Titel: | Beschreibung des Ernstv. Paschwitz'schen Militär-Distanzmessers, System II. |
Autor: | Ernstv. Paschwitz, Ernst v. Paschwitz |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. LV., S. 235 |
Download: | XML |
LV.
Beschreibung des Ernstv. Paschwitz'schen Militär-Distanzmessers, System II.
Mit Abbildungen auf Tab.
IV.
v. Paschwitz'scher Militär-Distanzmessers.
Im Jahrgang 1868 dieses Journals, Bd. CLXXXVIII S. 438, befindet sich die
Beschreibung eines von mir construirten Distanzmessers, der die Entfernung eines
Objectes von einem einzigen Beobachtungspunkt aus angibt
und der auf Grund vorgenommener Prüfung von der königl. bayerischen
Artillerie-Berathungs-Commission als „entschieden das beste
Instrument dieser Art“ bezeichnet wurde. Der große Aufwand aber an
Zeit, Mühe und Kosten, welcher, um es für den praktischen Gebrauch verwendbar zu
machen, noch in Aussicht stand, veranlaßte mich, dieses System vorläufig beiseite zu
stellen und im Verein mit meinem Bruder Carl, dermalen
Ober-Ingenieur des Baues der deutsch-croatischen Verbindungsbahn,
vorliegendes Instrument, System II, welches zwei
Beobachtungpunkte erfordert, herzustellen, da wegen der Größe der
zulässigen Basis größere Leistungsfähigkeit bei geringeren Hülfsmitteln zu erwarten
war.
Bevor ich aber zur Beschreibung dieses neuen Systemes schreite, will ich Einiges über
den Nutzen solcher Instrumente für die neuere Artillerie
sagen, da man noch häufig die Ansicht zu hören bekommt, „die Artillerie
brauche keine Distanzmesser, denn sie schieße sich ein in wenigen
Minuten,“ eine Behauptung die ich auf Grund militärischer Berichte in
Nr. 14 und 15 der „Allgemeinen Militär-Zeitung“ von 1870
für Entfernungen über 3000 Schritt in's Gebiet des Irrthums verwiesen habe, wie sich
auch aus nachfolgendem Calcul ergibt.
Es kann angenommen werden, daß ein sehr geübter
Taxator
bei
1000
Schritt
bis
120
Schritt,
„
2000
„
„
300
„
„
3000
„
„
600
„
sich irren kann (man s. die Brochüre: „Ueber den
taktischen Werth unserer heutigen Feld-Artillerie, von einem preußischen
Officier; Berlin, S. 11), eine Scala von deren Richtigkeit man sich leicht
durch einen Spaziergang vor die Stadt überzeugen kann, wenn man die Entfernung der
verschiedenen Thürme und hervorragenden Gebäude von einem bekannten Punkt aus
schätzt und notirt, und zu Hause mit einem guten Plan vergleicht. Bei 3000 Schritt Distanz ist der
vom gezogenen 6 Pfänder hinter einem 6 Fuß hohen Ziele bestrichene Raum 14 Schritt,
mithin bietet ein auf Geradewohl der Schätzung auf diese Entfernung abgegebener
Schuß eine Treffwahrscheinlichkeit von nur 14/600 d. i. = 1/43. Vorliegendes
Instrument hat nun bei 25 Meter Basis und 3000 Schritt Distanz im Mittel Differenzen
von 1 Procent, so daß sich also hierbei eine Treffwahrscheinlichkeit von 14/30 d. i.
= 1/2 und gegen das Distanzschätzen also eine zwanzigfache Sicherheit des Schusses
ergibt. Hierzu kommt noch, daß die richtig bemessene Distanz
neben der richtigen Elevation des Geschützrohres auch noch ein richtiges
Tempiren der Shrapnels gestattet, sowie überhaupt den mit Erfolg beschießbaren
Raum um ein Beträchtliches, vielleicht das Doppelte erweitert.
