Titel: | Vaseline. |
Autor: | Rudolf v. Wagner |
Fundstelle: | Band 223, Jahrgang 1877, S. 515 |
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Vaseline.
v. Wagner, über Vaseline.
Unter diesem Namen kommt seit einigen Monaten ein neues Heilmittel von der
„Chesebrough Manufacturing Company“ in New-York (Nr.
220 Front Street) in den Handel, das als Petroleum-Gelée zum
äußerlichen Gebrauch als Liniment und innerlich gegen Husten, Heiserkeit, Asthma,
Diphtherie u.s.w. warm empfohlen wird. Den Circularen, mit denen Deutschland und die
Schweiz seit einiger Zeit überschwemmt werden, ist ein Report
on Awards der United States
Centennial-Commission in Philadelphia beigegeben, in welchem der
Antrag der Preisrichter-Gruppe für die chemischen Producte auf Prämiirung der
Vaseline von den Judges der Chemiegruppe unterschrieben, abgedruckt ist. Unter den
Unterschriften befindet sich auch mein Name.
Nach den Mittheilungen, die ich in den letzten Tagen von befreundeter Hand und
geachteter Seite von verschiedenen Orten Deutschlands und aus der Schweiz erhielt,
ist meine Namensunterschrift so gedeutet worden, als wenn ich die Vaseline, ein
Geheimmittel (von dem jedoch bekannt ist, daß es im wesentlichen eine gelatinirende
Lösung von Pennsylvanischem Petroleum-Paraffin in einem durch ein neues
Verfahren geruchlos gemachten Heptan ist) empfehlen wollte.
Es liegt die Möglichkeit nicht fern, daß der Speculationsgeist der Amerikaner auch in
andern Fällen mit der Unterschrift der Mitglieder des nordamerikanischen
Preisgerichtes Mißbrauch zu treiben gesonnen ist. Ich halte es daher für angezeigt,
den Modus operandi in der Jury in Philadelphia und die
Bedeutung der Unterschriften der Judges in dem Report on
Awards kurz darzuthun.
Zum Unterschied von dem Verfahren beim chemischen Preisgericht in London (1862),
Paris (1867) und Wien (1873) durfte die Gruppen-Jury (Group Judges) in Philadelphia keine Prämien selbst verleihen, sondern nur
deren Verleihung wohl motivirt bei der United States
Centennial Commission beantragen. Um nun die Beurtheilungsarbeit zu
fördern, die am 25. Mai begann und bis Ende Juli spätestens vollendet sein mußte,
war die Vereinbarung getroffen worden, daß für gewisse Klassen von Ausstellern und
für einzelne Länder Referenten aufgestellt wurden, welche die ihnen zugefallenen
Ausstellungsobjecte zu prüfen und über den Befund in dem Judges-Meeting vorzutragen hatten. Lautete der Antrag auf
Prämiirung, so wurde der für die Centennial-Commission bestimmte Bericht von
dem Referenten selbst geschrieben und von ihm signirt. Für diese Unterschrift trägt
selbstverständlich der Referent die volle Verantwortlichkeit. Nach der Instruction
mußte aber der Report on Awards außerdem noch von den
übrigen Mitgliedern der Jury-Gruppe unterzeichnet werden. In dem Schema der
Berichte ist daher wohl unterschieden:
1. Signature of the Judge,
2. Approval of Group-Judges.
Das Unterzeichnen durch die übrigen Preisrichter war nur
eine Formalität. Wie häufig ist es vorgekommen, daß ich, der ich z.B. fast
sämmtliche chemische Aussteller aus dem Deutschen Reiche mir für mein Referat
reservirt hatte, meine Jury-Collegen unterschreiben ließ, ohne daß sie die
betreffenden Objecte geprüft oder auch nur näher angesehen haben. Ein solches
Verfahren, das seine Schattenzeiten, aber auch in mancher Hinsicht seine großen
Vortheile hat, kann nur derjenige tadeln, der von dem Wesen und Treiben auf den
internationalen Ausstellungen keinen oder einen falschen Begriff hat. Eine
gründliche Prüfung der Ausstellungsgegenstände durch das Preisgericht, eine genaue
und gewissenhafte Abwägung des Verdienstes der einzelnen Aussteller ist ja im Drange
des Tages, bei der kurz gemessenen Zeit, bei der Unzahl der Objecte, bei der
Unvollständigkeit und Unzuverlässigkeit der Information und bei den merkwürdigen
Einflüssen aller Art, die sich in der Jury geltend zu machen suchen, nicht möglich!
Das Mitglied eines internationalen Preisgerichtes hat nach den landesüblichen
Begriffen seine Pflicht am besten erfüllt, wenn es in erster Linie die Interessen
der Aussteller seines Landes energisch wahrgenommen. In der richtigen und
zeitgemäßen Handhabung des Compromisses liegt zum Theil die Kunst des modernen
Preisrichters.
In dem Report on Awards in Betreff der Vaseline war
Professor
Chandler (von der School of
Mines in New-York) der verantwortliche Referent. In dem Antrage auf
Prämiirung heißt es: „es liege ein neues chemisches Präparat vor, von
großem Werthe für die Pharmacie und von vorzüglicher
Bereitungsweise.“ Ein solches Urtheil nahmen wir übrigen Judges
keinen Anstand zu befürworten.
Der Antrag hatte (wie fast durchweg) Erfolg und die ausstellende Firma erhielt die
Medaille, die einzige Auszeichnung, die instructionsgemäß existirte. Wenn die in
Rede stehende Fabrik in New-York auf ihren Prospect über die Vaseline von Grand Medal and Diploma spricht, so ist diese
Ausdrucksweise eben nichts weiter als eine Hyperbel.
Meine Unterschrift drückt also nur meine Zustimmung zu dem Antrage Prof. Chandler's auf Prämiirung des neuen chemischen
Präparates, Vaseline genannt, aus, sie darf aber nicht so gedeutet werden, als ob
ich die Vaseline zu empfehlen gesonnen sei. Gegen eine solche Auffassung müßte ich
entschieden Protest einlegen.
Würzburg, 13. Februar 1877.
Rudolf v. Wagner, Mitglied des
internationalen Preisgerichts der Centennialausstellung in Philadelphia.