Titel: Mittheilungen über neue Handfeuerwaffen; von F. Hentsch, Hauptmann a. D. in Berlin.
Fundstelle: Band 223, Jahrgang 1877, S. 274
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Mittheilungen über neue Handfeuerwaffen; von F. Hentsch, Hauptmann a. D. in Berlin. Mit Abbildungen auf Taf. II [c.d/1]. (Schluß von S. 169 dieses Bandes.) Hentsch. über neue Handfeuerwaffen. Bei den Versuchen, welche bei den Truppen stattgefunden hatten, bemerkte man, daß der Entladestock O (Fig. 30), welcher wie bei dem Modell 1866 befestigt war, oft aus seiner Nuth bei dem Schusse nach vorn heraustrat. Dieser Vorfall, welcher bei dem Modell 1866 nur selten sich ereignete, trat hier wegen der Vermehrung der Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses und in Folge dessen des Rückstoßes der Waffe mehr zu Tage. Man mußte deshalb den Entladestock solider befestigen und erreichte dies, indem man ihn in ein Schraubengewinde eines an dem Ende des Vorderblattes des Bügels angebrachten Hakens schraubte. Ferner ist eine Querauslassung in dem Kopfe des Entladestockes angebracht worden, um das Einführen einer Schraubenzieherklinge zu ermöglichen und so das Ein- und Ausschrauben des Entladestockes zu erleichtern. Der Kopf des letztern endlich besitzt auf der obern Fläche eine conische Ausfräsung behufs Einsetzens des Schlagbolzens bei der Auseinandernahme und dem Zusammensetzen des Verschlußmechanismus, wie oben angegeben ist. An Stelle des früheren Yatagans ist ein Degenbajonnet (Fig. 34) mit einer Scheide aus Stahlblech getreten. Dasselbe ist adoptirt worden, um das Totalgewicht der Waffe zu vermindern, dadurch den Soldaten und endlich auch das Schießen mit der Waffe bei aufgestecktem Bajonnete zu erleichtern. Das Degenbajonnet zerfällt in drei Theile, nämlich die Klinge, den Griff und die Scheide. Der Griff besteht aus zwei Unterabtheilungen, dem eigentlichen Griffe und der Parirstange. Auf dem mit zwei Nußbaumholzplatten belegten Griffe sind der zum Festhalten des Degenbajonnetes auf dem Ende des Laufes dienende Drücker und seine Feder angebracht. Die Parirstange trägt auf einer Seite das Loch, in welches das Ende des Laufes eintritt. Die Scheide von Stahlblech ist bronzirt; zwei festgenietete Platten im Innern derselben halten die Klinge in ihr fest. Was endlich die Abmessungen des Gewehres betrifft, so beträgt m die Länge des Gewehres ohne Degenbajonnet 1,305  „       „    der Klinge des Degenbajonnetes 0,522  „ Totallänge des Gewehres mit Degenbajonnet 1,827 k das Totalgewicht des Degenbajonnetes 0,800   „ Gewicht des Degenbajonnetes ohne Scheide 0,560   „       „        „  Gewehres ohne Bajonnet 4,200   „       „        „         „       mit        „ 4,760 oder das 168 resp. 190fache des Geschoßgewichtes. Die Patrone (Fig. 35) ist eine Metalleinheitspatrone mit Centralzündung, von der Commission von Vincennes construirt und für alle Waffen des Modelles 1874 adoptirt. Dieselbe setzt sich aus vier besonderen Theilen zusammen, nämlich der Pulverhülse, dem Zündhütchen mit seiner Decke, dem Pfropfen, dem Geschosse. Die Pulverhülse ist so hergestellt, daß sie 5g,25 Gewehrpulver (F) aufnehmen kann, von Messing gefertigt, mit massivem Bodenrande versehen, und befindet sich im Boden die eingeprägte Hülsenkammer zur Aufnahme des Zündhütchens mit seiner Decke. In derselben sind zwei Löcher, um das