Titel: | Ueber die allotropischen Zustände des Eisens und ihre Bedeutung für die Metallurgie; von de Cizancourt. |
Fundstelle: | Band 179, Jahrgang 1866, Nr. LIII., S. 198 |
Download: | XML |
LIII.
Ueber die allotropischen Zustände des Eisens und
ihre Bedeutung für die Metallurgie; von de Cizancourt.
Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 578; October
1865
de Cizancourt, über die allotropischen Zustände des Eisens und ihre
Bedeutung für die Metallurgie.
Ich lege hiermit der (französischen) Akademie die neuen theoretischen Folgerungen
vor, zu denen mich meine metallurgischen Studien und Experimentaluntersuchungen
geführt haben.
Die Eisenoxyde wurden lange Zeit als Oxydationsstufen eines einzigen Metalles
betrachtet, von welchem angenommen wurde, daß es, sobald es dieselbe chemische
Reinheit oder dieselbe Zusammensetzung besaß, im metallischen Zustande stets absolut
identische Eigenschaften zeigen müsse. Aus dieser Anschauungsweise ist die noch
jetzt allgemein gültige Theorie hervorgegangen, nach welcher alle Unterschiede im
Verhalten und in den Eigenschaften der verschiedenen Producte der Eisenhütten
ausschließlich Differenzen in ihrer chemischen Zusammensetzung zugeschrieben werden.
Noch immer werden diese Producte in drei verschiedene Gruppen getheilt: in Roheisen (Gußeisen), Stahl und
Stabeisen, und diese Classification ist einzig und
allein aus der Berücksichtigung ihres gewöhnlichen Gehaltes an Kohlenstoff
hervorgegangen. Indessen treten manche Roheisensorten von ganz gleicher
Zusammensetzung mit so entgegengesetzten äußeren Eigenschaften auf und geben bei
ihrer weiteren Verarbeitung so von einander abweichende Producte, daß es durchaus
nothwendig wird, in der Praxis einen Unterschied zwischen ihnen aufzustellen. Ebenso
kommt umgekehrt Roheisen vor, welches hinsichtlich seiner chemischen Zusammensetzung
mit manchen Stahlsorten ganz übereinstimmt, sowie es auch Stahlsorten gibt, welche
sich durch die Analyse von gewissen Roheisensorten nicht unterscheiden lassen.
Demnach kann bei einem umfassenden Studium der Eisenhüttenproducte die chemische Zusammensetzung nur als ein untergeordnetes
Moment betrachtet werden; den vorwaltenden Charakter bestimmt nämlich die Beziehung, welche zwischen den Eigenschaften der
verschiedenen Producte und den Oxydationsstufen besteht, in denen das Eisen in
den zur Darstellung dieser Producte verwendeten Erzen vorhanden war. Der
Ausdruck dieser allgemeinen und constant auftretenden Erscheinung ist seit den
interessanten Untersuchungen Leplay's für jeden Praktiker
eine Art von Axiom geworden, welches man in dem Satze formulirt:
„Nur Stahlerze geben Stahl,“ oder
auch: „jeder Eisenstein gibt sein besonderes
Eisen.“
Die Fortschritte der neueren Chemie gestatten das Studium der Metallurgie des Eisens
von dieser, durch die auffallendsten und vollkommen nachgewiesenen Thatsachen
festgestellten Basis aus wieder aufzunehmen.
Bereits Berzelius sah sich zu einer Classification der
verschiedenen Eisenverbindungen veranlaßt, bei welcher er von der Annahme zweier,
chemisch verschiedener Metalle ausgieng, die er Ferrosum
und Ferricum benannte. Freilich blieb noch zu erweisen,
daß diese zweierlei Metalle wirklich existiren und sich auch bei den metallurgischen
Processen und deren Producten auffinden lassen. Die Entdeckung der Allotropie trug schließlich wesentlich dazu bei, dieser
Anschauungsweise Vertreter zu gewinnen, indem dadurch nachgewiesen wurde, daß
mehrere Körper, obgleich sie nach der Analyse dieselbe chemische Zusammensetzung
besitzen, dennoch in sehr verschiedenen Zuständen mit besonderen Charakteren
auftreten können, welche ihnen auch dann verbleiben, wenn sie gewisse Umwandlungen
oder Verbindungen eingehen.
Aus den im Nachstehenden mitzutheilenden Thatsachen geht hervor, daß das metallische Eisen in mindestens zwei allotropischen
Zuständen auftreten kann, analog dem Schwefel und dem Phosphor. Diese
beiden Zustände entsprechen den schon von Berzelius
unterschiedenen Modificationen.
Das Ferrosum ist das Metall der oxydulischen
Erze.
