Titel: | Universalsatz zu leicht explodirenden Zündungen. |
Autor: | Dy |
Fundstelle: | Band 175, Jahrgang 1865, Nr. LXXXVIII., S. 357 |
Download: | XML |
LXXXVIII.
Universalsatz zu leicht explodirenden
Zündungen.
Mitgetheilt vom
Artillerie-Hauptmann Dy.
Ueber einen Universalsatz zu leicht explodirenden
Zündungen.
In dem soeben erscheinenden Werke des als Militär-Schriftsteller rühmlichst bekannten
Hrn. Hauptmann von Plönnies zu Darmstadt über das
Zündnadelgewehr finden sich in der Form eines der Aufnahme gewürdigten Referates des
Einsenders über leicht explodirende Zündungen folgende, auch dem Leserkreise dieses
Journals wohl nicht uninteressante Mittheilungen:
Bei Directions-Uebernahme eines bereits seit circa 1842
bestehenden Zündhütchen-Laboratoriums fand sich im Jahre 1859 die in zuständigen
Kreisen fast allgemein verbreitete Meinung vor, daß es nunmehr an der Zeit sey, auf
Realisirung eines schon im Jahre 1857 gemachten Vorschlags hinzuwirken, wornach die
Maschinen des Etablissements verkauft und Knallquecksilber-Zündhütchen aus dem
Handel bezogen werden sollten, da durch eine fast fünfzehnjährige Praxis es evident
geworden sey, daß kriegstüchtige Zündhütchen mittelst muriatischer Sätze nicht
hergestellt werden könnten.
Sah man ferner den imposanten Vorrath von sogenannten „Grünen“
an, mit welchem Namen diejenigen Zündhütchen bezeichnet wurden, deren Satzverderbniß durch, auf dem
inneren Deckplättchen abgelagerte Efflorescenzen von grüner Farbe unzweifelhaft
geworden war und überzeugte sich ferner dabei auch noch von dem entschiedenen
Mißtrauen, mit welchem selbst die bei der Nachrevision für gut befundenen und in den
Gebrauch gegebenen Zündhütchen an betreffender Stelle entgegengenommen wurden, so
mußte der fast allgemein getheilt werdende Wunsch, es möge diese Art der
Selbstbeschaffung von Zündhütchen aufgegeben werden, um so schwerer in's Gewicht
fallen, als bereits ausgezeichnete Kräfte in dieser Branche thätig gewesen waren,
ein Versuch hier noch etwas verbessern zu wollen mithin sehr gewagt erschien. Den
Ausschlag bei den hierüber stattfindenden Erwägungen gab endlich ein schon Jahre
lang mit der technischen Ueberwachung des Instituts betraut gewesener Unterbeamter,
welcher die dringende Bitte aussprach, daß wenigstens noch ein einziges Mal der
Versuch zur Auffindung von Mitteln gemacht werden möge, wodurch sich die
Satzverderbniß der Zündhütchen dauernd verhüten lasse, und so wurden denn zunächst
die Actenstöße des Laboratoriums mit der größten Sorgfalt durchblättert, um durch
die Zusammenstellung aller darin enthaltenen, auf die Fabrication bezüglichen
Notizen das Material zu möglichst vorurtheilsfreien Schlußfolgerungen für die
Begründung eines neuen Fabricationsplanes gewinnen zu können.
Anfänglich war hiernach die Verderbniß-Ursache des aus 10
Theilen chlorsaurem Kali, 5 Theilen Schwefel und 3 Theilen Schwefelantimon
bestehenden Satzes in dem zu großen, oder möglicher Weise
auch zu geringen Drucke gesucht worden, womit derselbe
seine Einpressung in die Zündkapsel erhalten hatte, und erst nachdem
Zündhütchen-Serien, welchen in dieser Beziehung die verschiedenartigste Behandlung
zu Theil geworden war, Jahre lang einer gründlichen Revision unterworfen worden
waren, wurde festgestellt, daß nach dieser Richtung hin der Grund des Satzverderbens
nicht mehr zu suchen sey. – Ferner war hierauf eine Versuchsreihe eingeleitet
worden, welche sich der quantitativen Zusammensetzung von
muriatischen Sätzen, – bekanntlich in verschiedenen Modificationen aus
chlorsaurem Kali, Schwefelantimon, Schwefel und Kohle bestehend, – sowie
deren Bereitung auf trockenem oder nassem Wege zuwendete
und endlich hatte man auch den verschiedenen Methoden des Beizens und Trocknens der Kapseln eine
besondere und langdauernde Aufmerksamkeit gewidmet, ohne daß dadurch ein
zuverlässiges Fabricat hätte erzielt werden können.
