Titel: | Ueber eine Einrichtung am Polarisationsinstrumente behufs der Bestimmung sehr geringer Zuckermengen; von Dr. C. Stammer. |
Autor: | Karl Stammer [GND] |
Fundstelle: | Band 182, Jahrgang 1866, Nr. XLVII., S. 160 |
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XLVII.
Ueber eine Einrichtung am
Polarisationsinstrumente behufs der Bestimmung sehr geringer Zuckermengen; von Dr.
C. Stammer.
Stammer, über eine Einrichtung am Polarisationsinstrumente behufs
der Bestimmung sehr geringer Zuckermengen.
Sehr geringhaltige Zuckerlösungen lassen sich mit den gewöhnlichen
Polarisationsinstrumenten nur bis zu einem ungenügenden Grade der Genauigkeit
untersuchen. Die schärfste Einstellung des Nullpunktes und die sorgfältigste
Beobachtung der Ablenkung geben auch bei vorzüglichen Instrumenten Gehalte von
einigen Zehntel-Procenten der Natur der Sache nach nur mit um so größerer
Unsicherheit an, je näher die Ablesung am Nullpunkte liegt. Man kann sogar sagen,
daß sich Gehalte bis zu einem Zehntel-Procent überhaupt gar nicht mittelst
des Polarisationsinstrumentes mit einiger Sicherheit feststellen lassen. Die
Polarisationen höherer Zuckergehalte erfolgen dagegen bei weitem richtiger, weil
hier die unvermeidlichen Fehler, wie leicht ersichtlich, von verhältnißmäßig
unbedeutendem Einflusse sind.
Auf der anderen Seite aber ist die genaue Bestimmung des
Zuckergehaltes gerade bei sehr verdünnten Lösungen ungleich wichtiger als bei
concentrirteren. Ob eine Lösung statt 0,10 Procent 0,15 oder 0,20 Procent Zucker
enthält, normirt den dadurch angezeigten Verlust etc. auf das Anderthalb-
oder Zweifache, während dieselben Unterschiede von 0,05 oder 0,1 Procent bei einem
Gehalt von 10 Procent nur ein halbes bis ein Procent des vorhandenen Zuckers
bedeuten. Bei einer großen Anzahl solcher Ermittelungen aber, welche die
Zuckerverluste in dem einen oder anderen Fabricationsstadium betreffen, erhält man
als Ausgangspunkt aller Berechnung sehr geringhaltige Lösungen, und hat aus deren
Beschaffenheit, bei den meistens in der Praxis vorkommenden sehr bedeutenden Massen,
durch Multiplicationen mit großen Factoren auf die gesuchte Zahl zu schließen. Jeder
auch noch so kleine Fehler bei der zu Grunde zu legenden Beobachtung wird also in
diesen Fällen ganz wesentlich vergrößert – und somit, wenn Fehler, wie die
angedeuteten, unvermeidlich sind, der ganzen Untersuchung der Charakter der höchsten
Unzuverlässigkeit aufgeprägt.
Allerdings besitzen wir für verdünnte Lösungen auch noch die chemische
Bestimmungsmethode, nämlich diejenige mittelst der Fehling'schen Kupferlösung; allein es haften derselben ebenfalls
mancherlei Unvollkommenheiten an. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß es
außer Rohrzucker auch noch andere, bisweilen in den Untersuchungsobjecten
vorkommende Stoffe gibt, die, nach dem Behandeln mit Säuren in der Hitze, die
Kupferflüssigkeit reduciren, und daß außerdem die Bestimmung weit entfernt davon
ist, so scharf und sicher zu seyn, um nicht, namentlich bei unvermeidlichen
Multiplicationen der gefundenen Zahlen, Gelegenheit zu einer gewissen Unsicherheit
des Endresultates zu geben.
Aus diesen Gründen war es schon längst ein Bedürfniß für alle genaueren Bestimmungen
geringerer Zuckermengen, eine Aenderung am Polarisationsinstrument anzubringen,
welche eine genauere Einstellung oder Ablesung gestattete. Eine solche habe ich
nunmehr seit längerer Zeit im regelmäßigen Gebrauche, und da sie sich in jeder Weise
aufs Beste bewährt hat, so glaube ich Manchem einen Dienst durch nähere Darstellung
zu erweisen.
