Titel: | Bericht über die chemischen und mikroskopischen Untersuchungen der, zum Zweck einer künftigen Wasserversorgung Hannovers, durch die Versuchsarbeiten bei Ricklingen erschlossenen Wässer: von Ferd. Fischer. |
Autor: | Ferd. Fischer |
Fundstelle: | Band 215, Jahrgang 1875, S. 517 |
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Bericht über die chemischen und mikroskopischen
Untersuchungen der, zum Zweck einer künftigen Wasserversorgung Hannovers, durch die
Versuchsarbeiten bei Ricklingen erschlossenen Wässer: von Ferd. Fischer.
Mit einer Abbildung.
Fischer, über die chemischen und mikroskopischen Untersuchungen der
bei Ricklingen erschlossenen Wässer.
Von der gemeinschaftlichen Commission der städtischen Collegien für Herstellung einer
Wasserversorgungsanlage wurde, in Folge des Gutachtens der Herren Professor v. Seebach und Ingenieur Salbach
vom 11. August 1874, VerfasserAuf Anregung der wissenschaftlichen Vereine Hannovers (vergl. 1874 212 75) waren von einer gemeinschaftlichen
Commission des Magistrates und des Bürgervorstehercollegiums Prof. v. Seebach in Göttingen und Ingenieur Salbach aus Dresden als Sachverständige berufen,
um sich gutachtlich über den früher von Baurath Hagen aufgestellten Plan zu äußern (vergl. Journal für
Gasbeleuchtung, 1874 S. 797). Nach ihren Vorschlägen wurden zwei mit
Bohlenwänden und Zimmerung ausgebaute Gräben (6 und 10 der Abbildung auf S.
519) von je 50 Meter Länge, 1 M. Breite und solcher Tiefe hergestellt, daß
die Sohle bis auf 1 M. über der wasserdichten Thonschicht in das Kieslager
hinabreichte. Jeder Einschnitt wurde mit einer achtpferdigen Locomobile und
mit Centrifugalpumpe versehen, durch welche die Wasserentleerung 4 bis 6
Wochen Tag und Nacht in der Weise bewirkt wurde, daß der Wasserstand in den
Einschnitten unverändert blieb. Beide Einschnitte lieferten täglich 5000 bis
5500 Kubikmeter. Da die mit Kies gefüllte Niederung zwischen Beeke und Leine
etwa 1200 M. breit ist, so würde eine quer durch dieselbe gemachte
Sammelanlage die Minimalhöhe des täglichen Wasserbedarfes, welche durch die
Arbeiten des hannoverschen Bezirksvereins deutscher Ingenieure auf 15.000
Kub. M. bestimmt ist, ja selbst die Maximalhöhe von 25.000 Kub. M.
zweifelsohne zu liefern im Stande sein. – Die Berechnungen dieses
Vereins ergaben ferner, daß, wenn auch kaum 2/3 ermittelten Wasserbedarfes
von den Gewerbetreibenden aus der demnächstigen Leitung entnommen und 1 Kub.
M. mit 9 Pfennig bezahlt würde, eine solche Anlage mit 4,5 Proc. und 1 Proc
Amortisation sich auch schon dann verzinsen würde, wenn dieselbe das Wasser
für den Hausbedarf gratis liefere. zur Beantwortung der beiden Fragen aufgefordert:
1. Wie ist die Beschaffenheit dieses Wassers in Rücksicht auf die Verwendung zu
Trinkwasser und zu technischen Zwecken?
2. Findet eine Einwirkung der Ihme, Beeke und Leine auf die erschlossenen Wässer
statt, und wenn dies der Fall, bis auf welche Entfernungen?
Die erschlossenen Wässer entstammen den Meteorwässern, welche in dem höher gelegenen
Flußgebiet niederfallen, einsinken und auf der undurchlässigen Thonschicht in dem 4
bis 10 M. mächtigen Kieslager, welches nach Prof. v. Seebach zum ältereren Aluvium des Leinethales gehört, in der Richtung von
SW nach NO dem
Muldentiefsten zufließen und sich schließlich da, wo die Ufer durchlässig sind, in
den Fluß ergießen. Wenn sich nun das rechte Ufer der Ihme und der Leine etwa 20 M.
senkte, so würde das jetzt durch die Versuchsanlagen erschlossene Höhenwasser
offenbar als Quelle hervorsprudeln, ja bei 100 M. Senkung würde die Stadt Hannover
dasselbe Wasser zu einer Hochquellenleitung verwenden
können. Es ist demnach kein sogenanntes Grundwasser (diese Bezeichnung sollte nur
für das Grundwasser der Städte gebraucht werden) sondern ein künstlich gehobenes
Quellwasser des Pleistocän.