Dem praktischen Sinne der Engländer blieb dieses Verhältniß der
Artillerie-Wirkung zwischen geschätzten und gemessenen Distanzen nicht
unbekannt, wie die großartigen Versuche beweisen, welche im Jahre 1869 mit dem Nolan'schen Distanzmesser angestellt wurden, wobei auf
den verschiedenen englischen Schießplätzen viele tausend Schüsse theils auf
geschätzte, theils auf mit diesem Instrumente gemessene Distanzen abgegeben wurden,
und es ist auf Grund dieser Versuche mit dem militärischen Herrn Berichterstatter
dieses Journals anzunehmen, daß die Wirkung der Artillerie durch Benutzung eines
genauen und eine geringe Basis in Anspruch nehmenden Distanzmessers auf das
Vierfache erhöht werden kann.
Die Beschreibung des Nolan'schen Instrumentes und der
gedachten Versuche befindet sich im Jahrgang 1870 dieses Journals Bd. CXCVI S. 505. Aber wie kann ein
Instrument wie das Nolan'sche für den Feldgebrauch
geeignet seyn, welches aus vier Fernrohren, wovon je zwei durch einen drehbaren
Zapfen vereinigt sind, besteht, mit zwei eingetheilten Kreisbögen und Nonien
versehen ist und zum Schluß noch die Auflösung eines schiefwinkeligen Dreieckes bei
gegebener Basis und den beiden anliegenden Winkeln erfordert.
Nach dieser Abschweifung kehren wir wieder zu unserem Distanzmesser, System II,
zurück. Dieses Instrument hat eine Basis von 25 Meter, an welcher der eine Winkel
constant und nahezu ein rechter, der andere variabel, eine Function der Distanz ist.
Dieser variable Winkel wird jedoch nicht mittelst eines eingetheilten Kreisbogens,
sondern mittelst eines an einem Ende der Basis horizontal aufgestellten Maaßstabes
gemessen, während sich das Instrument am anderen Ende der Basis, also in 25 Meter
Abstand befindet. Die einzelnen Theile sind:
1) das optische Instrument,
2) die beiden Stative,
3) der Meßstab,
4) die Ausgleichvorrichtung, und
5) die Meßschnur.
ad 1. Das optische Instrument,
Fig. 11,
ist ein Fernrohr A, B mit Fadenkreuz und einem Spiegel
D, der unter ungefähr 45° zur optischen Achse
vor dem Objectiv befestigt ist, jedoch bloß die eine Hälfte dieses Glases verdeckt;
durch diese Anordnung werden zwei um ca. 90° von
einander abstehende Gesichtsfelder erhalten. Außerdem ist im Fernrohr noch eine
Compensations-Vorrichtung angebracht, um beide etwas von einander abstehenden
Bildebenen zur Vermeidung von Parallaxen in der Ebene des Fadenkreuzes zu
vereinigen. An der Außenseite des Instrumentes befinden sich zwei Ringe E, E, mittelst deren es in die Lager der Stative
eingelegt und wie ein Nivellirinstrument um seine Achse gedreht werden kann.
ad 2. Die beiden Stative I und
II tragen gabelförmige Lager zum Einlegen des Instrumentes und sind mit
Vorrichtungen zum Horizontal-Einstellen, sowie Auf- und Niederkippen
versehen. Durch Anwendung zweier Stative anstatt eines einzigen, wird das Ausstecken
von Meßpflöcken und Einlothen des Statives erspart und so an Genauigkeit und Zeit
gewonnen.
ad 3. Der Meßstab, ca. 1 Meter lang, wird während des Vermessens
horizontal an das Stativ Nr. I befestigt; auf ihm sind die Distanzen bis 4000 Meter
bezeichnet, Fig.
12.
ad 4. Die Ausgleichvorrichtung
besteht in zwei in Millimeter getheilten Ausgleichstäben, je 200 Millimeter lang,
von denen der eine am Stative Nr. I, beziehungsweise am Meßstabe, der andere am
Stativ Nr. II angebracht ist. Diese Vorrichtung ermöglicht, daß die
Vertical-Achse des Statives Nr. II um die halbe Länge der Ausgleichstäbe,
hier bis 100 Millimet. rechts oder links vom Fadenkreuz des Spiegelbildes entfernt
seyn darf, ohne daß hierdurch ein Fehler entsteht; ihr Zweck ist Zeitersparung und
Erhöhung der Genauigkeit.
ad 5. Die Meßschnur ist 25
Meter lang und dient zur Bestimmung des Abstandes der beiden Stative.
