Titel: | Ueber verschiedene Anwendungsweisen des Dynamits und einige mit dieser Substanz bei ihrer Benutzung als Kriegsmaterial erhaltene Resultate; von P. Champion, Genieofficier. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. CX., S. 464 |
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CX.
Ueber verschiedene Anwendungsweisen des Dynamits
und einige mit dieser Substanz bei ihrer Benutzung als Kriegsmaterial erhaltene
Resultate; von P. Champion,
Genieofficier.
Aus den Comptes rendus, t. LXXII p. 292; März
1871.
Champion, über verschiedene Anwendungen des Dynamits als
Kriegsmaterial.
Die Wirkungen des Dynamits weichen, je nach der Anwendungsweise dieses
Explosivstoffes, beträchtlich von einander ab. Mehr noch in Folge der plötzlichen
Entwickelung der bei seiner Explosion gebildeten Gase, als in Folge des Volums
derselben, vermag man mit dem Dynamit große Wirkungen in Fällen hervorzubringen, wo
die Anwendung von Pulver ohne Resultat bleiben würde.
Dem Stäbe des Generals Tripier zur Abführung von Versuchen
mit dem Dynamit zugetheilt, hatten wir Gelegenheit, mit diesem Sprengmittel
mannichfaltige Versuche zu machen, die wir im Nachstehenden beschreiben wollen; dann
werden wir aus den Resultaten derselben einige Folgerungen ableiten, welche uns bei
den militärischen Operationen, an denen wir gegen das Ende der Belagerung von Paris
Theil genommen, als Richtschnur dienten.
1. Bei einem in Drancy angestellten Versuche wurde am Fuße der inneren Mauer eines
kleinen niedrigen Wachthauses ein in einem Beutel enthaltenes Quantum Dynamit
hingelegt; ein Fenster und eine Thür blieben offen. Nach erfolgter Explosion zeigte
die Mauer, an welcher der Dynamit gelegen hatte, eine große Lücke; die drei übrigen
Mauern waren eingestürzt und die Steine der Grundschicht aus dem Boden gerissen. Wir
zogen daraus die Folgerung, daß es, um bei derartigen Operationen das gewünschte
Resultat mit möglichst wenig Dynamit zu erreichen, nöthig ist, das Sprengmittel in
die Mitte des zu zerstörenden Gebäudekörpers zu bringen. Von der Richtigkeit dieses
Schlusses könnten wir uns bei der Aufhebung dreier feindlicher Posten überzeugen,
welche in drei an der Soissons-Bahn gelegenen Barrièrewächterhäusern
lagen. Diese solid construirten Häuser nahmen einen Flächenraum von 5,50 Meter im
Quadrat ein und waren 7 Meter hoch; die Dicke ihrer Mauern betrug 35 Centimeter.
Einige zum Tragen des Dynamits commandirte Pioniere könnten wegen der Schnelligkeit,
womit die Operation ausgeführt werden mußte, nicht zur rechten Zeit am Platze seyn.
Das eine der Häuser erhielt 6 Kilogrm. Dynamit, das zweite 9, das dritte 12 Kilogrm. Dynamit,
welcher stets in Säcken eingeschlossen in die Mitte des unteren Zimmers gelegt
wurde. Es erfolgte eine vollständige Zerstörung der Häuser; nur einige Grundsteine
blieben stehen. Aus der Gewaltsamkeit, mit welcher die Trümmer weggeschleudert
wurden, durften wir schließen, daß eine unter 6 Kilogrm. betragende Ladung zur
Erreichung des beabsichtigten Zweckes noch hingereicht hätte. – Ein ähnliches
Resultat wurde bei einer anderen Expedition in der Nähe von Bondy erhalten.
2. Bei einer Recognoscirung auf dem Plateau des Avron wurde eine Anzahl mit Dynamit
gefüllter Säcke längs einer Mauer auf den Boden gelegt; in Folge der Explosion
entstanden Breschen, deren Ausdehnung nach den angewendeten Dynamitmengen eine
verschiedene war. Bei dem Angriffe auf Buzenval wurden Würste, deren jede 4 Kilogrm.
Dynamit enthielt, in ungefähr 5 Meter Entfernung von einander den Mauern entlang
gelegt, hinter denen sich der Feind verschanzt hatte. Die Explosionen brachten eine
weite Bresche hervor, durch welche unsere Truppen vordringen könnten. Man würde
dasselbe Resultat auf eine für die dem feindlichen Feuer ausgesetzten und mit dem
Anzünden der Lunten beauftragten Leute weniger gefährliche Weise erreicht haben,
wenn man längs den Mauern eine Reihe von langen Kartuschen neben einander gelegt und
die Explosion an einem beliebigen Punkte hervorgebracht hätte. Wir haben nämlich
mehrfach Gelegenheit gehabt, uns zu überzeugen, daß, wenn mit Dynamit gefüllte Säcke
oder beliebige Behälter nicht weit von einander entfernt liegen, die an irgend einem
Punkte erzeugte Explosion sich der ganzen Masse mittheilt.Der zu den oben erwähnten Operationen benutzte Dynamit enthielt 55 Proc.
