Titel: | Ueber den Werth des Fleischextractes für Haushaltungen; von J. v. Liebig. |
Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Nr. LX., S. 259 |
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LX.
Ueber den Werth des Fleischextractes für
Haushaltungen; von J. v.
Liebig.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, 1868, Bd.
CXLVI S. 133.
v. Liebig über den Werth des Fleischextractes für
Haushaltungen.
In dem Berichte der Central-Commission für das agricultur-chemische
Versuchswesen (Annalen der Landwirthschaft, 25. Jahrgang, Bd. V und VI, S. 231) ist die Frage erörtert
worden, ob der Fleischextract in unseren gewöhnlichen Lebensverhältnissen eine
größere Verbreitung finden werde, und der Berichterstatter ist zu dem Schlusse
gekommen, „daß für diesen Zweck der Preis des Pfundes Extract höchstens 1
bis 2 Thlr. betragen dürfe; bei einem Preise von 4 Thlrn. käme der Teller
Bouillon (zu 300 Kubikcentimetern gerechnet) auf etwa 2 Sgr. zu stehen, und mit
¼ Pfd. Fleisch im Preise von 1 bis 1½ Sgr. würde man sicherlich
eine ebenso kräftige Brühe herstellen können und hätte dann das Fleisch noch
obendrein.“
Soweit der Bericht die wissenschaftliche Frage berührt, ist er vortrefflich abgefaßt;
aber es scheint, daß dem Berichterstatter zur Beurtheilung der praktischen Bedeutung
des Fleischextractes die erforderlichen Thatsachen gefehlt haben, und so glaube ich
denn durch die Ergänzung derselben manchen Personen, welche sich für diesen
Gegenstand interessiren, einen Dienst zu leisten.
Es scheint zunächst selbstverständlich, daß man zwei Fleischbrühen, die eine aus
frischem Fleisch, die andere aus Fleischextract (welcher bekanntlich nichts anderes
ist, als zur Honigconsistenz abgedampfte Fleischbrühe) bereitet, nicht vergleichen
könne, wenn beide einen ungleichen Gehalt an extractiven Fleischbestandtheilen
enthalten.
Eine Lösung von Fleischextract in Wasser hat stets einen anderen Geschmack, als die
in einer Haushaltung bereitete Fleischbrühe, weil in der letzteren gewisse Stoffe an
dem Geschmacke Theil nehmen, die in der reinen Fleischextractlösung fehlen; auf den
Geschmack der Fleischbrühe in unseren Haushaltungen wirken wesentlich die
Suppengemüse ein, welche zugesetzt werden (gelbe Rüben, Sellerie, Lauch, weiße
Rüben, Weißkraut, geröstete Zwiebeln etc.), und die der Brühe gewisse
Eigenthümlichkeiten geben; dazu kommt nun noch das Fett, namentlich das Fett der
Knochen, die man mit kocht, sowie das Salz, welche beide für den Geschmack des
Ganzen bestimmend sind.
Weder der Fleischextract für sich, noch Knochen mit Suppengemüse gekocht, geben bei
gleichem Salzgehalte eine Fleischbrühe für Haushaltungen; Fleischextract, Fett und
Suppengemüse müssen beisammen seyn, um unserem gewohnten Geschmack zu
entsprechen.
Bei den Vergleichungen des amerikanischen Fleischextractes mit Fleischbrühe, welche
die verschiedenen Versuchsstations-Chemiker angestellt haben, ist versäumt
worden, eine Fleischbrühe von einem bestimmten Gehalt an extractiven
Fleischbestandtheilen zum Ausgangspunkt für die Beurtheilung des Geschmackes etc. zu
nehmen, und es schien mir zunächst, um eine bessere Basis zu gewinnen, wichtig zu
seyn, den Gehalt der Fleischbrühe, sowie sie in meiner Haushaltung bereiter wird, an
Fleischextract durch Versuche zu bestimmen.
Die Vorgänge beim Sieden des Fleisches mit Wasser sind allgemein bekannt; das Fleisch
schrumpft bedeutend ein und verliert hierbei 15 bis 26 Proc. von seinem Gewichte.
