Titel: | Ueber die Zusammensetzung des Chlorkalkes; von J. Kolb. |
Fundstelle: | Band 206, Jahrgang 1872, Nr. CVII., S. 381 |
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CVII.
Ueber die Zusammensetzung des Chlorkalkes; von
J. Kolb.
Aus den Comptes rendus, t. LXXV p. 1181; November
1872.
Kolb, über die Zusammensetzung des Chlorkalkes.
Ich glaube der (französischen) Akademie einige Bemerkungen bezüglich der Arbeit von
Prof. Calvert in Manchester über den BleichkalkMitgetheilt in diesem Bande des polytechn.
Journals S. 144 (zweites Octoberheft 1872). vorlegen zu müssen.
Nachdem der englische Chemiker das von ihm zur Analyse mehrerer aus englischen
Fabriken abstammender trockener Chlorkalksorten angewendete Verfahren beschrieben
hat, gelangt er zu der ganz unerwarteten Schlußfolgerung, daß beim Zusammenbringen
von Chlor und gelöschtem Kalke nur ein Drittel des Chlors
in den Zustand von unterchlorigsaurem Kalk übergeht, und die anderen zwei Drittel
Chlorcalcium bilden. Mit anderen Worten ausgedrückt, würde man nach Calvert eine Verbindung erhalten, deren Zusammensetzung,
abgesehen von dem überschüssigen Kalke, durch die Formel
CaO, ClO + 2 CaCl
ausgedrückt würde.
Bei einer im Jahr 1867 von mir ausgeführten Untersuchung über den Chlorkalk, welche,
obgleich in mehreren Zeitschriften mitgetheilt,Im polytechn. Journal Bd. CLXXXVII S.
55. der Aufmerksamkeit des englischen Chemikers gänzlich entgangen zu seyn
scheint, war ich zu folgenden Resultaten gelangt:
1) Das Maximum von Chlor, welches von reinem pulverförmigem Kalkhydrat absorbirt wird, gibt
einen Chlorkalk von 123 Chlorimetergraden dessen Zusammensetzung ziemlich genau der
Formel
2CaO, Cl + CaO + 3HO
entspricht.
2) Die filtrirte Lösung dieser Verbindung gibt
2 CaO, Cl = CaO, ClO + CaCl,
wodurch die Richtigkeit der bisher angenommenen
Zusammensetzung vollkommen bestätigt wird.
Diese Resultate stehen mit den in den Laboratorien der chemischen Fabriken täglich zu
beobachtenden Thatsachen im Einklange. Ich habe Chlorkalksorten guter Qualität aus
den Fabriken in Lille, Amiens, Chauny, Thann, Dieuze, Marseille etc. untersucht; bei
allen habe ich gesunden, daß das Chlor des Chlorcalciums kaum um 1 oder 2 Procent
das Chlor des unterchlorigsauren Kalkes überstieg; mit einem Worte, ihre Lösung,
wenn sie nicht genau der Formel
CaO, ClO + CaCl
entsprach, ließ sich wenigstens durch die Formel
100 CaO, ClO + 102 CaCl
ausdrücken, keineswegs aber durch die von Calvert aufgestellte Formel:
100 CaO, ClO + 200 CaCl.
Diese letztere scheint mir übrigens auch durch folgenden Versuch widerlegt zu
werden:
Wenn man 1 Liter Chlor von Kalk absorbiren läßt und den erhaltenen Chlorkalk mit
einer Säure, z.B. Salzsäure behandelt, so würde man nach Calvert nur zwei Drittheile des absorbirten Liters Chlor wieder in
Freiheit setzen können:
CaO, ClO + 2CaCl + 2HCl = 3CaCl + 2HO + 2Cl,
während in Wirklichkeit dadurch der ganze Liter Chlor in
Freiheit gesetzt wird, was sich nur durch die Gleichung
CaO, ClO + CaCl + 2HCl = 2CaCl + 2HO + 2Cl
erklären läßt.
Es ist dieß eine allen Chlorkalkfabrikanten wohlbekannte Thatsache und wenn es sich
anders verhielte, so würden sie diesen Unterschied von 1/3 zwischen der bekannten
Menge freien Chlors welche das Mangansuperoxyd dem Kalke liefert und der Menge
freien Chlors welche letzterer bei der chlorimetrischen Probe nach Gay-Lussac's Methode seinerseits restituiren kann,
wohl längst constatirt haben.
Demzufolge erscheint mir Calvert's Ansicht als irrig, und
dieß könnte wohl von der von ihm angewendeten analytischen Methode herrühren. Bevor ich zu einer
Kritik derselben übergehe, will ich die bei meinen Untersuchungen angewendete
Bestimmungsweise in Kürze anführen.
