Titel: | Dampfmaschine mit selbstthätig variabler Expansion, von Gebrüder Sulzer in Winterthur. |
Fundstelle: | Band 207, Jahrgang 1873, Nr. XCIV., S. 349 |
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XCIV.
Dampfmaschine mit selbstthätig variabler
Expansion, von Gebrüder Sulzer in Winterthur.
Nach Engineering,
Januar 1873, S. 9 und 33.
Mit Abbildungen auf Tab.
VII.
Ventil-Dampfmaschine von Gebrüder Sulzer.
Auf der Welt-Ausstellung zu Paris im Jahre 1867 trat die bekannte Firma Gebrüder Sulzer in Winterthur zum ersten Male mit einer
neuen eigenartigen Dampfmaschinenconstruction hervor, welche damals mit einer
goldenen Medaille prämiirt wurde und seither schon vielfach mit dem besten Erfolge
bei großen und kleinen Maschinen in Ausführung gekommen ist.
Eine umfangreiche Reihe ausführlicher Versuche wurde vor 1 1/2 Jahren an der für die
Augsburger Kammgarnspinnerei von Gebrüder Sulzer
gelieferten Maschine (liegende Zwillingsmaschine mit Expansion und Condensation)
angestellt, und durch Professor Linde in München
veröffentlicht.Mitgetheilt im polytechn. Journal, 1871, Bd. CCI S. 481. Aus diesen Untersuchungen und den aufgenommenen vorzüglichen Diagrammen
ergaben sich höchst günstige Resultate, welche einen Dampfverbrauch (inclusive der
Dampfverluste) von höchstens 8,5 Kilogrm. pro Stunde und
indicirte Pferdekraft constatirten. Dieses Resultat ist ebensowohl der raschen und
präcisen Wirkung der Steuerventile zuzuschreiben, als der wohldurchdachten und
sorgfältigen Construction der Dampfmaschine überhaupt, wie sie von einigen kleinen
Aenderungen abgesehen
bei der in Paris ausgestellten, sowie bei allen später gebauten Dampfmaschinen
durchgeführt worden ist.
Um zunächst die Steuerung zu besprechen, wie sie bei der
vorliegenden, in Figur 1 bis 6 abgebildeten
Dampfmaschine gestaltet ist, so findet ähnlich wie bei der Corliß-Steuerung auch hier der Eintritt und Austritt des Dampfes an
jedem Ende des Cylinders durch eigene Ventile statt, von denen die Austrittsventile
stets dieselbe Bewegung erhalten, die Eintrittsventile aber unter dem Einfluß des
Regulators verschiedene Füllungen gewähren können.
Zu diesem Behufe ist parallel zum Cylinder die Steuerwelle gelagert, welche ihre
Drehung durch Kegelräder gleich auf gleich von der Maschinenwelle empfängt. Dieselbe
Steuerwelle bewegt zugleich den Regulator mittelst Zahnradübersetzung.
Auf der Steuerwelle sind zwei Daumen für die Auslaßventile und zwei Excenter, welche
die Einlaßventile öffnen, fest aufgekeilt. Die Wirkung der Daumen auf die
betreffenden Ventile bleibt immer unverändert und ist ohne Weiteres aus den
Abbildungen Fig.
1–5 zu verstehen.
Das Einlaßventil dagegen wird durch den Arm a, Fig. 6, des
Winkelhebels a, b gehoben, wenn der Schenkel b, an welchem die Stange c,
d befestigt ist, von dieser angezogen wird. Diese Stange ist bei e mit einem vorspringenden Anschlag versehen und am
unteren Ende mit dem Schwängel d, f verbunden.
Die Excenterstange l, l, welche oben durch eine drehbare
Hülse mit der Stange d, d in Verbindung gebracht ist,
trägt bei g eine Backe, welche bei Bewegung des
Excenters E auf der Steuerwelle S mit dem Anschlag e zusammentrifft und
letzteren herabzieht, wodurch das Ventil schnell geöffnet und so lange offen
gehalten wird, bis die Backe g den Anschlag e freiläßt. In diesem Momente wird das Ventil durch die
Wirkung der über der Ventilspindel angebrachten, bisher zusammengepreßten
Spiralfeder (Figur
5) sofort geschlossen und der Winkelhebel a, b
sowie die Stange c, d mit dem Anschlag e in die vorher innegehabte Stellung zurückkehren, bis
die Backe g erneuert auf den Anschlag e einwirkt.
Hat aber die Maschine in Folge stattgehabter Veränderung der Arbeitsleistung eine
größere oder geringere Geschwindigkeit angenommen, so hebt oder senkt sich der
Regulator und bringt durch die Stange h und den auf der
kurzen Welle m befestigten Winkelhebel i, k den Anschlag e an der
Stange c, d in eine etwas höhere oder tiefere Lage. In
Folge dessen wird sodann die Backe g den Anschlag e früher oder später auslassen, das Ventil also kürzere
oder längere Zeit offen gehalten und dadurch eine größere oder geringere Expansion erzielt.
