc., 16 Th. Schwefel sind daher in 40 Th. Xanthat enthalten.
160 Th. Xanthat enthalten aber auch 36 Th. Kohlenstoff und 4 Th.
Wasserstoff; die letzteren brauchen zur Verbrennung 32 Th.
Sauerstoff ebenso wie 12 Th. Kohlenstoff. In Summe sind also 48
Th. Kohlenstoff oder 30 Proc. zu rechnen. Die 40 Th. Xanthat,
welche den Schwefel liefern, entsprechen daher nur 12 Th.
Kohlenstoff, und zur Vervollständigung sind demnach noch 6 Th.
Kohlenstoff zuzusetzen. Dem Schießpulver entspricht daher ein
Gemisch von 100 Salpeter, 40 Xanthat und 6 Kohle. Das unter I
angegebene Mischungsverhältniß stimmt aber genau damit
überein.
Die einzelnen Bestandtheile wurden in einer Kugeltrommel zuerst
jeder für sich, dann im Gemische innig zerrieben und gemengt und
schließlich die Masse mit wenig Alkohol angemacht, zu Kuchen
gepreßt, die alsdann gekörnt wurden. Gefahr ist dabei nicht
vorhanden, da die Masse durch Schlag nicht explodirt. Die
Wirkung in der Probirmaschine ist nach der Körnung etwas
verschieden. Feines Korn wirkt wegen der raschen Verbreitung der
Verbrennung etwas intensiver. Während 1g feines Jagdpulver 40 bis
46° schlägt, wie der technische Ausdruck lautet, treibt
bei
I
1g11
grobesmittleresfeines
Korn bis
zu „ „
„ „ „
„
36°5872
II
11
mittleresfeines
„ „
„ „ „
„
4074.
Die Kraftentwicklung ist daher, trotzdem
die Gasmenge etwas geringer ist, bei dem feinen Korn wenigstens
stärker als bei Jagdpulver. Die Brisanz, die sich durch das
Eindrücken einer Schneide von Halbmondform auf einer Zinkplatte
messen läßt, ist bei meinem Pulver nach Versuchen im Wiener
Geniecorps ebenso gering wie beim Kriegspulver. Es ist also
dieses Xanthatpulver ebenso gut zum Schießen zu verwenden. Es
muß natürlich trocken aufbewahrt werden, damit sich das
xanthogensaure Kali nicht allmälig zersetzt.
Ersetzt man den Salpeter durch chlorsaures Kali, auf 1 Th.
Xanthat 3 Th. KClO₃ (ohne Kohle), so erhält man ein
äußerst kräftiges Präparat, von welchem 1g 100° schlägt; doch
explodirt es wie fast alle Chloratpulver durch einen kräftigen
Schlag von Eisen auf Eisen.
Ich habe noch mehrere sehr energische, aber wahrscheinlich
brisantere Mischungen aus sulfonsauren Salzen und chlorsaurem
Kali dargestellt. Als ich zur Bestimmung des Schwefels im
phenolsulfonsauren Kali dieses mit Soda und Salpeter in einer
Silberschale zusammenschmelzen wollte, trat eine heftige
Entstammung ein. Das Gemisch des reinen phenolsulfonsauren Kalis
mit Salpeter ließ sich leicht entzünden und brannte mit
glänzender Flamme ab, schlug aber nur wenig im
Pulverprobirapparate. Als ich aber den Salpeter durch
chlorsaures Kali ersetzte, erhielt ich sowohl bei dem
wasserfreien paraphenolsulfonsauren Kali (1), als auch bei dem
metaphenolsulfonsauren Kali (2), nachdem es getrocknet, sehr
kräftige Wirkungen. Ganz ähnlich verhielten sich
benzolmonosulfonsaures (3) und benzoldisulfonsaures Kali (4).
Wahrhaft großartig war endlich die Wirkung bei der Anwendung des
phenolsulfonsauren Ammons (5), das ebenfalls bei 100°
getrocknet werden mußte.
Die Formeln der Zerlegungen sind:
1 u. 2 : C₆H₅OSO₃K + 4
2/3 KClO = K₂SO₄ + HCl + 2 H₂O + 6
CO₂ + 3 2/3 KCl. (In Gewichtstheilen 1 und 2,75;
1g schlägt
96°.) 3: C₆H₅OSO₃K + 5
KClO₃ = K₂SO₄ + HCl + 2 H₂O + 6
CO₂ + 4 KCl. (In Gewichtstheilen 1 und 2,8; 1g schlägt 96°.)
4: C₆H₄2SO₃K₂ + 5 KClO₃ = 2
(K₂SO₄) + 2 HCl + H₂O + 6 CO₂ + 3
KCl. (In Gewichtstheilen 1 und 2; 1g schlägt 96°.)
Es kann diese Gleichheit der Wirkung nicht Wunder nehmen, da
ziemlich dieselben Zersetzungsvorgänge vorliegen. 5:
C₆H₅OSO₃NH₄ + 5 1/6 KClO₃ =
K₂SO₄ + 2 HCl + 3,5 H₂O + 6 CO₂ + N
+ 3 1/6 KCl. (In Gewichtstheilen 1 und 3; 1g schlägt 160°, also
4 mal soviel als feinstes Jagdpulver; die Scale war schon zu
Ende, der ganze Apparat hob sich, so daß die Wirkung vielleicht
noch größer ist.)
Leider ist auch hier das Gemisch durch den Schlag von Eisen auf
Eisen leicht entzündlich. Die Darstellung der phenolsulfonsauren
Verbindungen ist übrigens eine so leichte, der Preis
der reinen Carbolsäure so niedrig, daß die Darstellung eines
sehr wirksamen Sprengmittels auf diese Art nicht großen
Schwierigkeiten begegnen dürfte. Es ist interessant, daß die
Gegenwart des Schwefels selbst in Form von SO₃H die
Zersetzung des KClO₃ hervorzurufen scheint, wo dann der
entwickelte Sauerstoff die Verbrennung der gebundenen
organischen Substanz bewirkt.