Feuer der Zündmasse zum Pulver gelangen zu lassen. Das Gewicht der Hülse beträgt ungefähr 12g,6. – Das Zündhütchen ist eine Kapsel von Kupfer, welche mit Zündmasse geladen wird. Die Deckplatte von Messing dient dazu, das Zündhütchen in seinem Lager zu erhalten. – Das Geschoß ist mit einer Umhüllung von Pergamentpapier versehen, aus comprimirtem Blei hergestellt, daher sehr dicht und gleichartig. Sein Durchmesser ist gegen früher verringert und beträgt hinten 10mm,9 gegen 11mm,8 des Projectiles bei Modell 1666, um die Reibung an den Laufwänden zu vermindern und dadurch die Anfangsgeschwindigkeit zu steigern (455m beim neuen gegen 410m beim altern Modelle). Die Vermehrung des Gewichtes und Verkleinerung des Kalibers hat zur Verlängerung des Geschosses geführt, nämlich von bezieh. 25,3 auf 27mm,75. Der Pfropfen, welcher das Geschoß und Pulver in der Hülse trennt, besteht aus einer Scheibe von mit Fett getränktem Filze, welche zwischen zwei Scheiben von 0mm,6 dickem Carton liegt. Auf dem Boden der Hülfe ist die Herstellungszeit der Patronenhülse, sowie die der verschiedenen Wiederfüllungen eingepreßt. Die Patronen sind in Paketen zu 6 Stück derart verpackt, daß die Geschosse mit den Bodenrändern der Patronenhülse abwechseln und die Patronen von einander durch ein Blatt Papier, welches sie nach einander umhüllt, getrennt sind. Die Mittlern Abmessungen der verschiedenen Theile der Patrone sind folgende: mm Hülse. Höhe des Bodenrandes   2,15                 Länge der Hülse  unter Ausschluß                  des Bodenrandes 1. Conus2. Conus3. Conus 35,50  7,0013,80 mm Totallänge der Hülse 59,45 Länge des aus der Hülse vorstehenden Geschoßtheiles 16,55 Totallänge der Patrone 76,00 Durchmesser des Bodenwulstes 16,80         „          der kleinen Basis desselben 13,50         „          des untersten Conus der Hülse        „            „  mittlern       „       „      „        „            „  obersten      „       „      „ untenobenuntenobenuntenoben 13,7513,4011,8511,75 Gewicht der Hülse 12g,9   mm Zündhütchen. Durchmesser     4,00 Höhe     2,00 Deckplatte. Durchmesser     6,35 Höhe     2,50 Geschoß. Durchmesser an der Basis   11 Länge   27 Gewicht   25g mm Pfropfen. Durchmesser der Scheibe   11,1 Dicke der Cartonscheibender Fettscheibe     0,6    4,0 g Pulvergewicht     5,25 Totalgewicht der Patrone   43,80 Gewicht eines Paketes von 6 Patronen 272,50. Cavallerie-Carabiner und Artillerie-Büchse, Modell 1874. Bei der Waffe Modell 1874 sind die Abweichungen, welche diese Waffen von den Gewehren Modell 1874 zeigen, dieselben wie bei den Waffen Modell 1866. Ebenso wie man im Allgemeinen der Construction des Gewehres Modell 1874 die Construction des Gewehres Modell 1866 zu Grunde gelegt hat, ebenso hat man auch bei obiger Waffe den Typus der gleichartigen Waffe Modell 1866 beibehalten. Figur 36 auf Taf. II [d/3] zeigt den Verschlußcylinder von der linken Seite und von vorn angesehen. Der zur Handhabung des Verschlußcylinders dienende Hebel j unterscheidet allein den Mechanismus des Carabiners von dem des Gewehres, indem er bei ersterm im Interesse des Dienstes umgebogen ist. Wegen des durch die neu eingeführte Patrone veränderten Geschoßbogens ist man gezwungen gewesen, das Korn des Carabiners zu erhöhen und in Folge dessen das Mundstück zu modificiren, um es möglich zu machen, daß der Ring über