Titel: | Ueber das Martin'sche Verfahren der Stahlerzeugung; von Ferdinand Kohn. |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. CXVII., S. 445 |
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CXVII.
Ueber das Martin'sche
Verfahren der Stahlerzeugung; von Ferdinand Kohn.
Vorgetragen in der Versammlung der British Association zu Norwich. — Aus
dem Practical Mechanics'
Journal, October l868, S. 217.
Kohn, über die Martin'sche Stahlerzeugungsmethode.
In der letzten Versammlung der British Association zu
Dundee habe ich auf ein neues Verfahren zur Stahlerzeugung aufmerksam gemacht,
welches zu jener Zeit auf dem Continente Boden zu gewinnen begonnen hatte, in
Britannien dagegen noch in keiner einzigen der zahlreichen Stahlhütten eingeführt
worden war.
Ich meine hiermit das Verfahren, nach welchem auf dem offenen Herde eines Siemens'schen Ofens Stahl erzeugt wird durch die
gegenseitige Einwirkung von Roheisen und entkohltem oder Schmiedeeisen — ein Verfahren, welches
in Frankreich als Martin's Proceß bezeichnet wird,Die Martin'sche Stahlerzeugungsmethode wurde im
polytechn. Journal Bd. CLXXXVIII S. 46 (erstes
Aprilheft 1868) beschrieben. — Als Vertreter der HHrn. Peter und Emil
Martin erklärt sich Hr. Civilingenieur
Constantin Peipers in Solingen zu jeder
speciellen Auskunft über den Proceß bereit.A. d. Red. nach seinen Erfindern Emil
und Peter Martin in Paris, welches aber, um den beiden
Erfindern, denen der praktische und commercielle Erfolg dieses neuen Verfahrens zu
verdanken ist, gleich gerecht zu werden, den Namen Siemens-Martin'sches Verfahren erhalten müßte. Im Verlaufe des
letzten Jahres ist dieser Proceß nun auch in England eingeführt worden und ich lege
der Versammlung einige Proben von Stahl vor, welcher nach dem neuen Verfahren im
Cleveland-Districte und zwar zum größten Theile aus Cleveland-Eisen
dargestellt worden ist.
Ich gebe im Folgenden eine kurze Darstellung der technischen Einzelheiten dieser
neuen Methode der Stahlerzeugung und füge einige Bemerkungen über die commerciellen
Aussichten derselben hinzu, soweit sich über letztere gegenwärtig urtheilen
läßt.
Der Siemens-Martin'sche Proceß realisirt den alten,
wiederholt angeregten Gedanken, Stab- oder Schmiedeeisen in einem Bade von
flüssigem Roheisen einzuschmelzen und auf diese Weise die ganze Masse in Stahl zu
verwandeln. Die Hauptelemente einer erfolgreichen Ausführung dieser Idee und die
Punkte, durch welche sich dieselbe von allen früheren mißlungenen Versuchen
unterscheidet, bestehen erstlich in der sehr hohen Temperatur und in der neutralen,
nicht oxydirenden Flamme, welche durch den Siemens'schen
Regenerativofen erzeugt werden; zweitens in dem Verfahren beim Einsetzen des
entkohlten Eisens in das Roheisenbad in abgewogenen Chargen.
Diese Dosen oder Chargen von Schmiedeeisen oder Stahl werden in regelmäßigen
Zwischenräumen in das Bad eingetragen, so daß jede Charge beim Einschmelzen oder bei
ihrer Auflösung in dem Bade die Menge der flüssigen Masse vermehrt und das
Lösungsvermögen des Bades verstärkt, bis das Stadium der vollständigen Entkohlung
eingetreten ist. Dann wird die Charge durch Zusatz eines bestimmten Quantums von
Roheisen oder von der bekannten Eisenmanganlegirung, dem Spiegeleisen, zu der
entkohlten Masse vervollständigt. Von der Menge dieses letzten Zusatzes wird der
Härtegrad des erzeugten Stahles bedingt.
Der im Vorstehenden charakterisirte Proceß ist von Siemens
auf den Model Steel Works zu Birmingham versuchsweise
und auf den
Bolton Steel Works in größerem Maaßstabe zur Ausführung
gebracht worden. Von der letztgenannten Stahlhütte ist eine auf dem offenen Herde
eines Siemens'schen Ofens aus bessemerstahlabfällen und
Roheisen angefertigte Radbandage für einen Eisenbahnwagen zur Ausstellung in dieser
Versammlung eingesendet worden. Die erste und bis jetzt noch einzige englische
Stahlhütte, auf welcher das Verfahren eingeführt ist und die ausschließlich zur
Stahlfabrication nach dem Siemens-Martin'schen
Processe angelegt wurde, sind die Newport Steel Works zu
Middlesbro-on-Tees, Eigenthum der
wohlbekannten Firma B. Samuelson und Comp.
