Titel: Zur Geschichte der Dampfkesselexplosionen; von Ferd. Fischer.
Fundstelle: Band 213, Jahrgang 1874, Nr. LXXIII., S. 296
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LXXIII. Zur Geschichte der Dampfkesselexplosionen; von Ferd. Fischer.107) Fischer, zur Geschichte der Dampfkesselexplosionen. Abgesehen von schlechtem Material, schlechter Construction und mangelhafter Arbeit können die angeblichen Ursachen der Dampfkesselexplosionen zurückgeführt werden auf: 1. Uebermäßige Dampfspannung 2. Elekricitätswirkungen 3. Knallgasexplosionen 4. Leidenfrost's Phänomen 5. Siedeverzug 6. Plötzliche Entlastung 7. Erschütterungen der Kesselwände 8. Glühende Kesselwände. 1. Uebermäßige Dampfspannung führt wohl nur in den seltensten Fällen unmittelbar zu einer Explosion, d.h. zu einer solchen plötzlichen Zerstörung des Kessels, bei welcher derselbe in Stücke zerrissen und diese fortgeschleudert werden. Diese gewaltige Arbeit kann nach Grashof 108) ihre unmitttelbare Ursache nur in einer großen Wärmemenge haben, welche plötzlich in Arbeit umgesetzt wird. Daß Kessel unter Umständen einen starken Dampfdruck ertragen, obgleich sie so schadhaft sind, daß sie bei einer Revision an verschiedenen Stellen mit einem kleinen Hammer bequem durchgeschlagen werden können, ist bekannt.109) Andererseits haben die Versuche von Andraud 110) gezeigt, daß eiserne Kessel von 100 Liter Inhalt und 2 Millim. Wandstärke durch Einpressen von Luft bis auf 75 Atmosphären Druck zwar bersten aber nie explodiren. Auch die Versuche von Stevens 111) und der von der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika niedergesetzten Commission112) haben ergeben, daß ein übermäßiger Dampfdruck in einem Kessel, der eine schwächere Stelle hat, einen Riß macht (bei sprödem Bleche auch Wohl ein Stück heraussprengt), während er nur bei durchwegs gleichmäßiger Wandstärke, aller Wahrscheinlichkeit nach, eine heftige Explosion veranlaßt.113) Dagegen kann das Bersten eines Kessels sehr wohl die Veranlassung (durch die plötzliche Entlastung) zu einer Explosion werden; der Kesselbruch wird dann zur Kesselexplosion. 2. Elektricitätswirkungen. Andraud 114) glaubt, daß sich beim Verdampfen des Kesselwassers Elektricität entwickelt, welche unter Umständen die Fähigkeit erlangt zu explodiren. Er empfiehlt in die Kessel Blitzableiter anzubringen. Jobard115) meint, daß die beim Verdampfen gebildete Elektricität unter Umständen sich in den zahlreichen Messingröhren wie in einer Ladungsflasche sammelt und so die verheerendsten Explosionen gibt. Auch Tassin 116), Wilke 117), Hofmann 118), Schiele 119) und Andere120) glauben, daß bei den Dampfkesselexplosionen Elektricität im Spiele sei. Dabei ist offenbar übersehen, daß die etwa freigewordene Elektricität sich doch nur an der Oberfläche des Kessels sammeln könnte, welche aber nie isolirt ist; außerdem ist nicht einzusehen, wie Elektricität explodiren soll. Lardner121) erklärt die Explosion einer Locomotive durch einen Blitzschlag, welcher die Kesselwände so stark erhitzt hätte, daß in Folge der plötzlichen Dampfentwicklung die Explosion erfolgte, – eine Angabe, die doch bezweifelt werden muß. Nicht glücklicher ist die Hypothese von Wilder 122), daß die Explosionen von plötzlich frei werdendem Wärmestoff herrühren. 