Titel: | Ueber die von Tourdot projectirte Locomotive mit großer Geschwindigkeit; Bericht von Baude. |
Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. LX., S. 243 |
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LX.
Ueber die von Tourdot
projectirte Locomotive mit großer Geschwindigkeit; Bericht von Baude.
Aus dem Bulletin de la
Société d'Encouragement, März 1864, S. 145.
Mit Abbildungen auf Tab.
IV.
Baude, über Tourdot's Locomotive mit großer
Geschwindigkeit.
Jede Eisenbahn, auf welcher Schnellzüge und Extrazüge vorkommen, hat ein besonderes
Modell von Locomotiven, welche zu dieser Kategorie des Dienstes construirt sind.
Schon beim ersten Anblicke unterscheiden sich dieselben durch ihre großen
Treibräder, deren Zweck ist, die Schnelligkeit des Kolbenspieles nicht allzu sehr zu
beschleunigen; das Wesentlichste an diesen Maschinen, welche 60 Kilometer und mehr
in der Stunde durchlaufen, ist indessen eine große Stabilität.
In dieser Gruppe von Maschinen mit großer Schnelligkeit gibt man in Frankreich dem
Systeme von Crampton den Vorzug, denn die nach diesem
Ingenieur benannten Maschinen finden wir bei den meisten der französischen
Eisenbahn-Gesellschaften in Anwendung.
Wir beabsichtigen keineswegs, hier die Crampton'sche
Maschine zu beschreiben: wir wollen nur daran erinnern, daß ihre großen Treibräder,
deren Durchmesser zwischen 2,10 und 2,30 Meter variirt, hinten liegen, während die
Achse der Vorderräder 4,50 Meter von der Achse der Treibräder entfernt ist, wodurch
die Maschine auf dem Schienenweg eine feste Basis erhält. Diese beiden Achsen haben
übrigens fast ganz gleiche Belastung; die Mittelachse hat nur die halbe Last zu
tragen. Der Schwerpunkt der Maschine liegt nicht hoch.
Die Crampton'schen Maschinen können nicht mehr als 8 bis
10 Waggons ziehen; diese Zahl darf nicht überschritten werden, wenn man eines
regelmäßigen Dienstes sicher seyn will. So müssen z.B. die Maschinen, welche von
Paris nach Straßburg mit einer effectiven Geschwindigkeit von 50 Kilomet. per Stunde gehen sollen, eine Geschwindigkeit von 60 bis
80 Kilomet. per Stunde erhalten. Dieß sind beiläufig die
Geschwindigkeiten der anderen Bahnen und wenn die Schnelligkeit noch größer wird, so
hängt dieß vom Profile der durchlaufenen Bahn ab.
Man hat übrigens bemerkt, daß man von der Expansion des Dampfes einen ausgedehnten
Gebrauch machen muß; denn wenn der Maschinist mit seinem Dampfe nicht möglichst
sparsam umgeht, so läßt der Druck im Kessel sehr bald nach.
Bei den Crampton'schen Maschinen, die auf den
französischen Ostbahnen in Dienst stehen, ist die Last in folgender Weise
vertheilt:
Bei leerer Maschine.
Bei belasteter Maschine.
Kilogr.
Kilogr.
Hinterräder, Durchmesser 2,30 Meter
9250
10000
Mittelräder, Durchmesser 1,20 Meter
4620
7000
Vorderräder, Durchmesser 1,35 Meter
10040
10180
––––––––––––––
––––––––––––––
Gesammtgewicht
23910
27180
Es liegt uns eine Mittheilung von Tourdot, früherem
Dirigenten des Pariser Depots für die Lyoner Eisenbahnen, jetzigem
Betriebs-Inspector, über diesen Gegenstand vor. Dieser Techniker sucht,
veranlaßt durch die großen Vorzüge der Crampton'schen
Maschine für Züge von großer Geschwindigkeit, welche indessen nur eine sehr geringe
Belastung gestatten, diesem letzteren Uebelstande durch neue Einrichtungen
abzuhelfen.
Tourdot suchte zunächst die Adhärenz zu verdoppeln, indem
er die Vorderräder durch zwei große Treibräder ersetzt, die ihre Bewegung durch die
Verlängerung der Stangen der Cylinderkolben erhalten. Die Kuppelstangen wirken dann
symmetrisch auf jedes Rad, da sie mit dem Ende jeder Kolbenstange verbunden sind.
