Titel: | Ueber die mechanischen Eigenschaften des phosphorhaltigen Stahles; von L. Gruner, Professor der Metallurgie an der Bergschule zu Paris. |
Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. XCV., S. 336 |
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XCV.
Ueber die mechanischen Eigenschaften des
phosphorhaltigen Stahles; von L.
Gruner, Professor der Metallurgie an der Bergschule zu Paris.
Aus den Comptes rendus, t. LXX p. 571; März
1870.
Gruner, über die Eigenschaften des phosporhaltigen
Stahles.
In meiner im Jahre 1869 veröffentlichten Abhandlung über das Heaton'sche Frischverfahren wies ich nach, daß ein Phosphorgehalt des
Stahles von 2 bis 3 Tausendteln für die Verarbeitung des Stahles in der Hitze nicht
nachtheilig ist, und daß sogar der Bruchwiderstand, wenn man ihn auf dem Wege
stufenweise verstärkter Zugkraft bestimmt, dadurch schwach erhöht wird; daß aber der
Phosphor gleichzeitig die Sprödigkeit des Stahles erhöht, so daß der phosphorhaltige
Stahl weniger Körper (Sehne) hat als der reine Stahl (m. s. dieses Journal Bd. CXCV S. 129).
Seitdem ist W. Fairbairn in Manchester bei Vergleichung
des Heatonstahles mit den gewöhnlichen Stahlsorten zu
viel günstigeren Schlüssen gelangt. Dieser Ingenieur hatte i. J. 1867 der British Association in ihrer 37. Versammlung die
Resultate seiner zahlreichen Versuche über die mechanischen
Eigenschaften des Stahles mitgetheilt; er hatte damals 45 Stahlbarren von
den bedeutendsten Fabrikanten zu Sheffield der dreifachen Probe der Biegung, des Zuges und des Druckes unterworfen. Im letzten Jahre theilte nun Fairbairn demselben Verein in dessen 39. Versammlung die
Resultate von eben solchen Versuchen mit, welche mit 6 Barren Heatonstahl der Fabrik zu Langley Mill angestellt wurden, wornach dieser
Stahl dem Sheffielder überlegen ist.
Fairbairn's Schlußfolgerungen
sind nämlich folgende:
„Der Heatonstahl zeigt im Widerstand gegen Querdurchbiegung eine auffallende Ueberlegenheit
gegen alle früher probirten Stahlsorten, durchschnittlich im Verhältniß von 1,3
zu 1.
Der lebendige elastische Widerstand dieser Barren ist
sogar 1 3/4 mal so groß als das Mittel der anderen Stahlsorten, was beweist
(fügt Fairbairn bei) daß der Heatonstahl ganz besonders geeignet ist dem Stoß (force of impact) und einem bedeutenden Querdruck zu widerstehen.
Die Biegsamkeit und der Elasticitätscoefficient des Heatonstahles
sind jedoch etwas geringer, liegen aber nicht viel unter dem allgemeinen
Mittelwerth.
Die mittlere Bruchbelastung der 6 Heatonbarren ist größer als das allgemeine Mittel,
und da gleichzeitig die Verlängerung dieser Barren eine beträchtliche ist, so
ergibt sich daraus ein großer lebendiger
Bruchwiderstand.
Endlich ist der Widerstand gegen das
Zusammendrücken ebenfalls ein großer.
Hiernach, sagt Fairbairn, hat der Heaton'sche Stahl eine bedeutende Zukunft, um so mehr als
er aus Roheisen von sehr geringer Qualität dargestellt wird und dasselbe sehr
vortheilhaft zu verwerthen gestattet.
Da diese neueren Versuche mit dem Heaton stahl keine
Uebereinstimmung mit den Resultaten zeigten, welche ich aus den Versuchen von Kirkaldy abgeleitet hatte (diese waren mit Stahl aus
Roheisen von Longwy und Hayange angestellt), so beschloß ich die von Fairbairn benutzten Stäbe – von welchen er mir auf
Ersuchen Stücke überließ – auf ihren Phosphorgehalt zu untersuchen und auch
das Roheisen zu analysiren, aus welchem dieselben dargestellt worden waren.