3. Knallgasexplosionen. Schon Perkins 123) glaubt, daß die Explosionen häufig durch Wasserzersetzung bewirkt werden und Mackinnon 124), daß durch die glühenden Kesselwände Wasserstoff entstehe; durch Oeffnen des Ventiles dringt dann Luft in den Kessel und das so gebildete Knallgas entzündet sich an den Kesselwänden. Du Mesnil 125) meint, daß sich durch Oeldämpfe und Wasserzersetzung Wasserstoff bildet, der mit dem im Speisewasser enthaltenden Sauerstoff Knallgas gibt, welches durch die reichlich erzeugten elektrischen Funken entzündet wird und den Kessel sprengt. Auch Schiele 126) glaubt, daß in den Kesseln durch Aufwallen elektrische Funken erzeugt werden (wie in den Wolken der Blitz) und das Knallgas entzünden. Jobard127) gibt an, daß durch die glühenden Kesselwände Wasser zerlegt wird, oder durch Zersetzung der im Speisewasser enthaltenen organischen Stoffe sich eine Art Schwaden bildet; taucht nun das Rohr zur Speisepumpe nicht unter Wasser, wird also Luft in den Kessel gepumpt (?), so entzündet sich das Knallgas durch elektrische Funken oder durch die glühenden organischen Massen. Hipp128) erklärt die Knallgasbildung sogar für die einzige Ursache der Kesselexplosionen, wird aber von Grashof 129) gründlich widerlegt. Schon die Versuche der Kommission des Franklin-Institutes in Pennsylvania130) haben ergeben, daß Wasser in einem rothglühenden Kessel, dessen Oberfläche zwar rein, aber nicht metallisch glänzend ist, nicht zersetzt wird, und Schafhäutl 131) hat gezeigt, daß 1 Volum Knallgas mit 0,7 Volum Wasserdampf gemischt schon nicht mehr explodirt. Allerdings theilt Parkes 132) mit, daß sich beim Ausblasen eines noch heißen Kessels ein brennbares Gas entwickelt habe, welches sich beim Oeffnen des Mannloches an einer Flamme entzündete; während des Betriebes können sich aber offenbar höchstens geringe Spuren von Wasserstoff bilden. Aber selbst wenn größere Mengen brennbarer Gase entwickelt wären, würden diese doch so sehr durch den Wasserdampf verdünnt, daß auch bei hinreichender Zufuhr von Luft und bei glühenden Kesselblechen – die Annahme von elektrischen Funken ist völlig absurd – an eine solche Explosion nicht zu denken ist. Woolf und Taylor 133) vermuthen schon eine Gasexplosion in den Zügen. Bedeckt der Heizer mittags oder abends die noch glühenden Kohlen mit einer dicken Schicht Kohlenklein oder Asche und schließt das Register des Schornsteines, so können sich nach Jobard 134) Gase bilden, welche beim Oeffnen der Thüre und Anschüren des Feuers explodiren und den Kessel Zerstören. Auch Hänel 135) und Wabner 136) betonen die Gefährlichkeit einer derartigen Explosion in den Feuerzügen. Daß sich in den Zügen brennbare Gase sammeln können, ist bekannt; daß aber die Explosion derselben kräftig genug sein soll, den Kessel auseinanderzutreiben, ist sehr unwahrscheinlich. Wohl aber könnte sie unter Umständen (vergl. die unter 1, 5 und 7 angegebenen Ursachen) die mittelbare Ursache einer Kesselexplosion werden. Jedenfalls gebietet es die Vorsicht nach einer Arbeitspause erst das Register und dann die Feuerthüre zu öffnen, um so die Gase abzuführen. 4. Leidenfrost'sches Phänomen. Boutigny 137) sieht als häufige Ursache der Kesselexplosionen den sogenannten vierten oder sphärischen Zustand des Kesselwassers an.138) Eine weißglühende Metallkugel in Seifenwasser gesenkt, umgibt sich mit einer Dampfhülle und erzeugt weder beim Einsenken, noch einige Zeit nachher irgend ein Geräusch. Verschwindet beim Abkühlen der Kugel die Dampfhülle, so findet durch plötzliche Dampfentwicklung eine Explosion statt, die oft das Gefäß zerschmettert. A. W. Hofmann 139) hat dieses umgekehrte Leidenfrost'sche Experiment zu einen schönen Vorlesungsversuch umgestaltet. Barret 140) meint, daß unreines Wasser in Dampfkesseln sich zu solchen hohlen (?) Kugeln gestaltet, welche beim Zerplatzen eine starke Spannung ausüben. Normandy141) glaubt zwar einen derartigen Kugelzustand in einem Dampfkessel beobachtet zu haben; dennoch ist es sehr unwahrscheinlich, daß eine solche Erscheinung in einem Dampfkessel überhaupt vorkommen und zu einer Explosion führen kann. 5. Siedeverzug. Dufour 142) hat gezeigt, daß Wassertropfen von 10 Millim. Durchmesser, die im Oel schwimmen, auf 