Titel: | Ueber Abkühlung des Glases und vom sogenannten Hartglase; von Dr. Otto Schott. |
Autor: | Otto Schott |
Fundstelle: | Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 76 |
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Ueber Abkühlung des Glases und vom sogenannten
Hartglase; von Dr. Otto
Schott.
Mit Abbildungen auf Taf.
I [d/4].
Schott, über Abkühlung des Glases und vom sogen.
Hartglase.
Die Abkühlung spielt bei der Fabrikation des Glases eine große Rolle. Man läßt das
Glas in der Technik im Kühlofen recht langsam erkalten, damit in allen Theilen desselben eine gleiche
Spannung, d. h. eine solche herrscht, welche nur durch die Cohäsion des Mediums
bedingt ist. Sind unregelmäßige Spannungen im Glase vorhanden, so werden dieselben
durch Erhitzen innerhalb, gewisser Grade so stark, daß ein Zerspringen des Körpers
eintritt.
Nicht langsam gekühltes Glas zeigt fast immer Spannungen, wie sich dies leicht in der
Tafelglasfabrikation an dem Uebereinandergreifen der
„gesprengten“ Walzen beobachten läßt. Die Entstehung der
Spannung wollen wir an diesem Beispiel verfolgen. Nachdem der Glasbläser seine Walze
angefertigt hat, legt er sie, fast noch glühend, auf zwei in einiger Entfernung auf
einem Gestell befindliche Breter. Dort geht die Abkühlung theils durch Strahlung,
theils durch Mittheilung an die Luft vor sich. Während nun der äußere Mantel des
Cylinders nach allen Seiten seine Wärme ausstrahlt und ebenso die durch die
Mittheilung an die Luft verlorene Wärme sich schnell entfernt, verbleibt die
strahlende Wärme des inneren Mantels zum größten Theil in dem cylindrischen Raum, d.
h. die gegenüber liegenden Flächen theilen sich gegenseitig durch Strahlung Wärme
mit; ebenso ist die Circulation der Luft, also auch die Entziehung der Wärme durch
Mittheilung geringer. Demnach ist die Abkühlung der äußeren Fläche eine schnellere
als die der inneren; wenn die äußeren Glastheile schon fest sind, sind die inneren
noch beweglich und ziehen sich durch Abkühlung zusammen, wodurch eine Spannung im
Glase erzeugt wird, welche durch Sprengung des Cylinders der Länge nach und
Uebereinandergreifen an der Sprungstelle sich theilweise ausgleicht.
Die auf diese Weise im Glase entstandenen Spannungsdifferenzen in den verschiedenen
Schichten sind verhältnißmäßig gering. Größere Spannungen kann man erhalten, wenn
man geschmolzenes Glas ins Wasser tropfen läßt (Glasthränen). Die Abkühlung der
äußeren Schicht der Glasthräne ist durch Mittheilung und Ausstrahlung an das Wasser
eine sehr rasche; dieselbe ist schon fest, während der innere Theil noch hochglühend
und flüssig ist, wovon man sich leicht durch den Augenschein bei der Anfertigung der
Glasthränen überzeugen kann. Durch die Zusammenziehung von Schicht zu Schicht bei
der allmäligen Abkühlung des inneren Theiles, bildet sich gewöhnlich im Inneren ein
luftleerer Raum, dessen Größe von dem Volumen der Perle abhängt. Die Spannungen in
solchem Glase sind so groß, daß die Thräne, wenn das Gleichgewicht an einer Stelle
durch Abbrechen des Glasfadens gestört wird, der Körper von der Bruchstelle
ausgehend in Tausende von kleinen Splittern zerspringt. Durch Einschließen der
Glasthräne in Wachs und darauf folgendes Zerbrechen des Glasfadens, ergab sich, daß
die Glassplitter, wie Fig. 38 zeigt, sich
radial anordnen; die äußerste Schale zeigte, im Vergleich zu dem inneren Theil, nur
wenig Sprünge.
Eine Glasthräne kann erhitzt und unter zischendem Geräusch ins Wasser geworfen
werden, ohne zu zerspringen. Die Temperatur darf dabei natürlich nie Rothglut
erreichen, da sonst beginnende Schmelzung und Ausgleich der Spannungen eintritt,
wodurch sich der Körper wie jedes andere Glas verhalten würde.
Wenn man Gelegenheit gehabt hat, häufig Glasthränen zu zerbrechen, so ist dabei die
große Festigkeit und Elasticität des Glasfadens auffallend. De la Bastie ist es gewesen, der diese Eigenschaften erkannt
hat, und darauf hin die Erfindung des sogenannten Hartglases basirte, welches in
nichts anderem besteht als in einer in Oel gekühlten Glasthräne, welche die Form
eines nützlichen Hausgeräthes oder sonstigen Glasgegenstandes hat.
