Titel: | Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien; von Professor R. H. Thurston. |
Fundstelle: | Band 217, Jahrgang 1875, S. 161 |
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Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität
der Constructions-Materialien; von Professor R. H. Thurston.
Mit Diagrammen auf Taf.
C.
(Fortsetzung von S. 469 des vorhergehenden
Bandes.)
Thurston, Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der
Constructions-Materialien.
Um diesen Punkt zu bestimmen, ward eine Reihe von Experimenten angestellt, deren
allgemeines Resultat zuerst in einer Note an die American
Society of Civil Engineers im November 1673 angekündigt wurde, welche
gleichzeitig die ersten Schlußfolgerungen – seitdem durch ausgedehnte
Untersuchungen etwas modificirt – enthielt. Ein Facsimile des Diagrammes,
welches bei diesem ersten Versuche erhalten wurde, ist auf Tafel C, mit Nr. 16 bezeichnet, dargestellt.
Ein Stück Eisen, von guter Qualität, aber schlecht durchgearbeitet, wie schon aus der
früher gegebenen Zeichnung zu ersehen war (Probestück Nr. 16 Holzschnitt Fig. 6;
vergl. 1875 216 99), ward in die Maschine eingespannt und
beträchtlich über die Elasticitätsgrenze beansprucht. Dann ward es 24 Stunden unter
dieser Spannung (im Punkt A auf Taf. C, vor 54° Verdrehung) belassen.
Am Ende dieser Periode war der Stift ganz unverändert an seiner Stelle und keine
Spur von Nachgeben wahrzunehmen.Die kleine Depression, welche bei so vielen Beispielen beobachtet werden
kann, rührt von der Compression des Holzes her, das verwendet wurde, um die
Maschine in ihrer betreffenden Stellung zu blockiren. Kein Anzeichen des „Flusses“ war somit bemerkbar.
Beim Versuche einer weiteren Formänderung ward jedoch die unerwartete Entdeckung
gemacht, daß das Probestück eine vermehrte
Widerstandskraft erhalten hatte. Der Stift, statt der Richtung des
vorherigen Tages zu folgen, stieg, wie aus dem Diagramm
auf Taf. C ersichtlich,
bis ein um nahezu 30 Proc. größerer Widerstand erreicht war wie der, unter welchem
das Stück gespannt gelassen wurde. Nach Ueberwindung dieses Widerstandes gab das
Stück mit langsam abnehmender Kraft nach und ward bei B
(vor 70° Verdrehung) neuerdings 24 Stunden unter Spannung belassen. Das Resultat des
zweiten Experimentes ist ein Gewinn von mehr als 15 Proc., und ein dritter Versuch
bei C (hinter 72°) gab eine, wenn auch geringere,
noch immerhin erkennbare Zunahme.
Dieses eigenthümliche Phänomen erschien so wichtig, daß die Experimente mit
verschiedenen Sorten Eisen und anderen Metallen fortgesetzt wurden – unter
Anwendung größter Sorgfalt, um alle Irrthümer zu verhüten.
Einige Spannungsdiagramme sind zur Illustration dieser Experimente auf Taf. C gegeben –
alle vom unteren Nullpunkte auf der rechten Seite der Tafel ausgehend.
Nr. 10 stellt ein Stück gutes englisches Eisen dar, das
viel mehr homogen und besser durchgearbeitet ist wie Nr. 16.
Nr. 68 ist ein Stück Siemens-Martin-Stahl,
das bei A (37°) 24 Stundenhours, daher auf Taf.
C abgekürzt: HRS. unter Spannung gelassen wurde, bei B
(62°) eben so lang. Im letzteren Falle ward am Schlusse der 24 Stunden
zunächst die Kraft völlig entfernt, und bei Erneuerung der Spannung fand sich ein
Gewinn sehr nahe gleich dem bei A. Ein drittes
Experiment bei C (96°) zeigt eine Wiederholung
dieser Eigenschaft, und ein viertes bei B (128°)
– in allem ähnlich mit B, ausgenommen die Zeit,
die beim letzteren Versuche nur den Bruchtheil einer Stunde betrug – gab ein
gleiches Resultat. In jedem Falle ist bemerkenswerth, daß ein geringes Abfallen von
dem erreichten Maximum mit dem Nachgeben des Probestückes verbunden ist.
Nr. 33 hämmerbares Gußeisen, Nr. 52 doppelt raffinirter Stahl und Nr. 81 Werkzeugstahl zeigen alle dieselbe Verstärkung unter länger andauernder
Spannung.
