Titel: | Chemisch-technische Notizen; von Dr. Georg Lunge. |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 181, Jahrgang 1866, Nr. XCIV., S. 370 |
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XCIV.
Chemisch-technische Notizen; von Dr.
Georg Lunge.
Lunge, über Darstellung des Borax.
I. Zur Darstellung des
Borax.
1) Aus toscanischer Borsäure. – Diese dient noch
immer zur Darstellung der größten Menge des im Handel vorkommenden Borax; sie ist contractlich
einem englischen Unternehmer überlassen, welcher sie theils selbst verarbeitet,
theils anderen Fabriken verkauft. Die Behandlung der Borsäure mit Soda scheint in
Frankreich noch immer auf dem nassen Wege zu geschehen, wie er zuerst von Payen beschrieben worden und in allen Lehrbüchern
angegeben ist. In England dagegen wird, wenigstens theilweise, eine andere Methode
angewendet. Man schmilzt die rohe Borsäure mit ihrem halben Gewichte calcinirter
Soda auf dem Herde eines Muffelofens ein; die Masse frittet zunächst und geräth dann
in schaumigen Fluß, wobei sie fortwährend durch Rührkrücken umgearbeitet wird. Das
Ammoniak, welches bekanntlich als schwefelsaures Salz einen erheblichen Bestandtheil
der rohen Borsäure ausmacht, entweicht bei diesem Processe, mit Kohlensäure
verbunden, durch eine Oeffnung im Gewölbe des Ofens nach einer Verdichtungskammer.
Die aus dem Ofen kommende Schmelze wird in eisernen Kesseln in der Wärme ausgelaugt,
die Lösung durch Absetzen von den suspendirten Theilchen geklärt, und dann in
kleineren Gefäßen möglichst langsam abgekühlt, um schöne Krystalle zu erhalten. In
einer Fabrik sah ich einen interessanten Kunstgriff, um das Eisen zu entfernen,
welches bei Anwendung von eisernen Gefäßen und Gerätschaften, und überhaupt bei
jeder Flammofenoperation unvermeidlich in die Masse übergeht. Es ist zwar nicht in
Lösung, da diese immer alkalisch bleibt, sondern in Form von Eisenoxydhydrat,
welches aber bei seiner großen Voluminosität, trotz seines unbedeutenden Gewichtes,
die ganze Flüssigkeit mehr oder weniger mit Flocken erfüllt, welche eben wegen ihrer
großen Leichtigkeit und voluminösen Beschaffenheit sich auch bei längerer Ruhe nicht
absetzen; gar zu lange darf man ohnehin nicht damit warten, weil die Lösung noch
möglichst heiß in die Krystallisirgefäße kommen muß. Die schwimmenden Flocken von
Eisenoxydhydrat finden sich dann in den Krystallen als rothe Punkte und Flecken vor,
und machen sie unverkäuflich. Der Kunstgriff zu ihrer Entfernung ist nun folgender:
Man versetzt die heiße Boraxlösung auf je 2 Tonnen (40 Centner) Borax mit einem
Pfunde Sodarückstand. Das in diesem enthaltene Schwefelcalcium setzt sich mit dem
Eisenoxyd in Schwefeleisen und Kalk um, und der letztere entzieht einer
entsprechenden Menge Borax die Borsäure, um unlöslichen borsauren Kalk zu bilden.
Das Schwefeleisen an sich ist zwar fast eben so voluminös wie das Eisenoxydhydrat,
und würde ebenfalls in der Lösung suspendirt bleiben; aber im Momente seiner
Entstehung wird es von dem gleichzeitig entstehenden borsauren Kalke umhüllt und von
diesem, als einem schweren, körnigen Niederschlage, mit zu Boden gerissen, so daß
eine ganz klare und eisenfreie Flüssigkeit zurückbleibt. Die geringe Menge
caustisches Natron, welche dabei gebildet wird, ist ohne allen Schaden. Die in den Niederschlag
übergehende Borsäure bildet nur etwa 1/20 Procent der vorhandenen; aber auch diese
unbedeutende Menge braucht man nicht einmal verloren zu geben, sondern kann sie aus
dem Sediment durch Behandlung desselben mit Salzsäure wiedergewinnen.