175° erhitzt werden können ohne Dampfbildung. Er wies ferner nach, daß durch Druckverminderung erhebliche Siedeverzüge eintreten können. Donny 143) gelang es luftfreies Wasser unter gewöhnlichem Druck auf 135° zu erhitzen. Bekannt sind ferner die entsprechenden Beobachtungen von Schmidt 144), Krebs 145) Tyndall 146) und Gräger.147) Dufour schließt aus seinen Versuchen, daß während des Stillstandes der Maschine durch die Abkühlung des Dampfraumes die Dampfspannung geringer wird, obgleich das Wasser noch eine höhere Temperatur beibehält. Durch Erschütterung, Oeffnen des Ventiles u. dgl. tritt dann plötzliches Sieden und massenhafte Dampfbildung ein, welche dem Kessel verderblich werden kann. Heinemann148), Kirchweger149), Rühlmann150) und Reiche 151) stellen zwar die Möglichkeit eines Siedeverzuges in Abrede; Werner 152) Froning 153), Ludewig 154), Blum 155) Scheffler 156), Jacobi und Fuhst 157), Langen und Stühlen 158) sowie Wittmann 159) vertheidigen dieselbe. Da ferner Burnat 160) und Mayer 161) an Dampfkesseln selbst erhebliche Siedeverzüge beobachtet haben, so muß die Möglichkeit eines Siedeverzuges, namentlich wenn das Wasser luftfrei oder fettig162) ist, jedenfalls zugegeben werden. Ob aber hierdurch allein ein guter Kessel zerstört werden kann, ist fraglich, beim Zusammentreffen mit den unter 1, 6 und 7 genannten Ursachen könnte ein solches stoßartiges Sieden jedoch sehr wohl die Veranlassung zu einer Explosion werden. Donny163) schlägt zur Vermeidung eines Siedeverzuges vor, einen feinen Luftstrom in den Kessel einzublasen, Stiehl's Explodicautor164) saugt etwas Wasser auf und läßt es wieder fallen; Cohn 165) hat Versuche über die Anwendung der Elektricität gemacht. Williams166) behauptet, daß flüssiges Wasser stets die Temperatur schmelzenden Eises habe; die scheinbare Wärme von erhitztem Wasser rühre nur von den im Wasser vertheilten Dampftheilchen her. Er glaubt, daß zuviel Wasser im Kessel bei Oeffnen des Ventiles zur Explosion führen kann. Wie ungereimt diese Angaben sind, wurde schon von Meidinger 167) gezeigt. 6. Plötzliche Entlastung. Parkes 168) hebt hervor, daß von 23 beobachteten Explosionen 19 in dem Augenblicke stattfanden, als die Maschine in Gang gesetzt werden sollte; andere Kessel explodirten, als man das Sicherheitsventil öffnete. Die Versuche, welche im Auftrage des Finanzdepartements der Vereinigten Staaten von einer Kommission des Franklin-Institutes in Pennsylvania über die Kesselexplosionen angestellt wurden169), haben schon ergeben, daß, wenn man eine Oeffnung im Kessel anbrachte, an der Stelle, an welcher der Dampf entwich, zuerst ein örtliches Aufschäumen eintrat, dem schnell durch den ganzen Kessel ein gleiches Aufschäumen folgte, welches um so heftiger war, je mehr die Oeffnung erweitert wurde. Der kleine Kessel wurde durch das Oeffnen des in der Mitte angebrachten Sicherheitsventils vollkommen mit Schaum erfüllt, so daß das Wasser mit Heftigkeit herausgeschleudert wurde. Vergleiche auch die bemerkenswerthen Versuche des Breslauer Ingenieurvereins.170) Von einem Fabrikanten in Bordeaux171) wird die Explosion des Dampfbootes „Citis“ dadurch erklärt, daß beim Oeffnen des Ventiles die bis dahin ruhige Dampfentwickelung in ein tumultarisches Kochen überging, das aufgeblähte schlammige Wasser den Ausgang versperrte (da die Ventile für die Entweichung von Dampf und nicht für das dichtere Wasser construirt sind) und der Kessel der zunehmenden Spannung nicht widerstehen konnte. Reiche172) glaubt dagegen, daß durch plötzliches Oeffnen eines Ventiles, durch Bruch eines Rohres u. dgl. eine starke Schaumbildung eintritt, so daß nicht nur Dampf sondern auch sehr viel Wasser entleert wird. Der Kessel explodirt an „Wassermangel“; wie – ist leider nicht