Der gepulverte Chlorkalk wurde gelöst und die Lösung ward filtrirt. Ein Theil der
Flüssigkeit wurde in der Kälte mit Ammoniak versetzt, dann zum Sieden erhitzt;
dadurch wurde der unterchlorigsaure Kalk zu Chlorcalcium umgewandelt, und dann wurde
der gesammte Chlorgehalt als Chlorsilber bestimmt. In
einem anderen Antheile der Lösung wurde das Chlor der Unterchlorigsäure nach Gay-Lussac's chlorimetrischer Methode bestimmt.
Der gesammte Kalk und die anderen fixen Bestandtheile wurden nach den gewöhnlichen
Methoden in dem vorher durch Ammoniak zu Chlorcalcium umgewandelten Chlorkalkpulver
bestimmt.
Calvert verfährt in anderer Weise. Er behandelt die
filtrirte Lösung des Chlorkalkes mit einem Kohlensäurestrome, durch welchen das
Chorcalcium nicht angegriffen, der unterchlorigsaure Kalk dagegen zersetzt und in
kohlensauren Kalk umgewandelt wird, dessen Gewicht die Menge des an die
Unterchlorigsäure gebundenen Kalkes und somit die Menge des Unterchlorigsäuresalzes
selbst anzeigt. Die filtrirte Flüssigkeit enthält das Chlorcalcium, welches man nach
den gewöhnlichen Methoden bestimmen kann.
Der wesentlichste Einwurf welchen ich gegen diese Methode zu machen habe, gründet
sich auf die Thatsache, daß, wenn man eine Lösung von Unterchlorigsäure in Gegenwart
von frisch gefälltem kohlensauren Kalke bis zum Sieden erhitzt, ein Theil dieses
kohlensauren Kalkes zu Chlorcalcium umgewandelt wird. Man erhält daher bei der
Analyse eine zu niedrige Zahl für kohlensauren Kalk, also für Unterchlorigsäure, und
gleichzeitig eine zu hohe Zahl für das Chlorcalcium. Andererseits ist der Kalk im
Chlorcalcium, und folglich im Chlorkalk, ziemlich löslich. Die Lösung dieses
letzteren enthält stets einen Ueberschuß von Kalk, welcher bei der auf die
Bestimmung des Kalkes gegründeten Berechnung des Chlors eine Fehlerquelle
bildet.
Andererseits behandelt Calvert ein bestimmtes Gewicht von
trockenem Chlorkalk mit absolutem Alkohol, welcher nach seiner Angabe nur das
Chlorcalcium löst; letzteres wird dann in der alkoholischen Lösung bestimmt.
Hiernach müßte also der unterchlorigsaure Kalk in ungelöstem Zustande auf dem Filter
bleiben und könnte dann durch Behandlung des Filterinhaltes mit Wasser bestimmt
werden. Ich habe diesen Versuch ausgeführt, konnte aber auf dem Filter nur Spuren
von unterchlorigsaurem Kalk constatiren. Davon war ich durchaus nicht überrascht,
denn es wird mir schwer anzunehmen daß es möglich ist, einen so oxydirbaren Körper wie den Alkohol
und ein so kräftiges Oxydationsmittel wie Chlorkalk zusammen zu bringen, ohne daß
die Oxydation des einen auf Kosten des anderen stattfindet und sogar Chloroform sich
zu bilden vermag. In der That wird ein großer Theil des unterchlorigsauren Kalkes zu
Chlorcalcium umgewandelt, daher die Bestimmung fehlerhaft ausfällt. Ich theile hier
vergleichsweise die Resultate der Analyse desselben Chlorkalkes nach beiden Methoden
mit.
Nach der mit Anwendung meines Verfahrens ausgeführten Analyse enthält dieser
Chlorkalk:
CaO, ClO
36,4
Cl
18,2
CaCl
30,2
Cl
19,4
––––––––
37,6
Nach Calvert's Methode (Fällung mit Kohlensäure) enthält
derselbe hingegen:
CaO, ClO
28,8
Cl
14,4
CaCl
39,6
Cl
25,2
––––––––
39,6
Nach Calvert's Verfahren, Auflösen in absolutem
Alkohol:
CaO, ClO
Spuren
Cl
Spuren
CaCl
35,4
Cl
24,7
Endlich ist es auch möglich, daß Calvert nicht mit ganz
guten oder frisch fabricirten Chlorkalksorten gearbeitet hat. In Folge einer mehr
oder weniger sorgfältigen Fabricationsweise kann ein Theil der zur Darstellung des
Chlors angewendeten Salzsäure durch das Chlorgas bis in die Absorptionskammern
mitgerissen werden, und in denselben einen Ueberschuß von Chlorcalcium erzeugen.
Zuweilen erleidet auch der Chlorkalk, wenn er einige Monate alt geworden ist, eine
langsame Desoxydation oder zersetzt sich theilweise zu chlorsaurem Kalk und
Chlorcalcium. Dessen ungeachtet muß ich sagen, daß ich selbst in derartigen
Ausnahmefällen niemals Resultate erhalten habe, welche sich den von Calvert mitgetheilten nähern.