Nitroglycerin.
Die nachstehenden Bemerkungen entnehmen wir einem Berichte des Bataillonschefs vom
Geniecorps Houbigant über die in seiner Gegenwart und
unter seiner Leitung von uns unter Beihülfe des Hrn. Pellet ausgeführten Versuche, welche die Ermittelung der besten Methode
zum Umwerfen von Mauern mittelst Dynamits bezweckten.
Diese Versuche wurden an einer 3 Meter hohen und 0,42 Met. starken
Mauer gemacht, welche aus guten, in Kalksandmörtel gelegten, mit Gyps verstrichenen
und wenigstens am unteren Theile regelmäßige Schichten bildenden Bruchsteinen
aufgeführt war. Diese Mauer, mit Steinplatten abgedeckt, war sehr solid und aus
Materialien von sehr guter Qualität hergestellt. Man muß dieselbe als eine der
solidesten Umfriedigungsmauern betrachten, welche zu finden sind.
Erster Versuch. – Eine mit 3,80 Kilogrm. Dynamit
gefüllte Blechbüchse wurde zunächst am Fuße der Mauer aufrecht hingestellt; dann
wurde der Dynamit mittelst der mit Zündern versehenen Zündschnuren entzündet. Am Fuße der Mauer war
dadurch eine Bresche von 80 Centimet durchschnittlicher Breite und 85 Centimet. Höhe
entstanden, welche auf beiden Mauerseiten beinahe ganz dieselbe Beschaffenheit
hatte. Obgleich am oberen Theile der Oeffnung die Pläner auf beiden Mauerseiten an
ihrem Platze geblieben waren, so war doch zwischen ihnen in der Dicke der Mauer ein
hohler Raum von 30 Centimet. Höhe entstanden. Auf der Seite, an welcher der Dynamit
gelegen hatte, war vom Mauerwerk Nichts weggeschleudert worden; auf der anderen
Seite hingegen waren Bruchsteine bis auf 15 Meter Entfernung von der Mauer
weggeflogen. Außer der gemachten Bresche hatte ein beträchtlicher Theil der Mauer
eine solche Erschütterung erlitten, daß sich in derselben mit geringer Anstrengung
mittelst der Hand oder eines Hakenstieles ein Loch von 1,15 Met. Höhe und 1,70 Met.
Breite hervorbringen ließ.
Zweiter Versuch. – Ein zweiter Versuch wurde unter
ganz denselben Bedingungen abgeführt, mit dem einzigen Unterschiede daß die
Dynamitbüchse mit Erdsäcken umgeben und dadurch in ihrer aufrechten Lage erhalten
wurde. Die Wirkung der Explosion war bedeutend stärker; die gelegte Bresche hatte
durchschnittlich 1,70 Met. Breite und 2,40 Met. Höhe, aber am Fuße derselben hatte
sich eine 0,70 Met. hohe Schicht von herabgefallenen Steinen aufgehäuft. Die Mauer
war in ihrer ganzen Höhe und auf mehr als 2,50 Met. Breite stark erschüttert worden.
Die Erdsäcke waren etwa 25 Met. weit zurückgeschleudert, mit ihnen eine große Menge
von Steinen, deren einige bis 50 Met. weit geflogen waren. Demnach werden die Wirkungen des Dynamits durch Hindernisse welche einem
Besatze ähnlich wirken, sehr bedeutend verstärkt;
indessen sind gefüllte Erdsäcke schwer und unbequem zu transportiren, und durch das
Aufstellen derselben wird die Operation einigermaßen verzögert, auch müssen bei
ihrer Anwendung dem Feinde gegenüber mehr Mannschaften dem Feuer ausgesetzt
werden.
Dritter Versuch. – Bei demselben suchten wir die
vortheilhafteste Aufstellungsweise der Dynamitbüchse ohne Anwendung von Erdsäcken zu
ermitteln. Zu diesem Behufe wurde eine Steinplatte von 0,70 Met. Höhe an die Mauer
gelehnt und auf dieselbe die Dynamitbüchse gelegt; dann wurde ohne weitere
Vorbereitung das Sprengmittel entzündet. Die in 0,50 Met. Höhe über dem Boden
entstandene Bresche bildete eine Oeffnung von 0,80 Met. Länge und 1 Met. Höhe in der
Mauerseite an welcher die Dynamitbüchse aufgestellt gewesen war; auf der
entgegengesetzten Seite war sie 1 Met. lang und 1,50 Met. hoch. Ueberdieß war die
Mauer auf 2 Met. Länge und 2 Met. Höhe erschüttert worden und die Bresche ließ sich
mit der bloßen Hand auf diese Strecke erweitern. Es ist also von großem Vortheile,
die Dynamitbüchse ungefähr im ersten Drittel der Mauerhöhe anzubringen, anstatt sie
auf den Boden zu legen.
