Titel: | Drehscheiben-Locomobile; von Maschinenbaumeister Krauß in Zürich. |
Fundstelle: | Band 176, Jahrgang 1865, Nr. LXXVI., S. 252 |
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LXXVI.
Drehscheiben-Locomobile; von Maschinenbaumeister Krauß in
Zürich.
Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1865,
Bd. X S. 1.
Mit Abbildungen auf Tab.
IV.
Krauß, Drehscheiben-Locomobile.
Wie so vielfach bereits die Menschenkraft durch Dampfarbeit ersetzt ist, so ist dieß
auch bei frequenten Drehscheiben der Fall. Die Verwendung einer solchen Kraft,
sollte man meinen, muß bei Anstalten die so vielfach mit Dampfmaschinen zu arbeiten
haben, am nächsten liegen und dennoch sieht man so wenig Drehscheiben mit
Dampfbetrieb. Der Grund hiervon mag zum Theil darin liegen, daß man keinen
ökonomischen Vortheil herausfindet und die Anlagekosten scheut, und dennoch kann
unter gewissen Verhältnissen ein sehr bedeutender Vortheil hierbei herauskommen, wie
in Nachfolgendem nachgewiesen werden soll.
Bei Anlage einer derartigen Dampfmaschine ist es vor Allem nöthig die größte
Einfachheit in der Construction durchzuführen, wie dieß überhaupt das Grundprincip
für jede Anlage seyn muß, wenn sich dieselbe als praktisch erweisen soll. Nun hat
man allerdings schon sehr einfache Dampfmaschinen, aus den wesentlichsten Elementen
bestehend, allein in der Kesselconstruction hat man es bis jetzt noch nicht zu den
einfachsten Formen gebracht, oder wenigstens nicht gewagt solche anzuwenden.
Für eine Drehscheibe ganz besonders muß man suchen Kessel zu erstellen, die in kleinem Raum
eine erklecklich große Heizfläche besitzen, und da sind von vornherein schon die
Kessel mit besonderem Ofen ausgeschlossen, schon aus dem Grunde weil sie für eine
Drehscheibe, die Vibrationen unterworfen ist und häufig im Freien steht, nicht
anwendbar sind. Man muß also zu Kesseln mit Feuerbüchse seine Zuflucht nehmen und
hat sich hierbei die Construction der Locomotivkessel stets am vortheilhaftesten
herausgestellt. Nun ist aber diese Construction bekanntlich nicht gerade die
einfachste und eben so wenig die billigste. Constructionen ohne Feuerröhren dürften
aber, da sie einen größeren Raum beanspruchen, deßhalb nicht füglich für
Drehscheiben anwendbar seyn.
Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse und in Erwägung der Uebelstände, welche
bei den bisherigen Kesselconstructionen für den genannten speciellen Zweck obwalten,
habe ich es bei Anlage einer Locomobile für die sehr frequente Drehscheibe des
hiesigen Bahnhofes gewagt, von den bisherigen Grundsätzen, die bei Construction der
Kessel maßgebend sind, abzuweichen, und ich habe, wie die Erfahrung lehrt, den im
Auge gehabten Zweck auf das Vollständigste erreicht. Ich spreche von einem Wagniß,
allein es ist kein solches, wenn man die Sache beim Licht betrachtet, aber es kann
vielseitig als ein solches angesehen werden und wird es auch in Anbetracht, daß bei
vorliegender Construction von den bisher allgemein für die Construction der
Dampfkessel gültigen Regeln abgewichen ist.
Diese Construction ist nun folgende und in Fig. 3–6
angegeben.
Ein vertical stehender einfacher Röhrenkessel A ist auf
einem gußeisernen Kasten B, der als Sockel und zugleich
als Feuerkasten dient, befestigt. Letzterer ist mit feuerfesten Steinen ausgemauert
und enthält den Rost mit dem Aschenkasten. Auf den oberen Theil ist der Kamin D mittelst eines Scharniers aufgesetzt, damit derselbe
behufs Reinigung der Röhren umgelegt werden kann. a ist
eine im Kamin angebrachte Drosselklappe, die zum Abschluß der Feuerung dient. Der
Kessel ist mit einem schlechten Wärmeleiter umgeben und mit einem Sicherheitsventil
b, einem Wasserstand c,
einem Manometer d, einem Speiseventil e und den nöthigen Waschbolzen garnirt und mit einem
Regulatorhahn g versehen, f
ist ein Dampfhahn der zur Anfachung des Feuers benutzt wird. Dieß ist der ganze
Dampf- und Heizapparat, der in der Grundfläche wenig mehr als 0,60 Meter im Quadrat
einnimmt, wobei der Kessel nur einen Durchmesser von 48 Centimeter und eine Höhe von
120 Centimeter hat, und diese geringen Verhältnisse trotzdem eine Heizfläche von
4,32 Quadratmeter, wovon 3,15 Quadratmeter Wasserheitzfläche und 1,17 Quadratmeter
Dampfheizfläche, liefern.