angegeben. Wird die Dampfspannung in einem Kessel plötzlich vermindert, sei es in Folge von Abkühlung durch Wasser173), durch Oeffnen eines Ventiles, Bersten eines Rohres, so entsteht eine heftige Dampfentwickelung, wodurch das Kesselwasser unter Umständen mit solcher Gewalt gegen die Wandungen geschleudert wird, daß diese dem Stoße nicht widerstehen können. Diese Ansicht ist wohl zuerst von Colburn 174) aufgestellt, von Bergius, Hofmann 175), Werner 176) und Kurz 177) unterstützt worden. Namentlich zeigt Grashof 178), daß in Folge plötzlicher Dampfentwicklung nach eingetretener relativer Ueberhitzung des Wassers die Sprengung eines Dampfkessels sehr wohl stattfinden kann. Ein allmälig gesteigerter Druck hat, wie schon erwähnt, nur einen nach und nach sich erweiternden Riß an der schlechtesten Stelle des Kessels zur Folge; ein stoßweiser Druck kann dagegen ein augenblickliches Bersten des Kessels an vielen Stellen bewirken. Das Wasser wird plötzlich unter einfachen atmosphärischen Druck versetzt, es entwickelt sich eine ungeheure Dampfmenge, die im Augenblick der Bildung den Druck hat, welcher der Temperatur des Wassers entspricht, aus dem er entstanden ist; die im Wasser aufgespeicherte Wärme wird in Arbeit umgesetzt, welche die gewaltige Zerstörung hervorbringt; der Kesselbruch wird so zur Kesselexplosion. Kayser179) glaubt dagegen, daß die bei plötzlicher Entlastung auftretenden explosionsartig freiwerdenden Dampfmassen, einen so heftigen Stoß auf die Wandungen ausüben können, daß diese gesprengt werden. Während Grothe 180), Kirchweger 181) solche plötzliche Dampfentwicklungen in Abrede stellen, auch Cohn 182) angibt, daß er bei plötzlicher Entlastung keine erheblichen Stöße beobachtet habe, schließen sich Giesberg 183), Jacobi 184), Heinemann 185), Welkner 186) u.a. dieser Kayser'schen Theorie im Wesentlichen an. Ludewig187) zeigt, daß die Theorien von Dufour und Kayser sich keineswegs ausschließen, sondern ergänzen. Während bei Dufour das Oeffnen des Sicherheitsventils u.s.w. nur mittelbare Ursache der Explosion ist, tritt bei Kayser durch das Oeffnen unmittelbar in Folge des verminderten Druckes die Explosion ein. Aehnlich Hrabak 188) und Schröder.189) 7. Erschütterungen der Kesselwände. Schafhäutl 190) hat etwa 5 Centim. lange Glasröhren zum vierten Theile mit Wasser gefüllt, verschlossen und in geschmolzenes Zink (Schmelzpunkt 412°) getaucht. Sie hielten den ungeheuren Druck von etwa 400 Atmosphären aus, explodirten aber mit großer Heftigkeit, wenn sie von einer longitudinal schwingenden Eisenstange berührt wurden. Er glaubt, daß übermäßige Dampfspannung allein keine Explosion herbeiführt, daß diese aber durch vibrirende Bewegung der Kesselwände eintreten kann und auch schon eingetreten ist, z.B. durch den Schlag eines Hammers, ja durch einen kleinen Stein, welcher gegen die Wand eines Kessels geschleudert wurde. Aehnliche Versuche hat Gensoul 191) gemacht. Daß eine solche Erschütterung allein im Stande ist, einen Kessel zu zerstören, ist sehr zweifelhaft; beim Zusammentreffen mit den unter 1 und 5 genannten Ursachen kann sie jedoch dem Kessel gewiß verderblich werden. 8. Glühende Kesselwände. Es ist auffallend, daß noch so oft die zur Explosionsarbeit erforderliche Wärme nicht im Kesselwasser, sondern in den überhitzten Kesselwänden gesucht wird. – Eine solche Ueberhitzung kann eintreten durch Wassermangel oder durch Kesselsteinbildungen und Schlammablagerungen. Wassermangel. Sinkt nach Earle und Anderer Angabe192) das Wasser unter die Feuerlinie, so wird der nicht mehr benetzte Theil der Feuerfläche des Kessels glühend. Wird nun gespeist, legt sich bei Schiffskesseln das Schiff auf die Seite, oder kommt durch eine andere Ursache Wasser mit den glühenden