Neben einer solchen verdoppelten Adhärenz, bei welcher sich die Züge auf 16 bis 20
Waggons vergrößern lassen würden, müßte aber zur Erreichung dieses Zweckes auch die
Heizfläche vergrößert oder die Dampferzeugung vermehrt werden. In Folge der Lage des
Heizraumes zwischen den großen Rädern läßt sich dessen Breite nicht vermehren; doch
ist es bei der sonstigen Einrichtung der Crampton'schen
Maschinen möglich, ihm eine größere Länge zu geben, indem man die Entfernung der
beiden Endachsen von einander etwas größer macht. Ferner vergrößert Tourdot die Anzahl der Siederöhren, indem er denselben einen etwas
geringeren Durchmesser gibt, z.B. von 45 Millim. anstatt 50 Millim. Durch diese
beiden Mittel hofft er dahin zu gelangen, die Heizfläche des Feuerkastens um 1/3 und
die Heizfläche der Siederöhren um 1/4 zu vergrößern, was nach seiner Ansicht zum
Fortbewegen schwer belasteter Züge mit großer Geschwindigkeit, ohne die wesentlichen
Einrichtungen der Crampton'schen Maschinen zu
modificiren, genügen wird.
Um Tourdot's Idee verständlicher zu machen, geben wir in
Fig. 22
und 23 die
Skizze einer Crampton'schen Maschine und ihre Umwandlung
in eine Maschine mit vier gekuppelten Rädern (Fig. 24 und 25).
Der Herd der Crampton'schen Maschine, welcher 1,40 Meter
Länge hat, würde um 0,60 Meter verlängert werden behufs der Erzeugung der
erforderlichen Dampfmenge, und die Vorderachse müßte dem Cylinder möglichst nahe zu
liegen kommen, so daß die Entfernung der Endachsen möglichst wenig vermehrt würde.
Diese Entfernung würde dann = 4,98 Meter werden, anstatt, wie bei der Crampton'schen Maschine, 4,50 Meter zu betragen.
Dem Dampfkessel würde sich ein größerer Durchmesser als der gegenwärtige von 1,30
Met. nicht geben lassen, da derselbe, wie schon bemerkt worden, zwischen den großen
Rädern liegt, deren Entfernung im Lichten 1,355 Meter beträgt.
Da der cylindrische Körper des Kessels über der Vorderachse hervorstehen muß, so ist
es nöthig, damit zwischen dem oberen Theil der Achse und dem unteren Theil des
Kessels ein Spielraum von 10 Centimetern bleibt, daß die Achse des letzteren 2 Met.
über den Schienen liegt, anstatt 1,605 Meter, wie bei der Crampton'schen Maschine.
Dieser Punkt ist es, welcher uns befürchten läßt, daß die Stabilität der letzteren
Maschine bei den großen Geschwindigkeiten etwas beeinträchtigt werden wird, selbst
wenn der Durchmesser der Treibräder auf 2,10 Meter reducirt würde. Die Röhren von
Crampton's Locomotiven haben 3,50 Met. Länge; man
könnte sie auf 4,50 Met. vergrößern. Da der untere Theil vom Rahmen des Feuerherdes
0,40 Met. über den Schienen liegt, so wird die Heizfläche des Feuerkastens
=
9,87
Quadr.-Met.
anstatt
6,65
Quadr.-Met.
u. die Heizfläche d. Röhren
=
121,50
„
„
88,92
„
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
die Gesammt-Heizfläche also
131,37
Quadr.-Met.
anstatt
95,57
Quadr.-Met.
Die Kuppelstangen der Crampton'schen Maschine haben 2,07
Met Länge. Bei Tourdot's Locomotive kann man die
Kuppelstangen auf 1,60
Met. Länge, also auf etwa die sechsfache Länge der Kurbel, reduciren.
Es ist ersichtlich, daß die Kuppelstangen der Vorderräder, welche mit denen der
Hinterräder parallel seyn müssen, sich nicht in derselben Verticalebene befinden
können, weil die verlängerte Kolbenstange, auf welche jede zurückkehrt, sich schon
darin befindet. Es liegt darin für die Verkuppelung eine Schwierigkeit, welche in
der Praxis nicht ohne Nachtheil bleiben dürfte.
Die mit dem Tourdot'schen Systeme nothwendigerweise
verbundene Gewichtsvermehrung wird das auf jeder Treibachse ruhende Gewicht von 11
Tonnen nicht überschreiten dürfen.