Diese Werke kamen erst vor etwa zwei Monaten in Betrieb und haben seit dieser Zeit
mit großer Regelmäßigkeit und beinahe ohne Unterbrechung Tag und Nacht hindurch
gearbeitet. Es ist dort jetzt ein nach den Angaben von C. W. Siemens construirter Ofen im Betriebe; ein zweiter ebensolcher soll in der
nächsten Zeit gebaut werden.
Das Gewölbe dieses Ofens besteht aus Dinassteinen, die Sohle auf welcher die Chargen
eingeschmolzen werden, aus Ganister oder einem Gemenge von reinem Kieselsande und
einem rothen, etwas thonerdehaltigen Sande, welche beiden Sandsorten im
Clevelanddistricte vorkommen. Die Herstellung der Ofensohle erfordert große Sorgfalt
und einen großen Grad von Geschicklichkeit von Seiten der Arbeiter. Sämmtliche
Materialen, mit welchen der Ofen beschickt wird, werden vorher in einem besonderen
Glühofen zur Rothgluth erhitzt. Das zum Bade verwendete Roheisen ist hauptsächlich
schwedisches Holzkohlenroheisen und macht dem Gewicht nach etwa ein Drittel der
ganzen Charge aus. Die nachfolgenden Tabellen — den über mehrere interessante
Chargen geführten Betriebsregistern entnommen, welche ich den HHrn. Samuelson u. Comp. verdanke
— geben eine klare Uebersicht der Leitung des Betriebes.
TabelleI betrifft eine aus schwedischem Holzkohlenroheisen
(1680 Pfund) und Rohschienen aus Clevelandeisen (3136 Pfd.) zusammengesetzte Charge;
derselben wurde während der Operation eine geringe Menge von Eisenstein (Hämatit) in
der Absicht zugesetzt, den für den Proceß erforderlichen Zeitaufwand, welcher
dreizehn Stunden betrug, zu vermindern; allein aus der bedeutenden Menge
Spiegeleisen (1560 Pfd.), welche im letzten Stadium des Processes zugesetzt werden
mußte, geht hervor, daß die Entkohlung zu weit getrieben worden war und die Charge
einige Stunden früher hätte vollendet werden können. Dabei zeigt dieses Beispiel,
wie leicht es bei dem Siemens-Martin'schen
Processe ist, die bei der Betriebsführung begangenen Fehler zu verbessern. Auf die
Erzeugung jeder
gewünschten Stahlsorte kann man sich mit absoluter gewißheit verlassen, da der
schließliche Erfolg bloß Sache der Zeit ist und Verhältnißmäßig wenig darauf
ankommt, in welchem Maaße der gewünschte Grad von Entkohlung während der Operation
zu weit getrieben worden oder zurückgeblieben ist, wenn nur die Charge mittelst des
letzten Zusatzes in gehörigem Grade rückgekohlt wird.
TabelleII betrifft einen Versuch, Cleveland-Roheisen zu
dem Bade zu verwenden. Die der Charge zugesetzten Puddelschienen waren von derselben
Art wie die mit dem schwedischen Roheisen verarbeiteten und der Zuschlag von Ilmenit
(bekanntlich einem stark titanhaltigen Erze) geschah in der Hoffnung, Phosphor aus
dem Bade zu beseitigen. In ähnlicher Absicht wurde eine Quantität sogen.
„Patentschlacke“ zugeschlagen (ein Gemenge von
verschiedenartigen Ingredienzien, dem man im Cleveland-Districte ein
ähnliches Wirkungsvermögen zuschreibt), indessen ohne Erfolg; das erhaltene Product
war kaltbrüchig und spröde, und das Cleveland-Roheisen erwies sich somit als
ungeeignet zur Verarbeitung nach dem Siemens-Martin'schen Verfahren.
TabelleIII bezieht sich auf einen mit grauem Hämatitroheisen
und Clevelandpuddeleisen abgeführten Versuch. Das Product ist ein Stahl, welcher
geringere Streckbarkeit und Hämmerbarkeit besitzt als der mit schwedischem Roheisen
dargestellte. Aus der Tabelle ergibt sich gleichzeitig ein außerordentlich starker,
17,04 Proc. vom Gewichte der gesammten Charge betragender Abbrand; dieß scheint auf
einen hohen Siliciumgehalt des Roheisens hinzuweisen, von dessen nur theilweiser und
unvollständiger Beseitigung die Härte des producirten Stahles sowohl, als der
bedeutende Abbrand herrühren mag. Es ist indessen nicht möglich, aus den Resultaten
dieses vereinzelten Versuches einen zuverlässigen Schluß hinsichtlich dieser Classe
von Roheisen zu ziehen.
