Titel: | Ueber die Fabrication der Steinkohlentheer-Farben; von Th. Coupier. |
Fundstelle: | Band 181, Jahrgang 1866, Nr. XCVI., S. 386 |
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XCVI.
Ueber die Fabrication der
Steinkohlentheer-Farben; von Th. Coupier.
Aus dem Bulletin de la Société industrielle de
Mulhouse, t. XXXVI p. 259; Juni 1866.
Coupier, über die Fabrication der
Steinkohlentheer-Farben.
Kaum war der von Dr. A. W. Hofmann aufgefundene rothe
Farbstoff durch Verguin in die Industrie eingeführt, so
tauchten zahlreiche Verbesserungen seiner Darstellungsweise auf. Der Ertrag der
Rohsubstanz an Farbstoff stieg rasch von 2 Proc. auf 20 Proc. und selbst bis auf 25
Proc. Diese letztere Ziffer wurde bis vor Kurzem nur selten erreicht, namentlich in
Frankreich, wo in Folge eines sowohl für seine Concessionäre, als für die Industrie
im Allgemeinen unglückseligen Monopols die Forscher entmuthigt und von weiterer
Verfolgung ihrer Untersuchungen abgeschreckt worden sind. Die meisten dieser rasch
auf einander folgenden Verbesserungen verdanken wir der Anwendung verschiedener
Verfahrungsarten bei der Behandlung des käuflichen Anilins zur Darstellung des
Farbstoffes; sehr wenige hingegen rühren von der Production besserer Aniline,
Nitrobenzole und noch wenigere von derjenigen eines besseren Rohstoffes, nämlich des
käuflichen Benzols, her.
Es war indessen schon seit längerer Zeit allgemein bekannt, daß die im Handel
vorkommenden Benzolsorten sehr complicirte Producte sind, daß sie eine große Anzahl
von verschiedenen und niemals in denselben Mengenverhältnissen vorhandenen
Kohlenwasserstoffen enthalten.
Die mit solchen Benzolen dargestellten Anilinsorten müssen daher eine höchst
wandelbare Zusammensetzung haben und hinsichtlich der Gewinnung der Farbstoffe sehr
unregelmäßige Resultate geben.
Bei meiner Beschäftigung mit der Anilinfabrication war ich daher vor Allem bemüht,
die Benzole zu reinigen und ein Mittel zur Trennung der verschiedenen Hydrocarbüre,
aus denen sie bestehen, aufzufinden.
Die Benzole des Handels werden aus den bei der Destillation des Steinkohlentheers
gewonnenen Leichtölen dargestellt. Dieselben, welche auch Alkaloide und Phenylsäure
(Phenol) enthalten, werden zunächst, um diese Körper zu entfernen, mit verdünnter
Schwefelsäure und mit Aetznatron gewaschen, und dann einer fractionirten
Destillation unterworfen. Das zwischen 80º und 130º C. übergehende
Product wird für sich aufgefangen und bildet den Rohstoff für die Darstellung des
Anilins. Seine Zusammensetzung ist nothwendiger Weise eine unregelmäßige und variirt
mit der Verschiedenartigkeit der angewendeten Steinkohlen, sowie dem bei der
Destillation dieser Kohlen angewendeten abweichenden Verfahren. Manche Fabrikanten
unterwerfen diese Oele einer zweiten Destillation, um ein weißeres Product von
besserem Ansehen zu erhalten; indessen hat auch letzteres ebensowenig eine feste
Zusammensetzung.
Sämmtliche in den Handel kommende Benzole sind ein Gemisch der nachstehenden Körper
in höchst wandelbaren Verhältnissen:
ein sehr leichtes,
knoblauchartig riechendes Oel,
dessen
Siedepunkt
liegt bei
70º C.
Benzol,
„
„
80º bis
81º C.
Toluol,
„
„
110º bis
111º C.
Xylol,
„
„
128º bis
130º C.
Cumol,
„
„
151º C.
Cymol,
„
„
175º C.
Außerdem enthalten sie sämmtlich größere oder geringere Mengen von Naphtalin und
anderen festen Kohlenwasserstoffen, welche in Folge ihrer großen Löslichkeit in den
Leichtölen bei der Destillation übergerissen worden sind.