Kesselwänden zusammen, so soll plötzlich soviel Dampf erzeugt werden, daß die Explosion unvermeidlich ist. Allerdings ergaben die Versuche der Kommission des Franklin-Institutes193), daß beim Einspritzen von Wasser in einen rothglühenden kleinen Versuchskessel in kurzer Zeit ein starker Druck entstehen kann, dagegen hat schon Tassin 194) durch Einpumpen von Wasser in einen rothglühenden Dampfkessel keinen anderen Erfolg erreicht, als daß sich die Kesselwände verbogen. Neuere Versuche195) mit einem glühenden Kessel ergaben, daß beim Einlassen des Speisewassers das überhitzte Eisen zusammengezogen wurde und sämmtliche Niete Wasser entweichen ließen. Auch die Versuche von Fletcher 196), sowie jene der Pennsylvania-Eisenbahngesellschaft197) haben gezeigt, daß eine Explosion eines überhitzten Kessels durch plötzlich eingelassenes Speisewasser nicht wohl möglich ist. Aehnliche Beobachtungen sind von Oechelhäuser 198) und Böcking 199) gemacht. Die Angabe200), daß durch die glühenden Kesselwände überhitzter Dampf durch zugeführtes Wasser in gesättigten Dampf von so hoher Spannung übergehe, daß die Explosion erfolge, ist schon durch die Versuche des Franklin-Institutes201) widerlegt. Perkins202) glaubt, daß bei niedrigem Wasserstande der Dampf so stark überhitzt werden kann, daß der obere Theil des Kessels, ja selbst der unter Wasser befindliche dadurch rothglühend (?) wird. Beim Oeffnen eines Ventiles nimmt das Wasser diese Hitze auf und bildet augenblicklich soviel Dampf, daß der Kessel diesem Druck nicht widerstehen kann. Aehnlich Marestier 203) und Loyer.204) Nicht glücklicher ist die Hypothese von Sawyer 205), daß sich das Niveau des Wassers im Dampfkessel in Folge des ungleichen Druckes auf seine Oberfläche ändert, ein Theil der Kesselwände blosgelegt und überhitzt wird und so zur Explosion Veranlassung gibt. Kesselstein und Schlammablagerungen. Daß Kesselbleche, welche mit dicken Krusten bedeckt sind, glühend werden können, ist längst bekannt. Heben sich diese Ablagerungen über glühenden Blechen plötzlich ab, so soll durch die heftige Dampfentwicklung eine Explosion eintreten können.206) Cousin 207) behauptet sogar, daß, wenn es gelänge, die Bildung von Krusten in den Kesseln zu verhindern, keine Explosion mehr entstehen könnte. Williams208) schließt aus seinen Versuchen, daß die krystallinischen festen Kesselsteine weniger gefährlich sind, weil sie die Wärme weit besser leiten als die porösen, welche sich durch Festsetzen des Schlammes bilden. Auch Peschka 209) hält die Schlammanhäufungen für gefährlicher als die festen Krusten. Wenn es auch bezweifelt werden muß, daß durch die beim Heben der Absätze gebildeten Dämpfe allein der Dampfkessel explodiren kann, so ist doch sehr leicht möglich, daß die plötzlich abgekühlten Bleche einen Riß bekommen. Auch die indirecte Gefahr, daß glühendes Eisen eine weit geringere Festigkeit hat als nicht überhitztes, daß die Platten durchbrennen oder doch weit rascher abgenützt werden, als dieses ohne Wassermangel und Kesselsteinbildungen geschehen wäre, ist nicht zu unterschätzen. Nach den Versuchen der Commission des Franklin-Institutes210) leistet rothglühendes Eisenblech nur noch 1/6 des ursprünglichen Widerstandes; doch soll angeblich die Festigkeit ihr Maximum bei einer Temperatur erreichen, welche höher liegt als die gewöhnlichen Temperaturen des Dampfes. Auch nach Wertheim 211) sollen einige Metalle – besonders das Eisen – ein Maximum der Elasticität in mittlerer Temperatur besitzen. Nach einer anderen Angabe212) ist das Eisen bei 300° um 16 Proc. fester als im kalten Zustande. Nach Kupfer 213) ist die Abnahme der Elasticität für jeden Grad in Theilen des Ganzen ausgedrückt:
Für Eisen = 0,00055   „  Kupfer = 0,00082   „  Messing = 0,00039.
