Titel: | Ueber Entfernung der städtischen Abfallstoffe. |
Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. XCVI., S. 387 |
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XCVI.
Ueber Entfernung der städtischen Abfallstoffe.
Ueber Entfernung der städtischen Abfallstoffe.
Das preußische Ministerium der landwirthschaftlichen Angelegenheiten hatte den Civilingenieur W. Lehfeldt
nach England gesendet, um zu ermitteln, wie sich dort die Verhältnisse in Bezug auf Verwerthung und Behandlung der Abfälle,
Excremente
etc. in neuester Zeit gestaltet haben. Nach den Erfahrungen, welche Lehfeldt in seinem kürzlich
erschienenen Bericht „Der gegenwärtige Stand der Abfuhr- und Canalisationsfrage in England (Berlin, Wiegandt und Hempel) mitgetheilt, herrscht nun in England über diese Frage noch
ebenso viel Unklarheit wie auf dem Continent. Tüchtige Männer sprechen sich für Canalisation aus, ebenso tüchtige für Abfuhr, andere für ein gemischtes System (Abfuhr und Canalisation neben einander),
wobei flüssige Hausabfälle, Küchenwasser etc. durch Canäle, die menschlichen Excremente dagegen durch ein geregeltes Abfuhrsystem
entfernt und verwerthet werden. Die unbedingte Canalisation, besonders wenn außer den gesammten menschlichen Excrementen und
Hausabfällen auch das Regen- und Gewitterwasser in die Canäle gelangt, hat entschieden gewaltig schwer wiegende Argumente
gegen
sich. Der Bau der kolossalen steinernen Canäle allein verschlingt Tausende und aber Tausende, wodurch bleibende Steuerlasten
erwachsen. Die nicht zu vermeidende Durchlässigkeit der steinernen Canalwände u.a. vergiftet das Untergrundwasser. Die genügende
Ventilation der Canäle, behufs Beseitigung der schädlichen Wirkungen der Gase, ist bis jetzt noch nicht erreicht worden, trotz
der
verschiedensten angegebenen und vorgeschlagenen Vorrichtungen. Das hinreichende Spülen und Schwemmen der Canäle behufs Entfernung
der
Absätze ist auch meist sehr schwierig, bei manchen Terrainverhältnissen nur mit Beseitigung von geradezu gewaltigen Hindernissen
zu
bewirken. Die große schwierige Frage, wie das Canalwasser zu reinigen und dabei zugleich ökonomisch zu verwerthen sey, ist
auch bis
jetzt noch ungelöst geblieben. Berieselung auf das Land gilt nach den bisherigen Erfahrungen als Regel nicht für eine solche
Lösung,
vielleicht einige ganz besonders günstige Fälle ausgenommen, wo aber dann meistens die Reinigung nachstehen muß. Der Werth
der
Ländereien in der Nähe größerer Städte wächst von Jahr zu Jahr, und die Leitung nach entfernteren Ländereien kostet zu viel.
Die
passende genügende Vorbereitung zur Aufnahme des Canalwassers mit der meistens unerläßlichen gründlichen Tiefdrainage macht
die
Anlagen stets sehr kostspielig. Kommt nun erst noch das Pumpen mittelst Dampfkraft der gewaltigen Canalwassermengen und womöglich
auf
bedeutende Höhen hinzu, so wird der Nutzen der Berieselung gewiß illusorisch.
Was nun die Belästigung durch Canalwasserfarmen betrifft, so läßt sich solche durch Berieselung allein, wie Lehfeldt sich entschieden überzeugt hat, nicht vollständig vermeiden. An den Punkten, wo das Canalwasser die städtische
Leitung verläßt, um auf's Land zu treten, muß es die Geruchsorgane belästigen, wenn nicht vorher die Leitungen selbst Genügendes
darin
geleistet haben. Die sogenannten Absatzbassins müssen und werden stets entsetzliche Gerüche verbreiten, wenn nicht durch chemische
Mittel nachgeholfen, desinficirt wird, oder die dichtgeschlossenen Reservoirs durch hohe Schornsteine und continuirlich unterhaltene
Feuer desodorisirt werden, wodurch dann aber wieder Ausgaben entstehen.
Das theilweise angewendete Trennen der festen Excrementalstoffe von den
flüssigen ist gewiß ein Fortschritt zu nennen der allerdings wieder Geld kostet und bei welchem Desinfection der festen Stoffe
ebenfalls unerläßlich ist. Das Vertheilen auf den Rieselfeldern selbst verursacht keine besondere Belästigung, nicht viel
mehr als
frischer Stalldünger, wenn nämlich die Berieselung und alle damit zusammenhängenden Arbeiten mit gründlicher Sachkenntniß
und
Gewissenhaftigkeit ausgeführt und nur mäßige Canalwassergaben auf einmal angewendet werden. Dabei müssen genügende und passend
gelegte
Drains und vor Allem eine hinreichend große Menge Landes vorhanden seyn, so daß nicht mehr als 20 bis höchstens 35 Menschen
pro Acre kommen. Daß dadurch für große Städte eine gewaltige Menge Landes und riesige Summen für
Leitungen, Ankauf und Vorbereitungen erforderlich werden, ist dann allerdings so selbstverständlich, daß es kaum angedeutet
zu werden
braucht.