Benzol und Toluol sind die beiden vorherrschenden Substanzen.
Obgleich die Siedepunkte der aufgeführten Kohlenwasserstoffe ziemlich weit von
einander entfernt liegen, so gehören dieselben dennoch einer und derselben
chemischen Familie an; sie haben ähnliche Zusammensetzung und ihre Dichtigkeiten
weichen nur sehr wenig von einander ab; in Folge davon ist die Kraft, durch welche
sie in einander aufgelöst erhalten werden, sehr groß, und es ist auch nicht möglich,
sie mittelst fractionirter Destillationen in den gewöhnlichen Apparaten von einander
zu trennen. Erst nach vielfachen Versuchen gelang es mit, aus dem käuflichen Benzol
(dem gewöhnlichen „Benzin“ des Handels) reine Producte darzustellen, wie reines Benzol, reines Toluol, reines
Xylol etc.
Im Anfange glaubte ich durch Anwendung der zum Rectificiren des Alkohols
gebräuchlichen Apparate zum Ziele gelangen zu können, ward aber sehr bald enttäuscht
und gelangte zu der Erkenntniß, daß die zu erfüllenden Bedingungen ganz anderer Art
sind. Nach zwei Jahre lang fortgesetzten Versuchen erreichte ich endlich mein Ziel,
und zwar durch geeignete Abänderungen jener Apparate. Die zu trennenden Oele werden
zunächst gereinigt und dann in einem besonderen Destillirapparate behandelt, welcher mit einem
Separator in Verbindung steht, der mit einer Flüssigkeit gespeist wird, welche man
constant einige Grade unter dem Siedepunkte des der fractionirten Destillation
unterworfenen Kohlenwasserstoffgemisches erhält.Man sehe Vohl's Apparat zur FractionirungFractionnung der Steinkohlentheeröle (bei constantem Niveau) im polytechn.
Journal Bd. CLXXVII S. 133.A. d. Red. In meiner Fabrik zu Poissy sind seit zwei Jahren mehr als 200000 Kilogr.
käuflichen Benzols (Benzins) in dieser Weise behandelt worden. Mit den erhaltenen
reinen Producten war ich im Stande zu untersuchen, welche von den in den Benzinen
enthaltenen Kohlenwasserstoffen bei der Fabncation der Farbstoffe wirklich nützlich
sind, um bezüglich des wahren Werthes der bei der Anilinfabrication angewendeten
Benzole (Benzine, Rohbenzole) in's Klare zu kommen.
Nach Hofmann's Theorie muß das beste Anilin für Roth ein Gemisch von 1 Th. Anilin und 2 Th. Toluidin
seyn.
Wir wollen nun sehen, wie dieser Bedingung in der Praxis entsprochen wird. Gewöhnlich
werden die Benzole mit einem bestimmten Destillationstitre verkauft, z.B. von 90
Proc., 50 Proc. oder 25 Proc., d.h. mit einem Gehalte von 90, bez. 50 oder 25 Proc.
an Kohlenwasserstoff, welcher unter 100º C. destillirt.
Das zur Fabrication von Anilin für Roth am meisten angewendete Product ist
50procentig. Ich behandelte eine große Anzahl dieser Oele in meinem
Separations-Apparate und fand dabei, daß dieselben bestehen aus:
56
bis
60 Proc. Benzol,
13
bis
18 Proc. Toluol,
5
bis
6 Proc. Xylol,
und der
Rest
aus
Schwerölen, Cumol etc.
Begreiflicher Weise lassen sich derartige Gemische nicht gut in Anilin umwandeln, da
die Reagentien auf jedes derselben sehr verschieden einwirken. Ueberdieß kann dabei
kein Product erfolgen, in welchem Anilin und Toluidin in den von Hofmann als die günstigsten angegebenen
Mengenverhältnissen vorhanden sind; auch enthält dieses Product Abkömmlinge des
Cumols, Cymols etc., welche nicht allein kein Anilinroth geben, sondern vielmehr
theerartige Substanzen liefern und dadurch die Reinigung des Roths erschweren.
Die fabrikmäßige Erzeugung reiner Destillationsproducte hat also ein neues Licht auf
diese Fragen geworfen und einen bedeutenden Fortschritt in der
Anilinfarbenfabrication begründet.
