Titel: | Fabrikation der Schwefelsäure; von Robert Hasenclever, Fabrikdirector in Stolberg. |
Autor: | Robert Hasenclever |
Fundstelle: | Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 427 |
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Fabrikation der Schwefelsäure; von Robert Hasenclever, Fabrikdirector in
Stolberg.
(Fortsetzung von S. 336 dieses Bandes.1 S. 335, Z. 1 v. u. lies: Der Arbeitslohn stellt sich um 1,60 M. pro 1000k rohe Blende höher.)
Hasenclever, über Fabrikation der Schwefelsäure.
Schwefelsäurebildung in Bleikammern. Wie in früheren
Jahren sind auch in letzter Zeit wieder Vorschläge gemacht worden, die Bleikammern
der Schwefelsäurefabrikation durch andere Apparate zu ersetzen. Verstraet (1866 179 63) will
zu diesem Zwecke Colonnen aus Thongefäßen in Anwendung bringen. Die Methode von Verstraet hat ebensowenig wie frühere Vorschläge zur
Darstellung von Schwefelsäure nach einem anderen, als dem herkömmlichen Verfahren
praktische Bedeutung erlangt.
Der chemische Vorgang bei der Schwefelsäurebildung in den Bleikammern und die damit
zusammenhängenden Reactionen sind in letzter Zeit weiter aufgeklärt worden.
ReichBerg- und hüttenmännische Zeitung 1858. führte eine
Untersuchungsmethode für schweflige Säure in den Röstgasen der verschiedenen Oefen
ein, welche vielfach in Gebrauch gekommen ist. Es wird hierzu eine Lösung von Jod in
Iodkalium von bekanntem Gehalt angewendet, der man etwas Stärke zusetzt. Durch
Aspiration wird das zu untersuchende Gas so lange durch die blaue Flüssigkeit
geleitet, bis Entfärbung eintritt. Hat man das Volumen der aspirirten Gase gemessen,
so kennt man den Gehalt derselben an schwefliger Säure. Diese Untersuchungsmethode
hat den großen Vortheil, daß sie von einem gewöhnlichen Arbeiter genau ausgeführt
werden kann und man im Laboratorium nur die Iodlösung herzustellen braucht.
Die der Theorie nach vortheilhafteste Zusammensetzung der Röstgase ist zuerst von Gerstenhöfer durch Rechnung festgestellt und bereits im
J. 1866 verschiedenen chemischen Fabriken mitgetheilt worden. Dieselbe Berechnung
mit geringer Abweichung hat später auch Schwarzenberg (S.
355) gegeben. Nach dessen Annahme sollen bei gutem Kammergange die Austrittsgase
noch 5 Vol.-Proc. Sauerstoff enthalten; es ergeben sich daher als normale
Zusammensetzung der Gase beim Eintritt in die Bleikammer für den Betrieb mit
Schwefel:
11,23
Vol.-Proc. schweflige Säure,
9,77
Vol.-Proc. Sauerstoff,
79,00
Vol.-Proc. Stickstoff,
und für den Betrieb mit Schwefelkies (bei 6,4 Proc. Sauerstoff
beim Austritt aus der Kammer):
8,59
Vol.-Proc. schweflige Säure,
9,87
Vol.-Proc. Sauerstoff,
81,54
Vol.-Proc. Stickstoff,
Da für je 1000g Schwefel, welcher in der Form von
Zweifach-Schwefeleisen benützt wird, 8144l,9 und für 1000g Schwefel, welcher in
freiem Zustande verbrannt wird, nur 6199l Gas, auf
0° Temperatur und 760mm Quecksilberdruck
berechnet, in die Kammer gelangen, so liefert eine gewisse Menge Schwefel, wenn sie
als Zweifach-Schwefeleisen verwendet wird, 8144,9 : 6199 = 1,314mal so viel
Gas, als wenn man sie in freiem Zustande verbrennt. Diese Zahl repräsentirt das
Verhältniß des für die Röstung von Kies gegenüber dem Betrieb mit Schwefel
nothwendigen größeren Bleikammervolumens für die gleiche Production von
Schwefelsäure. Gerstenhöfer nimmt für die beim
Kammerbetrieb austretenden Gase, sowohl bei der Röstung von Schwefelkies als bei der
Verbrennung von Schwefel, einen normalen Gehalt von sechs Vol.-Proc. Sauerstoff
an. Es ergibt sich alsdann als theoretisch vortheilhafteste Zusammensetzung der
Eintrittsgase, beim Verbrennen von Schwefel:
10,65
Vol.-Proc. schweflige Säure,
10,35
Vol.-Proc. Sauerstoff,
79,00
Vol.-Proc. Stickstoff.
Bei der Röstung von Schwefelkies:
8,80
Vol.-Proc. schweflige Säure,
9,60
Vol.-Proc. Sauerstoff,
81,60
Vol.-Proc. Stickstoff.