Die Anforderungen, welche an ein gutes Trinkwasser gestellt werden müssen, wurden
schon früher (1873 210 287) besprochen; später ist von
ärztlicher Seite ihre Uebereinstimmung mit der heutigen Wissenschaft constatirt
(1874 212 77).
Die betreffenden Wässer sind vom 23. September bis 28. October 1874 in 4 bis 5 Liter
fassenden Flaschen mit Glasstopfen von dem Verf. selbst geschöpft. Sie wurden theils
den beiden Einschnitten 6 und 10 der beigegebenen Abbildung, theils Röhrenbrunnen
entnommen, welche unmittelbar vorher etwa 1 Stunde lang ausgepumpt waren.
Die Untersuchung wurde in der früher (1873 210 289,480.
1874 212 409) angegebenen Weise ausgeführtBei stark verunreinigtem Wasser ist die
quantitative Bestimmung der salpetrigen Säure durch Destillation und Prüfung
mit Chamäleon nicht ganz zuverlässig, da unter Umständen während des Kochens
die vorhandenen Nitrate durch organische Stoffe reducirt werden,
andererseits das Destillat eines solchen, auch nicht angesäuerten Wassers
oft alkalische Silberlösung und übermangansaures Kalium reducirt. und namentlich auf die mikroskopische Untersuchung besondere Sorgfalt
verwendet. Es ist nicht nur der nach 24 Stunden in der gut verschlossenen Flasche
gebildete Absatz sondern auch der unter der Luftpumpe erhaltene
Verdunstungsrückstand bei 100 bis 900facher Vergrößerung untersucht.F. Tiemann hat in seiner Anleitung zur Untersuchung von
Wasser (Braunschweig 1874) S. 133 dieses (1873 210 289 mitgetheilte) Verfahren fast wörtlich
ohne Angabe der Quelle abgedruckt. Auch hier hat sich bestätigt, daß jedes irgendwie durch thierische
Zersetzungsproducte verunreinigte Wasser graue und braune, meist aber lebhaft roth, blau und
schön violett gefärbte Massen zurückläßt, deren Structur in der Regel nicht deutlich
zu erkennen ist. Offenbar sind diese Farbenbildungen auf die Lebensthätigkeit
chromogener Bakterien zurückzuführen, welche nirgend zu fehlen scheinen, wo auch nur
Spuren in Zersetzung begriffener thierischer Abfälle vorhanden sind.
Textabbildung Bd. 215, S. 519
Die Bestimmung des gelösten Sauerstoffes wurde unterlassen, da ein völliger Abschluß
der Luft nicht möglich war, in der gewöhnlichen Weise ausgeführte Untersuchungen
aber, nach den Beobachtungen von Gerardin (1873 213 539), durchaus unzuverlässig sind.
Die Beschaffenheit dieses erschlossenen Quellwassers ist nun, wie die Analysen 6, 7,
10 bis 17 in Tabelle I (S. 520 und 521) zeigen, durchaus gut zu nennen, und
erreichen die Bestandtheile nirgend die für ein gutes
Trinkwasser aufgestellten Grenzwerthe (vergl. Tabelle II, 1 und 2). Es ist
namentlich hervorzuheben, daß der Gehalt an organischen Stoffen und Salpetersäure
nur sehr gering ist, daß niedere Organismen und die ersten Zersetzungsproducte
Genscher Abfälle, Ammoniak und salpetrige Säure, völlig fehlen. In minder
wasserarmen Zeiten werden sich diese Verhältnisse noch günstiger gestalten.
Textabbildung Bd. 215, S. 520–521
1 Liter Wasser enthält
Milligramm-Aequivalente; Nr.; Standort; Datum der Füllung; Temperatur;
Chlor.; Schwefelsaüre; Salpetersäure; Salpetrige Säure; Ammoniak; Kohlensäure;
Organisch; D. Kochen fällt; erfordert Sauerstoff in saurer ∣ alkal.