Es ist mit gelungen, Benzol, Toluol und selbst Xylol, jeden dieser Körper für sich, in sehr
regelmäßiger Weise und unter sehr günstigen Bedingungen in Nitrobenzol, bez.
Nitrotoluol und Nitroxylol, und dann in Anilin, Toluidin und Xyloidin umzuwandeln.
Auch untersuchte ich die Rolle, welche jeder dieser Abkömmlinge bei der Fabrication
der Farbstoffe spielt.
Nach zahlreichen, mit der größten Sorgfalt angestellten Versuchen kam ich, wie so
viele andere Chemiker, zu der Erkenntniß, daß bei Anwendung der jetzt gebräuchlichen
Fabricationsmethoden chemisch reines Anilin, für sich allein angewendet, ebenso
chemisch reines Toluidin, keinen Farbstoff geben, daß vielmehr zur Erzielung eines
solchen ein Gemisch beider Basen erforderlich ist.
Ich stellte mit dann aus ganz reinem und vollständig benzolfreiem Toluol ganz reines
Toluidin dar, und erhielt aus demselben mit Hülfe eines neuen Verfahrens unter sehr
günstigen Umständen einen rothen Farbstoff.
Bei Anwendung dieses aus reinem Toluol dargestellten
Abkömmlings ist das Ausbringen an krystallisirbarem rothem Farbstoff
constant und erreicht 40 bis 50 Proc. Ueberdieß haben zahlreiche Chemiker und
Fabrikanten constatirt, daß dieses Roth eine um 50 Proc. stärkere Färbekraft
besitzt, als das Fuchsin.
Dieses von mit dargestellte Roth ist demnach von dem Roth,
welches sich nur aus dem Gemisch von Anilin und Toluidin erhalten läßt, gänzlich
verschieden. Seine Entstehung ist eine andere, seine Eigenschaften sind
abweichende; es ist als Toluolroth zu bezeichnen.
Schon oft und von verschiedenen Experimentatoren ist die Beobachtung gemacht worden,
daß dieses Toluolroth bei der Behandlung mit reinem Anilin einen weit stärkeren
Ertrag an Blau gibt, als das Fuchsinroth, sowie daß die erhaltene blaue Farbe weit
reicher ist und sich leichter reinigen läßt.
Schlumberger, welcher dieses Blau in seiner Fabrik zu
Saint-Ouen zur Darstellung von Grün probirt hat, theilte mit mit, daß es in
dieser Hinsicht ganz überraschende Resultate gebe, welche von den mit Lyoner Fuchsin
erhaltenen Producten durchaus verschieden seyen.
Wenn das Toluol bei der Fabrication des Roth eine wichtige Rolle spielt, so muß das
reine Benzol den vortheilhaftesten Abkömmling zur Umwandlung dieses Roth in Blau
liefern.
Das Toluidin gibt in diesem Falle wohl einen ganz hübschen Ertrag, allein die
erhaltene Farbe ist weniger frisch und weniger angenehm, als die mit Anilin
dargestellte. – Noch möchte ich erwähnen, daß Hr. Horaz Köchlin vergleichende Versuche mit den von mit
dargestellten schwarzen Farben anzustellen die
Freundlichkeit gehabt und im Laufe derselben erkannt hat, daß reines Anilin ein prächtiges Schwarz, Toluidin
dagegen nur eine fahle Nuance gibt.
Demnach glaube ich mich zu den folgenden Behauptungen berechtigt: Das Toluol ist in
seinen Abkömmlingen die wahre Quelle für Roth und Grün, und das Benzol liefert die
vortheilhaftesten Abkömmlinge zur Umwandlung des Roth in Blau und zur Darstellung
des Anilinschwarz.
Auch mit den Abkömmlingen des Xylols habe ich mich näher
beschäftigt und gefunden, daß sie ebenfalls einen rothen Farbstoff geben, welcher
indessen eine mehr violette Nüance besitzt. Uebrigens hoffe ich später noch
eingehendere Studien sowohl über das Xylol, als auch über das Cumol und Cymol machen
zu können.
Bericht über Coupier's porstehenden
Aufsatz; von A. Rosenstiehl, Professor der Chemie an der Oberrealschule in
Mülhausen.
