Titel: Technische Reisenotizen von Max Eyth.
Fundstelle: Band 188, Jahrgang 1868, Nr. LXXXVII., S. 361
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LXXXVII. Technische Reisenotizen von Max Eyth. I.Die Modellsammlung des Patent Office zu Washington. Mit Abbildungen auf Tab. VII. Eyth über die Modellsammlung des Patentamts zu Washington. Die amerikanischen Patentgesetze verlangen, daß jede Eingabe um ein Patent von zwei Zeichnungen und einem aus hartem Holz oder Eisen verfertigten Modell der Erfindung begleitet sey. Letzteres soll wo möglich ein working model,“ d. h. ein wirklich in Thätigkeit zu setzendes Modell seyn; jedoch soll keine seiner Dimensionen die Länge von zwölf Zoll überschreiten. Diese kurze, scheinbar unwesentliche Verordnung hat sich in mancher Hinsicht von hohem Werthe erwiesen. Mittelst des Modelles wird nicht nur der Commission, welche über die Ertheilung des Patentes entscheidet, das Verständniß der Sache wesentlich erleichtert, sondern werden auch Zweideutigkeiten und Unklarheiten der Beschreibung und oft auch der Zeichnungen nahezu unmöglich gemacht. Selbst der Erfinder wird genöthigt, sich von der praktischen Möglichkeit seiner Idee vollständiger zu überzeugen, ehe er die Regierung mit seinen eingebildeten Rechten behelligt. Wir suchen deßhalb in amerikanischen Patentberichten umsonst nach dem Perpetuum mobile und anderen Maschinen, welche die Gesetze der Natur über den Haufen werfen, wie sie z. B. in England noch alljährlich in reicher Menge erscheinen. Andererseits lag in dem erwähnten Gesetz eine schwerlich vorausgesehene Schwierigkeit. In Form von Acten und Folianten lassen sich die Gedanken früherer Zeiten gar bequem ad acta legen; bestehen aber, neben diesen papierenen Schätzen, die Documente des Patentamtes aus etlichen 100,000 Modellen, zwölf Zoll in jeder Richtung messend, und vermehrt sich diese Sammlung mit der Schnelligkeit von einem Vierteltausend per Woche, so muß es einer bedrängten Verwaltung wohl bange werden, was mit dem scheinbar unversieglichen Ideenflusse einer rastlosen Nation anzufangen sey. Von den drei Prachtgebäuden der Hauptstadt der Vereinigten Staaten — dem Capitol, dem Schatzamt (Treasury) und dem Patentamt (Patent office) — wird das letztere allgemein als ein würdiges drittes anerkannt. In der Schönheit des Baumaterials, der Reinheit der Formen, der Größe und majestätischen Einfachheit seiner Proportionen steht es jedoch sicher über seinen reicheren und mehr beachteten Rivalen; es ist das schönste Gebäude auf dieser Seite der Erdkugel. Seine Lage, auf einem sanften Hügel halbwegs zwischen dem Capitol und dem Schatzamt, ist keine ungünstige, wenn auch der Hügel etwas höher seyn dürfte. Der Grundriß des Baues ist ein Rechteck, 410′ lang, 275′ tief, mit einem entsprechenden Hof von 265′ Länge und 135′ Breite in der Mitte (man s. Fig. 13). Von den auf diese Weise gebildeten vier Flügeln bildet der südliche die Hauptfayade; der westliche und östliche springen um eine Fensterbreite über die beiden anderen vor, und geben ihnen auf diese Weise eine belebtere Front. Jede Seite des Gebäudes jedoch bildet an sich eine fertige Front mit granitenem Treppenaufgang und einem gewaltigen Säulenporticus, aus 16 in einer Doppelreihe gestellten Säulen bestehend. In verticalem Sinne besteht das Gebäude aus einem hohen, granitenen Unterbau und zwei Stockwerken. Der Unterbau und der erste Stock enthalten Bureaux und Registraturen in Verbindung mit der Thätigkeit des Patentamtes. Die zweite Etage ist ausschließlich der Modellsammlung gewidmet. Der Styl des Baues ist dorisch und nur im Inneren sind hiervon einige unnöthige Abweichungen zu bemerken, indem dort die einfacheren Formen des römischen Rundbogenstyls angewendet sind. Das südliche Portal ist eine genaue Nachbildung des Porticus am Pantheon zu Rom. Wie bei allen modernen Gebäuden in griechischem