Titel: | Elektromagnetische Locomotive von Bellet und de Rouvre in Versailles. |
Fundstelle: | Band 179, Jahrgang 1866, Nr. XXXV., S. 126 |
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XXXV.
Elektromagnetische Locomotive von Bellet und de Rouvre in
Versailles.
Aus Armengaud's Génie industriel, August 1865, S. 69
und dem Mechanics'
Magazine, October 1865, S. 232.
Mit Abbildungen auf Tab.
II.
Bellet und de Rouvre's elektromagnetische Locomotive.
Das in Rede stehende System der elektromagnetischen Locomotive soll hauptsächlich für
folgende Zwecke bestimmt seyn:
1) Zur Beförderung der Briefe und Packete, welche von dem Postamte innerhalb einer
großen Stadt nach den verschiedenen Bureaux zu versenden sind; zu dem Ende soll ein
Netz unterirdischer Eisenbahnen angelegt werden, welche von der Post aus nach den
verschiedenen Hauptbureaux u.s.w. sich erstrecken.
2) Zur Beförderung von Frachtstücken der genannten Art etc. zwischen den großen
Handelsstädten auf den gewöhnlichen Eisenbahnen. Die Locomotiven sollen zu diesem
Zwecke nach dem gleichen Principe, wie für den vorhergenannten, jedoch in größeren
Dimensionen u.s.w. ausgeführt werden.
3) Zur Fortschaffung von Lasten auf Eisenbahnen, um die Dampflocomotive zu
ersetzen.
Das Princip, auf welchem die elektromagnetische Locomotive von de Rouvre und Bellet beruht – und das,
nebenbei gesagt, nicht ganz als originell betrachtet werden darf – besteht
beiläufig in FolgendemMan vergl. polytechn. Journal Bd. CLXXVI S.
163.: Aehnlich angeordnet wie bei den Crampton'schen
Locomotiven, ist die neue Maschine mit zwei Treibrädern versehen, deren Durchmesser
je nach der Bestimmung des Apparates und nach der Geschwindigkeit, welche man mit
demselben erlangen will, von einem Exemplare zum anderen sich ändern muß. An jedem
Rade gehen von der Mitte aus radial die Elektromagnete in der Art, daß ihre freien
Polflächen auf der äußeren Radfelge sich befinden und unter sich gleichen Abstand
haben. Die Räder sind sonst ganz so angeordnet, wie die Treibräder einer
gewöhnlichen Locomotive; sie bilden die Hinterräder des Wagens und sind mit den
(kleineren) zwei Vorderrädern durch eine Kuppelung verbunden. Als Anker der
Elektromagnete eines jeden Rades soll die zugehörige Schiene der Bahn selbst benutzt
werden, und zwar in der Art, daß immer derjenige der Elektromagnete, dessen
Polflächen zunächst mit der Schiene in Berührung kommen, unmittelbar vor der
Berührung in Thätigkeit versetzt und in dem Augenblicke, in welchem letztere
einzutreten beginnt, wieder außer Thätigkeit versetzt wird, so daß von diesem
Augenblicke an der nächste der Elektromagnete seine Wirksamkeit zu beginnen hat.
Durch einen an der Welle angebrachten Commutator wird die Unterbrechung des Stromes
und die Herstellung desselben in der Art vermittelt, daß die einzelnen
Elektromagnete eines jeden der beiden Treibräder in der entsprechenden Reihenfolge
beständig in und außer Thätigkeit versetzt werden. Wenn die Stromquelle und der
Commutator in gehöriger Weise functioniren, so soll bei jeder stattfindenden
Anziehung, also zwischen jeder Herstellung und Unterbrechung des Stromes, in allen
auf einander folgenden Zeitintervallen das Rad beständig um dieselbe Größe
fortbewegt werden.