das Korn hinweggezogen werden kann. Die Anfangsgeschwindigkeit ist bei dem Carabiner und der Büchse etwas geringer wie bei dem Gewehre, und man hat daher, weil auch das Gewicht des Entladestockes geringer ist, von dem Einschrauben des letztern abstehen können. Gewehr Modell 1866–1874. Was nun die Transformation des Gewehres Modell 1866 in das Modell 1866–1874 betrifft, so umfaßt dieselbe 5 Hauptoperationen, welche zum Zwecke haben 1) die Aenderung des Laufes; 2) die Aenderung des Verschlußmechanismus; 3) die Aenderung der Garnitur; 4) die Aenderung der Zielvorrichtung; 5) die Substituirung des Degenbajonnets an Stelle des Säbelbajonnets. In Figur 37 ist der Verticallängenschnitt des hintern Lauftheiles ohne Einsatzconus; in Figur 38 ist der Längenschnitt und die Vorderansicht des Einsatzconus dargestellt. Die Transformation des Laufes hat den Zweck, die Patronenkammer weiter nach hinten zurückzuverlegen. Zu dem Ende bohrt man zuvörderst die Kammer aus und gibt dieser Bohrung eine einfache Form, sei es ein Cylinder, Conus etc. Darauf setzt man in die Bohrung ein Rohr oder einen kleinen Lauf, welcher dem Kaliber des ausgebohrten Laufes entspricht und dessen äußeres Profil dasselbe ist, als das der Bohrung des Laufes. Das Rohr wird in letztere eingeführt, wobei man darauf genau achtet, daß die Vereinigung der beiden Theile, welche zusammen den neuen Lauf bilden sollen, so genau wie möglich erfolgt. Das Einsatzröhrchen erhält ein Kaliber von 11mm, besitzt äußerlich conische Gestalt, 10cm Länge und beträgt sein rückwärtiger größter Durchmesser 19mm,1, sein vorderer kleinster 16mm,1. Diese Form und Abmessungen sind gewählt worden sowohl aus Fabrikationsrücksichten, als auch deshalb, um dem Röhrchen und dem Theile des Laufes, welcher es umhüllt, eine hinreichende Wandstärke zur Ertragung jedes Stoßes zu geben. Außerdem bringt man an dem hintern Ende des Conus zwei diametral gegenüberstehende Ansätze oder Flügel r an. Das Lager im Laufe für das Einsatzröhrchen wird der äußern Form des letztern entsprechend hergestellt, und werden an dem hintern Ende zwei Einschnitte s im Hülsenkopfe und Laufe angebracht, um die soeben erwähnten zwei Flügel r aufzunehmen. Das Einbringen des Röhrchens in sein Lager kann in warmem oder kaltem Zustande geschehen; die Zusammenfügung mit dem Laufe soll aber derart sein, daß, sobald das Einsatzröhrchen an seinen Platz gebracht ist, es ein leichtes Zusammenpressen in seinem Lager erfährt, die Flügel r sich mit der hintern Fläche des Hülsenkopfes vergleichen und sein vorderes Ende genau sich gegen die vordere Begrenzungsfläche des Lagers legt. Unter dieser Voraussetzung kann der Cylinder sich weder vorbewegen, noch in seinem Lager drehen. Hierauf bringt man in dem mit dem Einsatzröhrchen versehenen Laufe die Kammer und den conischen Uebergang wie bei dem Laufe Modell 1874 an. Endlich schraubt man den Lauf in die Hülse, und legt sich der Conus mit seinen beiden Flügeln r genau gegen die innere Fläche der Schraubenmutter der Hülse, befindet sich auf diese Weise zwischen letzterer und dem Laufe eingeschlossen, kann keinerlei Bewegung ausführen und ist also unbeweglich mit dem Laufe und der Hülse verbunden. Sobald man das Einsatzröhrchen mit der dem Modell 1874 entsprechenden Patronenkammer versehen hat, bleibt zwischen dieser und dem vordern Ende des Conus ein Raum