Titel: | Ueber die Diffusion der Quecksilberdämpfe; von Merget. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XCVI., S. 386 |
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XCVI.
Ueber die Diffusion der Quecksilberdämpfe; von
Merget.
Aus den Comptes rendus,
t. LXXIII p. 1356; December 1871.
Merget, über die Diffusion der Quecksilberdämpfe.
Die einzigen Untersuchungen über die Diffusion der Quecksilberdämpfe, welche wir
besitzen, rühren von Faraday her; dieselben sind bereits
über ein halbes Jahrhundert alt und die aus ihnen gezogenen Schlußfolgerungen
während dieses langen Zeitraumes niemals angefochten worden.
Bekanntlich wendete der berühmte englische Chemiker als Reagens ein dünnes Goldblatt
an, das er über dem Quecksilber aufhing und welches, je nachdem eine Entwickelung
von Quecksilberdämpfen stattfand oder nicht, in Folge einer Amalgambildung weiß
werden oder seine Farbe behalten mußte. Nach zwei Versuchen, deren einer positiver,
der andere negativer Natur war, wurde Faraday, indem er
sich außerdem auf früher von Davy beobachtete, die
Fortpflanzung der Elektricität im Torricelli'schen Vacuum
betreffende Thatsachen stützte, auf die beiden Schlüsse geführt:
1) daß die Verdampfung des Quecksilbers nicht continuirlich ist, sondern bei etwa
– 7° C. ganz aufhört;
2) daß bei den Temperaturen über jener Grenze (innerhalb einer Ausdehnung der
Thermometerscale, welche er unentschieden läßt) die Quecksilberdämpfe über dem
flüssigen Metall eine Schicht von sehr geringer Dicke bilden, welche bei
gewöhnlicher Temperatur kaum einige Centimeter beträgt.
Diese Schlüsse stehen so sehr in Widerspruch mit den Gesetzen welche die
Eigenschaften aller sonstigen Dämpfe zeigen, und mit den Vorstellungen welche die
jetzige Wissenschaft von dem elastisch-flüssigen Zustande der Körper sich
macht, daß ich mich entschloß, die weder sehr zahlreichen noch sehr exacten Versuche
von Faraday einer Wiederholung und Prüfung zu
unterziehen.
Zu diesem Zweck war ich vor Allem besorgt, ein gegen Quecksilberdämpfe
empfindlicheres Reagens zu ermitteln, als Blattgold es ist; an Stelle desselben lassen sich mit
Vortheil verschiedene andere Substanzen benutzen, unter denen die Salzlösungen der
edlen Metalle die empfindlichsten sind.
Wenn man diese Lösungen nach Zusatz hygroskopischer Substanzen, welche ihr
Austrocknen verzögern, auf gewöhnliches Papier gestrichen hat, so werden sie durch
Quecksilberdämpfe reducirt. Das reducirte Metall bedeckt das Papier und ertheilt
demselben Färbungen, welche immer mehr nachdunkeln und zuletzt schwarz werden,
jedoch mit verschiedenen der Natur der Metalle entsprechenden und für jedes
derselben charakteristischen Tönen.
Die als Reagentien gebräuchlichsten Salze der edlen Metalle, wie salpetersaures
Silber, die löslichen Chlorverbindungen des Goldes, Platins, Palladiums und
Iridiums, geben bei Bereitung solcher Reagenspapiere die besten Resultate; da jedoch
die Empfindlichkeit des salpetersauren Silberoxydes in Gegenwart von Ammoniak in
Folge der Wirkung dieser Base auf das gebildete salpetersaure Quecksilber erhöht
wird, so glaubte ich, daß es vortheilhaft seyn werde, das Silbersalz ammoniakalisch
zu machen, und diese Annahme hat sich auch durch den Versuch bestätigt.