In Folgendem will ich es versuchen, die Spannungen in einer solchen Glasthräne
abzuleiten und die daraus resultirenden Eigenschaften zu erklären. Denken wir uns
zwei eiserne Ringe concentrisch um einander gelegt und durch Schraubenbolzen
verbunden, wie Fig.
39 zeigt, so wird, wenn der innere Ring erhitzt und die Schrauben
angezogen werden, bei nachherigem Erkalten in dem äußeren Ring eine Spannung
herrschen, welche das Eisen auf rückwirkende Festigkeit in Anspruch nimmt; der
innere Ring dagegen wird auf absolute Festigkeit beansprucht werden. Diese
Spannungen lassen sich durch zwei entgegengesetzt gerichtete Pfeile a und b versinnlichen.
Denken wir uns solcher Ringe sehr viele um einander gelegt und die Temperatur
derselben nach Innen zu wachsend, so werden sich nach Innen und Außen die
respectiven Spannungen addiren, und wir erhalten dann ein Bild der Spannungen in der
Glasthräne. Wir brauchen uns solcher Ringe nur sehr viele aus Glas zu denken, die
unter sich durch Cohäsion verbunden sind, und von welchen der äußerste zuerst, die
übrigen nach einander folgend erkalten.
Denken wir uns weiter eine Glasthräne in concentrische Schalen zerlegt und einen
Schnitt senkrecht zur Mittellinie geführt (Fig. 40). Betrachten wir
in der äußersten Schale das Stück a, so wird dasselbe
durch die Erkaltung und Zusammenziehung des zweiten Ringstückes zusammengedrückt,
ebenso dieses letztere durch das Stück c u. s. w., so
daß also in dem äußersten Ringe rückwirkende Spannung, in dem inneren absolute
herrscht, welche Spannungen durch die Zwischenringe in einander übergehen. Es
existirt daher auch eine neutrale Grenzfläche, in welcher sich die rückwirkende und
absolute Spannug aufhebt. In Wirklichkeit sind solche Ringe natürlich nicht
vorhanden, da die Abnahme der Spannung eine stetige ist.
Nimmt die absolute Spannung (d. i. die innere) so stark zu, daß die Festigkeit des
Glases nicht mehr ausreicht, das Gleichgewicht zu halten, so tritt von Innen aus
Zerspringen der Glasthräne ein, wie man solches sehr häufig bei Anfertigung dicker
Körper während des Erkaltens beobachten kann; ebenso läßt sich hiernach vermuthen,
daß Glasthränen (und Hartglas), die bei gewöhnlicher Temperatur im Gleichgewicht
sind, bei sehr niedrigen Kältegraden zerspringen, obschon derartige Beobachtungen
bis jetzt nicht vorzuliegen scheinen.
Ein gewöhnlicher Glaskörper ohne irgend welche Spannung, z. B. eine gut gekühlte
Glaskugel, welche erhitzt, kurze Zeit ins Wasser getaucht wird, zerspringt deshalb,
weil sich die äußere Schicht durch die rapide Abkühlung schneller zusammenzieht als
die innere, in Folge dessen die absolute Festigkeit der schon erkalteten Kruste
überwunden wird. Aus diesem Grunde sieht man in einem solchen schnell abgekühlten
Körper sehr viele Sprünge auf der Oberfläche, welche wegen des im Inneren
herrschenden Gleichgewichtes zu Anfang nicht tief eindringen können. Bei der
Abkühlung einer erhitzten Glasthräne durch Eintauchen in Wasser, tritt nur der
frühere Spannungszustand wieder ein; es wird aber kein neuer hervorgerufen, welcher
das Glas auf absolute Festigkeit in Anspruch nimmt. Ueberhaupt muß für die hier
gemachten Darlegungen die begründete Voraussetzung richtig sein, daß die Festigkeit
des Glases gegen Zerdrücken größer ist als gegen Zerreißen. Mit Hilfe dieser
experimental noch nicht bewiesenen Voraussetzung, läßt sich die größere relative
Festigkeit des auf diese Weise gekühlten Glases (Hartglases) folgendermaßen
erklären.
Wirkt die Kraft P (Fig. 41) auf einen unter
obigen Verhältnissen gekühlt gedachten Balken von Glas, so wird die untere
Flächenschicht auf absolute Festigkeit am meisten in Anspruch genommen, welche aber
durch die herrschende Spannung aufgehoben wird, während die auf Zerdrücken in Anspruch genommene
obere Flächenschicht trotz der dort herrschenden rückwirkenden Spannung die
rückwirkende Festigkeit des Glases nicht aufzuheben vermag.
Die gemachten Erörterungen mögen nur als Versuch gelten, die merkwürdigen
Eigenschaften des Hartglases zu erklären. Da offenbar keine chemische Veränderung
des Glases vor sich geht, so dürften nur die in den kleinsten Glastheilchen
herrschenden Spannungen die Anhaltspunkte zur Erklärung geben können.
Witten, im April 1875.