Titel: | Untersuchungen über die Mineralwässer besonders über die Ursachen ihrer heilenden Eigenschaften; von Scoutetten. |
Fundstelle: | Band 175, Jahrgang 1865, Nr. LXVIII., S. 280 |
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LXVIII.
Untersuchungen über die Mineralwässer besonders
über die Ursachen ihrer heilenden Eigenschaften; von Scoutetten.
Aus den Comptes
rendus, 1864, t. LIX p. 550.
Scoutetten, Untersuchungen über die Mineralwässer.
Die Mineralwässer erfreuen sich heutzutage der allgemeinen Gunst; die vorhandenen
warmen Mineralbäder genügen dem Bedürfnisse nicht mehr, überall werden neue Quellen
aufgesucht. Wer diese allgemeine Bewegung beobachtet, sollte glauben, daß die Wahl der
Oertlichkeiten wie die Anwendungsmethoden, namentlich aber die Nachweisung der
wahren Ursache der heilkräftigen Wirkung der Mineralquellen, von der Wissenschaft
festgestellt sind. Dieß ist aber, der Erklärung der tüchtigsten Aerzte zufolge,
keineswegs der Fall; dieselben gestehen offen zu, daß sie nur Eins wissen, nämlich
daß die Heilbäder sich in vielen Fällen bewähren und helfend erweisen, wie und
weßhalb aber wissen sie nicht.
Aerzte wie Chemiker haben zahllose Untersuchungen angestellt, um dieses
Naturgeheimniß zu ergründen, und doch ist ihnen dieß nicht gelungen obschon die
ganze Lehre von den Mineralwässern auf die chemische Analyse gegründet ist. Alle
Kräfte werden angestrengt, Tausendtel von wirksamen Stoffen aufzufinden, und man ist
zufrieden wenn die Gegenwart eines Milligramms Jod, Brom oder Arsen in einem Liter
des Wassers dargethan worden; denn der Gegenwart so geringer Quantitäten dieser
Substanzen werden die wohlthätigen Wirkungen zugeschrieben, wenngleich der
gewöhnliche Arzt dasselbe Arzneimittel in gleicher, ja sogar in zwanzigfach
stärkerer Dosis gibt, ohne die gewünschten Resultate zu erhalten. Ueberdieß finden
sich die meisten der in den Mineralwässern nachgewiesenen Stoffe überall; das
Seinewasser enthält dieselben Mineralbestandtheile, und zwar in größerer Menge als
das Wasser mancher, bezüglich ihrer heilenden Wirkungen in hohem Rufe stehenden
Quellen.
Das Wort Mineralwasser scheint andeuten zu sollen, daß die
Flüssigkeit einen beträchtlichen Gehalt an nicht flüchtigen mineralischen
Bestandtheilen hat: in der Wirklichkeit ist dem aber nicht so. So gilt z.B. das
Wasser von Evian, welches 20 Centigramme Salze im Liter enthält, als Mineralwasser;
das 42 Grm. verschiedener Salze im Liter enthaltende Seewasser wird hingegen nicht
als Mineralwasser betrachtet.
Bei der Vergleichung mehrerer Mineralwässer miteinander stößt man auf Anomalien
eigenthümlicher Art: die Quellen von Plombières, von Aix, vom Mont Dore
enthalten 30–35 Centigrm. feste Bestandtheile im Liter; das Wasser von
Bourbonne dagegen 9 Grm., das von Uriage sogar 15 Grm. Der chemischen Theorie
zufolge müßten diese letzteren eine dreißig-, ja fünfzigmal größere Wirksamkeit
haben, als die ersteren, und doch wird diese Voraussetzung durch die Erfahrung
keineswegs bestätigt.
Demnach muß, außer den Mineralbestandtheilen, etwas auf den Organismus wirken, und
die durch den Gebrauch der Mineralwässer veranlaßten, oft so glücklichen Wirkungen
erzeugen. Ja, dieses Etwas, diese Ursache existirt, und wir wollen sie sofort näher
kennzeichnen: sie ist es, welche allen Mineralwässern das Vermögen ertheilt, auf
geschwächte Konstitutionen zu wirken, sie neu zu kräftigen und zu beleben, und Krankheiten zu
heilen, gegen welche die gewöhnlichen Mittel erfolglos bleiben.
Die wohlthätigen Eigenschaften der Mineralwässer liegen klar vor Augen; indessen gibt
die Chemie keine Erklärung ihrer Wirkung.
Indem ich, in Uebereinstimmung mit allen Aerzten, von der Erfahrung ausgieng, daß
alle Mineralwässer ohne Ausnahme erregend sind, daß dieß ihre erste Wirkung ist, und
daß diese häufig so stark ist, daß Fieber entsteht, stellte ich mir die Frage, ob
bei Erzeugung der beim Gebrauche der Mineralbäder beobachteten Wirkungen nicht die
Elektricität eine Rolle spiele. Dieser Gedanke ist schon öfters ausgesprochen
worden; das Wort Elektricität ist aber sehr unbestimmt:
welche Elektricität soll gemeint seyn? Die Theorie erklärt die Thatsache für
unmöglich; denn das Wasser kann, da es unaufhörlich mit Körpern in Berührung ist,
welche gute Leiter der Elektricität sind, keine freie Elektricität behalten.
Ungeachtet dieser Ueberzeugung stellte ich zahlreiche Versuche mit einem
Goldblatt-Elektroskop an; ich stellte das Instrument über das aus der Quelle
hervorströmende Wasser, sowie in das Wasser selbst; es zeigte sich niemals auch nur
die geringste Spur von freier Elektricität. Damit wäre denn bestimmt nachgewiesen,
daß die Mineralwässer keine freie Elektricität enthalten.