Styl konnte auch hier den Fenstern das Störende nicht ganz benommen werden. Doch bleibt der allgemeine Eindruck der prachtvollen Marmorfront, welche nach jeder Seite hin dem Beschauer entgegentritt, ungeschwächt der einer imposanten, ruhigen, einfachen Schönheit. Wenden wir uns jedoch dem Inneren des zweiten Stockwerkes zu. Sämmtliche vier Flügel bilden einen durch keine Zwischenwand unterbrochenen fortgesetzten Saal, oder besser vier langgestreckte Hallen, die ohne Trennungswände in rechten Winkeln aneinander stoßen. Sie erhalten ihr Licht vom Hofe sowohl als von der Außenseite des Gebäudes durch 176 Fenster, und die Aufstellung der Modelle ist der Art, daß das Auge stets frei über den Hof hinweg durch die zwei entsprechenden Fenster des entgegengesetzten Flügels in's Freie sieht, daß das Licht somit in ungestörtester Weise den ganzen Raum durchdringt. Drei dieser Säle sind fast ganz gleichförmig eingerichtet; nur der vierte, im südlichen Flügel, welcher als Pracht- und Staatshalle anzusehen ist, macht hiervon eine Ausnahme. Letzterer ist für Merkwürdigkeiten bezüglich der. Geschichte und Geographie, der Politik und Industire des Landes bestimmt. Architektonisch bildet er eine im pompejanischen Styl gemalte Säulenhalle und ist das einzig Störende im Gebäude. Denn der Farbentopf bleibt die gefährlichste Spielerei der angelsächsischen Race in der neuen, wie in der alten Welt; es ist diesen Augen nichts zu grün. Von den drei übrigen Hallen, welche fast genau die gleichen Dimensionen haben, unterscheidet sich nur die nördliche von den beiden anderen durch eine doppelte Säulenreihe, welche die Decke stützt. In jenen ist der 70′ breite Raum von einer einfachen Balkendecke überspannt, deren schachbretförmige Structur in leichten Sepiatönen gemalt, angenehm von den weißen Marmorwänden absticht. Die pompejanische Prachthalle ist der Südsaal. Im West-, Nord- und Ostsaale sind die Glasschränke für die Aufbewahrung der Modelle in fast ganz gleichförmiger und für den Zweck fast musterhafter Weise angeordnet. Allerdings scheint nichts einfacher und leichter zu seyn, und doch geben ähnliche Aufgaben in den meisten Fällen zu allen erdenklichen Mißgriffen Veranlassung, von denen Welt-Ausstellungen gewöhnlich die reichste und lehrreichste Sammlung darbieten. Wir geben deßhalb eine genauere Skizze. Die Schränke sind sämmtlich 4′ breit und diejenigen, welche auf dem eigentlichen Saalboden stehen, 24′ lang. Ihre eine kürzere Seite schließt sich an die Saalwand in der Mitte zwischen zwei Fenstern an. Sie stehen somit quer in den Saal hinein, welcher, mit zwei Fensterreihen versehen, die gleichartige Aufstellung von zwei langen Reihen solcher Schränke gestattet. Der freie Mittelgang zwischen denselben ist 22′ breit, während die Entfernung der einzelnen Schränke unter sich, der Entfernung der Fenster entsprechend, 12½ beträgt. Die Höhe derselben beträgt circa 10′. Ihre obere Decke bildet den Fußboden einer fortlaufenden, Schrank mit Schrank verbindenden Gallerte von 24′ Weite. Dieselbe trägt gewissermaßen als Fortsetzung der unteren Schränke genau dieselbe Anzahl ebenso hoher und ebenso breiter Schränke, welche jedoch nur 20′ lang sind und somit, da sie wie die unteren an der Wand des Gebäudes anstoßen, auf der Gallerie eine Passage um die dem Saal zugekehrte Seite des Schrankes freilassen. Die beiden auf diese Weise in jedem Saal gebildeten Gallerien hängen an den Saalenden nicht nur unter sich, sondern auch mit den Gallerien der anderen Säle zusammen und sind in jedem mittelst sechs eiserner Treppen von unten zugänglich. Die Höhe der Gallerie vom Fußboden ist der Art, daß sie die Fenster des Saales in ⅔ ihrer Höhe durchschneidet. Dieß ist ein architektonischer Uebelstand, der jedoch kaum bemerkt wird, da die Gallerte mit dem Gebäude in keiner Weise zusammenhängt und gewissermaßen als organischer Theil