von ungefähr 27mm Länge, welcher eine solche Form erhält, daß er den Uebergang der Kammer zum gezogenen Theile der Seele bildet. Man hat sich anfangs gefragt, ob es unerläßlich wäre, um mit den transformirten Waffen einen demjenigen des Modelles 1874 gleichen Schuß zu erhalten, die Züge bis in den Einsatzconus zu verlängern und auf diese Art das Innere des Laufes identisch mit demjenigen des Modelles 1874 zu machen; zahlreiche und zu verschiedenen Zeiten angestellte Versuche bewiesen indeß, daß diese sehr erhebliche Schwierigkeiten verursachende Arbeit nicht nöthig ist, und man machte von der Zeit an neue vergleichende Versuche, durch welche zugleich die Form und günstigsten Abmessungen, welche man dem Uebergange geben mußte, festgestellt werden sollten. Man constatirte, daß, ohne die Präcision des Schusses zu alteriren, man von der Verlängerung der Züge bis in das Einsatzröhrchen hinein abstehen konnte, und indem man dem glatten Theile, welcher das Geschoß und den Anfang der Züge trennt, einen Durchmesser von 11,1 bis 11mm,2 gab, erreichte man Schießresultate, welche den von dem Modell 1874 gelieferten mindestens gleich waren. In Folge dessen ist die Kammer des transformirten Gewehres mit der gezogenen Seele durch einen cylindrischen Theil von 11mm,15 Kaliber verbunden. Um das Gewehr Modell 1866 für den Gebrauch der Patrone Modell 1874 einzurichten und die neuen und transformirten Waffen möglichst conform herzustellen, war es unerläßlich, an Stelle des ursprünglichen Verschlußmechanismus einen vollständigen Verschlußmechanismus, Modell 1874, zu setzen. In Folge dessen erhielt die Hülse diejenigen Aenderungen, welche nöthig waren, um das Einführen und Spiel des neuen Verschlußmechanismus zu erlauben, und bestanden dieselben in Folgendem: 1) Ausbohren der Hülse, Abschrägen der vordern Fläche der rechten Hülsenwand in ihrem obern Theile, Anbringen des Lagers für den Extractor und Befestigen der Ejectorschraube. 2) Zurückverlegen der Abzugsfeder um 9mm, um ihr dieselbe Lage wie bei dem Modell 1874 zu geben. 3) Dem Abzuge dasselbe Profil wie bei dem Modell 1874 zu ertheilen. Die einzigen Modificationen, welche die Garnitur erfahren hat, betreffen den Bügel und den Ladestock und haben zum Zwecke, den letztem in seiner Lage zu fixiren, indem man ihn wie bei dem Modell 1874 festschraubt. Zu diesem Zwecke ist auf dem schwalbenschwanzartigen Ende des Vorderblattes des Abzugsbügels ein Haken mit Schraubengewinden angebracht und mit dem Bügel durch Verlöthung verbunden. In dem Schafte ist ein Lager hergestellt, welches diesem Haken entspricht, und die Ladestocknuth bis hier verlängert. Der Ladestock hat wie bei dem Modell 1874 eine Querauslassung im Kopfe erhalten und ebenso eine conische Ausfräsung auf seiner obern Fläche. Die ursprüngliche Visireinrichtung des Modelles 1866 hatte bereits früher eine Aenderung erlitten, als man den gewöhnlichen Schieber durch einen solchen mit Verlängerung ersetzte – eine Einrichtung, welche es ermöglichte, die Waffe bis auf 1600m zu gebrauchen. Nachdem die Visire mit dem verlängerten Schieber versehen waren, mußte man sie dennoch von Neuem modificiren, um die Waffe zum Gebrauche der neuen Patrone einzurichten. Um besser die Natur dieser Aenderung würdigen zu können, muß man zunächst bemerken, daß die Kimmen entsprechend der Einrichtung bei dem Visire Modell 