Nach diesen erfolglosen Versuchen entschloß ich mich, die von Becquerel d. Aelt. in seiner interessanten Abhandlung: „Ueber die durch den Contact des süßen Wassers mit dem
dasselbe umgebenden Erdreiche hervorgebrachten elektrischen
Wirkungen“ befolgte Methode bei meinen Untersuchungen
anzuwenden. Dieser Physiker sagt im Eingange seiner Abhandlung: „Man kann
als Princip aufstellen, daß beim Contact der Erde mit einer Wasserfläche oder
einem Wasserlaufe Elektricität erzeugt wird.“ Ich habe sämmtliche von
ihm angegebenen Versuche wiederholt, und dabei bestätigt gefunden, daß das Wasser
unter diesen Umständen, wenn es lufthaltig ist, einen beträchtlichen Ueberschuß von
positiver Elektricität annimmt, und die Erde negativ
ist.
Bei Anwendung eines gleichen Verfahrens auf die Mineralwässer fand ich, daß dieselben
ohne Ausnahme beim Contacte mit dem benachbarten Erdreiche negativ sind.
Dem Seewasser widmete ich eine besondere Aufmerksamkeit; ich begab mich an die Küste
des Oceans und überzeugte mich durch das Experiment, daß das Meerwasser gleich dem
Wasser der Flüsse und Seen positiv ist.
Zu diesen Versuchen wendete ich ein Nobili'sches
Galvanometer an, dessen
Drähte zehntausend Windungen nm die Spulen machen. Bekanntlich gründet sich dieser
Apparat auf das von Oerstedt im Jahr 1820 entdeckte
Gesetz, den Einfluß der elektrischen Ströme auf die Abweichungen der Magnetnadel
betreffend. Anstatt das Mineralwasser auf die Erde reagiren zu lassen, kann man
dasselbe mit Hülfe eines porösen Gefäßes mit einem Wasser anderer Beschaffenheit in
Contact bringen; in diesem Falle bilden beide mit einander in Berührung stehende
Flüssigkeiten eine wirkliche Batterie, und wenn man den Strom mittelst
Platinelektroden durch das Galvanometer passiren läßt, so weicht die Magnetnadel
augenblicklich ab und zeigt an, daß das Mineralwasser negativ, das lufthaltige
Wasser positiv ist. Mittelst dieser wichtigen Thatsache läßt sich, wenn zweierlei
Wässer mit einander in Berührung sind, sogleich unterscheiden, welches derselben am
meisten Sauerstoff enthält; denn die wirklichen Mineralwässer enthalten, an der
Quelle geschöpft, keinen oder beinahe keinen Sauerstoff, und mit Quell- oder
Flußwasser in Contact gebracht, sind sie negativ.
Weiter untersuchte ich die beim Contacte des Wassers mit dem menschlichen Körper
hervorgebrachten elektrischen Wirkungen. Meine Versuche waren sehr mannichfaltig und
es gelang mir nachzuweisen, daß jedes Wasser einen Strom veranlaßt, welcher
beständig von der Flüssigkeit ausgeht und den menschlichen Körper durchläuft. Alles
Wasser, Mineralwasser und gewöhnliches, ist in Bezug auf den hineingetauchten Körper
negativ, die Intensität des Stroms schwankt aber bedeutend nach der Natur des
Wassers; Flußwasser gibt nur einen schwachen Strom: die Mineralwässer hingegen
wirken sehr energisch, denn die Nadel des Galvanometers weicht oft um 70°,
80°, ja selbst um 90° ab. Am kräftigsten unter allen wirken die
Schwefelwässer.
Die Mineralwässer, welche im Schooße der Erde beständig den sie unaufhörlich
durchlaufenden elektromagnetischen Strömen und den durch die chemischen Wirkungen
hervorgerufenen elektrischen Wirkungen unterworfen sind, erleiden endlich eine
allotropische Modification, in Folge deren sie die exceptionelle Wirksamkeit
erhalten, welche die Erfahrung bestätigt.
Dieser allotropische Zustand, während dessen manche Körper unter dem Einfluß der
Elektricität oder der Wärme ohne gleichzeitige Veränderung ihrer chemischen
Zusammensetzung, neue Eigenschaften erlangen, ist allgemein bekannt; schlagende
Beispiele desselben liefern der Stahl, welcher magnetisch wird, der Sauerstoff,
welcher in den Zustand von Ozon übergeht, der Schwefel, welcher amorph ist. In diese
Kategorie müssen auch die Mineralwässer gereiht werden, denn diesem allotropischen
Zustande verdanken sie
ihre activen Eigenschaften. Dieser allotropische Zustand dauert indessen nicht
lange; die Erfahrung lehrt, daß er wenige Augenblicke nachdem das Wasser der Quelle
entströmt ist, schwächer wird und nach Verlauf von höchstens drei Tagen
verschwindet.
Obgleich die mineralischen Bestandtheile der Wasser nur eine untergeordnete Rolle
spielen, so üben sie doch eine offenbare Wirkung aus, wenn ihre Menge bedeutend
genug ist, um den Organismus zu modificiren, wie z.B. das Eisen tonisirt und der zu
starke Gebrauch der Natronsalze durch Auflösen der rothen Blutkügelchen Bleichsucht
und Blutmangel veranlassen kann.
Wir wollen das Gesagte nun kurz zusammenfassen:
1) Alle Mineralwässer veranlassen Erscheinungen von Erregung in Folge der durch ihren
Contact mit dem menschlichen Körper entwickelten Elektricität.
2) Sie haben eine, nach der Natur ihrer mineralischen Bestandtheile, verschiedene
heilkräftige Wirkung.
3) Sie veranlassen eine topische Wirkung, indem sie verschiedene Hautausschläge
hervorrufen.