Nr. 17 homogenes Chrom-Eisen, ward viermal dem
Experimente unterworfen. Bei A (27° Verdrehung)
ist der Effect sehr markirt, und der Widerstand gegen weitere Verdrehung wächst
langsam bis zum zweiten Experiment bei B (35°).
Das bei B erreichte Maximum bleibt bei weiterer
Verdrehung nicht erhalten, und nach leichter Abnahme wird
das Probestück wieder bei C (43°) unter Spannung
gelassen. Am nächsten Tage zeigte sich die Vermehrung des Widerstandes geringer wie
beim früheren Experiment, und die Linie, nach Passirung des Maximums ein paar Grade
weiter, fällt sehr rasch. In der Befürchtung, daß das Metall ganz brechen würde,
ward es wieder 24 Stunden bei D gelassen und zeigte am
nächsten Tage wieder ähnliches Verhalten wie früher. Das frühere Maximum ward wieder
gewonnen und vor dem schließlich erfolgenden Bruche selbst noch um ein geringes
übertroffen.
Die härteste der untersuchten Proben war Nr. 21 von sehr hartem
Chrom-Stahl. Bei A drei Tage unter
Spannung belassen, betrug der Widerstand bei geringem Grad der Verdrehung ungefähr 8
Proc. mehr, und desgleichen bei B, 4 Tage lang unter
Spannung, nahezu 4 Proc. mehr, worauf wie gewöhnlich eine beträchtliche Steigerung
eintrat, bevor der Bruch stattfand.
Ein interessantes Experiment ward mit schwedischem Eisen
(Nr. 101) vorgenommen – einem Material von solcher wunderbarer Reinheit und
Dehnbarkeit, daß ein Stück um nahe 600° verdreht werden konnte, bevor es
vollständig abbrach. Nr. 101 ist das Spannungsdiagramm dieses Probestückes, das zur
Bestimmung des Effectes von länger andauernder Spannung untersucht wurde. Hier
begleitet augenscheinlich, wie es häufig der Fall zu sein scheint, ein Verlust an
Dehnbarkeit die Vermehrung der Widerstandskraft, und die totale Widerstandsarbeit
erscheint verhältnißmäßig nur wenig verändert.
Dieses Stück ward gespannt, bis die Elasticitätsgrenze gerade passirt war, und dann
einen Tag bei A (6° Verdrehung) belassen. Das
Resultat, selbst bei dieser kleinen Verdrehung, ist ähnlich den früheren, und das
hier beobachtete Verhalten gibt wahrscheinlich einen Schlüssel zu den Ursachen
dieser eigenthümlichen Erscheinung. Nach diesem Versuche wurden noch weitere
gemacht, und es zeigte sich, daß das Metall sich genau so verhielt wie die anderen
Eisensorten.
In Zusammenfassung der großen Anzahl von Experimenten, welche seit der Entdeckung
dieses Effectes von andauernder Spannung gemacht wurden, und durch genaue
Vergleichung der Diagrammcurven eigener Beobachtung mit den von anderen Beobachtern
auf gewöhnlichem Wege erhaltenen, wurde der Verfasser zu der folgenden,
wahrscheinlichsten Erklärung dieses höchst eigenthümlichen Phänomens geführt.
Diese Spannungsdiagramme sind die geometrischen Orte der successiven
Elasticitätsgrenzen des Metalles bei verschiedenen Größen der Setzung.
Das hier entdeckte Phänomen ist eine Erhöhung der
Elasticitätsgrenze durch andauernde Spannung. Die
Ursache ist wahrscheinlich eine allmälige Abnahme der inneren Spannung,
ähnlich wie es bei großen Massen von Gußeisen schon früher beobachtet worden war.
Weniger häufig und in geringerem Grade fand man dieselbe Erscheinung auch bei
Schmiedeisen und anderen Metallen, welche in großen Stücken bearbeitet wurden, und
bei denen sich diese
innere Spannung mehr oder weniger durch eine Periode der Ruhe reducirte.Vergl. im Iron, 24. Februar 1874: Festigkeit von
Eisen-Constructionen; ferner in Van Nostrand's
Magazine, April 1874. Der durch die inneren Spannungen anfänglich hervorgebrachte Verlust an
Stärke bei großen Massen von Schmiedeisen beträgt, wie Mallet
Ueber die Coefficienten der Elasticität und des Bruches bei Schmiedeisen im
Verhältnisse zum Volum der Masse ihrer metallurgischen Behandlung und der
achsialen Richtung der constituirenden Krystalle, in den Proceedings of the Institute of Civil Engineers
constatirt, häufig bis 50 Proc.
Die Art, in welcher diese Abnahme der inneren Spannung durch anhaltende Beanspruchung
stattfindet, ist leicht erklärlich.