Eine schematische Darstellung für die Anordnung einer solchen Locomotive (welche wir
dem Mechanics' Magazine entnehmen) finden wir in Figur 7 durch
einen Querschnitt, in Figur 8 durch einen
Horizontalschnitt des hinteren Theiles des Wagens und in Figur 9 durch den
Horizontalschnitt eines der Treibräder repräsentirt. Um die Welle ist für jedes der
Treibräder eine Büchse N gelegt, in welcher in gleichen
Abständen 20 Oeffnungen zur Aufnahme der Messingstäbe D
sich befinden. Diese Stäbe sind an die Eisenkerne der Elektromagnete E, E so befestigt, daß sie mit diesen radial von der
Welle aus innerhalb des Treibrades angeordnet sind. Jedes der Treibräder enthält in
gleichen Abständen der einzelnen Schenkel 20 solcher Elektromagnete, und da in
abwechselnder Aufeinanderfolge immer ein Elektromagnet des einen und einer des anderen Treibrades zur
Wirksamkeit gelangt, so wirkt die bewegende Kraft je bei dem 40sten Theile einer
Umdrehung immer wieder von Neuem. Wie die Elektromagnete E,
E, welche, wie wir sehen, einschenkelige sind, mit dem Radkranze eines
jeden der Treibräder R, R und mit der Welle in feste
Verbindung gebracht sind, geht aus dem vorher Erwähnten, sowie aus den Abbildungen
selbst hervor. Ein Hauptbestandtheil bei dieser Einrichtung ist der Commutator;
derselbe besteht aus den beiden um die gemeinschaftliche Welle der Treibräder
gelegten Scheiben O, O' aus Hartkautschuk. Jede dieser
Scheiben bildet einen Radcommutator und ist zu diesem Zwecke an ihren: Umfange in 40
gleiche Segmente oder Calotten getheilt, in welche abwechselnd Elfenbein- und
Platinplatten eingelegt sind. Mit den Platinplatten der Scheibe O sind die Anfangsstellen der Spiralen der
Elektromagnete des Treibrades R, und mit den
Platinplatten der Scheibe O' sind die Anfangsstellen der
elektromagnetischen Spiralen des Rades R' in passender
Weise in Contact gebracht. Zwischen diesen beiden Scheiben ist an der Radwelle die
Hartkautschukscheibe Q angebracht, welche an ihrem
Umfange ganz mit Platin belegt ist und mit welcher ebenso wie an den Scheiben O und O' mittelst Federn der
Contact der Enden der sämmtlichen 40 Spiralen beider Treibräder hergestellt ist.
Gegen den Umfang dieser Scheibe Q schleifend ist eine
Contactfeder so angeordnet, daß sie mittelst eines Drahtes oder Metallstabes
beständig mit einer Walze G' in metallischer Verbindung
bleibt, welche bei der Fortbewegung des Wagens immer auf einem Drahte H' metallisch fortgleitet, der parallel zu dem
Leitungsdrahte H und isolirt von diesem zwischen den
beiden Schienen in den Straßenkörper eingelegt ist. Auf dem Drahte H gleitet dabei eine Metallwalze G, die mittelst einer passenden metallenen Gelenkstange metallisch mit den
Stielen der federnden Hämmer V, V, welche von der an die
Träger T, T befestigten Messingplatte F unterstützt werden, in Verbindung bleibt. Die Stiele
dieser Hämmer, welche federnd seyn müssen, und gegenseitig metallisch verbunden
sind, gehen durch Schlitze der Platte F, und jeder
Hammer selbst besteht in einem messingenen Prisma; die Anordnung ist dabei so
getroffen, daß während der Umdrehung der Treibräder immer abwechselnd ein Hammer mit
einem Contacte der Scheibe O und der andere Hammer mit
einem isolirten Einsatze der Scheibe O', und umgekehrt,
zur Berührung kommt. Denkt man sich jetzt an einer der Stationen die Batterie
aufgestellt, von welcher der eine Pol mit dem Leitungsdrahte H, der andere mit dem Drahte H' verbunden ist,
so werden offenbar während der Fortbewegung des Wagens die einzelnen Elektromagnete
der beiden Treibräder in abwechselnder Aufeinanderfolge zur Thätigkeit gebracht, und die
bewegende Kraft wird so in der angegebenen Weise zur Wirksamkeit gelangen.
Als eine wesentliche Verbesserung bezeichnen die Erfinder den Umstand, daß die
Batterie nicht mittransportirt zu werden braucht; ob sie aber die beiden
Leitungsdrähte so anordnen können, daß die gegenseitige Isolation derselben
vollkommen gesichert bleibt, und daß der Leitungswiderstand, welchen diese Drähte
darbieten, den Arbeitsstrom nicht abschwächt, darüber macht unsere Quelle keine
Erwähnung.