der Schränke auftritt. Die Wände derselben bestehen nach allen drei freistehenden Seiten hin aus Glasthüren. Jeder Schrank enthält 4 Etagen, aus einfachen horizontalen Bretern gebildet. Die Höhe zwischen denselben beträgt 20″. Nur im Nordsaal findet in Folge seiner Säulenreihen eine kleine Abweichung von dieser Anordnung statt. Die Gallerie überragt dort die unteren Schränke um 4′, sich auf die Säulen stützend, und die oberen Schränke behalten deßhalb die Länge der unteren. Die Farbe des Holzwerkes, welches auf ein Minimum reducirt ist, ist weiß. Die Bequemlichkeit, mit der in dieser Weise sämmtliche Gegenstände für Auge und Hand zugänglich sind, die Geräumigkeit und vor Allem die Helle, welche jeden Quadratzoll des colossalen Raumes erfüllt, tragen in der That nicht wenig dazu bei, diese wundervolle Sammlung so anziehend zu machen. Welcher Unterschied zwischen diesen von Ende zu Ende durchsichtigen Glaskästen, gefüllt mit ihren Tausenden von Maschinen, und den unergründlichen Winkeln des Kensington-Museums in London oder selbst den aufgestapelten Spielereien der école centrale in Paris! Was nun die Quantität betrifft, so haben wir in jedem der unteren Schränke einen Flächeninhalt von 4 . 4′ . 24′ = 384 Quadratfuß. Die oberen Schränke, mit einer Länge von 20′, geben eine Fläche von 4 . 4′ . 20′ = 320 Quadratfuß. Im Ostsaal befinden sich oben wie unten je 44 Schränke; ebensoviele im Nordsaal. Im Westsaale sind es deren nur 40. Da jedoch die oberen Schränke im Ostsaal so groß als die unteren sind, so haben wir 192 große und 84 kleine Schränke, oder einen Flächeninhalt von 100,608 Quadratfuß. Sämmtliche Schränke sind nun bis zur äußersten Grenze der Möglichkeit gefüllt, so daß in manchen, z. B. im Gebiet der Dampfschieber und ähnlicher vielbehandelter Mechanismen, die Modelle ein verwirrt aufgehäuftes Chaos bilden. Wir sind sicher, hinter der wahren Zahl zurückzubleiben, wenn wir annehmen, daß durchschnittlich 2 Modelle auf dem Quadratfuß stehen; dieß gäbe 201,216 Modelle. Es ist nicht leicht, sich einen Begriff von dieser Menge zu machen. Würde man diese Modelle in eine Reihe stellen, jedes 3′ vom nächsten, so hätte man einen wissenschaftlichen Spaziergang von über 20 geographischen Meilen vor sich, jeder Schritt einen neuen Gedanken bietend. Würde man jedes Modell 3 Minuten lang betrachten, ein Zeitaufwand, der für einen Iacquardstuhl, eine calorische Maschine oder eine complicirte Expansionssteuerung kaum ausreichen dürfte, so sind nach dem hier eingeführten 8 Stunden-Arbeitsgesetz 4 Jahre nöthig, um sich vom ersten bis zum Ende des dritten Saales durchzuarbeiten. Der Eindruck, den deßhalb der erste Besuch der Sammlung macht, ist keineswegs ein besonders erfrischender und ermuthigender. Nachdem der erste Schrank mit vielleicht 300 verschiedenen Nähmaschinen mit wahrer Begeisterung betrachtet worden, und die nächsten drei mit eingehendem Interesse und mit dem festen Vorsatz, über dem Neuen das alte Gute nicht zu übersehen, so werden die folgenden zwanzig Schränke bereits in buchstäblichem Sinne cursorisch abgemacht. Dann aber wird der Gang zum Lauf, der Lauf im zweiten Saal zum Sturmschritt, im dritten taumelt der Unglückliche mit schwindelndem Kopf dem Ausgang zu, ohne rechts oder links zu sehen, jeden Augenblick mit Seelenangst befürchtend, von einem speciell interessanten Gegenstand wieder in den dämonischen Zauberkreis dieser aufreibenden metallenen Gedankenwelt gezogen zu werden. Viel trägt zu dieser verwirrenden Betäubung der ersten Stunden, und selbst manches folgenden Tages, den wir in der Sammlung zubringen, die Art bei, wie dieselbe sachlich geordnet ist — wieder eine der Eigenthümlichkeiten der englischen Race, die sie aus der alten in die neue Welt verschleppt hat, und von der sie hier wie dort nicht los zu werden im Stande ist. Der Sinn des Zusammentragens aus allen Gebieten