Wenn das Metall derart beansprucht ist, so sind zahlreiche Molecülreihen in
Stellungen versetzt, bei denen sie einen Maximaleffect ausüben, mit der Tendenz
moleculare Veränderungen hervorzubringen, welche die ursprüngliche, unregelmäßige
Vertheilung der intermolecularen Spannungen ausgleichen. Nach einiger Zeit findet
diese Veränderung thatsächlich statt, durch das „Fließen“ des
Materiales, und die Widerstandskraft desselben sowie die Elasticitätsgrenze werden
erhöht – einfach deshalb, weil seine Kräfte nun nicht länger getheilt sind,
sondern vereint wirken können, um der äußeren Beanspruchung zu widerstehen.
In Zusammenfassung dieser Beobachtungen ist somit wohl die Behauptung gerechtfertigt,
daß die Schlußfolgerungen Vicat's incorrect sind, außer
wenn das Material bis zur Maximalbelastung beansprucht
ist, und daß Metallconstructionen auch bei Beanspruchung über die Elasticitätsgrenze durch das Alter nicht geschwächt werden, wenn
nur der Einfluß der Corrosion hintangehalten wird. Die Versuche von Roebling
Journal of the Franklin Institute, 1860 v. XL p. 360. und seine im Berichte über die Niagara-Hängebrücke ausgesprochenen
Ansichten sind augenscheinlich correct.
Ebenso schließt Kirkaldy, daß die Länge der Zeit bei
Untersuchung der Probestücke keinen schädlichen Einfluß auf Verminderung der
Bruchgrenze hatte.Vergl. Kirkaldy: Versuche mit Schmiedeisen und
Stahl, S. 62 bis 83; vergl. auch die Tafeln von Styffe für die Spannungscurven. Eine Untersuchung seiner Tafeln zeigt, daß die Stäbe, welche am längsten
unter Spannung waren, den höchsten mittleren Widerstand ergaben.
Eine zweite Frage, welche mit der vorhergehenden nahe verwandt ist, betrifft den
Widerstand des Materiales gegen rasche oder langsame
Inanspruchnahme.
Wertheim nahm an, daß dem rasch hervorgebrachten Bruche ein größerer Widerstand als
dem langsam hervorgebrachten entgegengesetzt werde; Kirkaldy schließt, daß
das Gegentheil der Fall ist. Redtenbacher und Weisbach nehmen an, daß das Gesetz des Widerstandes
oberhalb und unterhalb der Elasticitätsgrenze dasselbe sei, und leiten hieraus
Formeln für den Widerstand gegen Stoß ab, welche in hohem Grade ungenau sind.
Die Versuche des Verfassers bestätigen, was schon durch Kirkaldy angegeben worden war, daß je rascher die Beanspruchung, desto
kleiner der Widerstand ist. Es sind aber hier zur vollkommenen Würdigung dieses
Phänomens die zwei Factoren, welche dasselbe bestimmen, genau aus einander zu
halten.
Zunächst nämlich ist die Aufnahme der lebendigen Kraft, welche der auffallenden Masse
innewohnt, durch das Material zu berücksichtigen. Dieselbe erfolgt um so
unvollkommener, je größere Geschwindigkeit einerseits die auffallende Masse hat, und
je dichter andererseits das den Stoß aufnehmende Material ist. In Folge dessen kann
sich die lebendige Kraft nicht gleichmäßig über das Material vertheilen und die
zunächst liegenden Theile erleiden übermäßige Beanspruchung, welche bei wachsender
Geschwindigkeit der auffallenden Masse bis zum Bruch getrieben werden kann. In Folge
dessen ist auch leicht erklärlich, daß rasch gebrochenes Metall stets körnigen Bruch
zeigt, während ein stetiger Zug, durch die allseitige Heranziehung der
Cohäsionskraft des Materiales, einen sehnigen Bruch hervorbringt.
Außer dieser ersten Ursache jedoch, welche schon an und für sich den schwächeren
Widerstand der Materialien gegen rasche Inanspruchnahme bedingt, ist noch ein
zweiter äußerst wichtiger Factor maßgebend, der bisher noch nie so klar und
überzeugend dargelegt werden konnte, als es nun mit Hilfe der autographischen
Festigkeitsmaschine möglich ist. Eine raschere Inanspruchnahme hat nämlich, selbst ohne den oben erwähnten Einfluß der lebendigen
Kraft, verminderte Widerstandsfähigkeit zur Folge.