Der vorstehende Aufsatz enthält zwei neue Thatsachen von der höchsten Wichtigkeit für
die Erzeugung der künstlichen Farbstoffe aus dem Steinkohlentheer und für die
Theorie ihrer Entstehung, nämlich:
1) die fabrikmäßige Darstellung von chemisch reinem Benzol, Toluol, Anilin und
Toluidin;
2) die Entdeckung eines rothen Farbstoffes, welcher aus
reinem Toluol allein erzeugt wird, folglich vom Fuchsin verschieden
ist.
Da Hr. Coupier nicht allein eine genügende Menge
Rohmaterial, sondern auch einen Theil seiner Zeit und seiner Erfahrung mit zur
Verfügung stellte, so war ich im Stande, den größten Theil der von ihm gemachten
Beobachtungen zu bestätigen, ja selbst neue zu machen, welche, wie ich zu hoffen
wage, über die noch so dunkle Frage der Entstehung der aus dem Steinkohlentheer
abstammenden rothen Farbstoffe einiges Licht verbreiten werden.
Reines Benzol und reines
Toluol.
Coupier trennt die verschiedenen Hydrocarbüre des
Steinkohlentheers durch fractionirte Condensation, eine
Methode, durch deren Anwendung in großem Maaßstabe er sehr günstige Resultate
erzielt. Das von ihm dargestellte Benzol und Toluol zeigen alle Eigenschaften dieser
chemisch reinen Körper; ihr Siedepunkt ist so constant als man es wünschen kann.
Beide Substanzen wurden der Destillation unterworfen, wobei die Thermometerkugel in den Dampf
tauchte; die condensirten Destillationsproducte wurden in graduirten Röhren
aufgefangen, um das Volum der bei jedem Thermometergrade übergegangenen Flüssigkeit
messen zu können. Es wurden nachstehende Resultate erhalten:
Benzol.
Bei
79,5º
bis
81º
gehen
über
87 Proc.
der
Gesamtmenge
„
81,5º
„
82º
„
„
8 „
„
„
„
82º
„
82,5º
„
„
5 „
„
„
–––––––––––––
100
„
Toluol.
Bei
109º
„
110º
„
„
5 „
„
„
„
110º
„
111º
„
„
83 „
„
„
„
111º
„
112º
„
„
10 „
„
„
„
112º
„
112,5º
„
„
2 „
„
„
–––––––––––––
100
Bezüglich der Siedepunkte des Benzols und Toluols lauten die Angaben der Chemiker,
welche sich mit diesen Kohlenwasserstoffen beschäftigt haben, verschieden; indessen
wird allgemein angenommen, daß Benzol bei 80,5 bis 81,5º und Toluol bei
110º bis 111,5º C. überdestillirt.
Auf den ersten Anblick könnte es scheinen, daß chemisch reine Producte einen während
der ganzen Dauer einer Destillation absolut constanten Siedepunkt haben müßten;
indessen muß wohl Jeder, der überhaupt Siedepunkte zu bestimmen Gelegenheit gehabt,
bemerkt haben, daß dieß in der Wirklichkeit niemals der Fall ist. Die in
Vorstehendem erwähnten Destillationen wurden mit einer im Oelbade stehenden
Glasretorte ausgeführt; nun ist aber in dem Augenblicke, in welchem die Flüssigkeit
in's Sieden kommt, die Temperatur des Thermometers mit derjenigen des Dampfes noch
nicht ganz im Gleichgewichte, seine Angaben sind vielmehr etwas zu niedrig; sobald
die Ausgleichung stattgefunden hat, bleibt es stationär, so lange der größte Theil
der Flüssigkeit übergeht; gegen Ende der Destillation tritt dann eine Erscheinung
entgegengesetzter Art ein: durch die Einwirkung der Retortenwandungen etc., welche
eine höhere Temperatur haben als der Dampf, wird eine Ueberhitzung des letzteren
hervorgerufen, die augenblicklich durch das Thermometer angegeben wird.
In Folge dieser Ursachen beginnt die Destillation eines reinen Präparates bei einer
Temperatur, welche etwas unter seinem wirklichen Siedepunkte liegt und hört bei
einer etwas höheren Temperatur auf. Demnach muß für Benzol und Toluol die Grenze des
durch diese physikalischen Erscheinungen bedingten Fehlers experimentell
festgestellt werden.