der Materie und des Geistes ist bekanntlich bei den Engländern in hohem Grade entwickelt; weltbekannt aber ist es, seit der Zeit der allgemeinen Industrie-Ausstellungen, daß kein Engländer im Stande ist, seine Schätze systematisch zu ordnen. Ein confuseres Chaos als eine englische Ausstellung vermag die gesammte Kraft continentaler Ausstellungscommissäre nicht darzustellen. Das brittische und das Kensington-Museum sind wahre Meisterwerke in der Kunst, hinter unendlichem Besitz das Besessene zu verbergen. Wenn auch durch deutschen und französischen Einfluß dieser Charakterzug in Amerika wesentlich gemildert auftritt, so liefert doch das Patentamt der Vereinigten Staaten noch etliche Belege für seine blühende Existenz. Die Aufgabe war unleugbar eine schwierige; aber die Commission hat sich die Sache etwas leichter gemacht, als wünschenswerth ist. Wo die Sammlung anfängt und wo sie aufhört, ist eine unergründliche Frage. Einzelne Schränke sind gewissen Gruppen zugetheilt. Wie sich diese Gruppen folgen, wie z. V. der Schrank für Patentsärge und andere patentirte Erfindungen im Gebiet von Leichenangelegenheiten zwischen Steinbohrmaschinen auf der einen und Registrirmaschinen für Omnibusse und Theaterthore auf der anderen Seite geräth, wie sich Tabakspfeifen und Schlittschuhe in einem Schrank vertragen, welche Ideenassociation militärisches Lederwerk auf Crinolinen folgen läßt, sind Geheimnisse, die für immer nur dem Eingeweihten verständlich werden können. Innerhalb der einzelnen Gruppen sind dann die Modelle ohne weiteres Streben nach sachlicher Ordnung nach der Zeit ihres Einlaufens niedergelegt; eine einfache Regel, die jedoch bei der Mannichfaltigkeit der Details und bei der oft verwirrenden Combination verschiedener Ideen in einem und demselben Patent vielleicht die einzig mögliche ist. Sämmtliche 80 Schränke im Westsaale sind mit Modellen nicht gewährter Patentforderungen gefüllt, welche dem Erfinder nicht zurückgegeben werden, wenn die Commission sie für aufbewahrenswerth erachtet. Ein Gang durch den Ost- und Nordsaal, selbst bei der Unmöglichkeit, mehr als den oberflächlichsten Blick auf den Inhalt der einzelnen Schränke zu werfen, bietet des Eigenthümlichen und Interessanten eine förmlich überwältigende Masse. Er gibt uns ein wunderbar plastisches Bild von den Richtungen, in welchen sich vorzüglich die productive Kraft der amerikanischen Technik bewegt und entfaltet, von der merkwürdigen, stetigen Entwickelung gewisser Ideen, die im Laufe der letzten 20 bis 30 Jahre zu einem gewissen Abschluß gelangt sind. Wir nehmen deßhalb keinen Anstand, selbst auf die Gefahr hin den Lefer zu ermüden, ihn zu einer Wanderung durch dieses Gefilde aufzufordern, das uns, wie kein anderes, das Keimen und Blühen, das Wachsen und Reifen, wie auch das Absterben und Verdrängtwerden der technischen Gedanken einer halben Welt und eines halben Jahrhunderts in seiner unendlichen Mannichfaltigkeit vor die Augen führt. Es ist, wie gesagt, unmöglich, in irgend welcher Ecke der drei Säle den Anfang oder das Ende eines logischen Fadens zu finden, der uns sicher durch das Ganze leiten könnte. Es bleibt uns deßhalb nichts übrig, als in die Mitte stürzend am nächsten besten Punkte den Anfang zu machen. Wir beginnen im östlichen Ende des Nordsaales mit der unteren Reihe rechts und befinden uns in der Mitte einer Classe von Apparaten und Maschinen, deren eigentliche Heimath Amerika ist. Die dringenden Bedürfnisse der amerikanischen Landwirthschaft, deren beschränkte Arbeitskräfte ein so ungeheures Gebiet der Thätigkeit vor sich sehen, und der eigenthümliche Geist des Volkes, der, frei von allem Zunft- und Handwerkssinn, sich keck an die Lösung jeder Aufgabe macht, schuf und entwickelte den landwirtschaftlichen Maschinenbau wie, mit Ausnahme von England, in keinem anderen Lande. 