Die Construction ist so einfach und compendiös als es nur immerhin für einen guten
Generator angeht, und sind alle günstigen Momente berücksichtigt, die zu einer
raschen Dampferzeugung und zu ökonomischer Verwendung des Brennmaterials dienlich
sind. Der Heizraum ist in so ferne von Vortheil, weil er mit Backsteinen ausgemauert
ist, die eine sehr hohe Verbrennungstemperatur und vortheilhafte Verbrennung
ermöglichen.
Einen in der Praxis vielfach nicht beachteten Vortheil hat diese Kesselconstruction
neben ihrer großen Einfachheit, darin bestehend, daß sie zu keinerlei Reparatur
Veranlassung gibt, überhaupt gar nicht geben kann, und zwar aus folgenden Gründen.
Wie man aus der Construction sieht, werden alle horizontalen Schichten des Kessels
und der ganze Umfang gleich stark erwärmt; diese Erwärmung nimmt allerdings, aber
nur successiv nach den oberen Schichten zu ab, nirgends ist eine plötzliche
Temperaturdifferenz.
Betrachtet man dagegen z.B. einen horizontalen Kessel mit Feuerzügen, so ist dieß
ganz anders. Die direct über dem Feuer liegende Platte wird durch die Einwirkung der
strahlenden Hitze in viel höherem Grade erwärmt als alle übrigen Platten, und
besonders die mit ihr correspondirende, den Cylinder ergänzende untere Platte, als
die untere Hälfte des Flammenrohrs. Nach der mechanischen Wärmetheorie muß deßhalb
in dieser Platte eine entsprechend größere Ausdehnung stattfinden, die an jenen
Stellen, wo die Temperaturdifferenzen, und besonders plötzliche stattfinden, wie
dieß gerade an der Rostgrenze der Fall ist, große Spannungen im Material hervorrufen
und zum Lecken der Kesselnähte, zum Ausreißen der Nietlöcher, zum Reißen der Platten
und überhaupt zur Deformation des Kessels den wirksamsten und, ich möchte sagen, den
alleinigen Beitrag leisten. Sehr häufig, und besonders bei Brennmaterial das eine
intensive strahlende Hitze erzeugt, wie Steinkohlen und Kohks, gehen deßhalb solche
Kessel zu Grunde, ohne daß man sich der geringsten Nachlässigkeit in der Behandlung
derselben bewußt ist. Häufig trifft man bei den Platten, welche die directe
Feuerfläche abgeben, große Ein- und Ausbauchungen, und sie werden in einer Weise
undicht, die scheinbar dem mangelhaften Wasserstand zuzuschreiben ist, wenn man
nicht schlechtem und mangelhaftem zum Bau des Kessels verwendeten Material die
Schuld gibt. Mancher Kesselfabrikant ist dadurch schon unschuldiger Weise geschädigt
worden, während andererseits schon mancher Heizer eben so unschuldig wegen
scheinbarer Unaufmerksamkeit seines Dienstes entlassen wurde. Jeder, der mit
Dampfkesseln umzugehen hat, wird sich solcher Fälle aus seinem praktischen Leben erinnern, und ich will
hier nicht weiter auf die mancherlei Vorfälle eingehen.
Diese Nachtheile sind, wie schon bemerkt, bei der vorliegenden Kesselconstruction gar
nicht vorhanden; wenn auch die Feuerrohre wärmer als der Cylinderkessel werden, und
sich dieselben mehr als letzterer ausdehnen, so bewirkt diese Ausdehnung doch keine
Spannung im Material, es wird höchstens das Rohr in der Rohrplatte los, was es aber
schon deßhalb nicht thun wird, weil sich die Rohrplatten, unterstützt vom
Dampfdruck, in der benöthigten Weise ausbauchen; und wenn auch die untere Rohrplatte
eine größere Temperatur annimmt als der runde Kessel, so gleichen sich die
Spannungen in Folge der vielen darin angebrachten Rohrlöcher und in Folge der
Elasticität des Materials in sich selbst aus. Die Erfahrung beweist dieß, denn seit
seiner achtmonatlichen Function hat der Kessel noch nicht einen Tropfen Wasser durch
Lecken verloren. Aber, werden die kurzsichtigen auf dem Boden der Kesselgesetze
stehenden Kritiker sagen, eine solche Construction kann gar nicht gestattet werden,
denn sie bedroht Eigenthum und Leben der Menschen, weil die Feuerzüge nicht überall
mit Wasser bedeckt und die nicht bedeckten Stellen dem Glühen ausgesetzt sind. Sie
werden jedoch trotzdem nicht glühend, weil sie nicht dem directen Feuer, aber der
innigsten Berührung mit dem Dampf ausgesetzt sind, letzterer aber bekanntlich die
Wärme, wenn auch nicht in selbem Grade wie das Wasser, absorbirt und die Röhren vor
dem Glühendwerden schützt. Zudem ist die Temperatur der erhitzten Gase an den
Stellen, wo die Röhren durch den Dampfraum gehen, schon nicht mehr so hoch, daß
selbst im Falle von den Röhren keine Wärme mehr durch den Dampf aufgenommen würde,
dieselben glühend werden können. Die Gase treten mit einer Temperatur von 200 bis
300° R. in den Kamin.