Ein mit Sorgfalt dargestelltes Gemisch von 95 Proc. reinem Toluol und 5 Proc. reinem
Benzol wurde der Destillation unterworfen; dabei ergaben sich folgende Werthe:
von
103°
bis
109°
gingen über
34 Proc.
„
109°
„
110°
„
20 „
„
110°
„
111°
„
36 „
„
111°
„
112°
„
10 „
–––––––
100
Ein Gemisch von 99 Proc. reinem Toluol und 1 Proc. reinem Benzol verhielt sich unter
denselben Verhältnissen in folgender Weise:
von
107°
bis
109°
gingen über
4 Proc.
„
109°
„
110°
„
18 „
„
110°
„
111°
„
68 „
„
111°
„
112,5°
„
10 „
––––––
100
Da der Zusatz so geringer Mengen von Benzol eine solche Störung in der Destillation
verursacht, daß diese den anfänglichen Siedepunkt um 2° überschreitet, und
bei 110° eine Differenz von 17 Proc. gibt, so kann man schließen, daß das
Benzol und das Toluol höchstens einige Tausendtel fremder Kohlenwasserstoffe
beigemischt enthalten.
Nach einer Bemerkung Coupier's, zu deren Bestätigung sich
mit mehrmals Gelegenheit darbot, findet bei jeder Destillation eine Veränderung der
Kohlenwasserstoffe statt und in der Retorte verbleibt ein schwarzer theerartiger
Rückstand. Ich habe frisch rectificirtes Toluol im Vacuum destillirt und auch hier
bildete sich, obschon der Siedepunkt auf + 30° C. herabgedrückt war, eine
geringe Menge Theer.
Der sprechendste Beweis für die Reinheit des von Coupier
in den Handel gebrachten Benzols liegt darin, daß es vollständig krystallisirbar ist. Bezüglich des Toluols fehlt dieser Beweis
allerdings; allein da die fractionirte Condensation reines Benzol gibt, so läßt sich
durch Analogie schließen, daß sich mittelst dieser Methode auch reines Toluol
darstellen läßt.
Aus diesen reinen Hydrocarbüren stellt Coupier reines
Anilin und reines Toluidin dar.
Sein Anilin besitzt einen constanten Siedepunkt und gibt
mit Arsensäure kein Roth. Das von ihm dargestellte Toluidin ist flüssig und hat gleichfalls einen constanten Siedepunkt
(198°); es ist krystallisirbar und zwar, nach Coupier's Angabe, vollständig. Letztere Thatsache habe ich aber nicht
vollkommen bestätigen können, weil das Präparat den starren Zustand nur sehr langsam
annimmt. Wirft man in erkältetes flüssiges Toluidin einen Toluidinkrystall oder
einen Tropfen Wasser, so bilden sich krystallinische Blättchen; nach kurzer Zeit
zeigt sich die ganze Flüssigkeit von Krystallen durchsetzt und die Masse nimmt
allerdings starre Form
an; indessen bleibt zwischen den Krystallblättern eine beträchtliche Menge
Mutterlauge zurück, welche noch denselben Siedepunkt zeigt wie die Krystalle, und
neue Quantitäten der letzteren zu liefern vermag. Es ist mit indessen noch nicht
gelungen, die ganze zum Versuche verwendete Menge der Flüssigkeit zum Krystallisiren
zu bringen, was übrigens nach Coupier's Angabe auch nur
im Winter gut gelingt.
Das feste, in breiten durchscheinenden Blättern krystallisirte Toluidin ist dem
Naphtalin sehr ähnlich; es schmilzt bei + 35° und siedet bei 198°. Da
seine chemischen Eigenschaften von denen des flüssigen
Toluidins sehr abweichen, so satz ich mich veranlaßt, die optischen Eigenschaften dieser beiden Körper zu vergleichen; aber sowohl
das eine, wie das andere ist ohne Wirkung auf das polarisirte Licht und ich kann
also keinen anderen Unterschied in den physikalischen Eigenschaften beider Alkaloide
angeben, als ihren Schmelzpunkt.
Wie so eben bemerkt wurde, verhalten sich diese beiden Körper hinsichtlich ihrer
chemischen Eigenschaften sehr verschieden; denn nur das flüssige Toluidin gibt mit
Arsensäure rothen Farbstoff, das krystallisirte Alkaloid hingegen nicht.