Ich benutze zu allen genaueren Zuckerbestimmungen ein sehr vorzügliches
Polarisationsinstrument von J. G. Greiner
jun. in Berlin (Friedrichsstraße 23), welches in jeder
Weise als trefflich bezeichnet werden kann. Die Einstellungen fallen sehr genau und
sicher aus, die Ablesungen mittelst einer in einzelne Grade getheilten Scale und
eines beweglichen Nonius (nicht bloß Nullpunktes) sind leicht auf Zehntelgrade auszuführen und die
Klarheit und Lichtintensität ist eine solche, daß selbst nicht vollkommen helle
Lösungen noch sicher der Polarisation unterworfen werden können. Trotzdem ließen
auch hier die Beobachtungen in der Nähe des Nullpunktes noch mancherlei zu wünschen
übrig und ich war daher schon längst für sehr verdünnte Lösungen dazu übergegangen,
diese vor der Polarisation auf 1/10 bis 1/100 ihres Volumens zu concentriren und so
eine bei weitem höhere Genauigkeit herbeizuführen. Indessen war die Umständlichkeit
dieses Verfahrens, die Langwierigkeit der Eindampfung großer Flüssigkeitsmengen bei
meist zu hoher Temperatur u.s.w. die Veranlassung, daß eine Aenderung des
Instrumentes selbst erwünscht erschien. Hr. Greiner hat diese, nachdem jede Veränderung der
Quarzkeile, der Scale oder des Einstellungsmechanismus als nichträthlich erschienen
war, in ebenso sinnreicher wie vorzüglicher Weise ausgeführt. Es schien nämlich am
zweckentsprechendsten, statt aller anderen Umänderungen, einfach die der
Untersuchung zu unterwerfenden Flüssigkeitsschichten zu
verlängern, also Polarisationsröhren von 400 und von
600 Millimeter Länge anwendbar zu machen.
Um kein neues und nur für verdünnte Lösungen bestimmtes Instrument anfertigen zu
müssen, wurde daher das oben erwähnte so eingerichtet, daß es sowohl für gewöhnliche
Röhren in der bisherigen Weise, als auch für doppelte und für dreifache Röhren
dienlich ist. Die Schwierigkeiten, diese willkürliche Verlängerung des Instrumentes
einzuführen, ohne den festen und genauen centrischen Stand der beiden Haupttheile zu
gefährden, wurden von Hrn. Greiner in untadelhafter Weise gelöst.
Es sind nämlich die beiden durch die Polarisationsröhre getrennten Hälften des
Instrumentes von ihrem Stande auf der Messingschiene abnehmbar gemacht worden. Dazu
dienen bei jeder zwei kurze starke Stahlstifte mit entsprechenden Löchern in der
Schiene und eine sehr genau gearbeitete, leicht ein- und auszunehmende
Befestigungsschraube. Für jedes der beiden 400- und
600-Millimeterrohre ist dann eine besondere lange Messingschiene vorhanden,
welche auf das Stativ des Instrumentes paßt, und auf welche die beiden Hälften
desselben mittelst der eben bezeichneten Stücke und nachdem sie von der gewöhnlichen
Schiene abgenommen, aufgesetzt werden können. Nun wird die passende Röhre, wie
üblich, zwischen dem vorderen Theil und der am hinteren Theil befindlichen Feder
eingesetzt und so eine Flüssigkeit von doppelter oder dreifacher Länge der
Polarisation unterworfen, mithin eine um so höhere Genauigkeit erzielt, je weiter
die Einstellung nun vom Nullpunkte sich entfernt.
Die Röhren sind aus Messing mit dem gewöhnlichen Glasverschluß. Jedesmal gut gereinigt und
ausgetrocknet, haben sie sich ganz gut bewährt, wie denn das Ganze, trotz sehr
fleißigen Gebrauches, die Vorzüglichkeit der Ausführung durch unveränderte
Festigkeit und Richtigkeit der Aufstellung bei allen Wünschen entsprechender
Handlichkeit bewährt hat.