2) Aus Boronatrocalcit. – Dieses in Begleitung des
Chilisalpeters vorkommende Mineral ist im Wesentlichen ein Doppelsalz von borsaurem
Natron und borsaurem Kalk in verschiedenen Verhältnissen, mit bedeutendem
Wassergehalt, welcher oft bis 38 Procent steigt, und mehr oder weniger durch Gyps,
Kochsalz u. dgl. verunreinigt. Die Verunreinigungen finden sich zwar hauptsächlich
(vielleicht ausschließlich) als äußere Kruste der Knollen, in welchen das Mineral
vorkommt, aber für technische Zwecke muß man sie eben immer mit in den Kauf nehmen,
und selbst das den Kern bildende reine Mineral wechselt sehr in seinem Gehalt an
Borsäure, wie ich an einem anderen Orte (Annalen der Chemie und Pharmacie, April
1866, S. 51) nachgewiesen habe. Manche Proben zeigen nahe an 50 Procent Borsäure;
die Mehrzahl bewegt sich zwischen 35 und 45 Procent, manche aber gehen noch
darunter, selbst bis 12 Procent, herab. Diese Unsicherheit über den wirklichen Werth
des Materiales, bei gleich bleibendem äußeren Ansehen, macht es einigermaßen
erklärlich, warum die Verwendung dieser neuen Borsäurequelle, welche vor einigen
Jahren große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, wieder in den Hintergrund
getreten ist; mehrere Fabrikanten hatten große Verluste dadurch erlitten, und man
war auf zufällig ankommende Schiffsladungen angewiesen.
Natürlich ließe sich dieser Uebelstand leicht heben, wenn es darauf ankäme, und wenn
die Ausbeute der Borsäure in Toscana dem fortwährend steigenden Bedarf nicht mehr
genügte, so daß man wieder auf den Boronatrocalcit zurückkommen müßte; übrigens ist
der gesammte Ertrag an letzterem neuerdings von demselben Contrahenten übernommen
worden, welcher die toscanische Borsäure monopolisirt hat.
Abgesehen von den Schwierigkeiten der kaufmännischen Beziehung muß man das
Zurücktreten des Boronatrocalcits vielleicht auch der unzweckmäßigen Art
zuschreiben, in welcher seine Verwendung praktisch versucht wurde, wenigstens nach
dem, was darüber in die Oeffentlichkeit gekommen ist, und was wesentlich aus
englischen Patentbeschreibungen besteht. Diese schreiben z.B. Behandlung mit
Schwefelsäure oder mit Soda vor; mit beiden erhält man aber keine vollkommene
Aufschließung. Bei Anwendung von Schwefelsäure wirkt der entstehende Gyps zu sehr
hindernd auf die weitere Einwirkung der Säure, um eine vollständige Aufschließung zu gestatten, und
setzt sich auch nicht schnell genug aus der Lösung ab, welche man sehr heiß halten
muß, damit die Borsäure nicht zu früh herauskrystallisirt. Was die Soda betrifft, so
scheint ihre Verwandtschaft zur Borsäure der des Kalkes überhaupt gar nicht
voranzustehen, und auch der Patentnehmer legt kein großes Gewicht auf ihre
Anwendung. Ebenso wenig Vortheil dürfte man von dem Schmelzen des Minerals mit Soda
im Flammofen haben, welches ein anderes Patent vorschreibt; oder von der Behandlung
desselben mit schwefelsaurem Ammoniak etc.