Lösung; Calcium; Magnesium; Brunnen unter dem Maschinenhause.; Spur; Stark;
Brunnen etwa 1 M. von der Ihme; fast 0; Ihme.; Röhrenbrunnen 10 M. von der Ihme;
Desgl. 20 M.; Einschnitt 1; Desgl.; Beeke; Einschnitt 2; 1. Röhrenbrunnen.; 10
M. v. linken Ufer; Spuren; Leine; 10 M. v. rechten Ufer; 20 M. v. rechten Ufer;
Gesammt; Härte; Calcium; Magnesium; Fester Rückstand. Grm.; Mikroskopische
Untersuchung; Bemerkungen; Ziemlich starker Absatz von brauner, blauer und
violett gefärbter organischer Substanz, sehr kleinen Kugelbakterien und
Infusorien. Einige schöne Gypskrystalle, sonst undeutliche Krystallisation;
Einige zarte Fadenpilze und braune bis violette organische Massen; Verschiedene
Pflanzenreste und organische Massen. Sehr kleine Algen, einige Diatomeen,
zahlreiche lebhaft bewegliche Bakterien, sehr kleine Infusorien, Crustaceen u.
dgl.; Starker Absatz von Sand mit etwas Thon und organ. Stoffen. Organismen
fehlen; Starker Absatz von Sand mit Spuren organ. Substanz; Sehr geringer Absatz
mit Spuren organ. Stoffe. Organismen konnten nicht aufgefunden werden;
Desgleichen; Wie die Ihme.; Sehr geringer Absatz mit Spuren organ. Substanz.
Organismen konnten nicht aufgefunden werden; Desgl. – Farblose
Kalk- und einige sehr kleine Gypskrystalle; Spuren von organ. Substanzen.
Organismen fehlen; Starker Bodensatz von Sand mit etwas organischer Substanz.
Deutliche Kalkkrystalle, kein Gyps.; Geringer Bodensatz von Sand mit etwas
organischer Substanz; Geringer Absatz von Sand und Thon; Pflanzenreste, kleine
Algen, zahlreiche Bakterien, Fadenpilze, Infusorien, einige Fadenwürmer und
Milben; zahlreiche Cyclops; Starker Absatz von Sand mit viel braunen und wenig
violetten organischen Stoffen. Einige sehr kleine Kugelbakterien; Etwas trübe.;
Fast klar. Ihme hatte 9,2°; Bei sehr hohem Wasserstande. Fast klar;
Trübe; Farblos, klar; Desgl.; Farblos, fast klar; Während eines schwachen
Regens; Farblos; 0,10 Milligr. Aeq. Kalium; 0,89 Milligr. Aeq. Natr.; 0,22 Aeq.
Kalium; 0,97 Aeq. Natrium.; Trübe. Luft = 7,35°; Fast klar; Nach einem
schw. Regen; Sehr trübe
Die Temperatur des Wassers wird voraussichtlich das ganze Jahr hindurch 9 bis
10° betragen. Es ist daher als ein sehr gutes
Trinkwasser zu bezeichnen.
Der Durchschnittsgehalt eines Liters entspricht etwa folgender Zusammensetzung:
0,1810,009
Grm. kohlensaures
Calcium
„ „ Magnesium
als Bicarbonate
0,075
„ schwefelsaures
Calcium
0,004
„ salpetersaures Magnesium
0,019
„ schwefelsaures
„
0,016
„ Chlormagnesium
0,052
„ Chlornatrium
0,007
„ Chlorkalium
0,018
„ organische
Stoffe
10,7° veränderliche Härte
15,7° Gesammt-Härte.
Während der hohe Gehalt an doppelt-kohlensaurem Calcium für die Verwendung des
Wassers zum Trinken nicht unvortheilhaft ist, da es in Folge dessen besser schmeckt
als weiches Wasser – Spessartwasser hat nur 0,2° Härte (1874 214 423) – ohne für die Verdauung irgend wie
bedenklich zu sein, wird die Benützung desselben für Küche und Technik dadurch nicht
wesentlich beeinträchtigt, da beim Erhitzen 10,7° abgeschieden werden, das
gekochte Wasser daher nur noch eine Härte von 5° hat. Die Qualität des
erschlossenen Höhenwassers ist daher in jeder Beziehung gut zu nennen.
Wie viel besser dieses Wasser ist als dasjenige, welches die hannoverschen Brunnen
liefern, zeigt die Zusammenstellung in Tabelle II. Die Brunnen 6 und 7 gelten
allgemein als die besten Hannovers, 8 bis 10 sind von neuen und daher
verhältnißmäßig noch wenig verunreinigten Straßen. Daß die Brunnen im Inneren der
Stadt oft erschreckend stark verunreinigt sind, wurde schon früher (1874 214 430) erwähnt.
Von verschiedenen Seiten ist behauptet worden, daß die städtischen Brunnen nach
gehöriger Reinigung und Vertiefung gutes Wasser liefern würden. Die Analysen 3 bis 5
zeigen, daß dieses Wasser auch nach der Vertiefung selbst den billigsten
Anforderungen, welche an ein Trinkwasser gestellt werden müssen, in keiner Weise
genügt, ja daß der Boden Hannovers so mit Fäulnißstoffen durchtränkt ist, daß er gar
nicht mehr im Stande ist, ein brauchbares Genußwasser zu liefern (vergl. 1874 211 222).