Dieser Gewichtsverlust ist zum großen Theile Wasser, welches aus der Fleischfaser
bei ihrer Gerinnung austritt, und welches eine entsprechende Menge von den
extractiven Bestandtheilen des Fleisches mit sich nimmt. Bei mehrstündigem Kochen
löst sich das feine Bindegewebe des Fleisches, später das Fettgewebe zu Leim auf,
und nach fortgesetztem Kochen zerfällt ein Stück Fleisch zu grobfaserigen Stücken.
Je länger das Fleisch gesotten wird, desto ärmer wird der Fleischrückstand an
löslichen und extractiven Bestandtheilen, welche in die Brühe übergehen.
Die wesentlichen Bestandtheile der Fleischbrühe sind: 1) Fleischextract, 2) Leim,
welcher durch längeres Kochen entsteht, und 3) Fett.
Je dünner das Fleischstück ist, desto mehr Oberfläche bietet es dem einwirkenden
siedenden Wasser dar; bei gleichem Verhältniß von Fleisch und Wasser und gleicher
Dauer des Siedens ist die aus einem kleinen Stück Fleisch bereitete Brühe reicher an
Fleischextract, als die von einem dickeren Fleischstück. Der amerikanische
Fleischextract wird bekanntlich aus Rindfleisch (von Thieren über 3½ Jahren)
dargestellt. Da das reine Muskelfleisch den meisten Extract gibt, und das beste
Fleisch in Fray Bentos in Uruguay keinen höheren Werth hat, als das schlechteste, so
nimmt man dort zur Extractbereitung nur das beste Fleisch. Der Fleischextract der
Apotheker wird nach der Vorschrift der deutschen Pharmocopoen ausschließlich aus
Kuhfleisch bereitet, und zur Darstellung des Extractum Carnis
germanicum wählen die Fabrikanten des niedrigen Preises wegen das Fleisch
von Kühen und Ochsen vom Kreuze (Hals), der Bauchschlampe (Weiche) oder vom
Wadschenkel (der Füße). In Fray Bentos wird das Fleisch durch eine Schneidmaschine
fein gehackt, wie etwa
Wurstfüllsel, sodann mit der entsprechenden Wassermenge vertheilt, zum Sieden
erhitzt und einige Minuten im Sieden erhalten. Bei der feinen Zertheilung der
Fleischfaser geht die Ausziehung der löslichen Bestandtheile so rasch vor sich, daß
auch das feinste Bindegewebe nicht angegriffen oder aufgelöst wird.
Die erhaltene Fleischbrühe ist frei von Leim; das oben aufschwimmende Fett wird
sorgfältig abgesondert, und die klare, schwach gelblich gefärbte Brühe mit großer
Vorsicht zur Extractconsistenz abgedampft; die Hauptschwierigkeit der Darstellung im
Großen liegt in der letzteren Operation.
Im besten Fall erhält man aus 30 bis 32 Pfd. Muskelfleisch (oder mit ¼
Knochenzugabe aus 40 Pfd. Fleisch vom Fleischladen) 1 Pfund Extract; beim längeren
Kochen des fein gehackten Fleisches mit Wasser erhält man natürlich mehr Extract,
allein das Mehrgewicht rührt in diesem Falle von Leim her, der sich aus dem
Binde- und Fettgewebe bildet. Für die Ernährung hat der Leim, wie man weiß,
keinen oder kaum einen Werth. In den Sommermonaten erhält man in Fray Bentos 1 Pfd.
Extract aus 34 Pfd. Fleisch.
In den folgenden Versuchen ist bei der Bestimmung des Fleischextractes in der
Fleischbrühe die mittlere Zusammensetzung des jetzt im Handel vorkommenden Fray
Bentos-Extractes zu Grunde gelegt, welcher 18 Proc. Wasser und 60 Proc. an in
Weingeist von 80 Proc. löslichen Bestandtheilen enthält.
VersuchI. Es wurde ein schmales Stück Fleisch vom Fleischladen,
mit der Knochenzugabe 1 Pfd. wiegend, mit 1½ Liter Wasser drei Stunden lang
ohne Salzzusatz gekocht. Das verdampfte Wasser wurde ersetzt, so daß die erhaltene
Fleischbrühe genau 1½ Liter ausmachte. Das Verhältniß von Fleisch und Wasser
war das in meiner Haushaltung übliche.
