Titel: Das deutsche Reichsgewehr (Modell 1871).
Fundstelle: Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 230
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Das deutsche Reichsgewehr (Modell 1871). Mit Abbildungen auf Taf. II [a/1]. (Schluß von S. 152 dieses Bandes.) Das deutsche Reichsgewehr. Die zum deutschen Reichsgewehr gehörige Einheits-Metallpatrone mit Centralzündung — Patrone Modell 1871— (Fig. 21 und 22) kommt für die gesammte deutsche Infanterie zur Verwendung, und es ist die Aptirung des bayerischen Werder-Gewehres auf diese Patrone bereits in der Durchführung begriffen. Sie besteht aus dem Geschoß mit der Papierumwickelung und der Fettung, der Pulverladung, dem Wachspfropfen zwischen zwei Cartonplättchen und der Patronenhülse mit der eingesetzten Zündkapsel. Für die Construction des Geschosses wurde die Liderungsart durch Stauchung gewählt. Demnach konnte die Geschoßgestaltung eine sehr einfache werden. Das Geschoß, aus Bleidraht gepreßt, ist glatt, massiv, von cylindro-ogivaler Form, und am Boden mit einer kleinen Höhlung versehen, welche die Würgung des Papieres aufzunehmen hat. Der cylinderische Theil, welcher das Caliber des Laufes besitzt, beträgt ungefähr zwei Dritttheile der ganzen Länge und vermittelt eine stets correcte Führung im Laufe. Um die durch die directe Führung des Geschosses im Rohre bedingte Verbleiung der Laufwände zu verhüten, ist der cylinderische Theil mit einer Papierumwickelung versehen. Das Geschoß wird, soweit es aus der Metallhülse ragt, mit einer Fettschichte umgeben, welche aus Hammelstalg und weißem Wachs zusammengesetzt ist. Die Pulverladung beträgt 5 Grm. Gewehrpulver, Muster 1871. Die Dosirung desselben ist nicht genau bekannt. Pulverladung und Geschoß trennt ein zwischen zwei Cartonplättchen befindlicher Wachspfropfen, welcher die Reinigung des Laufes bezwecken und das Vorströmen der Gase über das Geschoß verhindern soll. Die messingene Patronenhülse von flaschenförmiger Gestalt ist aus einem Stück gefertigt. Der engere kürzere Theil bildet den Geschoßraum. Die Fixirung des Geschosses in der Hülse geschieht durch gegenseitige Reibung. Der größere weitere Theil der Hülse ist der Pulverraum, dessen Uebergang in den Geschoßraum durch einen kürzeren Conus — Schweifung genannt — vermittelt wird. Vom unteren Ende des Pulverraumes verjüngt sich die Metallstärke zum oberen Hülsenrand. Der Hülsenboden ist zur Verminderung der Reibung an der Stoßfläche des Verschlußkopfes gegen den Rand hin abgeschrägt. Der über den Hülsenmantel hervorragende Theil des Hülsenbodens — die Krempe — dient dem Auszieher als Angriffsfläche. In der Mitte des Hülsenbodens ist eine cylinderische Vertiefung — Zündglocke — zur Aufnahme der Zündkapsel gepreßt mit einer kegelförmigen Erhebung und zwei Zündlöchern im Grunde. Die Zündkapsel enthält in einer halbkugelförmigen Erhöhung — Satzbombe — den Zündsatz, welcher aus 4 Theilen Knallquecksilber, 2,5 Theilen chlorsaurem Kali, 1,5 Theilen Antimon und 2 Theilen pulverisirtem Glas besteht und zum Schutze mit einer Zinnfolie bedeckt ist. Gemäß dieser Einrichtung muß behufs Entzündung der Patrone der Schlagbolzen den Patronen-(Zündkapsel-)Boden nahezu im