Dieses Metall ist bisher nur in den Laboratorien durch Reduction mittelst
Wasserstoffgas in reinem Zustande dargestellt worden, hüttenmännisch aber noch
nicht. Der metallische Typus, in welchem es am besten charakterisirt auftritt und
die größte Stabilität zeigt, ist das krystallinische weiße
Roheisen oder Spiegeleisen, welches sich aus
mehreren oxydulischen Erzen, namentlich aus Spatheisenstein, so leicht erblasen
läßt. In diesem Roheisen ist das Ferrosum mit
schwankenden Mengen von Kohlenstoff verbunden, welche vom Kohlenoxyd herrühren; zu
dem Kohlenstoff zeigt es eine sehr große Verwandtschaft.
Das Ferrosum erhält man in Form von weißem
krystallinischen Roheisen um so leichter, bei je niedrigerer Temperatur die
Reduction der Erze erfolgt, und je rascher das erblasene Eisen erkaltet. Das Ferrosum entspricht demnach den relativ niedrigen Temperaturgraden, ist folglich der Zustand des
metallischen Eisens, dessen Entstehung derartige Temperaturen der Oefen
hervorzubringen das Bestreben haben.
Das Ferrosum geht leicht in die zweite allotropische
Modification des Eisens, in das Ferricum, das Metall der
oxydischen Eisenerze über.
Diese Eigenschaft entspricht dem chemischen Verhalten des Eisenoxyduls und des pyrophorischen (durch
Reduction des Oxyduls mittelst Wasserstoffgas dargestellten) metallischen Eisens. Es liefert zwar Stahl und Stabeisen; allein es behält
unter diesen beiden Formen – falls es nicht etwa zu
„verbranntem“ Stabeisen geworden ist – die stets
scharf ausgeprägte Eigenschaft, sich durch die üblichen hüttenmännischen Processe
aus Eisen zu Stahl und aus Stahl zu weißem krystallinischen Roheisen verwandeln zu
lassen.
Was seine physikalischen Eigenschaften anbetrifft, so
zeichnet sich das Ferrosum in seiner Verbindung mit
Kohlenstoff durch Härte und Sprödigkeit aus. Seinen chemischen Eigenschaften nach gehört es zur Gruppe derjenigen Körper,
welche sich mit nur einem Atom Sauerstoff verbinden.
Das Ferricum ist das Metall der wasserfreien oxydischen
Eisenerze.
Sein metallischer Typus ist das aus diesen Erzen dargestellte Stabeisen. Bei hohen
Temperaturen verbindet es sich mit Kohlenstoff, doch scheidet sich derselbe, in
Folge geringer Verwandtschaft zu ihm, beim langsamen Erkalten wieder aus. Dieser
allotropische Zustand des Eisens entspricht hohen
Temperaturgraden, der Schweißhitze.
Das Ferricum liefert hämmerbares Eisen und, als eine
andere Form desselben, verbranntes Eisen; aber für sich allein kann es in den
Zustand von stabilem Stahl eben so wenig, als in den von stabilem weißem Roheisen
übergeführt werden, wenigstens nicht mittelst der immer nur auf eine verhältnißmäßig
kurze Dauer beschränkten Reactionen, über welche der Metallurg verfügt. Diese
beinahe absolute Unmöglichkeit, das Ferricum, wenn es in
den zu seiner Darstellung verhütteten Erzen als solches existirt hat, in den Zustand
von Ferrosum anders, als auf einem sehr schwierigen Wege
und in sehr unbeständiger Weise überzuführen, entspricht übrigens den
Schwierigkeiten, welche in der Chemie mit der Reduction des Eisenoxydes zu
Eisenoxydul verknüpft sind. Die hervorstechendste physikalische Eigenschaft des Ferricum ist
seine Dehnbarkeit, welche es nur dann einbüßt, wenn es seine von der normalen
entfernteste Form, den Zustand des verbrannten Eisens, erreicht. Seinen chemischen Eigenschaften nach ist es zur Gruppe
derjenigen Körper zu zählen, welche sich mit mindestens drei, aber auch mit mehr Sauerstoffatomen – deren Zahl stets eine
ungerade ist – verbinden.
Die schwarzen und grauen
Roheisensorten sind nur Ferricum, welches einen Theil
seiner Eigenschaften behält und den Kohlenstoff, mit welchem es unter dem Einflusse,
hoher Temperaturen beladen worden war, bei langsamem Erkalten ausscheidet. Im grauen Roheisen waltet gewöhnlich das Ferricum vor; im halbirten
Roheisen sind beide allotropische Modificationen mit ihrem eigenthümlichen
Charakter vorhanden, indem das Ferrosum die weißen
Gemengtheile und den chemisch gebundenen Kohlenstoff, das Ferricum die grauen Theile und den ausgeschiedenen Kohlenstoff
hergibt.