Dieses Roheisen (welches ich von Heaton's Hütte bezog) ist hellgrau und wenig graphitisch; es ergab
bei der Analyse:
Silicium
0,0210
Phosphor
0,0106
Schwefel
0,0019
Die übrigen Bestandtheile wurden nicht bestimmt.
Dieses Roheisen war im Heaton'schen Converter mit 12,4
Proc. Chilisalpeter und 1,2 Proc. Quarzsand verfrischt worden.
Nach meinen früheren Untersuchungen erscheint die angewandte Salpetermenge
unzulänglich, so daß das gefrischte Metall noch fremdartige Substanzen enthalten
muß.
In der That ergab auch die Analyse der 6 Stahlbarren:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Kohlenstoff
0,0049
0,0057
0,0052
0,0054
0,0054
0,0047
Silicium
0,0010
0,0012
0,0016
0,0010
0,0012
0,0009
Phosphor
0,0030
0,0023
0,0024
0,0024
0,0028
0,0023
Schwefel
keine
0,0001
0,0001
0,0001
sehr geringe
keine Spur.
Spur
höchstens
höchstens
höchstens
Spuren
Man sieht aus diesen Resultaten, daß die 6 Barren sich sehr gleichen, was mit ihrem
gemeinschaftlichen Ursprung übereinstimmt. Es ist dieß ein wenig harter Stahl,
welcher sich leicht feilen läßt und nur 0,005 bis 0,006 Kohlenstoff, aber noch
0,0023 bis 0,0030 Phosphor enthält.
Daraus würde in der That hervorgehen, wenn anders die Schlüsse Fairbairn's richtig wären, daß
0,002–0,003 Phosphorgehalt den Stahl in vieler Beziehung besseren und
besonders die Elasticitäts- so wie die Festigkeitsgrenzen erweitern. Das kann auch in Bezug auf
die letztgenannten Functionen der Cohäsionskraft zutreffen, doch darf man daraus
nicht folgern, daß die nämlichen Stahlstäbe auch den
schwingenden Wirkungen eines Stoßes widerstehen können. An Fairbairn's Resultaten selbst kann man ganz leicht entwickeln, daß
auch diese Proben dieselben Fehler im Stahl nachweisen, wie die s. Z. von Kirkaldy angestellten. Auch die vorliegenden Stäbe
zeigten eine gewisse Sprödigkeit und einen Mangel an Körper; sie erscheinen deßhalb
außer Stande, die molecularen Erschütterungen der Stöße
und Schläge zu ertragen.
Zunächst muß bemerkt werden, daß das Maximum der elastischen Dehnung welches aus den Biegungsversuchen
berechnet wird, nothwendigerweise kleiner ausfallen muß als das Zerreißungsgewicht welches bei directen Versuchen durch
Zug angewendet wird. Trotzdem tritt der Fall ein, daß bei der Inangriffnahme auf Zug
ein Stab zerreißt, ehe die volle Belastung angehängt wurde; die Veranlassung zu
diesem nichtnormalen Verhalten kann eine leichte Erschütterung, ein Stoß oder etwas
dergleichen seyn. Die Ursache aber liegt in der Beschaffenheit des Stahles selbst,
in einer gewissen Sprödigkeit und Kürze des Korns.
Bereits bei den früheren Versuchen Fairbairn's mit englischen Stahlsorten (1867) zeigte sich ein
solches Verhalten, als sehr harter Werkzeugstahl probirt wurde.
Ein Stahl mit Nr. 1 bezeichnet zerriß bei 37,96 Tonnen, seine
Elasticitätsgrenze lag bei 30,53 Tonnen;
ein Stahl mit Nr. 37 bezeichnet zerriß bei 39,75 Tonnen, seine
Elasticitätsgrenze lag bei 39,08 Tonnen;
ein Stahl mit Nr. 39 bezeichnet zerriß bei 38,02 Tonnen, seine
Elasticitätsgrenze lag bei 35,02 Tonnen.
Dieselben Proben ergaben:
Contraction
elastischeDehnung
permanenteDehnung
für Nr. 1
0,00
0,006
0,0025
für Nr. 37
0,02
0,0106
0,0106
für Nr. 39
0,01
0,002
0,0012.