Die von Fett befreite Brühe hinterließ per Liter 7,699
Grm. bei 100° C. getrockneten Rückstand, welcher 62,6 Proc. in Weingeist von
80 Proc. lösliche Bestandtheile enthielt; hieraus berechnet sich im Liter dieser
Fleischbrühe 8,55 Grm. amerikanischen Extractes.
VersuchII. Ein Stück Fleisch mit Knochenzugabe von 2500 Grm.
Gewicht (5 Zollpfunde) wurde in derselben Weise mit 7½ Liter Wasser drei
Stunden lang im Sieden erhalten. Nach der Ergänzung des verdampften Wassers hatte
man 7½ Liter Fleischbrühe, welche per Liter 5,64
Grm. bei 100° getrockneten Extract gab; im Ganzen hatte das Wasser aus den 5
Pfd. Fleisch 42,3 Grm. trockenen Extract ausgezogen, von welchem 32,486 Grm. in
Weingeist von 80 Proc. löslich waren; entsprechend mithin im Ganzen 54,14 Grm., im Liter 7,2
Grm. amerikanischen Extractes.
Ein gewöhnlicher Suppenteller voll Suppe faßt etwa 300 Kubikcentimeter, bis zum
inneren Rande voll 350 Kubikcentim., welche 16 bis 18 Löffel voll ausmachen; rechnet
man einen Teller von 300 Kubikcentim. zu einer Portion Suppe, so enthält mithin die
Portion nach
Versuch
I.
2,565
Grm. Fleischextract,
Versuch
II.
2,16
Grm. Fleischextract,
Da nun das englische Pfund 453,6 Grm. wiegt, so berechnet sich hieraus, daß man mit
einem Pfunde amerikanischen Fleischextractes
nach dem Versuch
I.
179
Portionen
nach dem Versuch
II.
210
Portionen
Fleischbrühe von der Beschaffenheit wie in unseren
Haushaltungen darstellen kann.
Nach dem gegenwärtigen Detailpreise des Pfundes Fleischextract (3 Thlr. 25 Sgr. = 6
fl. 45 kr.) berechnet sich mithin die Portion Suppe von der Stärke wie in dem
Versuch I. zu 7,7 Pfennigen = 2¼ kr., von der
Stärke wie im Versuch II. zu 6,6 Pfennigen = 2 kr. Um
179 Portionen einer solchen Fleischbrühe aus Fleisch darzustellen, würde man 39,7
Pfd. Fleisch und für 210 Portionen (nach dem zweiten Versuch) 42 Pfd. Fleisch nöthig
haben, und dieses Fleisch drei Stunden lang in fortdauerndem Sieden erhalten
müssen.
Ich habe von Militärpersonen, welche den Feldzug im Jahre 1866 mitgemacht haben,
gehört, daß die Darstellung einer solchen Suppe im Felde so gut wie unmöglich sey;
der Soldat könne nicht mehrere Stunden zum Abkochen verwenden, das Fleisch bleibe
meistens halbgaar, bei großen Stücken im Inneren blutig, und sey nur zu einem
kleinen Theile genießbar; auf eine gute Fleischsuppe, wenn er sie haben könne, lege
der Soldat einen hohen Werth, weil sie mit dem Brode das Bedürfniß seines Körpers
befriedige.
Ganz in Uebereinstimmung damit äußert sich Dr. L. Boudens: „La Soupe fait
le Soldat“, (siehe: Une mission
médicale dans la Crimée, in der Revue de deux
Mondes, t. VII,
1857).
Es läßt sich, wie ich glaube, mit ziemlicher Sicherheit nachweisen, daß die
Bestandtheile der Fleischbrühe, welche der Fleischextract enthält, den Nährwerth des
Brodes ergänzen, so daß beide zusammen ein vollständigeres Nahrungsmittel
darstellen, als wie das Brod an sich ist; daß in Fällen, wo die Zeit das Abkochen
nicht gestattet, der Fleischextract mit Brod das einzige Ersatzmittel des Fleisches
ist, was man besitzt, bedarf keiner weiteren Beweisführung.