Mittelpunkt treffen. Die Satzbombe, welche mit dem Ambos in leiser Berührung steht, wird durch den bei der Entspannung der Spiralfeder ungefähr 1,8 Mm. über den Verschlußkopf hervorschnellenden Schlagbolzen zwischen dem Kapselboden und dem Ambos zusammengepreßt und gelangt dadurch zur Explosion und entzündet das Pulver, indem der Zündstrahl durch die Löcher in der Zündglocke zur Pulverladung gelangt. Es erübrigt noch zur Ergänzung der Beschreibung von Waffe und Munition einige Maß- und Gewichtsangaben beizufügen. Länge des Laufes ohne Verschlußhülse 855,0 Mm. Länge des gezogenen Theiles des Laufes 782,0 Mm. Metallstärke des Laufes an der Mündung 3,1 Mm. Metallstärke des Laufes vor dem Achtkant 6,1 Mm. Abstand des höchsten Punktes des Korns von der Laufachse 16,8 Mm. Länge der Visirlinie für die große Klappe 710,5 Mm. Abstand der Visirkante der großen Klappe von der Laufachse für 400 M. 27,5 Mm. für 800 M. 45,9 Mm. für 1200 M. 71,9 Mm. für 1600 M. 105,4 Mm. Länge des Gewehres ohne Säbelbajonnet 1350 Mm. Länge des Gewehres mit Säbelbajonnet 1820 Mm. Gewicht des Gewehres ohne Säbelbajonnet 4550 Grm. Gewicht des Gewehres mit Säbelbajonnet 8280 Grm. Länge des Geschosses 27,0 Mm. Caliber des cylinderischen Theiles des Geschosses 11,0 Mm. Inhalt des Geschoßquerschnittes in Quadratmillimeter 95,07 Querschnittsbelastung mit Blei auf 1 Quadratmillim 0,263 Grm. Gewicht des Geschosses 25,0 Grm. Gewicht der Ladung 5,0 Grm. Auf 1 Quadratmillim. des Geschoßquerschnittes kommt Pulver 0,052 Grm. Länge der Hülse 60,0 Mm. Länge des Pulverraumes 33,4 Mm. Länge der Schweifung 3,6 Mm. Länge des Geschoßraumes 20,0 Mm. Tiefe der Zündglocke 3,0 Mm. Aeußerer Durchmesser der Hülse unten am Pulverraum. 13,5 Mm. Durchmesser an der Krempe 15,0 Mm. Länge der ganzen Patrone 76,5 Mm. Gewicht der ganzen Patrone 42,7 Grm. Vorstehende Daten würden genügen, um alles Wissenswerthe über die ballistische Leistungsfähigkeit der Waffe festzustellen. Um jedoch dem Leser die Beurtheilung in dieser Hinsicht zu erleichtern, wollen wir im Nachfolgenden die Reihe der Elevations-(Abgangs-) und Einfall-Winkel und die daraus ermittelte Gestaltung der Geschoßbahnen durch Angabe der Scheitelordinaten und der bestrichenen Räume, sowie die Streuungsgrößen mittheilen. Des interessanten Vergleiches wegen sollen in gleicher Weise die Leistung des preußischen Zündnadelgewehres, welches im Feldzuge 1870/71 die Bewaffnung des größten Theiles der deutschen Infanterie bildete, und des auf die Patrone Modell 1871 abgeänderten Werder-Gewehres angegeben werden. Ersteres soll als Maßstab dienen für die Beurtheilung des Fortschrittes, welcher in der Bewaffnungsfrage der Infanterie gemacht worden ist. Die Angaben über das letztere werden die Befürchtungen derjenigen beseitigen, welche einen Nachtheil für die bayerische Infanterie in ihrer Ausrüstung durch Nichtannahme des deutschen Reichsgewehres erblicken möchten. Die sehr zufriedenstellende Schußpräcision, welche dem Gewehre Modell 1871 und insbesondere dem aptirten Werdergewehre nach den angegebenen Halbmessern der Streuungskreise für die halbe Schußzahl zukommt, ist zum Theil begründet in der regelmäßigen Verbrennung des verwendeten Pulvers und dessen Gleichmäßigkeit in der Wirkung, wodurch geringe Differenzen von höchstens ± 7 Meter in der Geschoßanfangsgeschwindigkeit sich ergeben. Diese beträgt nach Messungen mit dem Boulengé -Apparat (beschrieben 1866 179 39. 