Nach vielfachen eigenen Versuchen, um ein einfacheres und wirksameres Verfahren zur
Zersetzung des Boronatrocalcits aufzufinden, bin ich schließlich bei dem einfachsten
stehen geblieben, welches ich gleich im Anfange versucht hatte, nämlich bei der
Behandlung mit verdünnter Salzsäure. Das reine Mineral, d.h. der faserige, von der
harten Kruste befreite Kern der Knollen, löst sich ohne Rückstand in verdünnter
Salzsäure, schon in der Kälte bei längerem Stehen und Umrühren, und sehr schnell bei
mäßiger Erwärmung; dieß zeigt schon, daß man eine vollständige Ausschließung auf
diesem Wege auch im Großen erwarten darf. Das gebildete Chlorcalcium und
Chlornatrium bleiben natürlich in Lösung und hindern den Angriff der Säure durchaus
nicht. Bei Verarbeitung des Minerales in seinem natürlichen Zustande bleibt zwar ein
bedeutender, meist aus Gyps bestehender Rückstand; dieser Gyps indessen, welcher nur
mechanisch beigemengt ist, hindert die Einwirkung der Salzsäure auf den borsauren
Kalk in keiner Weise. Aber es ist überhaupt unbedingt anzuempfehlen, den unlöslichen
Rückstand schon vorher durch Schlämmen des gemahlenen Materiales zu entfernen, was
sich sehr leicht und vollständig ausführen läßt, weil die Fasern des reinen
Boronatrocalcits viel leichter sind, als die harte Kruste von Gyps etc., und somit
von dem Wasserstrahle mit fortgeführt werden und in einem Absetzbottiche sich
ansammeln können; zugleich würden auf diesem Wege die in Wasser löslichen Salze, wie
Kochsalz, entfernt werden, wenn sie vorkommen sollten. Man verfährt am besten
folgendermaßen: Man übergießt das gemahlene und geschlämmte Material mit zwei
Dritteln seines Gewichtes käuflicher Salzsäure und der doppelten Menge Wasser, und
digerirt in mäßiger Wärme, noch besser bei Siedhitze, so lange, bis die Zersetzung
vollständig ist, was bald eintritt. Besonders zu Ende der Digestion muß man die
Wärme steigern, um sicher alle Borsäure in Lösung zu behalten; auch muß man zu
diesem Zwecke das verdampfte Wasser bis auf sein ursprüngliches Volumen ergänzen.
Man läßt nun in der Hitze absetzen, und trennt die klare Lösung von dem
unbedeutenden Rückstande
durch Decantiren oder Abhebern. Beim Erkalten krystallisirt die Borsäure fast
vollständig heraus, während Chlornatrium und Chlorcalcium in der Mutterlauge
bleiben, nebst einer geringen Menge überschüssiger Salzsäure. Die angegebene Menge
von zwei Dritteln des Minerales an Salzsäure bezieht sich übrigens auf einen
Mittelgehalt desselben von 40 Procent an Borsäure, und muß bei erheblicher
Abweichung davon entsprechend abgeändert werden. Die herauskrystallisirte Borsäure
läßt man abtropfen, preßt oder schleudert sie aus, wäscht sie einmal mit kaltem
Wasser, schleudert sie nochmals aus und erhält sie dann fast vollkommen rein, so daß
sie nach der Behandlung mit Soda schon bei der ersten Krystallisation reinen Borax
geben wird. Die Rückstände von der Digestion mit Salzsäure sammelt man an und
behandelt sie noch einmal für sich mit heißer Salzsäure. In der Mutterlauge von der
Borsäure-Krystallisation, welche mit den anderen Salzen fast gesättigt ist,
bleibt so wenig Borsäure, daß ihre Gewinnung kaum lohnen dürfte; man kann sie aber
auch noch hieraus fast vollständig durch Niederschlagen mit Kalk erhalten. Wie man
sieht, ist dieses ganze Verfahren ungemein einfach, und gestattet, so gut wie
sämmtliche Borsäure aus dem geschlämmten Boronatrocalcit mit weiter keinen Unkosten
als dem halben Aequivalent an Salzsäure zu gewinnen; Arbeit und Dampf sind ganz
unbedeutend und kaum in Anschlag zu bringen. Selbst das Mahlen des Materiales ist
außerordentlich leicht, da es so weich ist, daß man es zwischen den Fingern
zerreiben kann.
Zur Digestion und Krystallisation wird man im Großen nicht Gefäße von Eisen oder Blei
anwenden, weil sie von heißer Salzsäure zu stark angegriffen werden; eher könnten
sie von Kupfer seyn, wenn man den Luftzutritt abhielte. Da man aber ohnehin die
Erwärmung wohl durch Dampf vornehmen wird, so kann man die Gefäße aus Thonwaare,
Steinplatten oder am einfachsten aus Holz machen. Das Holz widersteht der verdünnten
Salzsäure ganz gut, wenn man es vorher durch heiße Oelanstriche oder durch
Steinkohlentheerfirniß geschützt hat. Für die Krystallisation, wobei die Salzsäure
fast ganz gesättigt ist, könnte man auch allenfalls bleierne Gefäße anwenden.