1874 nach links hätten verschoben werden müssen, was eine breitere Klappe als diejenige des Modelles 1866 bedingt hätte. Es konnte daher ein dem Modell 1874 analoges seitliches Verschieben nicht ausgeführt werden, und mußte in Folge dessen das Korn um so viel nach rechts verrückt werden, daß die Correctur der Kimme nicht mehr Raum erforderte, als wirklich vorhanden war. Die Entfernung, um welche das Korn und die verschiedenen Kimmen bei dem Gewehre Modell 1874 und Modell 1866–1874 nach der Seite verrückt werden mußten, wurden durch Versuche der Commission zu Vincennes festgestellt und betragen: Verschiebung aus der verticalen Ebene derSeelenachse Waffe. des Kornes der Kimmedes Visirklappenfußes. der KimmederArretirung. der innernKimme derKlappe. der innernKimme desSchiebers. mm mm mm mm mm Gewehr Modell 1874 0   1,7 links   1,3 links   1,3 links 0,8 links Gewehr Modell 1866–1874 0,8 rechts 0,9    „ 0,5    „ 0,5    „ 0 Es wurde daher das alte Korn und ein Theil seines Fußes beseitigt, in dem stehengebliebenen Theile ein hinten abgerundeter Einschnitt angebracht zur Aufnahme eines neuen Kornes, welches höher als das alte ist und durch eine Messinglöthstelle auf 0mm,8 von der Verticalebene der Seelenachse fixirt wird. Bei dem Visire, welches man möglichst demjenigen des Modelles 1874 gleich zu machen strebte, beseitigte man zunächst die alte Eintheilung, welche nicht mehr dem Schusse mit der neuen Metallpatrone entsprach, und ersetzte sie durch eine neue Eintheilung. Darauf änderte man die Art des Festhaltens des mit der Verlängerung versehenen Schiebers auf der beweglichen Klappe, was die Hinzufügung einer Schieberfeder und einer Arretirung mit Schraube bedingte. Endlich beseitigte man die Stufen des Visirsattels, deren Beibehaltung einige Inconvenienzen bei dem verlängerten Schieber bot. Unabhängig von diesen Aenderungen besteht bei dem transformirten Gewehre eine Abweichung von dem Modell 1874 bezüglich der Eintheilung. In Folge der abweichenden Höhendimensionen der Visirplatte und des verlängerten Schiebers ist die Kimme der obern Fläche der Platte bei hochgeschobenem Schieber für die Entfernung von 1200 anstatt 1300m beim Modell 1874 und die Kimme der obern Fläche des Schiebers für die Entfernung von 1300 oder 1700m bestimmt, je nachdem der Schieber ganz niedergelegt oder hochgeschoben ist, statt 1400 resp. 1800m beim Modell 1874. Die äußerste Grenze der Eintheilung und somit der Anwendung der Waffe ist also die Entfernung von 1700m. Cavallerie-Carabiner und Artillerie-Büchse Modell 1866–1874. Die Aenderungen, welche der Cavallerie-Carabiner und die Artillerie-Büchse Modell 1866 erfahren haben, sind analog denjenigen, welche soeben bei dem Gewehre beschrieben wurden. Das Korn des Karabiners, welches bei dem Modell 1866 1mm links von der Schußebene angebracht war, ist auf dem transformirten Carabiner auf 1mm nach rechts verlegt, ebenfalls erhöht und wie bei dem Gewehre befestigt. Das Visir hat eine neue Eintheilung erhalten, welche es ermöglicht, mit dem Carabiner bis auf 1100m zu schießen. Endlich ist die obere Schiene des Mundstückes entfernt, damit dieses über das Korn hinweggleiten kann, wenn man die Waffe aus einander nehmen will. Bei der Artillerie-Büchse Modell 1866 war das Korn 2mm links von der Schußebene angebracht. Bei der Transformation hat man es 2mm, nach rechts von