Die Beobachtungen von Pettenkofer und Voit scheinen darzuthun, daß der Fleischextract im Felde
beim Mangel an jeder anderen Nahrung ein höchst schätzbares Mittel abgibt, um den
Hunger erträglicher zu machen und die Mannschaft bewegungsfähig zu erhalten; in
ihren Versuchen über den Umsatz beim Hungern und bei Arbeit bekam das Individuum im
Respirationsapparate (ein Mann von 70 Kilogr. Gewicht) in 36 Stunden außer Wasser,
Salz und im Ganzen 12 bis 13,8 Grm. (nicht ganz 1 Loth auf zweimal) Fleischextract
Nichts zu essen, und obwohl sein Körpergewicht um 640 bis 680 Grm. abgenommen hatte
so war — wie die Herren Pettenkofer und Voit bemerken — „sein Befinden während
der 36stündigen Nahrungsentziehung ein völlig normales, und es hätte wohl, nach
Versicherung des Hungernden, ein noch längeres Fasten vertragen werden
können.“ (Untersuchungen über den Stoffverbrauch des normalen
Menschen von Dr. v. Pettenkofer und Dr. Voit, in der Zeitschrift für Biologie, Jahrgang 1866.)
In den Analysen des Fleischextractes von den verschiedenen Agriculturchemikern
bemerkt man eine bedeutende Abweichung in dem Aschengehalte, welche nicht, wie man
glauben könnte, von einer Ungenauigkeit in den Aschenbestimmungen herrührt; denn ich
habe sie selbst in den Analysen des Extractes, die in meinem Laboratorium regelmäßig
von jeder Sendung gemacht werden, ebenfalls wahrgenommen. Der Grund liegt darin, daß
der Extract, wenn er, auf Segelschiffen versendet, unter den Tropen längere Zeit
unterwegs bleibt, flüssig wird und beim langsamen Erkalten ziemlich große Krystalle
von saurem phosphorsaurem Kali absetzt; daher kommt es denn, daß eine Probe Extract,
von dem oberen Theil genommen, weniger Asche gibt, als vom Boden der Büchse. Dieser
Ungleichheit ist jetzt vorgebeugt. Die Sendungen vom Juli an habe ich in ihrer
Mischung ganz gleichförmig gefunden, und der Extract enthält jetzt durchschnittlich
18 Proc. Phosphate.
Zum Schluß will ich eine Vorschrift zu einer Suppe mittheilen, die in meiner
Haushaltung eingeführt ist und den vollen Beifall meiner Gäste gefunden hat.
Man nimmt 2 Quart preuß. (= 2,290 Liter) Wasser, setzt ½ Pfd. grob
zerschlagene Knochen (am besten von Wirbeln oder Schenkelkopfknochen), oder statt
der Knochen, welche frisch vom Metzger genommen eben so viel wie das Fleisch kosten,
2 Loth Ochsenmark zu, ferner die Suppengemüse, die man gerade zur Hand hat (ein
Stück gelbe Rübe, weiße Rübe, Lauch, Sellerie, Zwiebel, ein Paar Weißkohlblätter
etc.) und kocht bis zum Weichwerden der Gemüse, wozu etwas über eine Stunde genügt;
man nimmt alsdann die Knochen aus dem Kochgefäße heraus und setzt 20 Grm. (1¼
Loth Zollgewicht) amerikanischen Fleischextractes und die nöthige Menge Salz hinzu;
damit ist die Suppe für sieben Personen fertig; das Fleisch, welches sonst dazu
dient, hat man als Braten obendrein. Niemand von Allen, welche diese Suppe gekostet
haben, ist im Stande gewesen, herauszuschmecken, daß dieselbe aus Fleischextract und
nicht aus frischem Fleische bereitet war. Man muß sich ganz besonders vor einem
größeren Zusatz von Fleischextract hüten und sich genau an die Vorschrift halten, da
sonst die Suppe einen strengen Geschmack erhält, der minder angenehm ist.