Diese Thatsache erscheint so überraschend, daß sie Zweifel an der Reinheit des
flüssigen Toluidins hervorruft und daß es sich fragt, ob nicht dieser Körper, trotz
aller bei den Rectificationen angewendeten Sorgfalt, Anilin
enthält. Dieser Einwurf ist so gewichtig, daß derselbe, sofern er nicht
beseitigt werden kann, der Mittheilung Coupier's sofort
jedes Interesse nimmt.
Wie aber sollen wir den Beweis liefern, daß das in Rede stehende Präparat frei ist
von Anilin? Durch die Elementaranalyse läßt sich die Frage nicht entscheiden; ein
Verfahren zur Trennung von Substanzen, die sich hinsichtlich ihrer Eigenschaften so
sehr nahe stehen, gibt es aber nicht. Das einzige Mittel, welches in diesem Falle
nach unserem Dafürhalten anwendbar ist, besteht darin, die Bedingungen, unter denen
das Roth entsteht und unter denen man das Maximum des Ausbringens erreicht, auf das
Sorgsamste und Genaueste festzustellen.
Erste Versuchsreihe.
In demselben Oelbade wurden die folgenden, nach den in den Anilinrothfabriken
üblichen Verhältnissen zusammengesetzten Gemische erhitzt:
Nr. 1. Gemisch von flüssigem Toluidin, Arsensäure und Chlorwasserstoffsäure.
Nr. 2. Krystallisirtes Toluidin mit Arsensäure.
Nr. 3. Krystallisirtes Toluidin, 20 Procent reines Anilin und Arsensäure.
Nr. 4. Krystallisirtes Toluidin, 20 Proc. reines Anilin, Arsensäure und
Chlorwasserstoffsäure.
Nr. 5. Reines Anilin und Arsensäure.
Der Zusatz von Chlorwasserstoffsäure hat keinen anderen Zweck, als den Schmelzpunkt
der toluidinhaltigen Gemische zu erniedrigen und auf diese Weise die Bildung rothen
Farbstoffs zu begünstigen.
Es wurden folgende Resultate erhalten:
Das flüssige Toluidin für sich allein gab Roth; das Ausbringen betrug 41 Proc.
Das krystallisirte Toluidin gab ein kohliges Product, welches keine Spur rothen
Farbstoffes enthielt.
Die Gemische von Toluidin und Anilin gaben schwache Spuren von Roth; die geschmolzene
Masse war kaum gefärbt.
Das reine Anilin gab eine schwärzlichblau gefärbte Schmelze.
Diese fünf bei derselben Temperatur angestellten Versuche beweisen:
1) daß das flüssige Toluidin ein Ausbringen an rothem Farbstoff gibt, welches bisher
noch von keinem Fabrikanten erzielt worden ist;
2) daß weder das reine Anilin, noch das reine (krystallisirte) Toluidin Roth
gibt;
3) daß die Gegenwart von 20 Proc. Anilin im Toluidin zur Erzeugung einer wägbaren
Menge von Farbstoff noch nicht genügt.
Bevor ich mit der Auseinandersetzung der über das Ausbringen an Farbstoff abgeführten
Versuche fortfahre, muß ich die zur Gewinnung des Farbstoffs und zur Bestimmung
seiner Menge von mit befolgte Methode angeben.
Von den Alkaloiden wurden jedesmal 100 Gramme genommen. Die Gemische wurden in
tubulirte und mit ihren Vorlagen versehene Retorten von 250 Kubikcentim. Inhalt
gefüllt, die sämmtlich in demselben Oelbade standen, welches letztere sorgfältig
umgerührt wurde, damit sich die Wärme ganz gleichmäßig vertheilte. Bei etwa
130° entwickelt sich viel Wasserdampf, von welchem eine gewisse Menge
Alkaloid mitgerissen und auf diese Weise der Einwirkung entzogen wird. Diese
entwichenen Antheile Alkaloid, welche in den Fabriken „échappées“ genannt werden,
wurden sorgfältig gesammelt und gewogen, und ihre Menge ward bei der Berechnung des
Ertrages an Farbstoff von der angewendeten Quantität Alkaloid abgezogen. Das in der
Retorte enthaltene Gemisch nimmt nach und nach eine violette, und dann, während es
gleichzeitig dicker wird, eine Purpurfärbung an.