Vierter Versuch. – Ein vierter Versuch wurde
abgeführt, um eine früher von den mit der Anwendung des Dynamits beauftragten
Officieren beobachtete Wirkung zu controlliren. Dieselben hatten nämlich gefunden,
daß wenn sie eine Dynamitladung an einer der vier inneren Mauern eines Zimmers
anbrachten, nur in dieser Mauer eine Bresche entstand, während die drei anderen
Mauern umgeworfen wurden. Ließen sie dagegen die Ladung in der Mitte des Zimmers
explodiren, so stürzten alle vier Mauern ein. Es fragte sich daher, ob es nicht von
Vortheil ist, die Charge, wenn man sie absteifen kann, von der einzulegenden Mauer
etwas zu entfernen. Zu diesem Zwecke wurden vier Kilogrm. Dynamit, in zwei
Leinwandsäcke vertheilt, also ungefähr dieselbe Gewichtsmenge wie die bei den früheren
Versuchen angewendete – auf einen Stein von 0,15 Met. Höhe über dem Boden und
0,50 Met. von der Wand entfernt, in eine von vier Erdsäcken gebildete, nach der Wand
zu offene Nische gestellt. Es entstand nur eine kleine Bresche von 0,50 Met. Breite
und 0,50 Met. Höhe; aber die Mauer wurde in ihrer ganzen Höhe und auf mehr als 3
Met. Breite erschüttert. Die Deckplatten wurden aus ihrer Lage geworfen. Mit einigen
Faustschlägen, ohne jedes Werkzeug, ließ sich der ganze erschütterte Mauertheil
einschlagen. Wahrscheinlich würden bei einer weniger guten, nur mit Lehm
hergestellten Mauer, die Vorzüge dieses Verfahrens noch mehr hervorgetreten
seyn.
Den Resultaten dieser Versuche zufolge werden also die anzuwendenden Dynamitmengen
nach der Stärke der einzulegenden Mauer abzumessen seyn; ferner wird man die
Behälter des Sprengmittels um so weiter von der betr. Mauer entfernt aufzustellen
haben, je geringer deren Festigkeit ist; denn eine schlechte Mauer gibt leicht der
zerschmetternden Wirkung nach, leitet dagegen die Erschütterung weniger gut
fort.
Bei der heftigen Kälte des vorigen Winters und gegenüber der Schwierigkeit, den
zuweilen bis auf 45 Centimeter Tiefe gefrorenen Boden selbst mit der Keilhaue
anzugreifen, kamen wir auf den Gedanken, zum Auswerfen von Gräben, Tranchéen
etc. den Dynamit zu benutzen. Bei mehreren Versuchen wurden Löcher von 3 1/2
Centimeter Durchmesser unter einem Winkel von 45° ungefähr 40 Centimeter tief
abgebohrt. Diese ungefähr 1 Meter von einander entfernt angesetzten Bohrlöcher
wurden mit je 120 Grammen Dynamit geladen; als Besatz diente Wasser oder Erde. Nach
der Explosion genügte gewöhnlich die Brechstange zum Aufheben von Blöcken gefrorener
Erde von 60 bis 80 Centimeter Breite.
Da die Wirkungen des Dynamits um so kräftiger sind, je größer der ihm dargebotene
Widerstand ist, so wird seine Anwendung um so vortheilhafter, je schwieriger die
Arbeit mit der Keilhaue ist.
Der Dynamit läßt sich selbst bei der heftigsten Kälte zum Detoniren bringen; nur muß
man von dem zur Erzeugung der Explosion erforderlichen Knallquecksilber eine um so
größere Menge anwenden, je höher die Kälte ist. Eine Ladung von 1 Gramm dieses
Präparates zeigte sich bei einer Temperatur von – 6 bis 7°C. stets
hinreichend, um die Explosion des Dynamits herbeizuführen.
Bei der Anwendung des Dynamits muß die Zündung an der das Knallquecksilber zum
Detoniren bringenden Zündschnur gut befestigt seyn, und letztere darf nicht mit dem
Dynamit in unmittelbarer Berührung stehen. Ohne diese Vorsichtsmaßregel kann der
Dynamit abblitzen, ohne zu detoniren, also seine Dienste bei den beabsichtigten
Operationen versagen.