In der Sitzung der Gesellschaft der Civilingenieure zu Paris vom 2. Juni 1865 lenkte
Bruignac ganz besonders die Aufmerksamkeit auf die in
Rede stehende elektromagnetische Locomotive, und wenn wir seine Ausführungen
hierüber, welche wir hier nicht eingehend berücksichtigen können, näher betrachten,
so scheint daraus hervorzugehen, daß – nach der Ansicht von Bruignac – durch die Erfindung von Bellet und de Rouvre die
Angelegenheit über die elektromagnetischen Motoren, wenigstens bezüglich der
Locomotive, zum ersten Male auf die richtige Bahn geführt worden sey. Für eine
kleine Postlocomotive, welche nur 42 Kilogramme wiegt, und wobei jedes Treibrad,
ebenso wie bei dem eben beschriebenen Apparate, mit 20 Elektromagneten versehen ist,
von denen jeder eine Tragkraft von 15 Kilogrammen besitzt, habe nämlich die
Erfahrung bereits entschieden, und es sey daher nur noch experimentell zu
untersuchen, ob dasselbe Princip, welches seiner Natur nach bei gleicher
Leistungsfähigkeit das Gewicht der elektromagnetischen Locomotive bedeutend geringer
als bei der Dampflocomotive annehmen lasse, auch auf große Maschinen zum
Fortschaffen bedeutender Lasten mit entsprechender Geschwindigkeit übertragungsfähig
sey, wenn die Durchmesser der Treibräder und die Zahl der auf jedes derselben
vertheilten Elektromagnete entsprechend gewählt werden. Obgleich, wie Bruignac umfassend ausführt, die Anhaltspunkte, welche
hierfür die Theorie, namentlich bezüglich der Anordnung der Elektromagnete
darbietet, noch mangelhaft seyen, so hält er es dennoch für nicht unmöglich, daß die
in Rede stehende Erfindung in der Praxis zur Lebensfähigkeit gelangen könne. Seine
Ansicht wird namentlich dadurch unterstützt, daß nach den Versuchen von Bellet und de Rouvre die
elektromagnetische Anziehung wenigstens bei einer Entfernung der Armatur von den
Polflächen von nur einigen Millimetern in keiner höheren Potenz als in der ersten
der Entfernung von den Polflächen, abnehme, wenn die Elektromagnete in richtiger
Weise angeordnet werden, und es sey nicht zu zweifeln, daß diese Annahme auch noch
für etwas größere Entfernungen der Armatur von den Polflächen beibehalten werden
dürfe. – Nur bezüglich der Unterhaltungskosten findet Bruignac, daß bei gleicher Leistungsfähigkeit dieselben für eine
elektromagnetische Locomotive unverhältnißmäßig größer ausfallen, als für eine
mittelgroße Dampflocomotive. Derselbe stellt nämlich eine Berechnung an über die
Unterhaltungskosten für die Zugkraft einer elektromagnetischen Locomotive, die
dasselbe leisten soll, wie eine Dampflocomotive mit einem Train von 130 Tonnen
Gewicht, und wobei schon vor Allem das Gewicht des Trains bei Benutzung des Systemes
von Bellet und de Rouvre zu
höchstens hundert Tonnen unter gleichbleibenden Umständen angenommen werden dürfe.
Ohne nun dem Rechnungsverfahren, welches Bruignac hierbei
einschlägt (und wobei – nebenbei gesagt – die Literatur hierüber,
namentlich die Arbeiten Jacobi's ihm nicht bekannt
geworden zu seyn scheinen) weiter zu folgen, bemerken wir bloß, daß nach Bruignac's Untersuchung zur andauernden Erzeugung der
bewegenden Kraft eine Batterie von 270 Bunsen'schen
Elementen erforderlich wäre. Die Kosten für ein Element per Stunde zu 6 Centimes gerechnet, würde der Kostenaufwand für die
bewegende Kraft per Stunde 16 Francs 20 Centimes
ausmachen; bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern per Stunde würde daher jedes Kilometer in der Stunde 32 Centimes für die
elektromagnetische Locomotive der erwähnten Art kosten.