seiner ursprünglichen Stellung verlegt, so daß es sich nunmehr genau in der Schußebene befindet. Die neue Eintheilung des Visirs reicht bis 1250m. Was die ballistischen Leistungen der besprochenen Waffen betrifft, so ist in Folge der vorgenommenen Aenderungen die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses bedeutend erhöht worden im Verhältnisse zu derjenigen des correspondirenden Modelles 1866, nämlich bei dem Gewehre Modell 1874 450m gegen 420m von Modell 1866 Carabiner 435 405 der Büchse 415 390 Aus dieser Erhöhung der Anfangsgeschwindigkeit resultirt natürlich eine Vermehrung der Tragweite und Gestrecktheit der Flugbahn, was man erreicht hat, ohne zugleich den Rückstoß der Waffe stärker und zu empfindlich für den Schützen zu machen. Die Schußgeschwindigkeit ist bedeutend größer als diejenige des Modelles 1866 und entspricht im Allgemeinen derjenigen der Waffen, bei welchen das Spannen des Gewehres und Entfernen der Hülse der abgeschossenen Patrone automatisch erfolgt. Die Trefffähigkeit hat ebenfalls eine bedeutende Verbesserung erfahren. Die Flugbahn des Geschosses ist gestreckter wie bei dem Modell 1866 und übertrifft die meisten der neuern Waffen gleichen Kalibers. Man kann aus den nachstehenden Zusammenstellungen und besonders aus der Flugbahntabelle die Einstellung des Visirs auf den verschiedenen Entfernungen ersehen. Im Gefechte ist es aber im Allgemeinen schwer diese Einstellung auszuführen; der Soldat ist meistens und besonders auf der kurzen Gefechtsdistanz zu erregt, um bei jeder Entfernungsänderung das Visir den veränderten Verhältnissen entsprechend einzustellen; daher ist die Einrichtung so getroffen, daß mit Vortheil das Visir von 300m für alle Distanzen bis 600m angewendet werden kann, was durch neuere Versuche festgestellt worden ist. Entfernungdes Zieles. Entfernung (in Meter) des Geschosses über die Horizontalebene der Laufmündung auf Entfernung (in Meter). 25 50 75 100 125 150 175 200 225 250 275 300 325 350 375 400 450 500 m 200 0,14 0,25 0,32 0,36 0,35 0,28 0,17 ± 0 – 0,23 – 0,53 – 0,89 – 1,28 . – 2,34 . 3,57 . . 300 0,23 0,45 0,67 0,77 0,86 0,92 0,92 0,82    0,74    0,61    0,30 ± 0 – 0,40 – 0,85 – 1,34 – 1,88 . . 400 0,35 0,70 1,04 1,24 1,47 1,60 1,75 1,78    1,79    1,73    1,59    1,40    1,24    0,78    0,44 ± 0 – 1,0 – 2,61   100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800 200 0,36 ± 0 – 1,28 300 0,77 0,82 ± 0 – 1,88 400 1,24 1,78 1,40 ± 0 – 2,61 500 1,76 2,80 2,96 2,09 ± 0 – 3,36 600 2,32 3,92 4,76 4,36 2,81 ± 0 – 4,62 700 2,98 5,24 6,62 6,98 6,11 3,97 ± 0 – 5,70 800 3,70 6,67 8,77 9,85 6,69 8,26 5,00 ± 0 – 7,05 900 4,48 8,24 11,12 12,98 13,61 12,96 10,48 6,27 ± 0 – 8,60 1000 5,34 9,96 13,70 16,42 17,91 18,12 16,50 13,15 7,74 ± 0 – 10,33 1100 6,28 11,84 16,52 20,18 22,61 23,76 23,08 20,67 16,20 9,40 ± 0 – 12,27 1200 7,30 13,88 19,58 24,26 27,71 29,88 30,22 28,83 25,39 19,61 11,24 ± 0 – 14,41 1300 8,40 16,10 22,90 28,70 33,25 36,53 37,98 37,70 35,36 30,69 23,42 13,30 ± 0 – 16,80 1400 9,60 18,40 26,50 33,50 39,25 43,73 46,38 47,30 46,16 42,69 36,62 27,69 15,59 ± 0 – 19,41 1500 10,90 21,08 30,38 38,67 45,72 51,50 55,44 57,65 57,80 55,63 50,86 43,22 32,42 18,12 ± 0 – 22,28 1600 12,29 23,87 34,56 44,24 52,68 59,85 65,38 68,79 70,33 66,55 66,17 59,93 50,51 37,61 20,88 ± 0 – 25,23 1700 13,78 26,84 39,02 50,28 60,10 68,75 75,57 