33 von 172 Schränken, oder mehr als 1/6 des Raumes der beiden Säle, mußte diesem Zweige eingeräumt werden. Die ersten zwei Schränke enthalten Maschinen zur Behandlung der Milch: ein Dutzend verschiedener Formen jener wunderlichen Apparate, der Melkmaschinen, welche auf der letzten Londoner allgemeinen Industrie-Ausstellung zuerst das lächelnde Erstaunen der alten Welt erregten; ferner Butterfässer, Kühlapparate zur Aufbewahrung der Milch und verschiedene Maschinen zur Käsebereitung. Der dritte Schrank, an dem wir eben so rasch vorübergehen, ist der Bienenzucht zugetheilt. Nun folgen, der systematischen Anordnung wegen unterbrochen von einer anderen Unterabtheilung der Classe, sieben Schränke mit 5–6000 Patenten, die sich auf Pflüge und Maschinen zur Bearbeitung des Bodens beziehen. Der alte einfache flämische Pflug, mit gewaltig breiter scharfer Schar, geradem und später concavem Rüster, ohne Pflugmesser und Vordergestell, gibt in den zwanziger Jahren Veranlassung zu den ersten Patenten. Das Pflugmesser erscheint, der Rüster wird concav, und Stück um Stück wird der hölzerne Pflug ein eiserner, die gußeisernen Theile werden Schmiedeeisen und in neuester Zeit wird das Schmiedeeisen Stahl. Doch noch heute vermissen wir in den amerikanischen Pflügen die eleganten Formen, die scheinbare Leichtigkeit und die große Solidität der englischen Apparate. Curiositäten übergehend, finden wir um das Jahr 55 das in den Prairien unentbehrlich gewordene rotirende Pflugmesser. Hügelpflüge wunderlicher Construction bleiben ohne Bedeutung nnd scheinen nach den 40er Jahren auszusterben. Dagegen tauchen um diese Zeit die „Gangpflüge“ auf, Apparate welche von 3–6 Pferden gezogen, zu gleicher Zeit 2–3 Furchen ziehen und die sich in Illinois, Indiana und Missouri in diesem Augenblick einzubürgern anfangen. Eine vielbehandelte Idee neuester Zeit ist die Anwendung der Schraube anstatt des Pfluges, bis jetzt freilich nur eine Idee. Eine eigenthümliche und sehr entwickelte Art von Apparaten sind die „Cultivatoren“, mit welchen der Boden von Welschkorn-, Baumwoll- und Zuckerfeldern während des Wachsens der Saat umgebrochen wird, um das Unkraut niederzuhalten. 2 oder 4 Zinken, an einem gemeinsamen, auf Rädern stehenden Nahmen befestigt, werden durch die Saatreihen gezogen und mittelst Hand oder Fuß gesteuert. Das Steuern der Zinken und das Ausheben derselben aus dem Boden am Ende des Feldes veranlaßte einige sehr sinnreiche Constructionen. Der letzte dieser Schränke ist mit amerikanischen Dampfpflügen gefüllt, von welchen auch nicht einer, mit Ausnahme der natürlich hier vertretenen englischen Patente, von praktischer Bedeutung geworden ist. Alle gehen von dem Gedanken aus, die Maschine als directes Pferd des Pfluges zu behandeln, was das Mißlingen dieser Projecte, abgesehen von allen weiteren Details, erklärt. Ein Schrank mit Eggen und Rollen bietet nichts wesentlich Interessantes. Der im Durchschnitt leichte Boden Amerika's macht Maschinen zum Zerbrechen und Verkleinern der Scholle weniger nöthig, als dieß in der alten Welt der Fall ist. Ueberhaupt ist die gründliche und rationelle Behandlung des Bodens nicht die Liebhaberei des Amerikaners, welchem Millionen Acker jungfräulichen Landes zu Gebot stehen, wenn die alte Farm nichts mehr taugt. Es folgen vier Schränke mit einigen tausend Säemaschinen für alle Arten von Samen. Diejenigen für Weizen und Korn unterscheiden sich wellig von den in Europa gebräuchlichen. Im Allgemeinen jedoch ist die Idee, die Körner mittelst eines beweglichen Schiebers aus dem Behälter in die Saatröhren fallen zu lassen, beliebter, als die Schaufelrädchen der europäischen Maschinen, was zu beweisen scheint, daß der amerikanische Landwirth mit seinem Samen weniger sparsam umzugehen braucht als der europäische. Reicher und eigenthümlicher sind die Säe- und Steckmaschinen für größere Körnersamen, wie Rüben, Welschkorn und Baumwolle. Der