Es lassen sich hier Füllungen bis zu 70 Procent mit gleicher Vollkommenheit
erreichen.
Die Ventile und die Ventilsitze sind aus Gußeisen specieller Mischung hergestellt.
Die Sitze können behufs Revision und Erneuerung bequem aus dem Dampfcanal
herausgenommen werden. Nach allen gemachten Erfahrungen ist aber der Verschleiß ein
kaum merklicher, daher ein Auswechseln höchst selten erforderlich wird. Es ist durch
die Construction auch für eine gleiche Ausdehnung der beiden Sitze und des
Ventilkörpers gesorgt, und dadurch die gewöhnlich wegen ungleichmäßiger Ausdehnung
entstehende Undichtheit der Doppelsitzventile glücklich vermieden.
Alle Steuerungstheile sind wie bei der bestangeordneten Corliß-Maschine sehr leicht zugänglich. Bezüglich der Ventile ist
noch besonders darauf hinzuweisen, daß dieselben hart an der Eintrittsstelle des
Dampfes in den Cylinder angebracht sind, daher der schädliche Raum auf ein Minimum
reducirt ist, weil die Speisung der Ventile aus dem Dampfmantel erfolgt. Alles
Condensationswasser kann zufolge der Anordnung der Ablaßventile frei aus dem
Cylinder entweichen.
Die allgemeine Anordnung der zur Beschreibung vorliegenden Dampfmaschine ergibt sich
aus den Abbildungen Figur 1 und 2. Je nach localen
Umständen wird Luftpumpe und Condensator verschieden angeordnet, horizontal und in
Verlängerung des Dampfcylinders, vertical in einer Grube hinter dem Cylinder oder
für kleinere Maschinen auch unter dem Dampfcylinder, wornach der Antrieb der
Luftpumpe die entsprechende Modification erleidet.
Das Maschinengestell ist wie bei den amerikanischen Maschinen von Corliß, Allen etc. aus Hohlguß hergestellt; es zeichnet
sich durch große Steifheit und Festigkeit aus, und an dasselbe ist der Dampfcylinder
schwebend angeschraubt, daher in starre Verbindung mit dem Lager der Maschinenwelle
gebracht, Diese Anordnung ist übrigens der großen Vorzüge wegen vielfach auch schon
von anderen Constructeuren benutzt worden.
Die Kreuzkopfführung bildet mit dem Maschinengestell ein Stück, ist aber hier aus
Rücksichten für die Herstellung nach einer Cylinderfläche ausgedreht (Schnitt Figur 3 und
4).
Kreuzkopf, Kurbel und Maschinenwelle sind aus bestem Schmiedeeisen; Kolbenstange,
Kurbelzapfen und der größte Theil der Ventilsteuerung sind aus Gußstahl hergestellt.
Das viertheilige Lager der Maschinenwelle ist aus Messing und mit Weißmetall
ausgefüttert.
Die Anordnung des Cylinders mit Dampfmantel, Zulaß- und Ablaßcanälen ist aus
dem theilweisen Längenschnitt in Figur 1 und aus dem
Querschnitt in Figur
5 zu entnehmen.
Der Cylinderdurchmesser beträgt 450 Millimeter, der Hub 1,140 Meter. Die Bleuelstange
ist 2,63 Meter lang. Der Cylinder ruht auf Hohlgußpratzen, so daß die Achse
desselben 675 Millimeter über dem Maschinenboden liegt. Unter Cylinder und
Condensator ist eine 1,65 Meter tiefe Grube, weßhalb man jederzeit freien Zutritt zu
den unten arbeitenden Theilen findet. Außer dem Dampfmantel umgibt den Cylinder noch
eine Bekleidung von Cement, Filz und Holz.
Das Dampfzuleitungsrohr hat im Durchmesser 105, das zum Condensator führende
Ableitungsrohr 135 Millimeter.
Die Luftpumpe, welche mit Kautschukventilen ausgestattet ist, besitzt einen
Durchmesser von 180 Millimet., der Hub beträgt wie beim Dampfcylinder 1,14 Meter.
Das Einspritzrohr ist 65, das Ausspritzrohr 150 Millimeter weit.
Der Durchmesser des Schwungrades mißt 4,225 Meter.
Die vorliegende Dampfmaschine entwickelte nach den von Sulzer angestellten Versuchen 70 effective Pferdestärken (85 Proc.
Nutzeffect), bei 50 Umdrehungen pro Minute und 5
Atmosphären Dampfdruck, gemessen beim Eintritt in den Cylinder.