Die Angaben über den Gehalt an Sauerstoff in den Austrittsgasen der Kammer varüren
innerhalb weiter Grenzen. Nach R. WagnerR. Wagner: Chemische Technologie, 9. Auflage 1873,
Bd. II S. 235. soll die aus der
Kammer austretende Luft nicht mehr als 2 bis 3 Proc. Sauerstoff enthalten. Scheurer-Kestner gibt in einer Privatmittheilung
an A. W. Hofmann an, daß die Gase beim Austritt aus der
Bleikammer 6 Proc. Sauerstoff enthielten (abgesehen von dem in den nitrosen Säuren
enthaltenen Sauerstoff). Diese schwankenden Angaben rühren wohl daher, daß manche
Fabrikanten mit, manche ohne Gay-Lussac'schen
Absorptionsthurm für nitrose Säure arbeiten.
Zur Bestimmung des Sauerstoffes sind neuerdings verschiedene Apparate eingeführt
worden mit besonderer Berücksichtigung des Bedürfnisses, daß in kurzer Zeit
zuverlässige Proben von einem Arbeiter gemacht werden können.
Mit vollem Recht hebt WinklerJournal für praktische Chemie, Bd. 6 S.
301. die hohe Bedeutung von Gasanalysen für die Technik hervor und
beschreibt einen von ihm für diesen Zweck construirten Apparat.
Auch Max Liebig hat für den gleichen Zweck einen recht
brauchbaren Apparat genau beschrieben (1873 207 37;
vergl. 208 222 und 210
103).
Von besonderem Interesse für Theoretiker und Praktiker sind die Untersuchungen über
die Theorie der Schwefelsäurefabrikation von N. Weber in
Berlin. Derselbe (1862 166 59. 1863 167 453) analysirte die sogen. Bleikammerkrystalle und stellte die Formel
dafür auf:
HOSO3 + NO3SO3, entspr.
H2OSO4 + N2O3SO3.
Die Richtigkeit dieser Zusammensetzung wurde später auch von anderen Chemikern
bestätigt.Rammelsberg, Berichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1872 S. 310.
In den späteren Mittheilungen verbreitet sich Weber über
den chemischen Vorgang in den Bleikammern; er weist hierbei auf die Wirkung der
salpetrigen Säure hin und nimmt je nach der größeren oder geringeren Dampfmenge
verschiedene Reactionen bei der Schwefelsäurebildung an (1866 181 297. 1867 184 246. 1871 201 81).
Kolb (S. 22 seiner Schrift) entwickelt die verschiedenen
Theorien der Schwefelsäurefabrikation in historischer Reihenfolge und ist der
Ansicht, daß Peligot die beste Erklärung für die Bildung
von Schwefelsäure gegeben habe. Peligot machte im J. 1844
(94 214) darauf aufmerksam, daß sich bei regelmäßigem
Kammergange niemals Bleikammerkrystalle bilden. Er behauptet, es sei die
Salpetersäure, welche die schweflige Säure zur Schwefelsäure oxydire, und stellt für
den Bleikammerproceß eine Reihe von Gleichungen auf.
NO5 + SO2 + aq. = NO4 + SO3 + aq.
N2O5 + SO2 + H2O. = N2O4 + H2SO4
2NO4 + aq. = NO3 + NO5 + aq.
2N2O4 + H2O = N2O3 + 2(HNO3)
3NO3
aq. = 2NO2 + NO5 + aq.
3N2O3 + H2O = 4NO + 2(HNO3)
NO2 + 2O = NO4 entspr. 2NO + 2O = N2O4.
Winkler (S. 20 seiner Untersuchungen) nimmt an, daß der
Proceß der Schwefelsäurebildung im Wesentlichen auf der Wechselwirkung zwischen
schwefliger Säure und Untersalpetersäure unter dem Einfluß des Wasserdampfes beruhe.
Nach seiner Ansicht entsteht hierbei die Verbindung von Schwefelsäure und
salpetriger Säure, welche sich in Form der oft beobachteten weißen Nebel zu Boden
senkt, hier mit der dünnen heißen Kammersäure in Berührung kommt und sich in
derselben auflöst, wobei salpetrige Säure in Gasform frei wird, welche ein neues
Quantum schwefliger Säure oxydirt, sich dabei in Stickoxyd verwandelnd, welches,
indem es sich des vorhandenen Sauerstoffes bemächtigt, zu Untersalpetersäure wird
und so den Kreislauf aufs Neue eröffnet.
Hasenclever (1871 199 286) in
seiner Abhandlung über Röstöfen nimmt an, die Reaction erfolge so, daß sich bei
Gegenwart von Wasserdampf aus schwefliger Säure und salpetriger Säure Schwefelsäure
und Stickoxyd erzeugen; das Stickoxyd werde alsdann durch die Luft wieder in
salpetrige Säure verwandelt, welche den Proceß der Schwefelsäurebildung weiter
fortsetze.