80,66 83,69 84,39 82,49 77,74 69,80 58,39 43,04 23,74 ± 0 – 28,96 1800 15,39 30,06 43,84 56,61 68,15 78,40 86,84 93,53 98,17 100,48 100,19 97,04 90,72 80,91 67,28 49,49 27,36 ± 0 Textabbildung Bd. 223, S. 283 Die Kimme für 300m hat vor der für 400m bestimmten den Vorzug, weil erstere bei niedergelegter Klappe zur Anwendung gelangt und der Schütze bei der letztern leicht vergißt, die Visirklappe aufzurichten. Man ersieht aus den Tabellen außerdem, daß mit dem Carabiner und der Büchse Modell 1874 eine Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses erreicht wird, welche derjenigen des Gewehres Modell 1866 entspricht. Endlich erlaubt, vom ballistischen Gesichtspunkte aus, folgende Tabelle einen Vergleich des Gewehres Modell 1874 mit den hauptsächlichsten, von den Armeen der verschiedenen europäischen Staaten adoptirten Modellen. Die Prüfung dieser Tabelle gibt zu einigen wichtigen Betrachtungen Gelegenheit. Man sieht, daß die Anfangsgeschwindigkeit des Modelles 1874 mindestens ebenso groß ist als die irgend einer andern Waffen, daß ferner mit Ausnahme Englands und Italiens, von denen der erstere Staat eine Waffe von 11mm,43 Kaliber mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 400m und ein Geschoß von 314g,1 Gewicht, der andere Staat eine Waffe von 10mm,4 Kaliber, 425m Anfangsgeschwindigkeit und 20g Bezeichnung der Waffe. Normalkaliber. Geschoßgewicht. Anfangsgeschwindigkeit. mm g m Frankreich M. 1874 GrasM. 1866 Chassepot 11,011,0 2525 450420 Deutschland M. 1871 Mauler 11,0 25 448 England M. 1871 Martini-Henry   11,43   31,1 400 Oesterreich-Ungarn M. 1867 und 1873 Werbdi              Desgl. 10,710,7   20,324 426  450¹ Bayern M. 1869 Werder        Desgl. 11,011,0 2225 440   445² Italien M. 1870 Vetterli 10,4 20 425 Rußland M. 1871 Berdan Nr. 2 10,7 24 435 ¹ Mit der neuen Patrone. ² Mit der deutschen Patrone. Geschoßgewicht adoptirt hat, alle andern Waffen dem französischen Modell 1866 in Bezug auf Kaliber etc. entsprechen. Was nun das Urtheil über das System Gras betrifft, so hat man bei dieser neuen Waffe die verschiedenen Fortschritte zu realisiren gestrebt, welche seit einigen Jahren bei den Handfeuerwaffen gemacht worden sind, ebenso diejenigen, welche bei dem Modell 1866 wegen der Beschaffenheit der Patrone nicht angewendet werden konnten. Man ist auf diese Weise zu einem System gelangt, das den vielfachen Bedingungen, welche die Umänderung des Modelles 1866 erforderte, genügt und sich durch hervorragende Eigenschaften empfiehlt. Das Gewehr Modell 1874 besitzt eine mehr als ausreichende Tragweite, die Gestrecktheit der Geschoßbahn ist sehr groß und die Percussionskraft selbst auf den weitesten Entfernungen bedeutend. Der Mechanismus functionirt gut, die Patronen sind solid, ihr automatisches Auswerfen gesichert. Endlich ist das Auseinandernehmen und Zusammensetzen des Gewehres leicht und einfach, wenngleich nur unter Anwendung eines besondern Instrumentes behufs Entfernens der Arretirungsschraube möglich. Die Waffe ist somit als eine durchaus kriegsbrauchbare zu bezeichnen, übertrifft die deutsche Waffe Modell 1871 in Bezug auf Schnelligkeit des Feuerns und Einfachheit des Schloßmechanismus, und wird nur von dem neuen Dreyse'schen Gewehre (* 1876 222 225) in letzterer Beziehung übertroffen. (Fortsetzung folgt.)

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