Titel: | Ueber E. Martin's Verfahren zur Gußstahlfabrication; von H. Mathieu. |
Fundstelle: | Band 188, Jahrgang 1868, Nr. XVIII., S. 47 |
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XVIII.
Ueber E. Martin's Verfahren zur Gußstahlfabrication; von
H. Mathieu.
Aus Armengaud's Génie industriel, Februar 1868, S.
71.
Mathieu, über die Martin'sche Stahlerzeugungsmethode.
Das Martin'sche Verfahren wird auf dem Stahlwerke des Hrn.
Verdié seit dem 1. Juni 1867 in regelmäßigem Betriebe ausgeführt. Zwei Flammöfen
liefern jeder 3500 Kilogr. Gußstahl per Schmelzung, und
jeder Ofen wird in 24 Stunden zweimal abgestochen, entsprechend einer
Jahresproduction jedes Ofens von 2100 Tonnen, Der erzeugte Gußstahl ist dem in
Tiegeln dargestellten ganz ähnlich. Das Ziel, welches die Erfinder im Auge hatten,
war übrigens das, die Tiegel durch den Flammofen zu ersetzen. Versuche ähnlicher Art
sind in den letzteren Jahren wiederholt gemacht worden, allein dieselben mißlangen
entweder oder wurden nicht weiter verfolgt. Der Grund davon, daß Martin so günstige Erfolge erzielte, liegt in der
Anwendung des Siemens'schen Ofens, sowie auch in der
günstigen Zusammensetzung der Schlacken.
Die zu dieser Stahlfabrication angewendeten Apparate bestehen
1) in einem Siemens'schen Regenerativ-Ofen;
2) in einem Flammofen, dem sogen. Schmelzofen;
3) in einem Glühofen zum Vorwärmen der Roheisengänze und
der Stabeisen- und Stahlmasseln vor ihrem Einsetzen in den Schmelzofen.
Das Verfahren selbst ist das nachstehende,
Nachdem sämmtliche Oefen angeheizt sind, wird zunächst der Glühofen mit Roheisen
beschickt, bis die Charge desselben 900 Kil. beträgt. Sobald die Gänze weißglühend
geworden sind, werden sie auf die Sohle des Flammofens gebracht, wo sie bald in Fluß
gerathen; dann wird das Roheisen mit einem aus Holzkohlenhohofenschlacken und
Quarzsand
zusammengesetzten Schlackenbade bedeckt, welches die Entkohlung des Roheisens
verhüten soll.
Hierauf werden die, ebenfalls zuvor im Glühofen zum Weißglühen erhitzten
Stabeisen- oder Stahlmasseln zugesetzt und zwar von halber zu halber Stunde
in Quantitäten von jedesmal 200 Kilogrm. Die ganze Operation nimmt eine Zeit von
acht Stunden in Anspruch, wozu noch etwa zwei Stunden für Reparaturen der Herdsohle
gerechnet werden müssen.
Während die ganze Menge der Masseln oder Luppen in der angegebenen Weise in den Ofen
eingetragen wird, vergehen ungefähr 6 Stunden; zu diesem Zeitpunkte nimmt die aus
900 Kilogr. Roheisen und 2400 Kilogr. Stabeisen- oder Stahlmasseln bestehende
Charge einen teigartigen, dem des Stabeisens sehr nahe kommenden Zustand an; das
Roheisen hat nämlich jetzt einen Theil seines Kohlenstoffgehaltes an das Stabeisen
abgegeben und letzteres hat sich allmählich in eine halbflüssige Metallmasse
verwandelt, welche weder Eisen, noch Stahl ist. Zur Erzeugung von Stahl setzt man
Roheisen von derselben Beschafsenheit, wie das bereits angewendete, nachdem es
gleichfalls vorgewärmt worden, in Mengen von je 200 Kilogr. hinzu, bis davon etwa
800 Kilogr. in dem Ofen sind.
Dieses nachträglich zugesetzte Roheisen gibt einen Theil seines Kohlenstoffes an die
flüssige Metallmasse ab, und wenn man sich durch Ziehen von Proben, welche gegen die
achte Stunde des Processes zu nehmen sind, überzeugte, daß das ganze Bad den
beabsichtigten Grad der Stahlbildung erreicht hat, so sticht man in Zainformen ab.
