Titel: | Ueber Dampf-Artillerie. |
Fundstelle: | Band 199, Jahrgang 1871, Nr. XII., S. 41 |
Download: | XML |
XII.
Ueber Dampf-Artillerie.
Nach dem Engineer, October 1870, S.
281.
Ueber Dampf-Artillerie.
Herr Bessemer hat die längst veralteten Vorschläge über Dampfgeschütze neuerdings mit
dem einer Dampf-Mitrailleuse vermehrt, was den
Verfasser des Artikels unserer Quelle veranlaßte, nach einigen scharfen
Vorbemerkungen die nachfolgende, auch wohl für weitere Kreise interessante sachliche
Beurtheilung dieses Projectes zu liefern.
„Hr. Bessemer geht von der Voraussetzung aus,
daß mit ungefähr fünf Pfund Kohlen und drei Gallons (30 Pfd.) Wasser Kraft genug
entwickelt werden könne, um 2540 Kugeln des Enfield-Gewehres in einer
Minute eine engl. Meile hoch zu heben, was wahrscheinlich nahezu richtig, hier
aber einer genauen Berechnung zu unterziehen ganz unnöthig ist. Er nimmt ferner
an, daß diesen 2540 Kugeln durch einen in passender Röhre wirkenden Dampfstrom
von 150 Pfd. Pressung pro Quadratzoll die
Geschwindigkeit von beiläufig 1900 Fuß pro
Zeitsecunde beigebracht werden könne, welche sich wohl auf etwa 1600 Fuß pro Zeitsecunde vermindern dürfte, auch dann aber
immer noch größer als die des Armstrongkanonen-Geschosses sey, daher man
die Herstellungsmöglichkeit eines guten Dampfgeschützes als erwiesen betrachten
könne, wobei er von der Mittheilung der dem brittischen Gouvernement
vorbehaltenen Constructions-Angaben absieht.
Diesem Project sind zwei Einwendungen entgegen zu stellen, welche hier gesondert
zur Betrachtung kommen mögen.
Erstens ist es nämlich unmöglich, daß Dampf von 150 Pfd. Pressung pro Quadratzoll den in einem Rohre von practicabler
Länge eingeschlossenen Kugeln annähernd eine Geschwindigkeit von 1900 oder auch
nur von 1600 Fuß pro Zeitsecunden zu ertheilen
vermöge, was, da hier die Art des Geschosses sowie größeres oder kleineres
Kaliber nebensächlich sind, durch Betrachtung eines Dampf-32 Pfünders
nachgewiesen werden soll, wobei in diesem für das größere Publicum geschriebenen
Artikel von kleinen Bruchtheilen abgesehen werden darf.
Es ist ein eben so klar erwiesenes als einleuchtendes Princip, daß die in einer
Masse hervorgebrachte Kraftwirkung stets in Relation zur Größe der einwirkenden
Kraft und zur Zeit ihrer Thätigkeit in der Masse steht, mit anderen Worten, daß
eine kleinere Kraft in längerer Zeit ebenso viel Wirkung als eine größere Kraft in kürzerer Zeit
hervorzubringen vermag. Wendet man dieses Princip auf Dampfgeschütze an, und
legt dabei die Annahmen zu Grunde, es sey ein 32 Pfänder von 21 Fuß 4 Zoll
Rohrseelen-Länge construirt, dessen Ladungsraum durch ein kurzes Rohr von
6,2 Zoll Weite (dem Kaliber des Geschützrohres) mit dem Inneren eines riesigen
Dampfkessels in Verbindung gebracht werden kann, welcher 150 Pfund Druck pro Quadratzoll liefert, ferner daß sich die
Geschütz-Kugel dampfdicht, aber ohne Reibung im Rohr befindet; so beträgt
die Kraft welche auf letztere einwirken kann, 150 × 6,2² ×
0,7854 = in runder Zahl 4500 Pfund; die Zeit aber, während welcher diese Kraft
bei 1600 Fuß Geschwindigkeit und 21 Fuß 4 Zoll Rohrlänge auf die Kugel einwirken
kann, beträgt nur 1/75 Zeitsecunde und es fragt sich nun, ob in dieser Zeit
wirklich 32 Pfund Masse durch 4500 Pfund Kraft eine Geschwindigkeit von 1600 Fuß
pro Zeitsecunde erhalten können, worüber die
bekannte Formel Ft = mv Aufschluß gibt, in welcher F die Kraft und t die
Zeit ihrer Wirkung in Secunden, m die Masse des in
Bewegung gesetzten Körpers und v die derselben
ertheilte Geschwindigkeit bedeuten.
