Titel: | Ueber ein neues Schießpulver mit pikrinsaurem Ammoniak; von Brugère. |
Fundstelle: | Band 194, Jahrgang 1869, Nr. CII., S. 499 |
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CII.
Ueber ein neues Schießpulver mit pikrinsaurem
Ammoniak; von Brugère.
Aus den Comptes rendus, t. LXIX p. 716; September
1869.
Brugère, über ein Schießpulver mit pikrinsaurem
Ammoniak.
Wird pikrinsaures Ammoniak mit einem brennenden Körper in Berührung gebracht, so
detonirt es nicht, wie dieß mit den meisten anderen Pikrinsäuresalzen der Fall ist;
es entzündet sich ohne Explosion, brennt langsam mit röthlicher Flamme ab, und
hinterläßt einen starken Kohlerückstand.
Ich kam auf den Gedanken, das genannte, eine so reichliche Menge von gasförmigen
Producten liefernde Ammoniaksalz mit Salpeter zu verbinden und erhielt auf diese
Weise langsam verbrennende Pulversorten,Man vergl. Payen's Bericht über Designolle's Pulver mit pikrinsaurem Kali als
Basis, im polytechn. Journal Bd. CXCII S.
67 (erstes Aprilheft 1869). deren Verbrennungsgeschwindigkeit dem relativen Mengenverhältniß ihrer
beiden Gemengtheile entspricht. Diejenige von diesen Pulversorten, welche als
Schießpulver die besten Resultate giebt, besteht aus
54 Theilen pikrinsaurem Ammoniak und
46 Theilen salpetersaurem Kali.
Beim Verbrennen dieses Salzes wird sämmtliche Kohle verbrannt; der Rückstand enthält
nur kohlensaures Kali. Die nachstehende Formel versinnlicht die bei diesem Vorgange
stattfindende Reaction:
NH⁴O², C¹²H²(NO⁴)³ + 2 (KO,
NO⁵) = 10 CO² + 6 N + 6 H + 2 (KO, CO²).
Ich nehme an, wie es auch der Wirklichkeit nahezu entspricht, daß die von der
Verbrennung dieses Pulvers in einem geschlossenen Raume herrührenden Producte, mit
Ausnahme der Kohlensäure, nur aus permanenten Gasen bestehen.
Dieser Gleichung zufolge würden 100 Grm. des in Rede stehenden Pulvers bei der
Verbrennung 38,86 Grm. kohlensaures Kali und 69,14 Grm. gasförmige Producte geben
müssen, welche bei 0° Temperatur und normalem Barometerstande ein Volum von
52,05 Liter einnähmen. Indessen stellt sich, meiner Beobachtung zufolge, die Menge
der gebildeten Gase in der Praxis als geringer heraus, indem das Volum derselben nur
48 Liter beträgt. 100 Grm. von gewöhnlichem Schießpulver geben nach Bunsen und Schischkoff bei der
Verbrennung 68,06 Grm. festen Rückstand und 31,38 gasförmige Producte, welche bei
der Temperatur von 0° und normalem Barometerstande einen Raum von 19,094
Liter einnehmen. Demnach ist das Verhältniß der durch die Verbrennung der beiden
Pulversorten erzeugten Gasvolume = 48/19,094 oder = ungefähr 2,5.
Das mit pikrinsaurem Ammoniak dargestellte Pulver, dessen Zusammensetzung oben
angegeben wurde, verbrennt bei der Annäherung eines brennenden Körpers mit
Detonation, detonirt aber nicht durch Stoß oder Schlag. Wird es vorsichtig erhitzt,
z.B. in einem Sandbade, so erleidet es bis zu der Temperatur von 150° C.
keine Veränderung; es nimmt dann eine orangerothe Farbe an. Bei 190° C.
beginnt das pikrinsaure Ammoniak sich in Form von gelben Dämpfen zu verflüchtigen,
welche mit höher steigender Temperatur dichter werden; bei 300° schmilzt der
Salpeter und bei 310° tritt die Explosion ein. Wird die Temperatur zwischen
200 und 250° erhalten, so kann man das pikrinsaure Ammoniak vollständig
verflüchtigen.
Dieses Pulver verbrennt, nachdem es in die Form von gedichtetem Satze gebracht
worden, mit einer mittleren Geschwindigkeit von 0,006 Meter per Secunde (die Verbrennungsgeschwindigkeit des gewöhnlichen Pulvers in
gleichem Zustande beträgt 0,011 Meter per Secunde).
Seine Verbrennungstemperatur kenne ich noch nicht, beabsichtige aber dieselbe später
zu bestimmen und mit der des gewöhnlichen Pulvers zu vergleichen.
