Titel: | Zur Theorie der Körperfarben; von Prof. W. Stein. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. CXXVI., S. 545 |
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CXXVI.
Zur Theorie der Körperfarben; von Prof. W. Stein.
Aus dem Journal für praktische Chemie, 1871, Bd. IV S.
276.
Stein, über die Theorie der Körperfarben.
Zur Aufstellung einer umfassenden Theorie der Körperfarben fehlen zwar zur Zeit noch
die wichtigsten Unterlagen; eine theoretische Erklärung der wenigen von mit
constatirten Thatsachen auf diesem Gebiete glaube ich aber dessen ungeachtet
versuchen zu dürfen. Ich gehe dabei von der mehr und mehr Boden gewinnenden Ansicht
aus, daß das Licht, ähnlich der Wärme, nur eine besondere Art der Atombewegung ist.
Wärme und Licht können nun, wie die Erfahrung lehrt, unter Umständen in einander
übergehen, welche es wahrscheinlich machen, daß ihre Verschiedenheit in der größeren
oder geringeren Schnelligkeit und Regelmäßigkeit der Bewegung beruht. Führt man z.B.
einem festen Körper eine viel größere Menge von Wärme zu, als zur Ausdehnung in Form
von Kraft verbraucht wird, so dient der Ueberschuß dazu, die Atome in immer
schnellere Bewegung zu versetzen, bis die sogenannte Weißgluth eingetreten ist, was
unzweifelhaft in dem auf einander folgenden Auftreten von verschiedenfarbigem Lichte
sich erkennen läßt. Dieser Uebergang von Wärme in Licht ist höchst wahrscheinlich
die hauptsächlichste Ursache des Wärmeverlustes, welcher durch die sogenannte
strahlende Wärme stattfindet. Es erscheint wenigstens a
priori als nothwendig, daß die in Licht übergehende Wärme als solche ebenso
verschwindet, wie diejenige welche eine Umwandlung in Kraft erleidet. Wie in dem
angeführten Beispiele Wärme in Licht, so geht umgekehrt Licht in Wärme über, wenn
ein weißglühender Körper langsam erkaltet, indem die schnelleren Schwingungen des
weißen Lichtes in die langsameren des gelben und rothen Lichtes übergehen, bis
zuletzt auch dieses verschwindet.
Die Ansicht, von der ich ausgegangen bin, nöthigt zu der ganz naturgemäßen Annahme,
daß die Atmosphären der Sonne und der Planeten im Zusammenhange stehen. Die von der
selbstleuchtenden Sonne ausgehenden Schwingungen theilen sich den leicht beweglichen
Atomen der Planeten-Atmosphären mit und treffen schließlich auf Körper, deren
Atome schwerer beweglich sind. Von diesen werden sie in der Hauptsache entweder
unverändert oder mit verändertem Tempo zurückgeworfen (undurchsichtige weiße oder
farbige Körper), oder sie werden aufgenommen und mit gleicher oder modificirter
Bewegung fortgepflanzt (durchsichtige farblose oder farbige Körper). Einfacher
dürfte man vielleicht sagen: die Atome der von den genannten Schwingungen erregten
Körper gerathen entweder in stehende oder in fortschreitende Wellenbewegung.
Daß die Atome der Luft und gasförmige Körper überhaupt vorzugsweise geeignet seyn
müssen, in Lichtschwingungen versetzt zu werden, läßt sich aus der Natur der Gase
folgern. Damit scheint jedoch nicht im Einklange zu stehen, daß ihnen die Fähigkeit,
leuchtend zu werden, abgeht. Indessen ist der Widerspruch nur ein scheinbarer. Wenn
es nämlich keines Beweises bedarf, daß die Lichtschwingungen eines einzelnen Atomes
für uns unmerkbar sind, da wir sonst die Atome sehen würden, so folgt von selbst,
daß zur Hervorbringung einer Lichtwirkung die vereinigten Schwingungen von
Atomen-Aggregaten erforderlich sind, welche auf einem Raume zusammenwirken,
der in einem bestimmten Verhältnisse zur lichtempfänglichen Oberfläche unseres
Sehorganes steht. Nur solche Aggregate sind mit bloßem Auge sichtbar und mögen der
Kürze wegen
optische Molecüle heißen. Ist nun der Abstand der
einzelnen Atome eines Körpers von einander so groß, daß die erforderliche Anzahl
derselben auf jenem Raume nicht zur Wirkung kommen kann, so ist der Körper nicht
fähig, optische Molecüle zu bilden, er ist überhaupt nicht sichtbar. Dieß ist der
Fall mit der Luft und den incoerciblen Gasen überhaupt.
Die optischen Molecüle bilden die kleinsten Größen, welche bei Beurtheilung der
Körperfarben in Betracht kommen können, und man hat deren elementare und
zusammengesetzte (gemischte) zu unterscheiden. Hervorzuheben ist hierbei zugleich,
daß die Molecularfarbe häufig verschieden ist von der Körperfarbe; doch soll darauf
jetzt noch nicht näher eingegangen werden. Die gemischten Molecüle sind entweder
atomistisch (chemisch verbunden) oder molecular gemischt. Nur mit den letzteren,
welche der Forschung am zugänglichsten sind, habe ich mich bis jetzt beschäftigt.