Ammoniakalisches salpetersaures Silber, womit man mittelst einer Feder auf einem
Streifen von gewöhnlichem Papier einige Striche zieht, liefert das beste Reagens zur
Nachweisung von Quecksilberdämpfen. Da sich das mit einer solchen Lösung bestrichene
Papier aber am Lichte, wenn auch nur sehr schwach, färbt und sich auch im Dunkeln,
obgleich langsamer, noch verändert, so muß man bei Untersuchungen von langer Dauer
von der Benutzung dieses Salzes abstehen; ebenso bei Untersuchungen welche bei einem
zu lebhaften Lichte, wie dem der directen Sonnenstrahlen, ausgeführt werden. In
derartigen Fällen ersetzt man jenes Silbersalz durch Palladium- oder
Platinchlorid, welche sowohl am Licht, als auch an und für sich, fast unveränderlich
sind.
Indem ich nun nach den Umständen das eine oder andere dieser drei Reagenspapiere
anwandte, constatirte ich:
1) daß die Verdunstung des Quecksilbers ein continuirliches
Phänomen ist, welches selbst durch das Festwerden des Metalles nicht
unterbrochen wird;
2) daß die entsandten Dämpfe ein beträchtliches Diffusionsvermögen besitzen, das
jedoch, ohne genau meßbar zu seyn, nicht zu sehr von der Größe sich zu entfernen
scheint, welche ihm nach der dynamischen Theorie der Gase zuzuschreiben ist.
Der zweite dieser Schlüsse ergibt sich aus Beobachtungen welche in sehr großen und
sehr hohen Localen angestellt wurden, in denen ich vom Boden bis zur Decke die
Quecksilberdämpfe nachwies, welche sich von ziemlich geringen
Verdampfungsoberflächen dieses Metalles verbreitet hatten.
Der erste dieser Schlüsse folgt aus einer Reihe sehr zahlreicher Versuche, die bei
allen Temperaturen zwischen + 25° und – 26° C. ausgeführt
wurden, und aus vier Versuchen bei Temperaturen von – 30°, –
35°, – 40° und – 44°.
Als letzte Aehnlichkeit zwischen den Quecksilberdämpfen mit den übrigen elastischen
Flüssigkeiten führe ich noch die Eigenschaft der ersteren an, daß sie von einer
Anzahl von Körpern verdichtet werden, welche absolut keine chemische Einwirkung auf
sie ausüben, wie Kohle, Platin etc., und daß sie poröse Körper, wie Holz,
unglasirtes Porzellan etc., außerordentlich leicht zu durchdringen vermögen.
Aus den vorstehenden Thatsachen ergeben sich zahlreiche Anwendungen, von denen ich
nur die wichtigsten anführen will.
Zunächst mache ich in Bezug auf das Gebiet der analytischen Chemie auf die
zuverlässigere und empfindlichere qualitative Nachweisung des Quecksilbers
aufmerksam, welche die Anwendung des ammoniakalischen Silbernitratpapieres
gewährt.
Bekanntlich wird bei der qualitativen Prüfung auf die Gegenwart von Quecksilber bei
Benutzung des nassen Weges entweder durch einfache Fällung auf einen
Kupferblechstreifen, oder durch elektrochemische Fällung auf Blattgold, die Bildung
eines Amalgames vermittelt, welches man einerseits an seiner weißen Färbung,
andererseits am Verschwinden dieser Färbung beim Erhitzen erkennt. Wenn aber die der
Prüfung unterworfenen Flüssigkeiten nicht ziemlich beträchtliche Mengen von
Quecksilber enthalten, so erhält man nur Färbungen von so unentschiedenem Charakter,
daß man aus denselben Nichts schließen kann. In solchen zweifelhaften Fällen, wo das
Auge keine Spur von Amalgambildung zu entdecken vermag, braucht man, sofern eine
solche überhaupt stattgefunden hat, nur das Kupfer- oder Goldblatt auf das
ammoniakalische Silbernitratpapier zu legen, worauf eine für die Gegenwart von
Quecksilber charakteristische braune Färbung eintritt.
Mittelst dieses Verfahrens gelang es mir, in Lösungen von Quecksilberchlorid die
Gegenwart von 1/10000 des Metalles nachzuweisen.