Die Schwierigkeit der unbedingten Canalisation und damit zusammenhängenden Berieselung liegt eben darin, daß Reinigung mit
der
ökonomischen Verwerthung des Canalwassers Hand in Hand gehen soll. Reinigung allein ließe sich ja schon erzielen, wenn man
davon ganz
absähe, was es kostete, und ökonomische Ausnutzung allein auch schon in manchen günstigen Fällen, aber der Rieselfarmer soll
das
Canalwasser nehmen und reinigen, auch wenn er es nicht für seine ökonomischen Zwecke gebrauchen kann, bei Regenwetter und
im
Winter.
Besser stellt sich die Sache schon, wenn, wie bei dem Separatsystem, Regen- und Gewitterwasser und, so viel als praktisch
möglich, auch Untergrundwasser aus den Canälen fern gehalten werden. Diese können dann bedeutend kleiner seyn und besonders
aus
weniger porösem Material, aus glasirten Thon- und Eisenröhren bestehen. Die Ausgaben werden dadurch reducirt und das für Spülen
oder Schwemmen nöthige Gefälle wenigstens etwas besser ermöglicht. Ein Fernhalten oder Ausscheiden der festen Excrementalstoffe
würde
sich hierbei allerdings ebenfalls sehr empfehlen. Daß aber auch dieses System noch nicht vollkommen ist, steht fest.
Die bisher versuchten zahllosen Methoden, auf rein chemischem Wege die vollständige Reinigung und ökonomische Verwerthung
des
Canalwassers zu erreichen, sind bis jetzt leider noch von keinem durchschlagenden Erfolge gekrönt worden, wenn auch das sogenannte
ABC-Verfahren in seiner neuerdings verbesserten und vereinfachten Form und, wie es scheint, besonders der Phosphate-Sewage-Process als eine gewiß sehr willkommene Beihülfe bei Berieselung zu
begrüßen sind. Gewiß muß es gewünscht werden, daß für die Localitäten, wo einmal Canalisation und das damit zusammenhängende
Waterklosetsystem besteht, wo Berieselung auf das Land selbst, wenn mit
chemischer Beihülfe verbunden, aus den oben angeführten Gründen unthunlich ist, daß da durch die Chemie Abhülfe geschafft
werde. Es
ist dieses ein Wunsch, der auch von den enthusiasmirtesten Anhängern der Canalwasserberieselung in England getheilt wird.
Was nun die verschiedenen sogenannten „trockenen Methoden“ betrifft, so hat das Moule'sche trockene Erdsystem gewiß seine allgemein anerkannten unläugbaren Vortheile, besonders für kleinere Städte und mehr
isolirte Localitäten. Nur bietet das stete Bereithalten einer genügenden Menge trockener Erde von passender chemischer Zusammensetzung
unter Umständen große Schwierigkeiten. Diese werden allerdings sehr gemindert, wenn man statt der Erde trockene Asche von
Torf,
Braunkohle oder Steinkohle (letztere mit Erde gemischt) anwendet. Jede Küche und jeder Ofen liefert diese, und schon im Winter
läßt
sich für den Sommer ein genügendes Quantum, selbst bei ärmeren Leuten, von der besagten Asche aufspeichern.
Noch besser als diese angeführten Aschen würde sich allerdings pulverisirte Holz- und Torfkohle, (wo man sie haben kann) zum
automatischen Einstreuen mittelst des Aschenclosets eignen, da alsdann nur ein ganz geringes Volumen Kohlenpulver (nach Stanford bei Holzkohle 1/350 der zu desinficirenden Excremente) nöthig wäre. Wenn man erreichte, was mit
Recht so stark betont worden, daß erst alle die zahllosen Torfmoore mittelst praktischer Maschinerie etc. besser verwerthet,
zur
Fabrication von Torfkohle verwerthet würden, wodurch zugleich auch der Werth des Grundbesitzes jener armen Gegenden bedeutend
stiege
– so ließe sich dieses Kohlenpulver auch wohl so billig herstellen, daß seine Anwendung nicht nur für wohlhabendere Classen
möglich wäre.
Das billigste Mittel würde doch wohl immer noch Asche bleiben, zumal das separate Herausschaffen derselben auf städtische
Kosten bei
Anwendung des Aschenclosets gespart würde.