Als Beispiel will ich anführen, daß ich aus einem Boronatrocalcit mittlerer Güte,
aber nicht durch Schlämmen gereinigt, durch warme Behandlung mit 2/3 Salzsäure und 1
1/3 Wasser, Abgießen vom Rückstande und Erkalten der Lösung eine Krystallmasse
erhielt, welche nach dem Abtropfen, Auswaschen mit kaltem Wasser und Trocknen bei
100º C. eine Ausbeute von 47 Procent des Rohmaterials an krystallisirter oder
30 Proc. an wasserfreier Borsäure ergab. Dieß würde nahezu 82 Proc. an krystallisirtem Borax
entsprechen. Der Preis des Boronatrocalcits stellt sich in Liverpool gegenwärtig
etwa auf 20 Pfd. St. die Tonne, oder 7 Rth. preuß. Ct. der Centner.
Ueber die Analyse dieses Minerales habe ich an dem oben angeführten Orte (Ann. der
Chemie und Pharm.) ausführlich gesprochen; ich gebe hier den Gang, welchen ich als
den einfachsten für eine Analyse zu technischen Zwecken
gefunden habe. Man digerirt eine größere, gewogene Durchschnittsprobe des Minerales
in der Wärme mit Salzsäure, so wie es oben beschrieben worden ist, und bestimmt das
Gewicht des Rückstandes, welchen man nicht näher zu untersuchen braucht. In der
Lösung bestimmt man, wenn sie darin vorkommt, die Schwefelsäure und bringt sie als
Gyps in Rechnung. Sollte Chlor vorkommen, so bestimmt man es in einer besonderen, in
Salpetersäure gelösten Portion, und verrechnet es als Chlornatrium. Den Kalk fällt
man aus der salzsauren Lösung nach Sättigung mit Ammoniak und Ansäuerung mit ganz
wenig Essigsäure durch oxalsaures Ammoniak, und bestimmt seine Menge am besten durch
Auflösen des ausgewaschenen Niederschlages in Salzsäure und Titriren mit
Chamäleonlösung. Von der gefundenen Menge Kalk muß man eine dem Gyps entsprechende
Quantität in Abzug bringen. Darauf bestimmt man die Gesammtmenge der an Borsäure
gebundenen Basen, indem man eine gewogene Probe des Minerales in einer gemessenen
Quantität Normalsalpetersäure oder Normalsalzsäure auflöst, und mit
Normalnatronlauge zurücktitrirt, bis die rothe Farbe des Lackmus in Violett
übergegangen ist, was sich ganz scharf beobachten läßt. Die verbrauchte Menge der
Säure, weniger die des Natrons, gibt die Quantität der Basen zusammen an; man
berechnet, wie viel davon auf den vorher ermittelten Kalk kommt, und findet so, wie
viel Natron vorhanden ist. Endlich ermittelt man noch in einer besonderen Probe den
Wassergehalt durch Glühen. Man summirt nun alle erhaltenen Daten: Wasser,
unlöslichen Rückstand, Gyps und Kochsalz, wenn sie in Lösung waren, Kalk und Natron,
und zieht die Summe von 100 ab; was übrig bleibt, stellt die Borsäure dar. Obwohl
diese Methode noch immer umständlich genug erscheinen wird, so ist sie es doch viel
weniger, als z.B. die von Stohmann in der zweiten Auflage
von Muspratt's Chemie angegebene; namentlich vermeidet
sie die unangenehme Austreibung des Bors als Fluorbor, ohne darum ungenauer zu seyn,
wie ich a. a. O. nachgewiesen habe. An sichersten ist es aber, wenn man das
geschlämmte Mineral analysirt; dann hat man nur das Wasser, die Basen zusammen und
den Kalk wie oben zu bestimmen, und erhält die Borsäure aus der Differenz. Freilich
hat man dann durch einen größeren Versuch zu ermitteln, wie viel geschlämmtes Product man aus der
Handelswaare erhält; immerhin aber wird dieses Verfahren kürzer und auch sicherer
seyn, als die unmittelbare Analyse des rohen Minerales.
(Die Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)