Dagegen zeigt weicher Stahl oft
0,50 als Werth der Contraction,
0,10 – 0,15 als elastische Dehnung,
0,15 – 0,20 als permanente Dehnung.
Bei den Versuchen mit den 6 Barren Heaton stahl zeigen
sich folgende durchaus verschiedene Resultate. 2 Stäbe zerrissen, ehe die Belastung
das der Elasticitätsgrenze entsprechende Maximum erreicht hatte, und zwar:
Nr. 2
bei
41,70 Tonnen, anstatt bei
47,27 Tonnen,
„ 4
„
46,82
„
„ „
48,56 „
Auch hierbei ist entschieden Sprödigkeit vorhanden, die noch aus der weiteren Thatsache hervorgeht,
daß 4 Stäbe ohne jede Contraction, also ganz plötzlich, zerrissen, aber starke
Dehnungen von 0,031–0,094 erlitten. Die Sprödigkeit hängt somit hier nicht mit einem etwaigen hohen Härtegrad zusammen, sondern rührt von einer Kürze
des Gefüges her.
Die Weichheit des Stahles wird nicht allein durch den geringen Kohlenstoffgehalt und
die Feilbarkeit, sondern auch durch die Dehnungen bewiesen, denen sich die
Zusammenpressungen beim Druck an die Seite stellen. Die letzteren erreichen nämlich
0,247–0,333 per 100 Tonnen pro Quadratzoll, während harte Stahlsorten der ersten Versuchsreihe
höchstens 0,15–0,24 ergeben.
Folglich sind die phosphorhaltigen Stahlsorten spröde, ohne
hart zu seyn.
Eine andere Eigenthümlichkeit dieser Producte ist ihre Starrheit und die eminente Elasticität; bezieht
man alle Durchbiegungen auf die Elasticitätsgrenze und auf die durchschnittliche
Stärke von 1 Quadratzoll engl., so zeigen die 6 Stäbe Heaton stahl Werthe, die zwischen 1,01 und 1,88 Zoll liegen; das Mittel
der anderen Stäbe ist dagegen 1,30–1,50 Zoll und nur in 3 Fällen von 45
überschreitet die Durchbiegung 1,60 Zoll.
Dabei ist aber zu bemerken, und dieses wurde von Fairbairn
übersehen, daß diese gesteigerten Leistungen sich nur bei
allmählicher Belastung, niemals bei plötzlicher, ruckweiser erzielen lassen.
Aus dem Vorstehenden ergeben sich folgende Schlußfolgerungen:
1) Der Phosphor, im Verhältniß von 0,002–0,003 macht den Stahl starr und elastisch, vermehrt
die elastische Spannkraft und die Bruchfestigkeit, ohne die Härte zu verändern. Aber dieser Stahl, auch
wenig gekohlt, mangelt des Körpers (der Sehne) und ist kurzbrüchig und spröde.
2) Um diese nachtheiligen Eigenschaften zu erkennen, ist es nothwendig, außer Zug und Querbelastung, noch
Stoß und Schlag anzuwenden.
3) Die Fairbairn'schen Versuche gestatten nicht, über den Heaton'schen
Proceß endgültig abzusprechen; auch hierbei, wie bei den
Versuchen mit Lothringer Eisen waltet der Umstand ob, daß die Salpetermenge eine zu
geringe war, um sämmtliche fremdartige Bestandtheile des Roheisens zu oxydiren.
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Nach dem Vortrage vorstehender Mittheilung in der (französischen) Akademie bemerkte
Boussingault, er theile vollkommen die von
Gruner ausgesprochene Ansicht, daß man noch keineswegs
berechtigt sey anzunehmen, die Qualität des Stahles werde durch geringe Mengen von
Phosphor verbessert. Er fügte bei, daß von Salet,
Präparator bei Prof. Wurtz,
ein sehr sinnreicher Apparat construirt worden sey, um die geringsten Mengen von
Phosphor im Stabeisen und Stahl zu erkennen, nämlich durch das Spectrum welches sich
während der Verbrennung des Wasserstoffgases zeigt, das sich bei der Behandlung des
Metalles mit Chlorwasserstoffsäure entwickelt.