Selbstverständlich ist bei allen diesen trockenen Erd-, Aschen- oder Kohlenclosets ein regelmäßiges Tubbenabfuhrsystem
unerläßlich, wobei die Producte dann entweder direct an Landwirthe mit ermäßigter Bahn- oder, wo Flüsse vorhanden, per Wasserfracht abgegeben, oder zu Dünger mit Straßenkehricht, Abfällen der Schlachthäuser etc. gemischt,
verarbeitet würden.
Aehnlich, wie mit den trockenen Aschen-, Erd- oder Kohlenclosets verhält es sich betreffs regelmäßiger Abfuhr mit dem
Gouxsystem. Fabrikabfälle dürften entschieden nicht in die Flußläufe gelassen werden, ehe sie nicht gehörig desinficirt sind.
Bei
dieser Desodorisation resp. Desinfection, könnten auch werthvolle
Bestandtheile gerettet werden, wodurch sich die Ausgabe dafür theilweise reduciren ließe.
Was nun das einfache Tubbenabfuhrsystem betrifft, wie es nach dem Vorgange von Rochdale jetzt in Birmingham
eingeführt wird, und wie es in Kiel, in Straßburg und anderen Städten des Continents mit guten sanitären, wie ökonomischen
Resultaten
in Wirksamkeit ist, so ist dasselbe für alle die Städte zu empfehlen, wo Braunkohlen- oder Torfasche oder Holz-, resp.
Torfkohle, nicht billig zu erhalten sind, ferner für die Häuser aller ärmeren Einwohner, denen die Beschaffung des automatischen
Aschenclosets mit Siebvorrichtung zu kostspielig seyn würde. Das erstere (Aschen- etc. Closet) ist natürlich mehr zu empfehlen,
da dabei die Abfuhr seltener stattzufinden braucht, weil die durch passende Asche oder Kohle behandelten Excremente länger
ohne
Nachtheil liegen können!
Die Ventilation mittelst Schornsteinen oder entsprechenden Röhren würde aber auf alle Fälle bei beiden Modificationen unerläßlich
seyn,
ebenso wie die bei dem einfachen Tubbenabfuhrsystem vom Abfuhrpersonal bei jedesmaliger Auswechselung der Gefäße zu besorgende
einfache unschädliche Desinfection.
Für die flüssigen Küchenabfälle und Waschwässer (Gossensteinproducte) müßte, was bei jedem Abfuhrsystem in Städten unerläßlich
ist, die
einfache Leitung aus glasirten oder einfachen Röhren hergestellt, und deren Inhalt desinficirt und in den Flußlauf gelassen,
oder, wo
Acker, Anlage und Leitung etc. nicht zu kostspielig und sonst die Verhältnisse günstig sind, nach der Desinfection zur Berieselung
auf
Land, wenn auch mehr zur Befeuchtung, verwendet werden.
Das Regenwasser sollte durch die gewöhnlichen Rinnsteine seinen Weg nach dem nächsten Flußlauf nehmen, da es unschädlich ist
und
höchstens noch außerdem zur Reinigung der Straßen beiträgt.
Für die Städte, wo bereits Canalisation und Waterclosetsystem theilweise besteht, würde, ähnlich wie in Birmingham eine genügende
Steuer für jedes einzelne Watercloset zu stipuliren seyn, deren Gesammtertrag die Desinfection des Canalwassers, sowie einen
Theil der
durch die Extragröße der Canäle und sonstige Inconvenienzen bedingten Mehrausgaben wenigstens annähernd decken müßte.
Um nun das Ganze der Canalisation und Abfuhr zu beaufsichtigen, alle neueren derartigen Anlagen zu prüfen etc. müßte eine
aus
Regierungsbeamten, Aerzten, Chemikern, Architekten, Ingenieuren und vor allem Landwirthen bestehende Behörde ernannt werden,
eine neue
Art von Ober-Sanitätscollegium, welches bei allen streitigen Fragen das letzte entscheidende Wort zu sprechen hätte. In jeder Stadt müßte ferner ein Gesundheitsrath ernannt werden, der
mit dem Magistrat oder sonstigen städtischen Behörden Hand in Hand alle sanitären Bestimmungen für die localen Verhältnisse
zu treffen
hätte. Regierungsinspectoren, von dem Sanitätscollegium ernannt und ausgehend hätten die verschiedenen Städte und deren sanitäre
Einrichtungen zu besuchen, dem städtischen Gesundheitsrath mit ihren Erfahrungen in Rath und That zur Hand zu gehen und über
die
Ergebnisse ihrer Untersuchungen und Beobachtungen derart zu berichten, daß zuverlässige Notizen und Tabellen vom
Ober-Sanitätscollegium daraus zusammengestellt und deren Resultate dann zur allgemeinen Instruction veröffentlicht werden
können.