Setzt man zu dem Ende das Gewicht W der Kugel gleich
32 1/6 Pfd., so ist, für die Beschleunigung der Schwere g = 32 1/6 Fuß, die zu bewegende Masse:
m = W/g = (32 1/6)/(32 1/6) = 1
und darnach im vorliegenden Falle die erforderliche Kraft
F = mv/t × 1600 × 75 = 120000 Pfd.,
so daß also Hr. Bessemer mit seiner Annahme es seyen
4500 Pfund hierzu genügend, vollständig im Irrthume ist.
Andererseits läßt sich aber auch darthun, daß durch 4500 Pfund Kraft einer 32 1/6
Pfund schweren Masse erst in 1/3 Zeitsecunde die Geschwindigkeit von 1600 Fuß
pro Zeitsecunde ertheilt werden kann, was zu
einer Geschützrohrlänge von 1600 × 0,3 = 480 Fuß führen würde; eine
solche wird Hr. Bessemer bei Construction seines
Dampfgeschützes wohl nicht befürworten wollen, und sie müßte, selbst wenn man,
gerne zugebend daß das Geschoß sich nicht von Anfang an im Rohre mit der
Geschwindigkeit von 1600 Fuß bewegen werde, die zwischen ihr und Null liegende
mittlere Geschwindigkeit von 800 Fuß in Rechnung stellt, noch immer 240 Fuß
betragen.
Alles was Hiermit für den 32 Pfänder festgestellt ist, läßt sich aber auch auf
das Enfield-Gewehr anwenden, da, es mögen Unzen, Grane oder Tonnen in Rechnung
gestellt werden, die betreffenden numerischen Relationen stets constant bleiben,
so lange Dampfdruck und Geschwindigkeit sich nicht ändern. Würde aber ein
Dampfdruck von 150 Pfd. pro Quadratzoll zur
Ertheilung einer Geschwindigkeit von 1600 Fuß pro
Zeitsecunde genügen, so muß man fragen warum denn eine Pressung von 15 bis 20
Tonnen pro Quadratzoll, wie sie das verbrennende
Pulver liefert, nur 1200 Fuß Geschwindigkeit hervorbringt?
Wir gehen nun auf den zweiten Einwand gegen Hrn. Bessemer's Vorschlag über. Selbst zugegeben, daß ein Dampfstrom von
1900 Fuß Geschwindigkeit pro Zeitsecunde eine
Geschoßgeschwindigkeit von 1600 Fuß pro Zeitsecunde
hervorzubringen vermöge, ist dieses doch jedesmal nur für eine einzige Kugel zu
verstehen, da durch Einsetzen einer zweiten Kugel bevor die erste das Rohr
verlassen hat, dieses Geschwindigkeitsverhältniß sich selbstverständlich ändern
würde. Man kann dabei also höchstens 75 Kugeln pro
Zeitsecunde abschießen und hierzu gehören bei einer
Dampfeinströmungs-Oeffnung von 0,6 Quadratzoll, wie Hr. Bessemer selbst sie annimmt, 13680 Kubikzoll Dampf
pro Zeitsecunde, also 475 Kubf. pro Minute und 28500 Kubikfuß pro Stunde, was, da das Volum des Dampfes von 150 Pfund Druck pro Quadratzoll etwa 180 Mal so groß als das des
zugehörigen Wassers ist, 28500/180 = 158,3 Kubikfuß Wasser in Dampf zu
verwandeln erfordert. Mit anderen Worten, Hr. Bessemer würde aus einem auf 160 Pferdekräfte berechneten Kessel einen
constanten Dampfstrom von 150 Pfund Pressung und 0,6 Quadratzoll Querschnitt
abzugeben haben, was ein Tonnengewicht dieses Kessels bedingt, welches für ein
Schlachtfeld sehr ungeeignet erscheinen dürfte.
Von weiteren gegen das Project vorzubringenden Einwendungen soll hier abgesehen
werden; es ist dasselbe seiner Theorie nach von Anfang an mangelhaft und
überdieß veraltet. Ist es möglich, daß Hr. Bessemer
niemals von Jacob Perkins' Geschütz gehört hat,
welches mit Dampf von 1000 Pfund Druck pro
Quadratzoll nur einen sehr beschränkten Grad von Erfolg erreichen
ließ?“