die Saatfurche öffnende Pflug, der Apparat welcher die Saat entweder in bestimmten Abständen, oder continuirlich in die Furche wirft, und die nun überall eingeführte eiserne Rolle zum Bedecken sind hier in ihren verschiedenen Formen repräsentirt. Namentlich bot die Baumwolle, mit ihren Wollenfasern um den Kern, Schwierigkeiten, welche eine Reihe von gegenwärtig noch im vollsten Flusse begriffenen Patenten hervorruft. Die nächsten sieben Schränke enthalten gegen 4000 Patente für Mähmaschinen, eine Erfindung, welche Amerika, obgleich wahrscheinlich mit Unrecht, als sein speciellstes Eigenthum betrachtet. Vielleicht kein anderer Theil der Sammlung bietet ein so vollständiges Bild der stetigen Entwickelung und schließlichen Erreichung des Zieles dar, wie diese sieben Schränke. Während es natürlich erscheint, daß aus einer Jdee sich im Lauf der Zeit in divergirendem Sinn eine Reihe neuer Formen und neuer Mittel für einen bestimmten Zweck entwickelt, ist es in Wirklichkeit gewöhnlich umgekehrt. Fast gleichzeitig springen, scheinbar unabhängig von einander und mit einem elektrischen Schlag in den verschiedensten Localitäten, alle nur erdenklichen Möglichkeiten an's Licht. Nach kurzer Zeit verschwindet jedoch eine um die andere der baroken Formen, welche der erste erzeugende Gedanke geschaffen; die Kreise des Möglichen scheinen mit jedem Jahre enger zu werden, bis sich schließlich die ganze Bewegung in einer oder ein paar bestimmten Formen krystallisirt hat. So sehen wir hier, gleich beim ersten Auftreten der Idee, Scheren, bewegliche Sicheln, Kreissägen, Bandsägen, Säbel und Schwerter aller Art, bis sich schließlich das einfache, gezahnte Messer, mit rasch hin- und hergehender Bewegung zwischen den schützenden Zinken unter Verdrängung aller anderen Formen einbürgert. In neuester Zeit ist es besonders die Aufgabe, das geschnittene Getreide in Bündeln auf die Seite zu legen, welche die Aufmerksamkeit der Erfinder erregt und noch fortwährend sinnreiche Combinationen von Hebeln, Excentern und Schrauben hervorruft. — Ein Wink für die Zukunft: die neuesten Patente bemühen sich, mit der Erntemaschine eine Dreschmaschine so zu verbinden, daß der Landwirth nur das gedroschene Korn vom Felde heimführt. Die drei letzten Schränke dieser Reihe enthalten Heugabeln, Pferderechen und Stallutensilien. Dann folgen in der zweiten unteren Reihe dieses Saales zwei Schränke mit Dreschmaschinen. Die allgemeine Form derselben ist der europäischen ähnlich; die Details jedoch sind wesentlich und im Princip verschieden. Der Schläger ist hier wie dort eine rotirende Trommel. Während jedoch in England das Korn von Stäben parallel mit der Achse der Trommel getroffen wird, ist hier die Trommel mit 2–3″ langen Zinken versehen, welche an ähnlichen Zinken in einem festen Mantel um die Trommel vorüberstreifend, das Korn aus der Aehre pressen. In diesem wie in den meisten anderen Theilen scheint die englische Dreschmaschine vollkommener und besser durchgearbeitet als die amerikanische. Die drei nächsten Schränke, mit Putzmühlen, Kornsortirmaschinen und Details von Dreschmaschinen gefüllt, bieten des Einzelnen zu viel, um uns damit zu befassen. Die Anwendung von geschüttelten oder rotirenden Sieben und des Ventilators ist der leitende Gedanke in sämmtlichen Apparaten dieser Abtheilung. Eigenthümlich amerikanisch ist wieder der nun folgende sechste Schrank der Reihe, mit einem halben Tausend verschiedener Maschinen zum Abklauben der Welschkornkolben. Eine gußeiserne Scheibe, mit kleinen abgerundeten Knöpfen, sich rasch drehend, gegen welche der Kolben sanft gedrückt wird, ist die ursprünglichste Form des Apparates. Anstatt dessen finden wir rotirende Kegel und ähnliche Modificationen in Menge. Das ganze landwirthschaftliche Gebiet schließt mit dem nächsten Schrank, welcher Stroh- und Futterschneider enthält. Das in England