Bei dem Prüfungsverfahren auf trockenem Wege setzen sich die frei gemachten
Quecksilberdämpfe an den kalten Theilen des Apparates ab, wo man sie zu Tröpfchen zu
vereinigen sucht, welche mit unbewaffnetem Auge oder mit dem Mikroskop zu erkennen
sind; bei Gegenwart von zu geringen Quecksilbermengen werden aber solche Kügelchen
nicht wahrnehmbar seyn. Dagegen werden die geringsten Spuren von Dämpfen, welche keinen
wahrnehmbaren Niederschlag mehr geben können, durch das Silbernitratpapier deutlich
angezeigt.
Andererseits ergibt sich, daß die Salze der edlen Metalle sich von allen anderen
durch die Farbenerscheinungen unterscheiden, welche durch ihre Berührung mit
Quecksilberdämpfen entstehen; die Töne der dunkeln Farben, welche sie dann annehmen,
sind sogar in gewissem Maaße charakteristisch für die einzelnen Metalle.
Die Platin- und Iridiumsalze können wegen der Unveränderlichkeit ihrer Metalle
benutzt werden, um nicht nur auf Papier, sondern auf der Oberfläche aller anderen
Körper, durch welche sie keine chemische Veränderung erleiden, mittelst der Feder
oder des Pinsels Buchstaben, Zeichnungen etc. aufzutragen, welche nach der Reduction
durch die Quecksilberdämpfe von fast allen chemischen Agentien unangreifbar sind.
Durch die combinirte Anwendung dieser Salze und der Quecksilberdämpfe ist man daher
im Stande, sehr leicht unzerstörbare Tinten zum Schreiben und
Zeichnen auf Papier, Leinwand, Holz etc. darzustellen.
Werden derartige Tinten aus Gold-, Palladium- und Silbersalzen
bereitet, so sind dieselben zwar weniger unveränderlich, können aber doch in
besonderen Fällen vortheilhaft benutzt werden.
Anstatt die Lösungen dieser verschiedenen Salze zu Schreib- oder Zeichentinten
zu verwenden, kann man sie in dünnen Schichten auf gewöhnliches Papier auftragen und
dann der Einwirkung der Dämpfe aussetzen, welche von Buchstaben oder Zeichnungen
aufsteigen, die man vorher mit Quecksilber behandelt hat. Mittelst des letzteren
Verfahrens gelang es mir, das Problem des photographischen
Druckes ohne Licht zu lösen.
Hierzu genügt es, ein auf Glas oder auf gehörig präparirtem Papier angefertigtes
Positiv den Quecksilberdämpfen zu exponiren, welche das reducirte Silber sehr
kräftig zu condensiren vermag und die es dann wieder abgibt, wenn man das
entstandene Negativ auf ein mittelst der Lösung eines beliebigen Edelmetallsalzes
sensibilisirtes Papier preßt.
Die so erhaltenen Bilder werden, wenn sie von einem Silbersalze herrühren, nach den
in der Photographie gebräuchlichen Methoden getont und fixirt; wenn sie von einem
Gold-, einem Palladium-, Iridium- oder Platinsalze herrühren,
somit das Tonen natürlich unterbleibt, so fixirt man sie durch bloßes Waschen mit
gewöhnlichem Wasser, wornach sie durch Licht und alle atmosphärischen Agentien
absolut unveränderlich gemacht sind; überdieß sind die mit Platin und Iridium
angefertigten Bilder unzerstörbar und können nur durch chemische Mittel vernichtet
werden, welche gleichzeitig die Papiermasse sehr stark angreifen.
Anstatt der Glasnegative kann man offenbar mit Vortheil Metallplatten anwenden,
welche entweder durch Anwendung photochemischer Methoden oder mittelst des Stichels
vorbereitet worden sind, wenn man diejenigen Theile dieser Platten, an denen das
Metall bloßgelegt ist, vorher mit Quecksilber behandelt.