Sobald eine aus der Retorte genommene Probe das Ansehen von sprödem Harze oder Pech
mit goldig grünem Schimmer („kantharidengrünem Reflex“) zeigt,
unterbricht man den Proceß.
Dann wird die Retorte mit ihrem Inhalte in ein mit Wasser gefülltes Gefäß von 10
Liter Fassungsraum gebracht, und das Wasser so lange im Kochen erhalten, bis
vollständige Lösung eingetreten ist. Hernach sättigt man die freie Arsensäure mit
einer äquivalenten Menge Kreide und filtrirt durch Wolle, um den arsensauren Kalk
nebst den theerartigen Producten abzuscheiden.
Ist der Rückstand mit kochendem Wasser vollständig ausgezogen, so setzt man zu der
filtrirten Flüssigkeit eine abgewogene Menge (10 Proc. vom Gewicht der angewendeten
Alkaloide) Chlorwasserstoffsäure, und dann eine kochendheiße, klare Lösung von
Chlornatrium, worauf man erkalten läßt. Das Gesammtvolum der Flüssigkeit betrug bei
meinen Versuchen gewöhnlich 15 Liter.
Am anderen Morgen wird das Ganze durch Leinwand filtrirt, um die ausgeschiedenen
Krystalle von Anilinroth zu sammeln: was an den Wandungen des Krystallisirgefäßes
sitzen bleibt, wird vorsichtig losgemacht und der Hauptmasse des Farbstoffes
hinzugefügt.
Nachdem die erhaltenen Krystalle mit kaltem Wasser gewaschen worden, läßt man sie
trocknen, und zwar anfänglich im Schatten, dann bei 100°; schließlich wägt
man. Dieses Verfahren, wobei man genöthigt ist mit großen Flüssigkeitsmengen zu
operiren, ist sicherlich in quantitativer Beziehung nicht genau, denn die
Mutterlauge läuft stets gefärbt ab; da man mit gleichen Flüssigkeitsvolumen
gearbeitet und mit gleichen Kochsalzmengen gefällt hat, so sind aber die erhaltenen
Resultate unter einander vergleichbar. Ich habe die Versuche unter ganz denselben
Bedingungen oft wiederholt und die bedeutendsten Abweichungen im Ausbringen an
Farbstoff betrugen höchstens 30 Proc.
Uebrigens ist diese Methode das im Großen befolgte Verfahren, bis auf die hier
natürlich reducirten Mengenverhältnisse. –
Die erste Versuchsreihe gestattet bezüglich der Wirkungsweise der
Chlorwasserstoffsäure noch einen Zweifel; sollte nicht auch das im Handel
vorkommende Anilin in Gegenwart dieser Säure einen Farbstoffertrag von 40 Proc.
geben können?
Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine
zweite Reihe von Versuchen
abgeführt.
Nr. 1. Gemisch von flüssigem Toluidin, Chlorwasserstoffsäure und Arsensäure.
Das angewendete Toluidin wurde zu diesem Zwecks aus Toluol, welches ich selbst
mehrere Male rectificirt hatte, dargestellt; es zeigte einen bemerkenswerth
constanten Siedepunkt.
Nr. 2. Käufliches Anilin, mit Chlorwasserstoffsäure und Arsensäure gemischt.
Nr. 3. Käufliches Anilin mit Arsensäure.
Es wurden nachstehende Resultate erhalten:
Versuch
Nr. 1.
Nr. 2.
Nr. 3.
Entwichenes Alkaloid
18
11,5
22
krystallisirtes Roth
31,15
12,4
15,6
Ausbringen an Farbstoff in Proc.
37,6
14,1
20
Demnach ist durch den Zusatz von Chlorwasserstoffsäure zu dem käuflichen Anilin nur
die Menge des entwichenen Alkaloids herabgedrückt, keineswegs aber der Ertrag an
Farbstoff vermehrt worden, welcher im Gegentheil geringer ist; es können also die
mit dem flüssigen Toluidin erhaltenen so schönen Resultate der Einwirkung der
gedachten Säure nicht zugeschrieben werden.