Dies ist schon bei Nr. 101 (auf Taf. C) ersichtlich, wo eine plötzliche Vergrößerung der
Torsionsgeschwindigkeit – bei w hinter
105° Verdrehungswinkel – eine merkliche Depression hervorbringt; noch
auffälliger aber tritt dieses Phänomen bei dem Probestück Nr. 118 (schwedisches Eisen) hervor. Bei dem letzteren Stücke ward
die Spannung allmälig vergrößert, bis der Punkt a (bei
22° Verdrehungswinkel) erreicht war, worauf mit einer plötzlich angewendeten
Kraft eine Bewegung von etwa 1/10 Fuß (30mm,5) Geschwindigkeit pro Secunde hervorgebracht wurde, in Folge welcher
unmittelbar bei dem Punkte b (38°), der
Widerstand beträchtlich herabsank (bis zum Punkte c).
Nach Wiederaufnahme der langsamen Bewegung von ca. 1/100 Fuß (3mm) pro Secunde, stieg der Widerstand
wieder auf b'. Eine Wiederholung der raschen Bewegung
zwischen b' und c' hatte
denselben Effect, und dies erfolgte, wie aus dem Diagramm ersichtlich, regelmäßig
bei Wiederholung des Experimentes. Hier haben wir somit wahrscheinlich die erste
directe Entscheidung dieser Frage, ohne störende Einflußnahme der lebendigen
Kraft.
Wir können daher schließen, daß die Schnelligkeit der
Beanspruchung, wo Stöße in Betracht kommen und bewegte Lasten auszuhalten sind, ein
sehr wichtiges Element in der Bestimmung der Widerstandskraft ist, nicht allein
wegen der unvollkommenen Vertheilung der lebendigen Kraft, sondern auch weil, je rascher das Material gebrochen wird, desto geringer der
Bruchwiderstand ist. Dieser Verlust des Widerstandes beträgt bei Nr. 118
etwa 15 Proc.Vergl. Kirkaldy, a. a. O. S. 83, wo Experimente,
welche möglicherweise durch den Einfluß der lebendigen Kraft etwas gestört
sind, sehr ähnliche Resultate geben.
Die Ursache dieser Action können wir als nahe verwandt mit derjenigen annehmen,
welche das entgegengesetzte Phänomen der Erhöhung der Elasticitätsgrenze durch
andauernde Belastung erklärt, und sie ist wahrscheinlich einfach nur eine andere
Illustration des Effectes der inneren Spannung.
Bei einer sehr langsamen Verdrehung tritt der bereits beschriebene
„Fluß“ ein und nur ein geringer Betrag innerer Spannung mag
hervorgebracht werden, nachdem sich diese Spannung so rasch, wie sie hervorgebracht
wird, auch wieder ausgleichen kann.
Eine rasche Verdrehung bringt innere Spannung schneller hervor, als die Ausgleichung
stattfinden kann, und je rascher sie erfolgt, desto mehr wird durch die Concurrenz
der inneren Spannungen der totale Widerstand des Stückes reducirt.
Diese Erklärung wird durch die Erscheinung bestätigt, daß die Körper, welche in Bezug
auf innere Spannung am meisten homogen sind, auch diesen Offerten am wenigsten
unterliegen.
Das Verhalten der Materialien gegen plötzliche Beanspruchung zeigt sich sonach
beträchtlich modificirt, sowohl durch innere als durch äußere Bedingungen, welche
selbst von veränderlichem Charakter sind, so daß es noch immer äußerst schwierig
erscheint, mathematische Ausdrücke für die sie beherrschenden Gesetze zu entwickeln.
Immerhin ist es nicht unwahrscheinlich, daß eine für die praktischen Fälle
hinreichend genaue Annäherung durch Studium und Vergleichung der Versuchsresultate,
welche nach
Taf. C. Antographische Spannungsdiagramme der Metalle, zur
Darstellung der Wirkung von Zeit und Temperatur auf den Bruch. S.
166–167
Thurston's speciell für diesen
Zweck passender Methode angestellt sind, erhalten werden kann.
Die Versuche des Verfassers sind jedoch noch nicht zahlreich und präcis genug, um als
Daten zur Ableitung von Gleichungen zu dienen es muß also jetzt noch nach wie vor
das einzige Bestreben der Ingenieure bleiben, die Veranlassungen zu Stößen überhaupt
thunlichst zu vermeiden, die denselben ausgesetzten Bestandtheile möglichst leicht
und elastisch zu construiren, zu denselben das dehnbarste Material zu verwenden und
in der Formgebung eine möglichst weite und gleichmäßige Vertheilung der
aufzunehmenden Stöße zu ermöglichen.
(Fortsetzung folgt.)