Als nächstes Resultat dieser Forschungen trat also die für ein weiteres Vorgehen auf
diesem Felde überaus wichtige Gewißheit, auf, daß bestimmte Versuchsgebiete bereits
vollständig abgebaut waren und nun nach neuen Richtungen hin gesucht werden mußte, in welcher
Beziehung sich dann weiter naturgemäß die Frage vorlegte: ob nicht die dauernde
Kriegstüchtigkeit quantitativ richtig zusammengesetzter muriatischer
Zündungs-Präparate ganz einfach von der chemischen
Reinheit ihrer Bestandtheile, Behütung derselben
vor hinzutretenden sauren oder basischen Einflüssen und hermetischem Abschlusse des Satzes gegen atmosphärische etc. Einwirkungen abhängig sey?
Hierauf basirte Vorversuche zeigten denn auch gar bald, daß die mit verdünnter
Schwefelsäure gebeizten und darnach ausgewaschenen etc. Hütchenkapseln, sowie der
dem Zündsatze beigemengte freie Schwefel einer sauren chemischen Reaction keineswegs
fremd waren, und daß also in Spuren von Schwefelsäure
eine Hauptursache der Satzverderbniß gesucht werden dürfe, welcher mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln entgegen zu treten sey. – Die Anordnungen zur
Fortsetzung der Fabricationsversuche giengen also dahin, die aus möglichst
zuverlässigen Bezugsquellen erhaltenen Satzbestandtheile nur vollkommen chemisch
rein zu verwenden und insbesondere den gepulverten Schwefel vorher von der,
gewöhnlich ihm adhärirenden, schwefligen Säure vollkommen zu befreien; –
weiter die gänzliche Verbannung des freien Schwefels aus dem Satze anzustreben;
ferner die Zündhütchenkapseln nur dann in Gebrauch zu nehmen, wenn ihr Absüßwasser
sich ganz frei von saurer oder beziehungsweise alkalischer Reaction gezeigt hatte
und endlich, nach dem Vorbilde anderer Einrichtungen derselben Art, den Zündsatz
durch Schichten von Schellackfirniß mehr oder minder vollständig vom Metalle der
Kapsel zu trennen und so vor dem Eindringen von Luft, Feuchtigkeit etc. zu
schützen.
Zur genügend sicheren Beurtheilung des Erfolges eines nach diesen Grundzügen
eingeleiteten Fabricationsverfahrens mußten natürlich Jahre der Lagerung vergehen,
während deren auch eine theilweise Aufbewahrung des Fabricates unter Wasser, in
feuchten Kellern etc. in Anwendung gebracht wurde, und das Endresultat der hierauf folgenden Gebrauchsversuche war denn schließlich
die durch Verbrauch im Großen festgestellte, erfreuliche Thatsache, daß die Zündhütchen um so besser
ausgefallen waren, je vollständiger man bei ihrer
Fabrication allen oben angegebenen Bedingungen entsprochen
hatte und daß insbesondere über die vollkommene
Kriegstüchtigkeit derjenigen Zündhütchen, welche den nur aus chlorsaurem Kali und Schwefelantimon bestehenden binären Frictionssatz, vollständig in Lackschichten
eingehüllt, enthielten, kein Zweifel mehr
bestehen konnte.
Weitere Gelegenheit, die auf solche Weise gemachten Erfahrungen zu verwerthen, fand
sich denn im Jahre 1862, als es unumgänglich nothwendig erschien, die
Zündvorrichtungen der Munition des gezogenen Geschützes
von ihrem, unter – theils noch nicht ganz genau ergründeten und theils nicht
immer zu vermeidenden – Umständen leicht verderblichen
und selbstentzündlichen Knallquecksilbersatze zu befreien und an dessen
Stelle ein durchaus zuverlässiges Kriegsmaterial, welches
sich auch zur Bearbeitung in Militär-Etablissements
eignete, zu setzen. Dahin gehörige Versuche bewiesen vollständig, daß der oben
angegebene binäre muriatische Satz auch zu genanntem Zwecke
vorzüglich gut geeignet war, indem er sich hierbei nicht nur für Nadelstich-Zündungen genügend empfindlich zeigte,
sondern, in entsprechender Menge zur Anwendung gebracht, auch an Schlagkräftigkeit nichts zu wünschen übrig ließ, während
seine Lagerbeständigkeit, bei Einhaltung des obigen
Zündhütchen-Fabricationsverfahrens, keinem Zweifel mehr
unterworfen war.
Hieran knüpfte sich nun wieder zugleich auch die Gewißheit, daß der Nadelstichzündung
des Zündnadelgewehrs ebenwohl kein besseres leicht explodirendes Präparat, als der
in Rede stehende muriatische Satz gegeben werden könne und daß man durch die
Anwendung desselben also auch von allen Geheimnissen befreit werde, welche der
allgemeinen Einführung dieser vorzüglichen Waffe bisher entgegengestanden
hatten.