Die Schiene für die 400-Millimeterröhre kann man entbehren, wenn man diese
Röhre mit einem offenen oder falschen Ansatz versieht, so daß sie, ähnlich wie jetzt
die 100-Millimeterröhre, auch mit der längeren Schiene gebraucht werden
kann.
Die in Rede stehende Aenderung läßt sich natürlich bei jedem Instrumente anbringen,
wenn dasselbe nur von hinreichender Klarheit und Sicherheit der Einstellung ist, um
bei Flüssigkeitsschichten von 600 Millimeter, welche leicht durch ihre Helligkeit in
dünneren Schichten täuschen, ein deutliches Bild und leicht veränderliche Farben zu
geben. Ehe man also an einem vorhandenen Instrumente
diese Verbesserung anbringt, überzeuge man sich von dessen Empfindlichkeit.
Natürlich müssen die betreffenden Lösungen vollkommen klar und farblos seyn; man
thut wohl, auch solche mit einer geringen Menge Bleiessig zu reinigen, welche
anscheinend farblos sind, da sie in der langen Röhre nicht selten grün oder gelb
sich darstellen. Nimmt man nur einige Tropfen Bleiessig, so fällt das Filtrat bei
Absüßwässern, Knochenkohlenauszügen etc. meist krystallhell aus, schwache Trübungen
von einem kleinen Ueberschuß des Fällungsmittels sind dann durch Essigsäure leicht
zu entfernen; bei diesen Zusätzen ist aber selbstredend die Modification des
Volumens nicht zu übersehen.
Natürlich ist die Quantität Flüssigkeit, welche man zu der 600-Millimeterröhre
benöthigt, größer als sonst. Indessen reicht man bei einigermaßen leicht zu
klärenden mit 100 Kubikcentimetern aus. Ob sich auch noch längere Röhren anwenden
ließen, vermag ich nicht zu sagen: es ist dabei zu beachten, daß schon bei der
600-Millimeterröhre das Sehfeld so klein erscheint, daß einige Uebung dazu
gehört, um ohne Mühe einzustellen; indessen ist dieß keineswegs – bei dieser
Länge des Instrumentes – als ein irgendwie störender Umstand zu
bezeichnen.
Flüssigkeiten, welche kaum nachweisbare Spuren Zucker enthalten, kann man durch
Combination des Eindampfens und des Polarisirens in der längsten Röhre mit der
größten Sicherheit und Genauigkeit bestimmen, doch dürfte meist, selbst bei sehr
zuckerarmen Lösungen, die verlängerte Röhre vollkommen ausreichen. Nimmt man an, daß
Einstellungen von 1 Grad mit Schärfe und Genauigkeit möglich sind, so entsprechen
diese bei der 600-Millimeterröhre einem Gehalte von 0,08 Procent; es ist aber
bei einiger Uebung noch sehr gut 0,5 Grad oder 0,04 Procent abzulesen, ja, wenn es auf genaueste
Zahlenbestimmung nicht ankommt, auch noch ein geringerer Gehalt.
Einige Beispiele werden die Nützlichkeit dieser Verbesserung klar machen.
Die Bestimmung des Zuckergehaltes der Preßlinge führt man
am besten und bequemsten so aus, daß man einen Theil derselben in zerzaustem
Zustande mit 2 Theilen siedendem Wasser macerirt, einige Zeit stehen läßt, dann mit
einer höchst kräftigen Presse auspreßt, und den
erhaltenen Saft polarisirt. Früher hatte man das Resultat mit einer Zahl zu
multipliciren, als welche eigentlich 2,7 genommen werden müßten, die man aber aus
mancherlei hier nicht näher zu erörternden Gründen zweckmäßig zu 3,0 anzunehmen
pflegt. Es folgt hieraus, daß der Beobachtungsfehler, welcher bei so niedrigen
Polarisationen wie sie hier vorkommen, nicht unbedeutend seyn kann, jedesmal
verdreifacht werden mußte. Wenn man z.B. 3° abgelesen hatte, so ergab sich
daraus ein Zuckergehalt von 2,55 Proc., während die kaum davon zu unterscheidende
Ablesung von 3,1° die Zahl 2,64 Proc. oder etwa 3,5 Proc. mehr dargestellt
hätte. Bei unserer neuen Röhre dagegen wird die durch Auspressen erhaltene Lösung
polarisirt und die Ablesung direct angenommen. In dem vorliegenden Falle würde sie
9,0 Grad oder 2,55 Proc. ergeben und ein Fehler von 0,1° nur ein Mehr von
0,03 Proc. oder von 1,2 Proc. der vorhandenen Menge geliefert haben, während noch
außerdem Ablesungen bei 9° weit leichter und genauer ausfallen als bei
3°, und die ganze Untersuchung vereinfacht wird.