Besonders bemerkenswerth sind aber die neuen Versuche von F. Kohlrausch 214) und Loomis. Wenn der Elasticitätsmodulus bei 0° mit E° bezeichnet wird, so ist derjenige bei der Temperatur τ:
Für Eisen: E = E° (1 – 0,000447τ – 0,00000012τ²)   „  Kupfer E = E° (1 – 0,000520τ – 0,00000028τ²)   „  Messing E = E° (1 – 0,000428τ – 0,00000136τ²)
Bezieht man sich bei der Definition des Elasticitätsmodulus nicht auf die Masse der Längeneinheit sondern auf den Querschnitt, so ändern sich die Factoren von τ bei Eisen in 0,000483, bei Kupfer in 0,000572, bei Messing in 0,000485. Hiernach nimmt die Elasticität bei einer Erwärmung von 0° auf 100° ab:
Bei Eisen um 4,6 resp. 5,0 Proc.   „  Kupfer  „   5,5   „    6,0    „   „  Messing  „   5,6   „    6,2    „
wobei sich die zweiten Zahlen auf die zweite Definition des Elasticitätsmodulus beziehen. Die Angabe, daß diese Metalle bei mittlerer Temperatur ein Maximum der Elasticität besitzen, ist also nicht richtig. Auch die neueren amerikanischen Explosionsversuche215) haben gezeigt, daß die Widerstandsfähigkeit der Kesselbleche gegen den Dampfdruck durch Erhitzen derselben ganz bedeutend vermindert wird. Durch Ueberhitzen der Kesselwände wird die Zähigkeit des Metalles auch bleibend vermindert, und zwar beträgt die Festigkeit des überhitzten Eisens nach den Versuchen eines Comite's216) nur noch 2/3 der ursprünglichen Stärke; das Nieten vermindert die Festigkeit ebenfalls um 1/3, so daß Kesseleisen keinem größerem Drucke ausgesetzt werden sollte als dem fünften Theile seiner Normal-Festigkeit. Schafhäutl 217) hat gefunden, daß ein Kessel, der anfangs mit 20 Atmosphären arbeitete, nachdem er bei niedrigem Wasserstande überhitzt war, schon bei 12 Atmosphären explodirte. Das überhitzte Eisen war stark schwefelhaltig geworden. Auch die Gefahr der Schwefelaufnahme aus kieshaltigen Kohlen steigert sich also bei höheren Temperaturen ganz wesentlich. Ward218) stellte an zwei Kesseln Temperaturbeobachtungen an. Er fand unter der Wasserlinie 131°, 6 und 135°,5, im Dampfraume zwischen 201° und 260° (wohl in Folge von Strahlung der Kesselwände). Der Wasserspiegel oscillirte um 15 Centim. auf und ab, so daß an einzelnen Stellen des Kessels ein von 128° stattfand. Daß derartige Temperaturunterschiede und somit auch die durch die verschiedenen Ausdehnungen der einzelnen Kesseltheile bedingten Spannungen beim Ueberhitzen der Bleche wesentlich vergrößert werden, liegt auf der Hand. Erhitzte Kessel explodiren dem entsprechend auch weit leichter als durch kalten Druck. So explodirte ein Kessel, der mit kaltem Wasser bei 9 Atmosphären Druck probirt war, am anderen Tage schon bei 3 Atmosphären.219) Die kalte Druckprobe wird daher auch von vielen Seiten als völlig werthlos bezeichnet.220) Berücksichtigt man schließlich den durch die Kesselsteinbildungen verursachten großen Verlust an Brennmaterial – nach Cousté 221) 40 Procent – sowie daß unreines Wasser oft stark schäumt, Wasserstandsapparate und Manometer verstopft, ja daß der Schlamm selbst in die Maschinentheile mit hinübergerissen wird222), so hat man Grund genug Kesselsteinbildungen und Schlammablagerungen zu den gefährlichsten Feinden des Dampfkesselbetriebes zu zählen.223)