Die Tabellen
IV und V geben einen
Ueberblick der zwei gelungensten Chargen auf den Samuelson'schen Werken. Das Roheisenbad bestand dabei aus einem Gemenge
von weißem schwedischem Roheisen und Spiegeleisen; außerdem wurde am Ende der
Operation noch ein Quantum Spiegeleisen zugesetzt. Bei diesen Chargen wurde ungefähr
die Hälfte Clevelandrohschienen zugesetzt. Der auf diese Weise producirte Stahl ist
sehr weich und von sehr guter Qualität; er wird zu Kesselblech und ähnlichen
Artikeln verarbeitet. Er wird jetzt in Kirkaldy's
Probiranstalt auf seine Festigkeit und Elasticität geprüft; von den Resultaten
dieser Proben ist mir indessen noch Nichts bekannt geworden.
TabelleI.
Textabbildung Bd. 190, S. 449
Montag, 20. Juli 1868, Abends.;
Zeit des Chargirens.; Chargirt wurden:; Schwed.
Roheisen.; Puddelschienen von K. und J.; Eisenstein (Hämatit).; Spiegeleisen.; Producirt wurden:; Stahlzaine (Inguß).;
Stahlabfälle.; Uhr. Min.; Pfd.; Weicher; Stahl; Abbrand; 7,10 Proc.
TabelleII.
Textabbildung Bd. 190, S. 450
Donnerstag, 30. Juli 1868.; Zeit
des Chargirens.; Chargirt wurden:; Graues
Cleveland-Roheisen.; Puddelschienen von K.
und J.; Patentschlacke von K. und J.; Ilmenit.; Spiegeleisen.; Producirt wurden:; Stahlmasseln (Abfälle).
Das erhaltene Product war kaltbrüchig, spröde und ließ sich im Stahlofen nicht
schmelzen. Der Verlust betrug 17,41 Proc.
TabelleIII.
Textabbildung Bd. 190, S. 451
Dienstag, 4. August 1868.; Zeit des
Chargirens.; Chargirt wurden:; AusHämatit erblasenes
graues Millom.-Roheis.; Puddelschienen von K.
und J.; Eisenstein (Hämatit).; Ilmenit.;
Spiegeleisen.; Producirt wurden:; Stahlzaine(Inguß).;
Stahlabfälle.
Zu Schienen verarbeitet. — Abbrand: 17,02 Proc.
TabelleIV.
Textabbildung Bd. 190, S. 452
Mittwoch, 5. August 1868.; Zeit des
Chargirens.; Chargirt wurden:; Schwed. Roheisen.;
Ausschuß-Rohschienen von K. und J.; Eisenstein (Hämatit).; Spiegeleisen.; Producirt wurden:; Stahlzaine(Inguß).; Stahlabfälle.;
Weicher; Stahl....
Das Product war sehr weich. Der Abbrand belief sich auf 8,50 Proc.
TabelleV.
Textabbildung Bd. 190, S. 453
Mittwoch, 5. August 1868, Abends.;
Zeit des Chargirens.; Chargirt wurden:; Schwedisches
Roheisen.; Puddelschienen von K. und J.; Stahlabfälle.; Hämatit.; Spiegeleisen.; Producirt wurden:; Stahlzaine.; Stahlabfälle.;
Weicher; Stahl....
Das Product war sehr weich. Der Abbrand betrug 12,32 Proc.
Der Brennmaterialverbrauch bei diesem Stahlschmelzprocesse
einschließlich des für das Wärmen der Glühöfen verbrauchten Brennstoffes beträgt
etwa eine Tonne Kohlen per Tonne erzeugten Stahles.
Aus den obigen Daten lassen sich die productionskosten näherungsweise berechnen.
Nehmen wir den Preis des schwedischen und des Spiegeleisens zu 6 Pfd. Sterl. an, den
der Clevelandschienen zu 5 Pfd. St. per Tonne und den
durchschnittlichen Ofenabbrand zu 10 Proc.,Der Herausgeber des Practical Mechanic's Journal
(V. Day) hält die oben angenommenen Preise des
schwedischen Weißeisens und des Spiegeleisens, sowie den Abbrand, für zu
niedrig gegriffen. so bedürfen wir zu einer Tonne Stahlzaine
(Inguß):
11 Ctr. (engl.) Roheisen à 6 Pfd.
Sterl.