Das Metallbad kann unter der Schlackendecke beliebig lange flüssig erhalten werden.
Zeigt eine Probe zu große Härte, so setzt man noch etwas Stabeisen oder Stahl, zeigt
sie sich zu eisenartig, so setzt man einige Roheisenchargen zu.
Während der ganzen Dauer dieser Operation haben die Arbeiter weiter nichts zu thun,
als das Feuer zu reguliren und den Glühofen, sowie den Schmelzofen mit dem Roheisen
und den Stabeisen- und Stahlmasseln zu beschicken, denn das beschwerliche und
angreifende Umrühren der flüssigen Metallmasse fällt ganz weg; der Stahl erzeugt
sich gewissermaßen ganz von selbst ebenso wie im Schmelztiegel. Die einzige,
allerdings anstrengende und mühevolle Arbeit, welche die Leute zu verrichten haben,
besteht in der Herstellung und der Reparatur der Sohle.
Das angewendete Material ist ein ausschließlich aus Erzen von Mokta in Algerien
erblasenes Roheisen, sowie Stabeisen oder Stahl, welche aus Roheisen desselben
Ursprunges erzeugt worden sind, um in dem Bade nur Substanzen von einem und demselben Ursprunge
zu haben. Da die Erze von Mokta einen hinlänglich großen Mangangehalt besitzen, so
wird weder dem Metallbade, noch der Schlackendecke Braunstein zugesetzt.
Der mittelst dieses Verfahrens erzeugte, speciell zu Eisenbahnschienen bestimmte
Stahl ist von ausgezeichneter Qualität. Der Verf. war Augenzeuge, wie aus einem
Zaine dieses Productes ein Stab angefertigt wurde, welcher, nachdem er im Walzwerke
zu 60 Millim. Breite und 9 Millim. Stärke ausgestreckt worden war, im kalten
Zustande sich dreimal ganz zusammenbiegen ließ, ohne die geringste Spur von Rissen
zu zeigen, obgleich er vorher mittelst des Durchschlages in vier Millim. Entfernung
vom Rande gelocht worden war. Aus demselben Zaine wurde ein Stab geschmiedet und zu
einem Grabstichel bearbeitet, mit welchem sich nach dem Härten Werkzeuggußstahl,
sowie das härteste Roheisen graviren ließ. Eine aus diesem Material angefertigte
Vignoleschiene erhielt bei der gewöhnlichen Probe durch den Schlag eines von 2,50
Met. Höhe herabfallenden Rammblockes von 300 Kil. Schwere eine Biegung von nur 1
Centim. Pfeil und brach erst bei einer Fallhöhe von 2,75 Meter.
Der Verf. nimmt keinen Anstand, zu behaupten, daß die von Berdié aus den Erzen von Mokta erzeugten Schienen weit besser seyn müssen,
als die aus demselben Erze mittelst des Bessemerprocesses dargestellten. Es läßt
sich zwar nicht bestreiten, daß das Martin'sche
Verfahren, wie es von Berdié ausgeübt wird, größere
Kosten verursacht, als der Bessemerproceß mit directem Abstechen aus dem Hohofen in
das Umwandlungsgefäß, wie er auf den Terre-Noire-Hütten üblich ist;
indessen ist zu berücksichtigen, daß die Einrichtungen des Martin'schen Systemes weit weniger kosten als die des Bessemersystemes,
und zwar annähernd in dem Verhältnisse von 0,45 Frcs. zu 1,36 Fr. Dadurch wird eine
kleine Ausgleichung bedingt.
Ueberdieß ist zu bemerken, daß Martin's Verfahren die
Benutzung von Spiegeleisen nicht erfordert, von welchem
bei der Fabrication von Bessemerstahl 10 Proc. zugesetzt werden und welches ungefähr
220 Frcs. per Tonne kostet. Also auch in dieser
Beziehung ergibt sich eine kleine Ersparung zu Gunsten des Martin'schen Processes.
Nachtrag.Ueber die Martin'sche Stahlerzeugungsmethode; von Ministerialrath P. v.
Tunner.Vorgetragen an der k. k. Bergakademie zu Leoben am 11. Januar 1868; aus der
österreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen, 1868, Nr.
4.