Längere Zeit der Einwirkung des Wassers unterworfen, zersetzt es sich, indem
pikrinsaures Kali und salpetersaures Ammoniak entstehen.
Nach dem von mir vier Monate hindurch sowohl in meinem Laboratorium als auch im
Polygon der Artillerieschule zu Grenoble abgeführten Versuchen bin ich hinsichtlich
der Vorzüge meines neuen Schießpulvers vor dem gewöhnlichen zu nachstehenden
Schlüssen gelangt:
1) Dasselbe ist homogener; folglich wirkt es
gleichmäßiger. Es besteht aus zwei leicht krystallisirenden Körpern, welche im
Zustande der größten Reinheit dargestellt werden können.
2) Es ist weniger hygroskopisch; 2 Grm. dieses Pulvers,
über frisch gebranntem Kalk ausgetrocknet und dann in meinem Laboratorium der
Einwirkung der Luft ausgesetzt, absorbirten 0,007 Grm. Wasser; während 2 Grm.
gewöhnlichen Pulvers unter gleichen Verhältnissen 0,025 Grm. Feuchtigkeit
aufnahmen.
3) Bei gleicher Gewichtsmenge wirkt es weit stärker. Ich
habe zu wiederholten Malen aus einem Chassepotgewehr mehrere Patronen abgeschossen
und dabei gefunden, daß 2,60 Grm. des neuen Pulvers der Kugel die gleiche
Geschwindigkeit ertheilten, wie die vorschriftsmäßige Ladung von 5,50 Grm.
gewöhnlichen Schießpulvers. Mittelst zwölf kleiner, zwischen die Ladung und die
Kugel eingelegter Scheibchen hatte ich meinen Patronen die vorschriftsmäßige Länge
gegeben; diese Scheibchen absorbirten natürlich einen bedeutenden Theil der durch
die Gase meines Pulvers entwickelten Kraft.
4) Das neue Pulver hinterläßt weniger festen Rückstand
(etwa nur den vierten Theil, bei gleicher Wirkung).
5) Der Rückstand greift, da er fast ausschließlich aus
kohlensaurem Kali besteht, die Metalle nicht an.
6) Das neue Pulver gibt nur sehr wenig Dampf und die geringe
Menge des entwickelten ist geruchlos, indem derselbe in einer Wolke von
Wasserdampf besteht, welche von der Verbindung des atmosphärischen Sauerstoffes mit
dem Wasserstoff in dessen Entstehungsmoment herrührt.
Hinsichtlich der Härte und der Dichtigkeit der Körner, und der Temperatur bei welcher
sie sich entflammen, steht das neue Pulver dem gewöhnlichen Schießpulver ziemlich
nahe.
Das Pulver mit pikrinsaurem Ammoniak kostet 4 Frcs. per
Kilogramm. Bei vorausgesetzter gleicher Wirkungskraft weichen die Gestehungskosten
beider Sorten nur wenig von einander ab.
Die von mir angestellten Schießversuche sind noch nicht zahlreich genug, um
zuverlässige Anhaltspunkte für die Beurtheilung des mit pikrinsaurem Ammoniak
dargestellten Pulvers liefern zu können; ich beabsichtige aber sie zu
vervollständigen und in einem größeren Maaßstabe auszuführen, sobald ich, wie ich
hoffe, vom Kriegsminister dazu die Genehmigung erhalten habe. Auch mit
zweifach-chromsaurem Kali verbunden gibt das pikrinsaure Ammoniak ein Pulver,
welches nicht zersprengend (brisant) wirkt, aber der aus kohlensaurem Kali und
Chromoxyd bestehende Rückstand ist bedeutend und ich habe mit diesem Pulver noch
keine Schießversuche angestellt.
Mengt man einen Satz aus:
25 Grm. pikrinsaurem Ammoniak,
67 Grm. salpetersaurem Baryt und
8 Grm. Schwefel,
so erhält man ein sehr langsam und allmählich abbrennendes
Pulver, dessen Verbrennungsgeschwindigkeit 0,040 Met. per Minute beträgt, also zwanzigmal geringer ist als die des gewöhnlichen
Schießpulvers. Die Flamme, welche jenes Pulver verbreitet, ist außerordentlich
lebhaft und zeigt eine schön grüne Färbung. Diese Pulvermasse könnte mit Vortheil zu
bengalischen Flammen, sowie als Satz für Leuchtkugeln benutzt werden, und würde den
großen Vorzug besitzen, daß sie beim Abbrennen wenig Rauch gibt und gar keinen
Geruch verbreitet.