Titel: | Ueber eine mit großer Geschwindigkeit arbeitende Doppel-Seidenzwirnmaschine von Duseigneur-Kleber aus Lyon; Bericht von Alcan. |
Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. XXIII., S. 171 |
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XXIII.
Ueber eine mit großer Geschwindigkeit arbeitende
Doppel-Seidenzwirnmaschine von Duseigneur-Kleber aus Lyon; Bericht von
Alcan.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, September 1873, S. 494.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Duseigneur-Kleber's
Doppel-Seidenzwirnmaschine.
Die Anwendung der Seide in ihrem Rohzustande, so wie man sie durch Abhaspeln von den
Cocons gewinnt, ist bekanntlich sehr beschränkt. Dieser Stoff erhält seine
Biegsamkeit, seinen Glanz, seine Weiße, mit einem Worte seinen ganzen Werth erst,
nachdem er „entschält“, d.h. durch Auskochen von den seine
natürlichen Fäden einhüllenden fremden Körpern, welche 25 bis 26 Procent seines
Gewichtes ausmachen, befreit worden ist. Damit aber diese Fäden die mehr oder
weniger lang andauernde Procedur der Reinigung in einer kochenden Seifenlösung
aushalten können, ohne sich zu trennen und in Flockseide zu verwandeln, ist es
unumgänglich nothwendig, sie zu consolidiren, indem man eine gewisse Anzahl
derselben durch Zusammendrehen auf der sogenannten Zwirnmühle vereinigt. Daher die
Bezeichnung „Mouliniren“ für die Procedur, welche den Zweck
hat, der Rohseide nicht allein eine größere Festigkeit, sondern auch den
ausgekochten Fäden jenes eigenthümliche Aussehen zu ertheilen, welches in dem fertigen Gewebe das
sogenannte „Korn“ bildet. Fünf successive Umwandlungen
charakterisiren den Vorgang des Moulinirens: 1) das Aufspulen der Strähne, (le Tavelage); 2) die Befreiung der Fäden von Flöckchen,
Knoten, Unregelmäßigkeiten u.s.w. während eines zweiten Aufspulens (la purge); 3) die erste Drehung der isolirten Rohseide
(le filage); 4) die Vereinigung zweier solcher
gedrehten Fäden auf einer und derselben Spule (le doublage); 5) die Drehung dieses
doublirten Fadens in einer jener ersten Drehung entgegengesetzten Richtung, wodurch
die Organsinseide entsteht, die zur Kette der Seidenzeuge dient.
Man hat sich nun stets, wiewohl ohne entsprechenden Erfolg, bemüht, mehrere dieser
Operationen gleichzeitig auszuführen, um die Kosten der Gerätschaften, die Ausgabe
für Arbeitslohn und den Abfall zu vermindern, und eben so wenig wollte es gelingen
behufs einer stärkeren Production die Geschwindigkeit der Spindeln zu vermehren. Die
höchste Geschwindigkeit der letzteren beim Mouliniren der Seide übersteigt nicht
2500 Umdrehungen per Minute, während sie für
Baumwoll- und Leinengarne, die doch weniger widerstandsfähig als Seide sind,
6000 bis 7000 Umdrehungen erreicht. Um diesen Unterschied zu erklären, beruft man
sich gewöhnlich auf die Verminderung der Qualität der mit einer großen
Geschwindigkeit der Spindeln bearbeiteten Seide. Aber Thatsachen, welche wir unten
näher bezeichnen werden, liefern den Beweis, daß diese Annahme durchaus jeden
Grundes entbehrt. Der wirkliche Grund der den Spindeln ertheilten geringeren
Geschwindigkeit, sowie der unregelmäßigen Spannung von einer Spindel zur anderen,
welche bezüglich einer guten Doublage und der Erzeugung einer vollkommenen
Organsinseide so nachtheilig sich erweist, liegt in der Beschaffenheit des
„coronelle“ genannten
Organes. Man bezeichnet mit diesem Namen ein Hütchen mit Flügeln aus Stahldraht, das
sich auf dem oberen Ende der verticalen Spulenachse frei bewegt. Von den beiden an
das Hütchen befestigten Flügeln ist der eine abwärts, der andere aufwärts gebogen;
jeder derselben endigt sich in ein Oehr. Der von der verticalen Spule sich
abwickelnde Seidenfaden läuft in diagonaler Richtung von dem unteren nach dem oberen
Oehr, um sich auf die zu seiner Aufnahme bestimmte horizontale Spule zu wickeln. Der
Flügel, welcher um die Spindel rotirt und zugleich parallel zu deren Achse sich
bewegt, veranlaßt eine Drehung und eine Spannung, die erstere proportional der Zahl
seiner Umdrehungen, die letztere im Verhältniß der größeren oder geringeren
Amplitude seiner senkrechten Bewegung.
Die Leistungen dieses Organes lassen jedoch manches zu wünschen übrig. Will man die
Geschwindigkeit der Spindeln und der Flügel erhöhen, um die Production zu vermehren,
so wird die Wirkung der Centrifugalkraft auf die Arme der Vorrichtung bald so groß,
daß diese sich strecken und der Faden reißt, bevor die Geschwindigkeit von 3000
Umdrehungen per Minute erreicht ist. Selbst dann, wenn
man die gewöhnliche Grenze von 2000 bis 2500 Umdrehungen nicht überschreitet, ist
die Uebertragungsbewegung unter dem Einflusse der Streckung des Fadens durchaus
nicht für alle Spindeln die gleiche; daher die Unregelmäßigkeit der Spannung und
jene unter dem Namen „travelages“
und „bouclages“ wohl bekannten und
für die nachfolgenden Operationen bis zum fertigen Gewebe so nachtheiligen Fehler.