Glücklicherweise gehört die Schweiz nicht zu jenen Ländern, bei denen der Fortschritt
in der Kesselfabrication durch beengende Kesselgesetze gehemmt ist, und wenn trotz
der großen Industrie und dem großen Bestande an Dampfkesseln, so äußerst selten
Unfälle vorkommen, so ist gerade dieß die Ursache, weil sie kein Kesselgesetz hat,
das an gewisse und unbewußt fehlerhafte Constructionen bindet. Hier ist es dem
strebsamen Techniker möglich, an der Hand der Erfahrungen sich zu vervollkommnen,
seine Schöpfungen den Gesetzen der Naturkräfte anzupassen und alte Schäden unbeengt
von lästigen Vorschriften auszumerzen.
Welch' großen Vortheil die vorliegende Construction bietet, mag daraus entnommen
werden, daß der tägliche Verbrauch für den Betrieb der hiesigen Drehscheibe, bei
durchschnittlich 60 Umdrehungen derselben, incl. des zum
Anheizen verwendeten Brennmaterials, nur 25 Kilogrm. Kohlen beträgt. Uebrigens wird
aber der Kessel nicht mit Kohlen, sondern allein nur mit den Abfällen der
Locomotivenfeuerung geheizt. In Anbetracht, daß auf der Drehscheibe alle ankommenden
Locomotiven gedreht werden müssen, weil Zürich eine Kopfstation ist, und in
Anbetracht, daß die Drehscheibe allein den Verkehr mit den Locomotiv- und
Wagenwerkstätten, sowie mit dem Kohlen- und Baumaterial-Lagerplatz vermittelt, muß
dieser Verbrauch als ein außerordentlich geringer angesehen werden.
Die Dampfmaschine ist direct auf den Kessel montirt und in directer Verbindung mit
dem schon bestandenen Triebwerk der Drehscheibe, welche früher durch Menschenkraft
bedient wurde.
Die Maschine ist nach der einfachsten Construction gebaut, hat Schleifenübersetzung
auf die Kurbelachse, und eine einfache Umsteuerung mit einem Excenter, um die
Drehscheibe beliebig in jeder Richtung drehen zu können. Eine Klauenkuppelung stellt
die Verbindung mit dem Triebwerk der Drehscheibe her. Durch die Bremse C ist es dem Wärter möglich, dieselbe auf jede Spur
genau einzustellen.
Die hauptsächlichsten Verhältnisse sind folgende:
Durchmesser
der Drehscheibe
10,80 Met.
„
des
Dampfcylinders
0,078 Met.
Uebersetzungsverhältniß
des Räderwerkes
1 : 10
„
überhaupt
1 : 320.
Die Verhältnisse des Kessels sind:
Dampfdruck
7 Atmosphären.
Heizfläche
4,32 Quadr. Met.
Rostfläche
0,1485 Quadr. Met.
Anlage und Betriebskosten:
Anlagekosten des Kessels mit Maschine incl. Verstärkung des
Drehscheibenplateaus und Montirung
Fr.
2100
Der Betrieb erfordert folgenden Aufwand:
Verzinsung des Anlagecapitals à 5 Proc.
Fr.
105
für Abnutzung
Fr.
105
Gehalt des Wärters pro Tag Fr. 3.
60
Fr.
1315
Schmiere
Fr.
12
Reparaturen und Unterhaltung
Fr.
120
––––––––
Fr.
1657.
Da zur Bedienung der Drehscheibe beim früheren Betrieb stets 4 Mann nothwendig waren,
die an Löhnen einen Betrag von Fr. 4380 bezogen, so ist diesem gegenüber die jetzige
jährliche Ersparniß Fr. 2723, also ein Resultat, das zur Anwendung eines solchen Motors
anregen sollte. Dabei wäre noch zu bemerken, daß jetzt die Drehscheibe zuverlässig
bedient und unterhalten wird; während früher oft sehr bedeutende Reparaturen durch
die Unaufmerksamkeit des Personals und in Folge mangelhafter Unterhaltung vorkamen,
ist jetzt dieselbe stets im besten brauchbaren Zustand. Im Weitern functionirt die
Drehscheibe jetzt sehr rasch, eine Maschine kann in 1/2 Minute gedreht werden, da
der Motor 320 Umdrehungen in der Minute macht.
Anfänglich wurde bei dem kleinen Dampfraum alles Wasser aus dem Kessel herausgezogen,
welchem Uebel wirksam dadurch vorgebeugt wurde, daß ein Admissionsrohr m an den Regulator befestigt und der Dampf im Kessel an
mehreren Punkten aufgenommen wird; jetzt ist das Wasser so ruhig wie im größten
Kessel und beträgt der Wasserverbrauch pro Tag nur 36
Liter, also außerordentlich wenig.
Die Drehscheibe steht im Freien und functionirt jetzt bei Winterszeit die Locomobile
eben so gut wie im Sommer. Der Wärter der Drehscheibe hat auch die zunächst
liegenden Weichen zu bedienen.