Die von Tourdot angewendete neue Methode der Verkuppelung
scheint uns sehr sinnreich zu seyn und wir glaubten, daß eine Beschreibung derselben
von Interesse seyn würde; da aber die als Ergebniß einer gründlicheren Untersuchung
wahrscheinlich erfolgenden Abänderungen nicht unbedeutende Modificationen in den
Haupteinrichtungen der Crampton'schen Maschinen nach sich
ziehen werden, so können wir die Bemerkung nicht unterdrücken, daß es, wenigstens
unserer Ansicht nach, bei dem Streben nach Vervollkommnung der zu Eilzügen
bestimmten Locomotiven keineswegs der geeignete Weg zu seyn scheint, die Adhärenz
der letzteren an den Schienen zu verdoppeln, um Züge von 10 und 20 Waggons befördern
zu können.
Damit Eilzüge mit einer effectiven Geschwindigkeit von 50 bis 55 Kilometern per Stunde fahren können, müssen sie in vollem Gange
eine Schnelligkeit annehmen, welche 70 bis 80 Kilometer und noch mehr erreicht. Nun
zeigt es, unserer Ueberzeugung nach, nicht von besonderer Umsicht, für gewöhnlich,
selbst bei weit geringeren Geschwindigkeiten, Eilzüge stark zu belasten. Die
schlinkernde Bewegung wird bei derartigen Geschwindigkeiten sehr stark, um so
stärker, je länger der Zug ist und die Gefahr des Ausgleisens wird bedeutend
größer.
Entsteht ein plötzlicher Stoß oder Anhalt, so ist die wahrscheinliche Größe der
Gefahr proportional der Masse multiplicirt mit dem Quadrate der Geschwindigkeit; das
Resultat der Multiplication dieser Factoren gibt aber mit schweren Massen und
übermäßigen Geschwindigkeiten wahrhaft erschreckende Zahlen.
Wir halten es für einen glücklichen Umstand, daß die Kuppelung der Räder in Folge der
beim Spiele der Kuppelstangen stattfindenden Reibungswiderstände große
Geschwindigkeiten nicht zuläßt, denn diese letzteren wären für den Transport großer
Massen nicht geeignet. Ist der Zudrang von Passagieren sehr groß, so ist es stets
vorzuziehen, die Züge zu
vermehren, anstatt die Reisenden in einem einzigen Train anzuhäufen.
Bekanntlich hat die Verwaltung der Nordbahn zum Personentransporte acht Locomotiven
mit vier Cylindern erbauen lassen, von denen zwei vorn und zwei am hinteren Theile
der Maschine liegen und vier Treibräder, je zwei von einander unabhängig, in
Bewegung setzen; zwischen beiden Paaren von Treibrädern liegen drei Paar
Tragräder.S. dieses Journal Bd. CLXXII S. 174. Diese für den Personentransport bestimmten Locomotiven haben zu Schnellzügen
und Extratrains bis jetzt nicht verwendet werden können; bei allen ihren Vorzügen
würde eine derartige Anwendung doch eine falsche Bestimmung für sie seyn. Ihre
Thätigkeit muß auf Omnibustrains oder auf directe Züge, nämlich solche von mittlerer
Geschwindigkeit, beschränkt bleiben.
Erklärung der Abbildungen.
Die Skizze Fig.
20 ist der Längenaufriß einer der von der Gesellschaft der französischen
Nordbahn construirten Locomotiven mit vier Cylindern.
Fig. 21 ist
der theilweise Querdurchschnitt dieser Maschine.
Heizfläche des Herdes
10,06
Quadr.-Met.
Heizfläche der Siederöhren
144,76
„
Heizfläche des Ueberhitzungsapparats
12,00
„
––––––––––––––––––––
gesammte Heizfläche
166,82
Quadr.-Met.
Cylinderdurchmesser
0,360
Meter.
Kolbenlauf
0,340
„
Gewicht der leeren Maschine
34300
Kilogr.
Gewicht der beladenen Maschine
43300
„
Die Skizze Fig.
22 ist der Längenaufriß einer gewöhnlichen Locomotive nach Crampton's System (Ostbahn);
Fig. 23 ist
die theilweise Endansicht derselben.
Die Skizze Fig.
24 ist der Längenaufriß der Tourdot'schen
Locomotive (nach dem modificirten Crampton'schen
Systeme);
Fig. 25 ist
die theilweise Endansicht derselben.