1868 189 470) im Mittel beim Gewehr Modell 1871 427 Meter, beim aptirten Werdergewehr 433 Meter. Trotz der großen Anfangsgeschwindigkeit ist der Rückstoß nicht so bedeutend, daß er irgendwie lästig sein könnte. Als relatives Maß zur Beurtheilung desselben mag angeführt werden, daß der Druck, welchen die Rückstoßgeschwindigkeit auf die Schulter des Schützen ausübt, beim Gewehr Modell 1871 einem Gewicht von 25,8, beim aptirten Werdergewehr von 28,3 Kilogrm. entspricht. Die Percussionskraft der Geschosse ist bei beiden Waffen auf der Maximalportee, d. i. auf 3000 Meter noch mehr als hinreichend, um Menschen und Thiere kampfunfähig zu machen. Ballistische Leistungen des preußischen Zündnadelgewehres (A), des deutschen Reichsgewehres (B) und des aptirten Werdergewehres (C) auf Distanzen von 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 Met. Abgangswinkel in Minuten. A 65,16 89,12 114,20 140,40 B 36,25 52,66 71,25 92,00 114,42 140,00 167,25 196,66 228,25 262,00 297,92 336,00 376,25 418,66 C 32,60 47,73 65,16 84,60 105,93 129,60 155,40 183,33 213,40 245,60 286,60 316,40 355,00 395,73 Einfallwinkel in Minuten. A 70,20 98,08 128,20 160,56 B 46,24 70,90 99,20 133,00 169,42 211,62 258;60 308,75 336,90 423,62 486,56 555,75 628,70 704,95 C 41,20 64,37 91,00 122,10 157,96 197,40 240;70 288,85 341,10 397,20 457,80 522,40 592,20 666,30 Scheitelordinaten in Meter. A 1,48 2,72 4,40 6,57 B 0,89 1,79 3,10 4,91 7,30 10,31 14;07 18,60 24,00 30,35, 37,25 45,95 54,74 65,10 C 0,80 1,66 2,88 4,57 6,80 9,64 13,14 17,40 22,50 28,54 35,37 43,34 52,41 62,70 Bestrichene Räume in Meter gegen den Infanteristen von 1,80 Meter bei 0,9 M. Anschlags- und Trefferhöhe. A 90,4 60,0 44,5 34,0 B 354,0 92,0 58,0 46,0 36,0 29,5 23,5 19,5 16,5 14,2 12,5 11,0 9,5 8,5 C 361,0 102,0 68,5 51,0 39,0 31,5 25;5 22,0 18,0 15,5 13,5 11,5 10,0 9,5 Maximum des bestrichenen Raumes gegen Infanterie Von 1,80 Meter. Kernschußweite. Bestrichener Raum hinter dem Ziele. Maximum des bestrichenen Raumes Abcisse für die Scheitel-Ordinate von 1,80 Met Glevations- (Abgangs-) Winkel in Minuten Einfallwinkel in Minuten; A 235 49 284 126 49,26 52,7   B 302 53 355 160 36,40 46,60 C 313 58 371 168 33,95 44,10 50procentige Streuungsradien in Centimeter. A 27 39 53 69 B 21 29 39 50 63 81 108 138 170 216 275 351 448 569 C 15 20 26 34 43 57 73 94 116 145 180 221 265 329 Hiermit ist die Darstellung der mechanischen Einrichtung und der ballistischen Leistung des Mauser-Gewehres in genügend ausführlicher Weise gegeben, um ein sicheres Urtheil über die Waffe zu gestatten. Wenn auch zugegeben wird, daß manche Ausstellung an derselben mit Grund gemacht werden kann, so muß doch, ohne das Urtheil hierüber irgend wie beeinflussen zu wollen, bei einem Vergleiche mit der in anderen Heeren eingeführten Gewehren die Ueberzeugung und Gewißheit gewonnen werden, daß das deutsche Reichsgewehr von keiner fremdländischen Waffe übertroffen wird.

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