Wenn das flüssige Toluidin ein Gemisch von krystallisirtem Toluidin und Anilin wäre,
so müßte es, wie wir bereits nachgewiesen haben, über 20 Proc. Anilin enthalten, um
rothen Farbstoff geben zu können.
Dritte Versuchsreihe.
In dieser suchte ich die Verhältnisse von Anilin und krystallisirtem Toluidin zu
bestimmen, welche eine derjenigen des flüssigen Toluidins gleiche Ausbeute an Roth
geben.
Nr. 1.
50 reines Anilin,
50 reines krystallisirtes Toluidin,
Arsensäure,
Chlorwasserstoffsäure.
Nr. 2.
75 reines Anilin,
25 krystallisirtes Toluidin,
Arsensäure.
Nr. 3.
25 reines Anilin,
75 krystallisirtes Toluidin,
Arsensäure,
Chlorwasserstoffsäure.
Bei den Gemischen mit mehr als 25 Proc. Toluidin war der Zusatz von
Chlorwasserstoffsäure durchaus erforderlich, um das Gemisch leichter flüssig zu
machen.
Ich erhielt bei diesen Versuchen die nachstehenden Resultate:
Versuch
Nr. 1.
Nr. 2.
Nr. 3.
Entwichenes Alkaloid
15,2
19
18
krystallisirtes Roth
19
9
3
Ertrag in Proc.
22,4
11,1
3,6
Aus dieser Versuchsreihe ergibt sich, daß man das Maximum des Ausbringens an
Farbstoff bei Gegenwart gleicher Theile Anilin und Toluidin erhält; in diesem Falle
entweichen 15,2 Proc. Alkaloid, welche aus fast reinem Anilin bestehen.
Die Reaction findet nahezu zwischen 1 Th. Anilin und 2 Th. Toluidin statt, ein
Resultat, welches schon von Hofmann erhalten wurde; das
auf diese Weise gewonnene Roth ist ein Rosanilinsalz. Die
Ausbeute an Farbstoff nimmt jedoch rasch ab, wenn das Verhältniß des Anilins oder
des Toluidins ein größeres ist; kein Gemisch von Anilin und von krystallisirtem
Toluidin gibt den mit dem flüssigen Toluidin erzielten Ertrag von 38 bis 40 Proc.
Farbstoff. Aus diesen Resultaten läßt sich doch nur schließen, daß der von uns als
„flüssiges“ Toluidin bezeichnete Körper wirklich das
Alkaloid ist, welches das Roth erzeugt, vielleicht eine mit dem Toluidin isomere
Substanz oder ein denselben Siedepunkt besitzendes Gemisch mehrerer Alkaloide.
Hinsichtlich der angewendeten Rohstoffe ist zu bemerken, daß das mit dem reinen
Anilin und dem reinen krystallisirten Toluidin erhaltene Roth nicht derselbe
Farbstoff ist wie der mit dem flüssigen Toluidin dargestellte. Letzterer muß eine
abweichende Zusammensetzung haben, er muß eine neue
Substanz seyn.
Die Analyse des dieses Roth erzeugenden Alkaloids, so wie des Farbstoffes selbst
werde ich in einem zweiten Aufsatze mittheilen.
Das käufliche Anilin, welches reines Anilin und krystallisirbares Toluidin enthält,
muß auch flüssiges Toluidin enthalten; folglich müssen auch die aus solchem Anilin
dargestellten rothen Farben Gemische von zwei rothen Farbstoffen seyn; der eine,
durch das reine Anilin und das krystallisirbare Toluidin erzeugte, ist ein Rosanilinsalz; der andere aus dem flüssigen Toluidin
entstandene, ist das Product, welches Coupier als Toluolroth bezeichnet, und mit Recht, denn der Körper,
aus welchem dieses Roth entsteht, ist nicht die von den Chemikern
„Toluidin“ genannte Substanz.
Das Toluolroth besitzt übrigens ein größeres Färbevermögen als die im Handel
vorkommenden Fuchsinsorten; es gibt ein lebhafteres und mehr in Blau stechendes
Roth.
Mit Sorgfalt angestellte Färb- und Druckversuche ergaben, daß 2 Th. Toluolroth
dasselbe leisten wie 2 1/2 bis 3 Th. Fuchsin von verschiedenen Bezugsquellen.