Titel: | Einige Bemerkungen über die Verfahrungsweise mehrerer böhmischen Melassenbrennereien; von Dr. W. Schultze, Brennerei-Techniker in Stettin. |
Autor: | W. Schultze |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XXIV., S. 69 |
Download: | XML |
XXIV.
Einige Bemerkungen über die Verfahrungsweise
mehrerer böhmischen Melassenbrennereien; von Dr. W. Schultze, Brennerei-Techniker in
Stettin.
Schultze, über böhmische Melassenbrennerei.
Die Verfahrungsweise mehrerer böhmischen Melassenbrennereien ist, kurz angegeben,
folgende: Nachdem die Melasse mit Wasser bis zu einer Concentration von circa 17 bis 20 Procent Sacch. Bg. verdünnt ist, wird
sie mit einem Gemisch von saurer Schrothefe und Bierhefe bei einer Temperatur von 20
bis 23° R. in Gährung versetzt, circa 20 Stunden
gähren gelassen und darauf destillirt.
Innerhalb dieser kurzen Gährdauer soll die Melassenmaische auf 3 bis 4 Proc. Bg.
attenuiren und einen Spiritusertrag von 11 bis 13 österreichischen Graden per Wiener Centner Melasse à
40° Baumé oder 75 Proc. Bg. geben.
Ich will die Wahrheit der Angaben der böhmischen Melassenbrennereien über Attenuation
und Spiritusertrag nicht in Zweifel ziehen. Es sey mir nur gestattet, hier zu
wiederholen, daß Louis WalkhoffLouis Walkhoff, der praktische
Rübenzuckerfabrikant und Raffinadeur, 3. Aufl., S. 763. die
Gährdauer der Melassenmaische von 18 bis 20 Proc. Bg. auf durchschnittlich 36
Stunden und die Concentration der innerhalb dieser Zeitdauer vergohrenen Maische auf
4 bis 6 Proc. Bg. angibt, und daß bei den Versuchen Anton Markl'sNeue Zeitschrift für deutsche Spiritusfabrikanten, II. Jahrgang, S. 90. die Concentration neutraler, in
Gährung versetzter Melassenmaischen innerhalb 36 Stunden von 20 Proc. Bg. auf 6,8
Proc., resp. 6,4 Proc. Bg. sank.
Wie aus der oben beschriebenen Verfahrungsweise ersichtlich ist, kennen die
Fabrikanten die Anwendung der Schwefelsäure bei der Verarbeitung der Melasse zu
Spiritus noch nicht; das ist erstaunlich. Aus dieser Unkenntniß entspringen mehrere
Fehler im Betriebe, auf welche aufmerksam zu machen der Zweck nachfolgender Zeilen
ist.
Die Melasse enthält stets eine ansehnliche Menge kohlensaurer Alkalien, durch welche
sie die alkalische Reaction erhält. Es ist nun eine bekannte Thatsache, daß die
kohlensauren Alkalien die Wirkung der Hefe auf den Zucker beeinträchtigen, resp.
aufheben. Daher ist es bei der Verarbeitung der Melasse zu Spiritus die nächste
Aufgabe, diesen gährungsfeindlichen Einfluß der kohlensauren Alkalien auszumerzen,
und man merzt ihn aus, indem man die kohlensauren Salze durch starke Säuren
zersetzt.
Die in Böhmen zum Anstellen der Melassenmaische gebräuchliche Schrothefe ist stets
milchsauer, bald mehr, bald weniger. Wenn nun auch durch diese wechselnde
Milchsäuremenge stets eine ihr entsprechende Menge kohlensaurer Alkalien
neutralisirt wird, so reicht sie doch meist, wie die Erfahrung lehrt, nicht aus. Die
Melassenmaischen, welche mir unter die Augen gekommen sind, reagirten alle mehr oder
weniger alkalisch. Hier wäre es also gerathen, nach Zugabe der sauren Schrothefe die
Reaction der Maische genau zu prüfen und, falls sich dabei eine alkalische
herausstellt, diese durch Schwefelsäure, oder besser noch, da in Böhmen die Schlempe
meist als Viehfutter verbraucht wird, durch SalzsäureGrouven, Beobachtungen über Schlempefütterung, in
der neuen Zeitschrift ür deutsche Spiritusfabrikanten, II. Jahrgang, S. 248. zu
neutralisiren.
Die Art und Weise der österreichischen Spiritusbesteuerung hat die österreichischen
Spiritusfabrikanten dahin gebracht, ihren Maischen eine Gährdauer von nur 18 bis 22
Stunden zu gönnen. Soll bei dieser naturwidrig kurzen Gährdauer der Rohstoff doch
möglichst hoch ausgebeutet werden, so muß man, meine ich, so operiren, daß die Thätigkeit der Hefe während der innezuhaltenden kurzen
Gährdauer von keinem anderen Processe, als dem der Zerlegung des Zuckers in
Alkohol, Kohlensäure u. s. w., in Anspruch genommen werde. Nun enthält die
Melasse nur, oder ich will sagen vorzugsweise, Rohrzucker, von dem bekannt ist, daß
er nicht direct gährungsfähig ist, sondern erst in vergährungsfähigen Zucker, in
Invertzucker, verwandelt werden muß.
Die Invertirung des Rohrzuckers mittelst Säuren kennen die böhmischen Fabrikanten
nicht. Bei dem üblichen böhmischen Verfahren hat demnach die Hefe zwei Functionen
während der vorgeschriebenen Gährdauer auszuüben: erstens die Invertirung des
Rohrzuckers, zweitens die Gährung des Invertzuckers. Erwägt man nun noch, daß der
Invertirungsact durch Hefe nicht sehr schnell vollzogen wird, so glaube ich eine
hinreichende Begründung für die Ansicht zu haben, daß die
Alkoholbildung in den böhmischen Melassenmaischen beeinträchtigt werde durch die
Invertirung des Rohrzuckers durch die Hefe.
Die Entscheidung dieser Frage interessirt mich lebhaft und ich würde sofort Hand an
sie legen, wenn ich in Böhmen wohnte. So muß ich hoffen, daß durch diese Zeilen das
Interesse der böhmischen Fabrikanten so sehr erregt werde, daß die Herren selbst die
nöthigen Mittel zur Entscheidung dieser Frage ergreifen werden.
Vollziehen sich nun die Processe wirklich so, wie ich vermuthe, so wäre das Mittel:
die Invertirung durch Säuren vollziehen zu lassen.
Man verdünnt zunächst die Melasse mit etwas Wasser und erhitzt sie mittelst Dampfes
zum Sieden; darauf versetzt man so lange mit verdünnter Schwefelsäure oder
Salzsäure, bis die Melassenlösung schwach sauer reagirt und läßt sie nun einige
Stunden bei höherer Temperatur verweilen. Unter diesen Umständen erfolgt die
Invertirung rasch.
Weil aber die Gegenwart freier Schwefelsäure oder Salzsäure die Gährung der
Melassenmaische beeinträchtigt (Grouven,Muspratt-Kerl,
theoretische, praktische und analytische Chemie in Anwendung auf Künste und
Gewerbe, 2. Auflage, Abtheilung I, S.
359.
MarklA. a. O.), so neutralisire man nach vollendeter Invertirung die
überschüssige Säure durch fein gemahlene, in Wasser zerrührte Kreide.