Die praktische Controlle über die richtige und sorgfältige Ausführung der Absüßung
der Filter, für welche ich bisher die früher beschriebene MethodePolytechn. Journal Bd. CLXI S. 66. anwandte,
führt man jetzt viel genauer und namentlich sicherer wie folgt aus: Eine gewisse
Menge der dem Filter entnommenen Knochenkohle wird mit einem passenden Vol. Wasser
auf einem Filter übergossen, der Ablauf nochmals auf die Kohle aufgegeben und das
Filtrat nach Zusatz von ein paar Tropfen Bleiessig nochmals filtrirt und dann in der
600-Millimeterröhre polarisirt. Je nach den gewählten Verhältnissen und nach
der als Norm festgesetzten, stets zu erreichenden Absüßungsgrenze wird man dann in
allen Fällen eine bestimmte, in geringen Grenzen variirende Ablesung erhalten. Diese
Verhältnisse sind durch Versuche ein für allemal festzusetzen und können nicht als
allgemein gültige aufgestellt werden. Als Beispiel sey erwähnt, daß 700 Kub. Centim.
Knochenkohle mit 110
K. C. Wasser wie bezeichnet zweimal ausgelaugt, in der langen Röhre eine
Polarisation von 1,8 bis 2,0 Graden bei guter Absüßung ergeben, und daß, nachdem
diese Grundlagen einmal festgesetzt sind, Abweichungen von einiger Erheblichkeit mit
vollkommener Sicherheit auf eine vorgekommene Nachlässigkeit zurückgeführt werden
müssen.
Diese Controlle ist so leicht und schnell auszuführen, daß sie von keiner anderen
übertroffen werden dürfte; dabei ist sie gegenüber einer ähnlichen Polarisation mit
der gewöhnlichen Röhre von großer Sicherheit, indem Schwankungen um die Größe von
0,6 bis 0,7 Grad immer den Charakter der unsicheren Ermittelung tragen werden.
Wenn aus diesen und ähnlichen Untersuchungen die Feststellung der
Fabricationsverluste erfolgen soll, so wird man durch die Vermehrung der Fehler in
Folge starker Multiplication wegen der in Rechnung kommenden sehr bedeutenden
Massen, leicht dazu veranlaßt, die Ermittelung lieber anzuzweifeln oder ganz fallen
zu lassen. Ein solcher Grund hat jetzt keine Berechtigung mehr, bestimmend zu
wirken. Die Schnelligkeit dieser Untersuchungen gestattet einestheils deren häufige
Wiederholung, auch zur steten Ueberwachung des laufenden Fabrikbetriebes, und ihre
Zuverlässigkeit ist anderntheils als ein verstärkter Anstoß dazu zu betrachten.
Dadurch kann aber der Fabrication nur ein großer Nutzen erwachsen, denn die
Erkennung der Wahrheit ist ja stets der erste Schritt zum Besseren.
Schließlich noch eine Bemerkung, um dem so häufig gehörten Einwurf zu begegnen, daß
Dieses oder Jenes nicht neu sey. Ich erhebe keinen Anspruch
auf Neuheit und Priorität der beschriebenen, an sich gewiß unbedeutenden
Verbesserung; ich will nur durch die Besprechung einer nicht allein gut
ausgedachten, sondern auch praktisch ausgeführten und durch häufige Benutzung als
wahrhaft praktisch und überaus nützlich erprobten Einrichtung allen denen einen
Dienst erweisen, die es mit Bestimmungen geringer Zuckermengen zu thun haben; die
Schwierigkeiten, welche sich meist zwischen einer Idee und deren Verwirklichung
finden und die von der letzteren so häufig abzuhalten geeignet sind, möchten in dem
gegebenen Falle hierdurch entfernt seyn.