In dem genannten Zündsatze war demgemäß also endlich, bei Anwendung desselben nach
den oben angegebenen Fabrications-Grundzügen, ein Universalmittel zur Herstellung vollkommen kriegstüchtiger, leicht
explodirender Zündungen jeder Art gefunden worden und es erschien dieses
Resultat für wichtig genug, um das Wesentlichste des darauf Bezüglichen mit dem
Schlusse des Jahres 1862 in einem Artikel über leichtexplodirende Zündungen
zusammenzustellen, welcher im Januar 1863 in die Allgemeine Militär-Zeitung
aufgenommen und später auch im polytechn. Journal Bd. CLXXII S. 274 mitgetheilt
wurde.
Spätere über diesen Gegenstand gemachte Erfahrungen und angestellte Untersuchungen dienten dann bis hierher immer nur zur noch stärkeren Bestätigung des bereits oben Gesagten. –
So haben z.B. nachträglich aufgefundene Zündspiegel, welche liegen gelassenen
Versuchen vom Anfange der Fünfziger Jahre angehörten, nachgewiesen, daß muriatische
Sätze unter entsprechenden Umständen und namentlich in Papier-anstatt in Metallhülsen eingeschlossen, bei angemessenen Lagerungsverhältnissen
auch nach Verlauf von zehn bis zwölf Jahren noch vollständig brauchbar seyn können. Ferner haben später
angestellte chemische Analysen nachgewiesen, daß der
Zündsatz von, im chemischen Laboratorium der hiesigen höheren Gewerbeschule
aufgefundenen und noch brauchbaren Zündspiegeln
unbekannten Ursprungs, nur aus chlorsaurem Kali und
Schwefelantimon, im Verhältnisse der Einheit zusammengemischt, bestand und
daß weiter auch die Zündspiegel von anerkannt guter Munition
lediglich denselben Satz ohne die geringste Beimischung enthielten, ein Zusatz
von vegetabilischer Kohle, welcher ihrer Satzmischung früher beigegeben
worden seyn soll, also später, als mindestens unnütz, wieder weggelassen worden ist. – Weiter hat sich
das genannte explosive Präparat in den bis hierher verflossenen Jahren auch noch in
den Zündvorrichtungen der Munition für gezogenes Geschütz
so ausgezeichnet gut bewährt, daß dieser Zündsatz
– oder etwas dem Aehnliches – zu genanntem Zwecke nun auch wohl in
anderen Artillerien bereits Eingang gefunden haben oder doch noch Eingang finden
wird, wodurch der bei der Anfertigung und dem Gebrauch so sehr
gefährliche Knallquecksilbersatz also immer mehr wegfallen und ebenso auch der amorphe Phosphor,
welchem nach dem neuesten Patente über Boxer's
Zünderverbesserungen zu urtheilen, englische Militär-Techniker jetzt zu huldigen
scheinen, aus diesem Gebiete der Pyrotechnik wieder
verschwinden dürfte. – Endlich haben sorgfältige Nachforschungen und
wissenschaftliche Erwägungen auch noch zu dem Resultate
geführt, daß die Annahme, muriatische Sätze griffen die Waffen
mehr an, als andere Percussions- etc. Zündungs-Präparate, unhaltbar geworden, aus den
betreffenden Lehrbüchern also zu verbannen ist; eine Thatsache, welche besonders für in oceanischen
Klimaten stehende Truppentheile wichtig werden kann, weil in diesen warmfeuchten Gegenden, nach einer authentischen Mittheilung, die Knallquecksilbersätze ganz besonders leicht dem
Verderben unterworfen sind.
Zum Schlusse mag hinsichtlich der quantitativen Zusammensetzung des oben bezeichneten
binären muriatischen Satzes noch erwähnt werden, daß dieselbe nach der Formel:
3 KO, ClO⁵ + 2 SbS³ = 3 KCl + 2 SbO³ + 6
SO²
genau genommen eigentlich auf 367,5 Gewichtstheile chlorsaures
Kali und 336,6 Gewichtstheile Schwefelantimon normirt werden muß, woraus sich dann
die der Praxis besser entsprechenden angenäherten
Gewichtsverhältnisse von 1 : 1 und beziehungsweise von 5 : 4 ergeben, zwischen welchen letzteren man dann immer seine Wahl zu treffen hat, je nachdem der Satz mehr oder weniger voluminös zur Anwendung kommen darf. Im letzteren Falle würde man nämlich immer auch das Mischungsverhältniß 5 : 4 zu wählen haben, weil dasselbe den Sauerstoff-Lieferanten im Ueberschusse gibt und, im Falle
von Zwischenverbindungen, welche sich der Rechnung entziehen, dem Satze also eine
größere Schlagfertigkeit sichert.