Fr. Bode (S. 57 der citirten Schrift) behauptet, diese
Vorstellung Hasenclever's verstoße gegen das logische
Denken, da nach dessen
Formeln die Zersetzung und Neubildung der salpetrigen Säure unter gleichen
Bedingungen gleichzeitig von statten gehen müsse, und stehe überdies mit der
Auffassung von Winkler und mit bekannten chemischen
Sätzen in Widerspruch. Hierzu verdient bemerkt zu werden, daß nach Bode's Ansicht jede Theorie der Schwefelsäurebildung
gegen das logische Denken verstoßen muß, sei es, daß nach Berzelius die salpetrige Säure, nach Winkler
die Untersalpetersäure oder nach Peligot die
Salpetersäure den Sauerstoff an die schweflige Säure überträgt. Unbestritten ist,
daß in der Bleikammer Stickoxydgas wiederholt oxydirt und reducirt wird, und wenn
man allerdings annehmen muß, Zersetzung und Neubildung finde zu gleicher Zeit statt,
so ist damit nicht behauptet, daß sie unter denselben Bedingungen stattfinde.
Molecüle von Wasserdampf, Sauerstoff, nitroser Säure, schwefliger Säure und
Schwefelsäure durchziehen in einer Stickstoffatmosphäre die Bleikammer von einem
Ende zum anderen. Nach Schwarzenberg's Berechnung der
Procentischen Zusammensetzung der Eintrittsgase beim Kiesbetrieb ergibt sich ein
Verhältniß von 53,5 Vol.-Proc. Sauerstoff und 46,5 Vol.-Proc.
schwefliger Säure. Also schon zu Anfang des Processes sind mehr Sauerstoffmolecule
als Molecule schwefliger Säure in dem Gasgemenge vorhanden; im weiteren Verlaufe der
Reaction muß der Sauerstoffgehalt im Verhältniß zur schwefligen Säure noch zunehmen,
da mit der Bildung von Schwefelsäure auf je 2 Vol. schwefliger Säure nur 1 Vol.
Sauerstoff aus der Mischung entfernt wird. Sobald ein Molecul nitroser Säure zu
Stickoxyd reducirt wurde, verschwindet aus dessen nächster Nähe reducirende
schwefelige Säure und wird daher die Oxydation gleich wieder erfolgen können, wenn
das Gasgemenge in das durch die Schwefelsäurebildung erzeugte Vacuum eintritt.
Treffen alsdann die Molecule von nitroser Säure und schwefliger Säure im weiteren
Verlaufe wieder zusammen, so wiederholt sich die Bildung von Schwefelsäure und
Stickoxyd, welches seinerseits wieder in nitrose Säure übergeht. Die Oxyde des
Stickstoffes werden daher vorwiegend in der Form von nitroser Säure, weniger als
Stickoxydgas die Kammer durchziehen, und in der That scheint die schwach gelbliche
Farbe der Gase in der Bleikammer, wo man sie durch Oberlicht und seitliche Fenster
(welche in einigen Kammern, z. B. in der Schwefelsäurefabrik zu Nienburg, angebracht
sind) stets beobachten kann, auch zu dieser Annahme zu berechtigen.
Hasenclever nahm die salpetrige Säure als das oxydirende
Agens für die schweflige Säure an, weil nach den Untersuchungen von Weber Stickoxydgas und Sauerstoff in Gegenwart von
Schwefelsäurehydrat selbst bei Sauerstoffüberschuß, nicht wie gewöhnlich
Untersalpetersaure,
sondern salpetrige Säure bilden und weil Winkler in den
aus der Bleikammer in den Gay-Lussac'schen Thurm
eintretenden Gasen vorwiegend salpetrige Säure nachgewiesen hat.
So lange übrigens von den verschiedenen Theorien der Schwefelsäurebildung in den
Bleikammern, welche Berzelius, Davy, de la Provostaye,
Peligot, Weber, Winkler u. A. nach einander aufgestellt haben, nicht die
eine oder andere durch exacte Versuche entgiltig festgestellt worden ist, begnügt
man sich zweckmäßig mit der Auffassung welche Clément und
DésormesClément et Désormes: Théorie de la fabrication de
l'acide sulfurique. Annales de Chimie et de Physique, t. LIX p.
329. schon im Anfange dieses Jahrhunderts aussprachen:
„Ainsi l'acide nitrique n'est que
l'instrument de l'oxygénation complète du soufre; c'est sa base le gaz
nitreux, qui prend l'oxygène à l'air atmosphérique pour l'offrir à l'acide
sulfureux dans un état, qui lui convienne“.
Weber hat auch über die Verluste an Salpeter interessante
Beobachtungen gemacht. Er wies nach, daß nicht nur durch Entweichen von Stickoxyd
und salpetriger Säure Verluste an Salpetersäure entstehen können, sondern daß
salpetrige Säure bei Ueberschuß von Wasser durch schweflige Säure leicht zu
Stickoxydulgas reducirt wird. Auch FremyComptes rendus, t. LXX. P. 61. fand,
daß in den Eintrittsgasen der Bleikammer nitrose Säure zu Stickoxydul und selbst zu
Stickstoff reducirt wird, wenn die schweflige Säure zu heiß und zu concentrirt ist.
Kuhlmann berichtete über denselben Gegenstand in der
Jury der Wiener Ausstellung und schrieb ausführlich darüber an A. W. Hofmann (vergl. 1874 211
24).
(Fortsetzung folgt.)