Die Methode, Stahl im Flammofen ohne Tiegel umzuschmelzen, ist der Idee nach schon
sehr alt, denn bereits im Jahre 1830/1 hat Alois Obersteiner in der ärarischen Kanonengußhütte auf der Wieden in Wien
dießfallsige Schmelzversuche angestellt, denen der Vortragende als Praktikant
beiwohnte, die aber kein befriedigendes Resultat gaben. Ferner von 1860 auf 1861
sind auf Befehl und Kosten des Kaisers Napoleon in der Hütte zu Montataire, wie es
heißt, gelungene Versuche der Art durchgeführt worden, worüber im polytechn. Journal
Bd. CLXVII S.
346 das Nähere einzusehen ist. Die Hauptursache, warum diesen Versuchen
damals keine weitere Folge gegeben wurde, soll in dem zu schlechten Rohmaterial
gelegen seyn, welches dabei verwendet worden ist. Ueberdieß war dabei die Absicht
nur auf den Guß von Stahlkanonen gerichtet, welche jedoch, was vielleicht auch bei
besseren Materialien eingetreten wäre, nicht entsprochen haben. Wahrscheinlich haben
diese Versuche Hrn. Martin zur Fortsetzung derselben
vermocht, und soll er schon seit drei Jahren damit in einen ziemlich constanten
Betrieb gekommen seyn.
Eine unerläßliche Bedingung zum Gelingen des Stahlschmelzens im Flammofen ist eine
möglichst hohe Temperatur, welcher Bedingung die Gasöfen mit Siemens'schen Wärmeregeneratoren am besten entsprechen, und zwar um so
besser, wenn sie mit Lundin'schen CondensatorenBeschrieben im polytechn. Journal, 1867, Bd. CLXXXIII S. 368. verbunden sind. Diese letzterwähnte
Modification erscheint um so angezeigter, als hierdurch die oxydirende Einwirkung
der Flamme nach Bedarf vollkommener unterdrückt werden kann, wie ohne dieselbe. Daß
mit solchen Flammöfen wirklich die erforderliche Temperatur hervorgebracht werden
könne, um die weichsten Stahlsorten und selbst Stabeisen zu schmelzen, zeigen die
Erfolge, so mit diesen Oefen beim Schmelzen des Stahles in Tiegeln allenthalben
erreicht werden; auch geben diese Oefen, wie sie bei der Schmelzung in Tiegeln
angewendet werden, den Fingerzeig, wie der Boden derselben, mit eiserner Kühlplatte
und Sandherd, einzurichten ist. Außerdem erhält der Boden zu beiden Seiten des flachen Sumpfes geneigte
Flächen, von denen aus die vorgewärmten Materialien in den gehörig erhitzten Sumpf
niedergeschmolzen werden.
Hr. Emil Martin, auf seinem Werke Sireuil bei Angoulème,
arbeitete bisher nur mit Chargen von 30–40 Ctrn.; auf dem großen Werke des
Hrn. Verdié in Firminy wurde der im Jahre 1867 erbaute
Ofen für 100 Ctr. berechnet.
Was in der Hauptsache die Manipulation und den chemischen Vorgang betrifft, verwies
der Vortragende auf seine dießfallsige Veröffentlichung in der österr. Zeitschrift
für Berg- und Hüttenwesen Nr. 24 von 1867 (polytechn. Journal Bd. CLXXXV S.
129). Neben dem eigentlichen Schmelzofen muß noch ein Vorwärmofen vorhanden
seyn, in welchem die einzuschmelzenden Materialien vorgewärmt werden, bevor sie in
den Schmelzofen gelangen, um in diesem jede Abkühlung thunlichst zu vermeiden. In
der Regel wird dieser Wärmofen zugleich (oder vielmehr hauptsächlich) zum Wärmen der
erzeugten Gußblöcke, behufs ihrer weiteren Bearbeitung, zu verwenden seyn.