Die Durchdringbarkeit poröser Körper von Quecksilberdämpfen gestattete mir, auf
sensibilisirtem Papier Abdrücke von Blättern und Zweigen
zu machen, welche die feinsten Details des Modelles mit der größten Treue
wiedergeben.
Eine Reihe von Versuchen, welche ich mit kleinen Thieren (Vögeln, Meerschweinchen)
anstellte, hat mir bereits ergeben, daß Quecksilberdämpfe, welche diese Thiere in
freier Luft einathmen, rasch tödtlich auf sie wirken.
Schließlich will ich das Hauptresultat der Beobachtungen erwähnen, welche ich in
einer großen Spiegelfabrik zu sammeln Gelegenheit hatte. Das Atelier, in welchem
dort das Belegen der Spiegelscheiben vorgenommen wird, ist ein sehr geräumiger und
gut ventilirter Raum; dessenungeachtet constatirte ich, daß in diesem Belegsaale die
Atmosphäre vom Fußboden bis zur Decke zu jeder Zeit mit Quecksilberdämpfen gesättigt
ist; ferner daß Haut, Bart, Haare und sämmtliche Theile der Kleidungsstücke bei den
Arbeitern, obschon dieselben täglich nur vier Stunden in diesem Saale sich
aufhalten, stark mit condensirtem Quecksilber imprägnirt sind, so daß diese Leute
selbst außerhalb des Ateliers dem Einflusse der verderblichen Ausdünstungen dieses
Metalles ausgesetzt bleiben. In meiner ausführlichen Abhandlung gebe ich das Mittel
an, sie dieser permanenten Vergiftung zu entziehen.
––––––––
In einer späteren Sitzung der (französischen) AkademieComptes rendus, t. LXXIII p. 1462; December 1871. wurde ein Brief Regnault's mitgetheilt, in
welchem sich dieser ausgezeichnete Physiker über die Spannung
des Quecksilberdampfes bei niedriger Temperatur in nachstehender Weise
ausspricht:
Merget's Versuche liefern den Beweis, daß das Quecksilber
auch bei gewöhnlicher Temperatur Dämpfe entwickelt und daß sich diese Dämpfe in die
Luft verbreiten. Ich will bei dieser Gelegenheit an meine in den Annales de Physique von 1844 (3. série, t. XI) mitgetheilten Bestimmungen der Tension des
Quecksilberdampfes bei niedrigen Temperaturen, von 0 bis 100° C., sowie an
einen diese Versuche betreffenden Aufsatz in den Mémoires de l'Académie (t. XXXI
p. 506) erinnern. In letzterem heißt es:
„Bei diesen Versuchen ging ich von der Annahme aus, daß die Spannung des
Quecksilberdampfes bei der Temperatur des schmelzenden Eises gleich Null sey.
Diese Hypothese ist nicht ganz richtig; das Quecksilber verflüchtigt sich bei
dieser Temperatur noch merklich, denn auf einer
Daguerreotypplatte kommt das Bild zum Vorschein, wenn man sie längere Zeit
in der Quecksilbercassette läßt, selbst wenn die Temperatur unter Null
ist. Die Spannkraft des Quecksilberdampfes ist jedoch bei 0° so
schwach, daß sie mit den uns zu Gebot stehenden Beobachtungsmitteln schwierig zu
bestimmen ist.“
Somit habe ich durch Daguerreotypversuche den Nachweis geliefert, daß der
Quecksilberdampf bei einer unter 0° liegenden Temperatur eine noch sehr
merkliche Spannung hat, und daß dieser Dampf sich weiter verbreitet, da er nach
längerer Zeit auf der belichteten Platte, welche in einer Höhe von etwa 2 Decimeter
über dem Quecksilberbade sich befindet, das Bild entwickelt.
In meinen Tagebüchern v. J. 1838 finde ich einen Versuch verzeichnet, bei welchem ich
mittelst Quecksilber, dessen Temperatur zwischen – 13 und – 15°
C. war, ein noch deutliches, wenn auch schwaches Bild auf einer Daguerre'schen Platte hervorrufen konnte.