Die verschiedenen Sorten des hämmerbaren Eisens bestehen
aus wandelbaren Gemengen der zwei allotropischen Modificationen des Eisens, welche
beide in den Zustand von Ferricum übergegangen sind. Das
Ferrosum behält unter dieser Form stets einen Theil
seiner Härte, sowie die bereits erwähnte Eigenschaft bei, sich wieder umwandeln zu
lassen. Die große Verschiedenartigkeit der im Handel vorkommenden Stabeisensorten
wird von der Mannichfaltigkeit dieser Gemenge bedingt.
Die magnetischen oxydischen Eisenerze oder Magneteisensteine enthalten die beiden allotropischen
Modificationen des Eisens im Verhältnisse ihres Atomgewichtes. Diese Erze liefern
die stabilsten und vollkommensten Stahlsorten, woraus sich schließen läßt, daß der
Stahl durch Vereinigung der beiden allotropischen Zustände des Eisens entsteht, und
daß er um so vollkommener ist, je mehr das Verhältniß der beiden in ihm enthaltenen
Modificationen des Eisens sich demjenigen dieser Erze nähert.
Einen directen Beweis für die Richtigkeit dieser Definition des Stahls gibt ein
leicht zu wiederholender Versuch: ein vor oder nach dem Einschmelzen bereitetes
Gemenge von weichem oder von verbranntem Stabeisen (Ferricum) und weißem krystallinischen Roheisen (Ferrosum) gibt, wenn die passenden Verhältnisse getroffen sind, stets
einen mehr oder minder vollkommenen, durch das Härten leicht zu erkennenden
Stahl.
Auch muß noch besonders darauf aufmerksam gemacht werden, daß das magnetische
Eisenoxyd und der Magnetkies, gleich dem gehärteten Stahl, permanenten Magnetismus
besitzen. Diese, den natürlichen und den künstlichen Magneten – mögen
dieselben nun aus oxydirtem, aus geschwefeltem oder aus gekohltem Eisen bestehen
– gemeinsame Eigenschaft kann demnach nur von der gleichzeitigen Gegenwart
der beiden allotropischen Modificationen des Eisens herrühren, welche den einzigen
gemeinsamen Bestandtheil jener unter sich so verschiedenen magnetischen Körper
bilden.
Die von den zwei Oxyden (FeO und Fe²O³) herstammenden beiden
allotropischen Zustände des Eisens finden sich somit in der Metallurgie mit einem
System ähnlicher Variationen wieder; sie bleiben durch mehrere, deutlich
hervortretende Eigenschaften stets von einander geschieden. Außerdem können beide
Modificationen des Eisens die meisten Reductionen und Umwandlungen, welchen sie im
Verlaufe der hüttenmännischen Processe unterworfen werden, durchmachen, ohne ihren
ursprünglichen Charakter einzubüßen, ohne daß es möglich ist, sie mit einander zu
verwechseln. Alle diese Erscheinungen zeigen die vollständigste Analogie mit den
bekannten Eigenschaften der beiden Modificationen der Weinsäure, welche durch die verschiedene Richtung, in der sie die
Polarisationsebene ablenken, so scharf charakterisirt werden.
Die Untersuchung der Wärmecapacitäten der verschiedenen
Eisenhüttenproducte führt zu numerischen Differenzen zwischen dem krystallinischen
Roheisen und gewissen Sorten von hämmerbarem und verbranntem Stabeisen, welche zu
bedeutend sind, als daß sie sich durch die vorhandenen fremdartigen Körper erklären
ließen. Ich hoffe daher, daß eine gründliche Untersuchung dieser Wärmecapacitäten in
Verbindung mit einer sehr einfachen Probirmethode zu einem praktischen Verfahren
führen wird, um die Natur und den Ursprung des in sämmtlichen Hüttenproducten
enthaltenen Eisens zu erkennen; wir werden damit in den Stand gesetzt werden, ihre
Brauchbarkeit zu gewissen Zwecken und ihren wirklichen Werth zu bestimmen.
Jedenfalls ist es von großer Wichtigkeit, dem Techniker ein Mittel zur Erkennung der
verschiedenen Eisenqualitäten an die Hand zu geben, damit nicht allein wirklicher
Betrug, sondern auch solche Täuschungen aus der Praxis verschwinden, welche bei dem
gegenwärtigen Standpunkte der Metallurgie immer noch möglich sind.
Die von mir hier aufgestellten neuen Principien finden in der Erklärung selbst der
dunkelsten Erscheinungen eine Reihe von Bestätigungen, welche ich anführen werde,
nachdem ich die Gesetze, wornach die Wirkungen der Wärme und der Reagentien bei den
eisenhüttenmännischen Processen stattfinden, auseinandergesetzt habe.