Zur Untersuchung der zweiten Frage wurden Röhrenbrunnen 4 und 5 10 bezieh. 20 Meter
vom Ufer der Ihme fast 5 M. tief eingetrieben,
Tabelle II.
Textabbildung Bd. 215, S. 523
1 Liter enthält
Miligramm-Aequivalente; Härte; Nr.; Standort; Chlor; Schwefelsäure;
Salpetersäure; Salpetrige Säure; Ammoniak; Organische Stoffe; Calcium;
Magnesium; Veränderlich; Gesammt; Bemerkungen; Grenzwerth; Künftige
Wasserleitg.; Durchschnitt.; Hundemarkt; Spur; 17. November 1874. Nach der
Vertiefung; Holzmarkt; Stark; Desgleichen; Ecke der Schmiede- u.
Knochenhauerstr.; Auf dem Berge; 16. October 1872; Kümmelbrunnen.; Desgl.
Mittheil. d. Hannover'schen Gewerbevereins, 1873 S. 25; Schiffgraben; 8. Aug.
1874. Fäulnißorganism; Adelheidstraße; 17. December 1873. Zahlreiche
Fäulnißorganismen; Butterstraße
ferner die Röhrenbrunnen 17 und 19 10 M., 16 und 20 20 M. vom
Ufer der Leine 7 M. tief bis fast zur Thonsohle, etwa 4 M. tiefer als der
Wasserspiegel der Leine, niedergebracht.
Die Temperaturbestimmungen ergaben das überraschende Resultat, daß die dem Ufer
zunächst liegenden Brunnen 4, 17 und 19 eine höhere Temperatur hatten als die 20 M.
entfernten Brunnen und diese wieder wärmer waren als das Flußwasser selbst. Diese
Erscheinung ist dadurch zu erklären, daß im Sommer die Ufer von dem Flusse aus,
nicht durch Eindringen von Flußwasser, sondern durch Wärmeleitung nach und nach
stärker erwärmt werden als die entfernter liegenden Bodenschichten und so im Herbst
Wärme an die durchsickernden Wässer abgeben können. Im Frühjahr wird die umgekehrte
Erscheinung eintreten.
Die Analysen 4 und 5 zeigen, daß der Salzgehalt der Röhrenbrunnen etwas höher ist als
im Einschnitt 1. Zwischen der Ihme und dem zufließenden Höhenwasser scheinen demnach
nur Diffusionswirkungen statt zu finden, welche zwar die Krystalloide selbst auf 20
M. Entfernung in das Ufer eindringen lassen, nicht aber die organischen Substanzen.
Bis zum Einschnitt 1 findet überhaupt keine Einwirkung mehr statt.
Die Analysen 16 bis 20 zeigen, daß das Wasser des rechten Ufers der Leine ein anderes
ist als das des linken. Es enthält mehr organische Stoffe, Spuren von Ammoniak und
niedere Organismen; eine Wassergewinnung auf dem rechten Ufer würde daher nicht zu
empfehlen sein. Ferner ergibt sich, daß zwischen dem Wasser der Leine und dem
zufließenden Höhenwasser keine merkbare Wechselwirkung stattfindet, daß daher die
Sammelcanäle der künftigen Wasserleitung bis auf 10 M. Entfernung vom Ufer der Leine
gelegt werden können, ohne befürchten zu müssen, daß auch nur Spuren Flußwasser
eindringen. – Ebensowenig ist die Beeke von Einfluß.
Es ist mehrfach behauptet, die geringe Wassermenge, welche Brunnen 1 (Tabelle I) den
Lindener Fabriken liefert, zeige, daß aus dem Kieslager des Versuchsfeldes nicht die
für Hannover erforderliche Wassermenge gewonnen werden könnte. Die Analyse 1 ergibt
jedoch, daß dieser Brunnen nur stark verunreinigtes Grundwasser enthält, welches an
dem Abhange des Lindenerberges und in Linden selbst in den Boden sickert und auf der
undurchlässigen Thonsohle der Ihme zufließt, daß es daher mit dem erschlossenen
Quellwasser nichts gemein hat. Der unmittelbar an der Ihme gelegene Brunnen 2 gibt
Wasser des Kieslagers, welches durch das genannte Lindener Grundwasser, vielleicht
auch durch die Ihme selbst verunreinigt ist.
Hannover, November 1874.