Dieselben sind entweder Gemische von farbigen mit andersfarbigen oder Gemische von
farbigen mit weißen Molecülen. Die Veränderungen welche durch Mischung zweier
einfacher Farben, oder einer einfachen oder zweitheiligen Farbe mit Weiß entstehen,
sind so leicht vorauszusehen und zu verstehen, daß es überflüssig seyn würde, sich
hier damit zu beschäftigen. Dagegen bieten die Mischungen dreitheiliger Farben mit
Weiß ein um so größeres Interesse dar, als die dabei vorgehenden Veränderungen bis
jetzt unerklärlich waren.
Zu den dreitheiligen Farben gehören Braun und Schwarz, denn sie enthalten, wie das
Weiß, die farbigen Elemente Blau, Gelb und Roth, nur in verschiedener quantitativer
Mischung. Streng genommen, muß hiernach auch das Weiß als dreitheilige Farbe
aufgefaßt werden, und zwar ist es die neutrale Mischung der genannten
Elementarfarben, während im Braun das Roth oder Gelb, im Schwarz das Blau
vorherrscht. Man ist zwar gewöhnt, das Schwarz nur als Mangel an Licht anzusehen,
und für das Interferenzschwarz mag dieß zugegeben werden, für das Schwarz als
Körperfarbe aber ist es nicht der Fall. Mangel an Licht ist dieses nur insofern, als
ihm etwas zur Ergänzung des weißen Lichtes fehlt, d.h. in demselben Sinne, wie jedes
farbige Licht. Wie man mit Hülfe der Farbenscheibe Weiß durch innige Mischung seiner
Elemente herstellen kann, so läßt sich auch das Schwarz mischen und wird
thatsächlich schon längst in der Färberei durch eine Mischung seiner Elemente im
richtigen Verhältnisse erzeugt. Noch directer erhielt ich Schwarz mit Hülfe von
Mineralfarben, indem ich u.a. 4,5 Gramme Ultramarinblau, 6,0 Grm. gelbes Uranoxyd
und 1,0 Grm. Mennige mit Wasser oder Weingeist zu einem Brei anrührte. Jeder, dem
ich diese Mischung im
nassen Zustande zeigte, erkannte sie für Schwarz an; trocken jedoch hatte sie nur
eine schmutzig violette Farbe. Die Erklärung dieser Erscheinung scheint darin zu
liegen, daß von den Bestandtheilen der nur körperlichen trockenen Mischung die
Farbenschwingungen zum Theil einzeln zum Auge gelangen; indem sie aber auf die Atome
des Wassers oder Weingeistes übertragen werden, vereinigen sich die verschiedenen
Bewegungen zu einer einzigen mittleren, die nun allein auf das Auge wirkt. Das
Wasser vermittelt die moleculare Mischung.
Wie nun im Thonerde-Ultramarin das schwarze Schwefelaluminium mit dem weißen
Silicate oder im Kobalt-Ultramarin das schwarze Kobaltoxyd mit der weißen
Thonerde eine blaue Farbe liefert, so ging auch das obige Gemisch in Blau über, wenn
ich einen weißen Körper, nämlich kohlensauren Baryt oder Schwerspath mit Wasser dazu
mischte. Durch moleculare Mischung von Schwarz mit Weiß wird also, wie hieraus
ersichtlich ist, ersterem Gelb und Roth entzogen, und dieß erklärt sich, wie ich
glaube, am einfachsten auf folgende Weise: Schwarz und Weiß stellen zwei
verschiedene Arten der Bewegung dar, welche in dem Gemische mit einander in
Wechselwirkung treten, und von denen thatsächlich die dem Weiß entsprechende
vorherrscht. Unterliegen diese Bewegungen, wie nicht zu bezweifeln ist, denselben
Gesetzen wie alle anderen, so müssen sie sich zu einer Resultante vereinigen, welche
nach der Seite der vorherrschenden Bewegung fällt. In Folge dessen treten die
vorhandenen chromatischen Aequivalente (d.h. die zu Weiß sich ergänzenden relativen
Mengen von Blau, Gelb und Roth) zu Weiß zusammen, neben welchem nun nur das
überschüssige Blau übrig bleibt.
Während also bei Mischung von Weiß mit einer einfachen oder zweitheiligen Farbe in
jedem Falle, mit einer dreitheiligen bei nur körperlicher Mischung, bloß eine
Verdünnung, eine Erhöhung des Tones eintritt, findet im letzteren Falle bei
molecularer Mischung zugleich eine Zerlegung der Farbe statt, indem die äquivalenten
Mengen von Blau, Gelb und Roth sich zu Weiß ergänzen oder ausgelöscht werden. Daraus
folgt, daß Braun unter diesen Umständen, je nach seiner Varianz, Roth, Orange oder
Gelb wird liefern müssen. Es ist ferner klar, daß Mischfarben entstehen, wenn an
Stelle des reinen Weiß ein Gemisch von Weiß mit Gelb oder Roth genommen wird. Auf
diese Weise erklärt sich die Entstehung von Grün durch moleculare Mischung von
schwarzem Kobaltoxyd mit Zinkoxyd, welches im geglühten Zustande eine aus Weiß und
Gelb gemischte Farbe besitzt.