Bei einer dieser Chargen für weichen Stahl wurden angeblich verwendet:
Vorerst eingeschmolzen, graues Roheisen
1200 Kilogr.
nachgetragen an afrikanischen Erzen
146 Kilogr.
nachgetragen an Puddlingsstahl-Wasseln
700 Kilogr.
––––––––––
Zusammen
2046 Kilogr.
Nach 7½ stündiger Operation wurden daraus erhalten:
an reinen Gußblöcken
1672 Kilogr.
an Abfällen
53 Kilogr.
daher Gewichtsverlust
321 Kilogr.
––––––––––
wie oben
2046 Kilogr.
Nachdem die aus Afrika bezogenen Erze, reine Magneteisensteine und Eisenglanz, nur
mit circa 65 Proc. Eisenhalt gerechnet werden können, so
beträgt der Abgang richtiger gerechnet nur 270 Kilogr. oder in Procenten bei
13½, welcher vornehmlich in verschlacktem Eisen besteht. — An
Brennstoff waren bei dieser Charge erforderlich:
in dem Generator des Schmelzofens
990 Kilogr.
Steinkohle
in dem Vorwärmofen (zugl. Glühofen)
180 Kilogr.
Steinkohle
900 Kilogr.
Anthracit
––––––––––
Zusammen
2070 Kilogr.
Also beziffert sich auf 1 Gewichtstheil zu schmelzendes Material, sammt dem ferneren
Ausglühen der Gußblöcke, sehr nahe 1 Gewichtstheil Brennstoff, und bei größeren
Chargen und Oefen dürfte auf 1 Ctr. Gußblöcke 1 Ctr. Kohle gerechnet werden
können.
Der Sandherd muß nach jeder Charge reparirt werden, aber das Gewölbe und die übrigen
Ofentheile halten angeblich ein und selbst mehrere Monate aus, ohne einer Erneuerung
zu bedürfen, und obgleich per Monat an 100 Tonnen (2000
Ctr.) Gußblocke erzeugt werden.
Nach einer mir zu Gesicht gekommenen Calculation sollen sich in Frankreich die
Gestehungskosten bei dem Martin'schen Verfahren, zufolge
der in Gegenwart vor mehreren Fachmännern bei Hrn. Emil Martin abgeführten Versuche folgend stellen
Für
3550
Kilogr.
Roheisen à 120 Frcs.
426 Frcs.
Für
53
Kilogr
Stahlabfälle à. 120 Frcs
6,36 Frcs.
Für
1000
Kilogr
Puddlingsstahlluppen à 160 Fr.(?)
160 Frcs.
Für
1600
Kilogr
Puddlingseisenluppen à 160Fr.(?)
256 Frcs.
Für
189
Kilogr
afrikanische Eisenerze à. 31 Frcs
5,86 Frcs.
Für
5850
Kilogr
Steinkohlen à 15 Frcs.
87,75 Frcs.
––––––––––––––
Zusammen für Betriebsmaterialien
941,97 Frcs.
An Arbeitslöhnen
60 Frcs.
Ofenreparaturen, Werkzeuge
150 Frcs.
Interessen
90 Frcs.
unvorhergesehene Fälle, Taxen
100,03 Frcs.
––––––––––––––
Summa
1342 Frcs.
Erzeugt wurden 5620 Kilogr. Gußblöcke, und demgemäß betragen die Gestehungskosten für
1000 Kilogr. Gußblöcke unter 240 Francs, oder der Zollcentner nahe 12 Francs.
Hiernach wären die Gestehungskosten nicht viel höher als jene der Gußblöcke beim
Bessemern. In den meisten Localitäten, und insbesondere für einen großartigen
Betrieb, dürfte jedoch das Bessemern vorzuziehen seyn. Hr. E. Martin behauptet zwar, daß seine Producte von besserer, verläßlicherer
Qualität seyen, und zugleich in der Qualität des zu verwendenden Roheisens ein viel
größerer Spielraum gelassen sey; indessen, so gewiß das letztere, so zweifelhaft
erscheint dem Vortragenden das erstere, ohne jedoch ob Mangel an Erfahrung sich
selbst ein verläßliches Urtheil darüber zutrauen zu wollen. So viel ist aber gewiß,
daß das Martin'sche Verfahren auch in Gegenden, wo das
Bessemern schon besteht, die volle Beachtung verdient.
Schließlich theilte der Vortragende mit, daß mit der Einführung des Martin'fchen Verfahrens zu Kapfenberg in Steiermark
bereits begonnen wurde, und Prävali in Kärnten, wie Furthof in Niederösterreich
demnächst folgen dürften.