3 Pfd. Sterl. 6 Shill.
11 Ctr. Puddelschienen à 5 Pfd. Sterl.
2 Pfd. Sterl. 15 Shill.
1 Tonne Steinkohlen
— Pfd. Sterl. 5 Shill.
–––––––––––––––
6 Pfd. Sterl. 6 Shill.
Die Ausgaben für Arbeitslöhne, Reparaturen und Abgaben an beide Patentträger erhöhen
die Productionskosten des Siemens-Martin'schen
Zainstahles auf etwa 7 Pfd. St. 10 Sh. Per Tonne, also
genau auf dieselbe Summe, welche die productionskosten des
Bessemerstahl-Ingusses aus Hämatit-Roheisen in England
repräsentiren.
Allem Anschein nach ist der Siemens-Martin'sche
Proceß für die Eisenhüttenbesitzer in vielen Gegenden von großer Bedeutung. Derselbe
ist zur Umwandlung von altem Material (Stabeisen und Stahl) anwendbar; mittelst
desselben läßt sich der von allen anderen Stahlerzeugungsmethoden herrührende Abfall
und Ausschuß verwerthen; seine Anwendbarkeit ist nicht auf graues oder stark
gekohltes Roheisen beschränkt, und aus allen diesen Gründen kann das Verfahren in
Gegenden eingeführt werden, welche sich bisher in Bezug auf Stahlfabrication in
ungünstigen Verhältnissen befanden.Man sehe: Kupelwieser, Vergleichung des
Bessemerprocesses mit dem Martin'schen Verfahren
der Stahlerzeugung, in diesem Bande des
polytechn. Journals S. 104 (zweites Octoberheft 1868).
Es entsteht nun die Frage, in welcher Weise das neue Verfahren auf die Fortschritte
des Bessemerprocesses einwirken wird, als dessen Nebenbuhler es aufzutreten scheint.
Meiner Ansicht nach wird der einzige einfluß, welchen der Siemens-Martin'sche Proceß auf das Bessemerstahlgeschäft ausüben
kann, darin bestehen, das letztere anzuregen und zur Erweiterung seiner Sphäre
beizutragen. Beide Processe können, da sie zwei verschiedene Classen von Rohmaterial
verar eiten, niemals in directe Concurrenz mit einander gerathen. Wo graues Roheisen
von einer zur directen Umwandlung hinlänglichen Reinheit zu haben ist, wird das
Bessemerverfahren die vortheilhafteste, und in der That die allein geeignete Methode
zur Stahlfabrication seyn;Nach V. Day dürfte sich diese Behauptung binnen
sehr kurzer Zeit als eine viel zu unbedingte erweisen. in allen
Fällen aber, wo das Rohmaterial in Stabeisen, weißem Roheisen oder in solchem
Roheisen besteht, welches erst durch den Puddelproceß gereinigt werden muß, bevor es
als Material für die Stahlfabrication benutzt werden kann, wird das Siemens-Martin'sche Verfahren an seinem Platze
seyn. Durch Aufarbeitung und Verwerthung des Abfalles und Ausschusses der
Bessemerstahlhütten, der Abschroter von Stahlschienen und anderer Abfallproducte
ähnlicher Art wird der neue Proceß dazu beitragen, die Productionskosten des
Bessemerstahles, bei denen jene Abfallproducte eine große Rolle spielen, zu
vermindern.
Obschon bei dem neuen Verfahren Roheisensorten von geringer Qualität zur directen
Stahlerzeugung nicht benutzt werden können, läßt sich dasselbe dagegen sehr
vortheilhaft zur Fabrication von Stahl aus geringeren Sorten von Stabeisen anwenden
Es wird demnach allen denjenigen großen Mittelpunkten einer lange bestehenden
Eisenfabrication sehr wichtige Dienste leisten können, deren zukünftige Existenz
durch die unwiderstehliche Concurrenz des Bessemerprocesses (welcher selbst auf das
in diesen Localitäten verfügbare Rohmaterial nicht angewendet werden kann) gefährdet
ist.
Somit wird das Siemens-Martin'sche Verfahren dem
Bessemerprocesse, sowie dem Stahlhüttenwesen im Allgemeinen, noch in anderer
Hinsicht einen wichtigen Dienst leisten, indem es die Einführung der
Stahlfabrication in Gegenden ermöglicht, welche von diesem Industriezweige bisher
durch ungünstige natürliche Verhältnisse abgesperrt waren. Dadurch aber wird die so
wünschenswerthe Einführung des Stahles an Stelle des Schmiedeeisens zu
Ingenieurzwecken bedeutend befördert werden.