Man hat schon öfters den Versuch gemacht, die Apparate von dieser fehlerhaften und
unlenksamen Flügelvorrichtung zu emancipiren; aber bei dem bisher befolgten
Verfahren fiel der Faden herab, wickelte sich um den Hals der Spule und riß.
Diesem Uebelstande nun hat Hr. Duseigneur-Kleber
durch ein einfaches Mittel abgeholfen. Er gibt nämlich den Spulen eine doppelt oder
dreimal so große Geschwindigkeit, als die gebräuchliche. Bei der directen Spannung,
welche der Faden durch die Schnelligkeit seiner Entwickelung erhält, kann das
Flügelhütchen füglich wegfallen, und mit ihm fallen nicht nur die oben bezeichneten
Uebelstände hinweg, sondern man ist außerdem im Stande, auf dem
Organsin-Filatorium gleichzeitig zu doubliren und zu drehen. Die beiden Fäden
werden, indem sie sich anfangs einzeln, dann vereinigt und gezwirnt, nach dem
aufnehmenden Organ hinbewegen, dergestalt geführt, daß sie auf allen successive
gedrehten Punkten immer gleich gespannt sind. Anstatt also in zwei Operationen zu
doubliren und zu drehen, vereinigt Duseigneur die beiden Spulen, deren Fäden
zusammengezwirnt werden sollen, direct auf der Zwirnmühle und gibt den verschiedenen
Organen, nämlich der Abwickelspule (fourinsseur), der
Aufwickelspule (envideur) und der Zwirnspule (retordeur) die nämliche beschleunigte Geschwindigkeit.
Von nun an ist kein Grund mehr zu der Annahme vorhanden, daß die auf beide Enden
wirkende Spannung nicht äquilibrirt sey und daß sie die beim gewöhnlichen Verfahren
allzuhäufig vorkommenden Schwankungen nicht vollständig beseitige.
Um nachzuweisen, daß die große Geschwindigkeit auf die Seide eben so wenig als auf
die anderen Textilstoffe einen nachtheiligen Einfluß ausübe, ließ Duseigneur einen Apparat nach seinem System construiren,
auf welchem die Spindeln mit einer nach Willkür veränderlichen Geschwindigkeit von
2000 bis 28000 Umdrehungen per Minute rotiren konnten. Er bearbeitete
mit demselben unter den Augen der Mitglieder der Lyoner Handelskammer Seide von
einem ungewöhnlich hohen Feinheitsgrad (titre) unter
ungeheuren Geschwindigkeiten, ohne daß der Faden gerissen wäre, oder die Seide die
geringste Veränderung erfahren hätte.
Das neue System ist bereits in 4 Filatorien, worunter eines in Italien, eingeführt.
Diese Etablissements haben seit 2 Jahren Organsinseide für mehr als 4 Millionen Fr.
verarbeitet. Die Geschwindigkeit ihrer Spindeln wechselt von 6500 bis 8000
Umdrehungen per Minute. Man wird den Dienst, welchen Duseigneur der Industrie durch seine Erfindung leistet,
würdigen, wenn man bedenkt, daß die allgemein gebräuchliche Geschwindigkeit die Zahl
von 3000 Umdrehungen nicht erreicht, daß die fünf alten Operationen des Moulinirens
dadurch auf vier, und die Abfälle mindestens in gleichem Verhältnisse reducirt sind.
Mit einem Worte, die Anwendung des neuen Systemes vermehrt die Production und
erzielt ein vollkommeneres Product, während sie zugleich die Kosten bedeutend
vermindert; sie gestattet das Mouliniren der Fäden in einer durch das gewöhnliche
Verfahren unerreichbaren Feinheit. Mittelst Einführung einiger Modificationen lassen
sich die älteren Zwirnmühlen für den neuen Dienst einrichten. Die allgemeinere
Einführung des Duseigneur'schen Systemes wird einen neuen
Fortschritt unserer schönen und wichtigen Seidenindustrie bezeichnen.
Der in Rede stehende Apparat ist in Fig. 10 im Profil, in
Fig. 11
in der Vorderansicht, und in Fig. 12 in einer der Fig. 11
entsprechenden unteren Ansicht skizzirt.
A, A, verticale Spulen, welche die abzuwickelnden
Rohseidefäden enthalten;
B, B ihre Spindeln;
C Laufriemen, welche die letzteren in Rotation
setzen.
D horizontale Schienen aus Holz.
E, E schräge, an die Schiene D befestigte Glashaken.
G stählerner Doppelhaken, um einen an die Schiene D befestigten Zapfen drehbar.
H, eine hinter der Spule A
angebrachte horizontale Schiene mit hin- und hergehender Bewegung.
I, ein an die letztere befestigter Glashaken.
J horizontale Spule, auf welche sich die beiden von der
Spule A kommenden Fäden wickeln.
K Walze, welche die Spule J
in Bewegung setzt.
L, L (Fig. 12) Stellschrauben,
welche eine Verschiebung der Spule um einige Millimeter vor- oder rückwärts
gestatten.
M, M Lager (coquettes
genannt), welche den Hals der Spindeln B tragen.
N compensirender Hebel, welcher sich gegen das hintere
Ende der Theile M, M anlehnt.
O Zapfen mit Schraubenmutter, um welchen der Hebel N drehbar ist.
Function des Apparates. – Die durch den Laufriemen
C in äußerst schnelle Rotation gesetzten Spindeln
B nehmen die beiden Spulen A mit. Die beiden in die Höhe gehenden Rohseidefäden gleiten zunächst über
die Haken E und von da über das Glasstäbchen F; dann legen sie sich in die beiden Schnäbel des
Doppelhakens G, kehren zum Stäbchen F zurück, legen sich in die Haken I und wickeln sich endlich bei L auf die Spule
J.