Soll die Distanz eines Gegenstandes gemessen werden, so
wird zuerst Stativ Nr. I aufgestellt, das Instrument in's Lager eingelegt und das
gegebene Object einvisirt. Hierauf läßt man Stativ Nr. II mit Hülfe der Meßschnur in
25 Meter Abstand rechts davon ausstellen, so daß das Fadenkreuz im Instrumente
nahezu die Mitte des Statives schneidet, wobei die Größe des Abstandes der Vertical-Achse des
Statives vom Fadenkreuzmittel durch die Ausgleichvorrichtung abgelesen wird. Sodann
begibt sich der Beobachter mit dem Instrumente an das Stativ Nr. II, legt das
Instrument auch hier in das Lager, visirt nach dem Objecte und läßt durch Zurufen
vom Gehülfen das Zieltäfelchen auf dem Meßstab, – welcher wie oben gesagt am
Stativ Nr. I horizontal und zwar nach Maaßgabe der Ausgleichvorrichtung befestigt
wird – auf das Fadenkreuz einstellen, worauf die Distanz unmittelbar
abgelesen werden kann.
Die Zeitdauer einer Vermessung beträgt bei 2 Mann
Bedienung 3, längstens 4 Minuten; stehen aber die Stative bereits an ihrem Platze,
so genügen 1 bis 2 Minuten.
Die Leistungsfähigkeit ist größer als die jedes anderen
derartigen Instrumentes, weil in Folge des Umstandes daß alle Theile fest und
unbeweglich mit einander verbunden sind, das Instrument also gewissermaßen einen
einzigen starren Körper bildet, alle jene Fehlerquellen vermieden sind, welche bei
gekreuzten Fernrohren, wie z.B. bei dem oben erwähnten Nolan'schen Distanzmesser u.s.w. stets in hohem Grade störend auftreten
müssen. Die Fehler für sämmtliche Distanzen bis 5000 Schritt übersteigen bei 25
Meter Basis im Mittel nicht zwei Procent. Aber auch in Beziehung auf allgemeine Verwendbarkeit ist es allen derartigen
Instrumenten überlegen, weil es wegen seiner Einfachheit leicht transportirt und für
gleiche Leistungsfähigkeit eine vielfach kleinere Basis erfordert.
Während des Transportes kann das Instrument in einem Protzkasten, die Stative können
an der Laffette oder an einem anderen Fahrzeuge Unterkunft finden; beim Gebrauche
können die Stative zwischen den Geschützen placirt werden, so daß also der
Beobachter mit der Geschützbedienungsmannschaft in keine Berührung kommt.
Ein anderweitiges System eines Distanzmessers, welches einfacher ist als das
beschriebene und bei dem man sich selbst bei doppelt so großer, also bei 50 Meter
Basis noch mit der halben Genauigkeit zufrieden geben würde, gibt es nicht und kann
es auch nicht geben, das würde umsonst erhofft. Hier ist es nicht wie bei den
Rückladungsgewehren, deren es einige Dutzend Systeme gibt, hier sind um das Bereich
der Möglichkeit sehr enge Grenzen gezogen. Sollte aber dennoch Jemand der Meinung
seyn, ein zweckmäßigeres System in Vorschlag bringen oder die Neuheit vorliegenden
Instrumentes in Zweifel ziehen zu können, den bitte ich behufs Anstellung näherer
Erörterungen seine Ansichten in diesem Journal aussprechen zu wollen.
Nachdem übrigens die englichen Versuche die Vortheile der Benutzung eines
Distanzmessers in so entschiedener Weise dargethan haben, kann es sich gar nicht
mehr darum handeln, „ob“ man sich
derartiger Instrumente, sondern lediglich „welches“ Systemes man sich bedienen will, eine Frage die in
kurzer Zeit und mit geringem Aufwände gelöst werden kann.
Bodenwöhr bei Regensburg, im Sommer 1871.
Ernst v. Paschwitz.