beliebte, an einem Schwungrad befestigte rotirende Messer ist hier selten zu finden, indem die alte guillotinenartige Bewegung desselben beibehalten ist — eine wunderliche Anomalie bei dem überall ersichtlichen Drang der amerikanischen Technik, hin- und hergehende Bewegungen in rotirende zu verwandeln. Im Allgemeinen macht die ganze Abtheilung den Eindruck, als ob trotz des Massenhaften des Geleisteten die europäische landwirthschaftliche Technik keineswegs hinter der amerikanischen zurückgeblieben sey. Mit Ausnahme von einigen in Folge der Bedürfnisse des Landes besonders entwickelten Apparaten finden wir im Gegentheil die europäischen Maschinen auf richtigere Principien basirt und besser durchdacht. Was hier der angeborene Sinn für Maschinen und das Bedürfniß ihrer Hülfe bei der colossalen Aufgabe der amerikanischen Landwirthschaft hervorrief, schufen dort die gespannteren socialen Verhältnisse, welche jeden Stand zu den äußersten materiellen und geistigen Anstrengungen zwingen. Es ist weniger die concentrirte Art und Weise, als die reiche Massenhaftigkeit, das Arbeiten in's Breite, was dieses Gebiet in Amerika charakterisirt. Wir haben dasselbe näher betrachtet, um eine Idee von dem Reichthum der ganzen Sammlung zu bekommen. Die nächsten Schränke führen uns in den Bereich von Apparaten zur Gewinnung und Bearbeitung der Metalle. Zwei Schränke sind dem Gold und Silber gewidmet und enthalten Steinbrechmaschinen, Quarzzermalmer und Amalgamirapparate; lauter Vorrichtungen, die sich mehr durch ihre wuchtigen Dimensionen als sinnreiche Constructionen auszeichnen und häufig die sehr primitiven technischen Kenntnisse californischer Goldgräber verrathen. Der ganze Rest dieser Reihe — 14 Schränke mit über 7000 Modellen — behandelt die Gewinnung und Bearbeitung des Eisens. Diese hochinteressante Abtheilung beginnt mit Hohöfen, Puddelöfen, Raffiniröfen, Apparaten zur Darstellung von Stahl, von schmiedbarem Gußeisen, von Hartgüssen. Wo rein wissenschaftliche Fragen berührt werden, darf es uns nicht Wunder nehmen, die meisten hier vertretenen Patente aus Europa stammend zu sehen. Im nächsten Schrank folgen Gießereiapparate, specielle Anordnungen für Röhren- und Radgießereien, Formmaschinen und ähnliche Vorrichtungen. Die letzteren finden merkwürdigerweise bis jetzt keinen Boden auf dieser Seite der Welt, während die allgemeinen Anordnungen der hiesigen Gießereien sehr vollständig sind. Auch der folgende Schrank, Schmiedehämmer enthaltend, zeigt nichts wesentlich Eigenthümliches. Wir finden die Schwanz- und Aufwerfhämmer, Feder- und atmosphärische Hämmer und die verschiedenen bekannten Formen der europäischen Dampfhämmer mit unwesentlichen Modificationen in Steuerungen etc. wieder. Auch die hier eingereihten Walzwerke und Drahtzüge bieten nichts wesentlich Unterscheidendes. Die folgenden drei Schränke enthalten Maschinen zur Darstellung specieller Schmiedestücke, deren combinirte und complicirte Constructionen jeder Beschreibung ohne Zeichnungen spotten: Maschinen zur Darstellung von Bolzen, Muttern, Holzschrauben, Nägeln, Hufeisen, Schienenverbindungen, Thürangeln u. s. w. Das Princip aller dieser Maschinen ist eine sinnreiche Combination von Hebeln und Excentern, Kämmen und Federn, Walzen, Scheren und Stempeln, die der Reihe nach auf das schweißwarme Eisen wirken und sämmtlich von einer Treibwelle in Bewegung gesetzt werden. Es ist dieß eine Specialität der amerikanischen Techniker, ein Gebiet, in welchem das Erfinden aufhört und der sinnreiche Constructeur seine Thätigkeit beginnt. Einem Schrank mit Blechwalzen und Blechbiegapparaten folgen zwei mit den eigentlichen Werkzeugmaschinen der Maschinenfabriken: Drehbänke, von denen namentlich solche mit verticaler Spindel sehr entwickelt sind, Bohr- und Stoßmaschinen, Feil- und Fräsmaschinen, letztere häufiger und vollkommener als in Europa, Bieg- und Streckapparate, dann specieller Schraubenschneidmaschinen, Feilenhaumaschinen u. s. w. In den letzten sechs Schränken finden wir Maschinen zur Darstellung von Feilen, Hämmern, Kreissägen, Federn, Ketten, Löffeln, Messern und Gabeln, Schlüsseln und Schlössern, eisernen Läden und Thüren, Scharnieren und Haken, Hufeisen und Nägeln, Pflugscharen und Rüstern, Drähten, Drahtseilen und Drahtnetzen — für jeden dieser Artikel nicht ein, sondern ein paar Dutzend Maschinen. Während der Beginn dieser Abtheilung — die Apparate zur Gewinnung und ersten Bearbeitung des Eisens — uns weniger Neues und Eigenthümliches zeigt, weil bei denselben der europäische Einfluß vorherrschender zu seyn scheint, ist bei den letztgenannten Maschinen der Reichthum an Gedanken, die unerschöpfliche Thätigkeit des Amerikaners in den speciellen Zweigen des industriellen Lebens in der That überraschend. Auf der Gallerie desselben Saales unsere Wanderung fortsetzend, haben wir zunächst zehn Schränke — wobei nie zu vergessen, daß ein Schrank im Durchschnitt 5–600 Modelle repräsentirt — von Apparaten zum Transport auf dem Lande. Zuerst Details von Karren, Wagen und Droschken, Wagenrädern, Federn, Untergestellen und Aehnlichem. Ferner Schlitten, bei denen namentlich die hier überall gebräuchlichen Doppelschlitten mit beweglichem Untergestell bemerklich sind. Dann Omnibusse und die in Europa nie gedeihenden, aber hier in voller Blüthe stehenden Pferdeeisenbahnen. Diesen folgen Eisenbahnwagen-Details — Räder, Achsen, Kuppelungen und Bremsen — in unendlicher Zahl. Auch einige momentum absorbers zum plötzlichen Stillhalten der Züge sind zu sehen, welche jedoch vermuthlich nie etwas absorbirten. Sämmtliche Patente beziehen sich natürlich auf das sogen, amerikanische Eisenbahnwagensystem, das einzig hier gebräuchliche. Ein Schrank bezieht sich ausschließlich auf das Innere der Wagen, Construction der Sitze, Ventilation und Heizung. Vor Allem machen sich hier die sleeping cars bemerklich, welche dem amerikanischen Eisenbahnleben einen so eigenthümlichen Charakter verleihen, und ohne welche das amerikanische Wagensystem mit allen seinen Vortheilen für längere Reisen eine Tortur bleibt. Es folgen nun Locomotiven. Die oberflächliche Bauart der Schienenwege und die verhältnißmäßig langsame Geschwindigkeit der Züge geben der amerikanischen Locomotive ihren eigenthümlichen Charakter. In der Richtung, in welcher sich in Europa der Locomotivenbau in den letzten 15 Jahren entwickelte, geschah hier nichts. Leicht, einfach und billig ist. das Princip der amerikanischen Locomotive, welche für ihre Verhältnisse nahezu vollkommen genannt werden kann. Von neuen Ideen zur Ueberwindung außerordentlicher Steigungen u. s w. ist nichts zu bemerken. Die Bedingungen, denen die Locomotive hier zu entsprechen hat, sind weniger mannichfaltig. So hat sich, mehr als in Europa, eine bestimmte Normalform eingebürgert, von der es offenbar selbst dem amerikanischen Erfindungsgeiste schwer wird, sich los zu machen. Vollständig unentwickelt, obgleich reichlich repräsentirt, ist das Gebiet der Straßenlocomotiven. Die noch heute hier auftauchenden Ideen sind in Europa längst überwunden. Bei der Art, wie hier die Eisenbahn als der Vorrenner und Pionier der Civilisation auftritt, hat die Straßenlocomotive keinen Werth. In der alten Welt ist sie zwischen einem außerordentlichen Verkehr auf der Landstraße und der Eisenbahu ein natürliches Mittelglied; hier, wo die Existenz eines neuen Staates damit beginnt, daß einige Compagnien ihre Schienenwege durch die einsamen Prairien legen, kommt sie überall zu spät. Der einzige Fall, in welchem wir das Princip neuerdings angewendet sehen, ist bei großen Dampffeuerspritzen, deren Straßenräder mit der Maschine in Verbindung gesetzt werden. (Der Schluß folgt im nächsten Heft.)

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