Titel: | Ueber neue Locomotiven der französischen Nordbahn für starker Steigungen; von Combes. |
Fundstelle: | Band 172, Jahrgang 1864, Nr. XLIII., S. 173 |
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XLIII.
Ueber neue Locomotiven der französischen Nordbahn
für starker Steigungen; von Combes.
Aus den Comptes rendus, t. LVIII p.
261.
Combes, über neue Locomotiven der französischen Nordbahn für starke
Steigungen.
Hr. Séguier hat in einer der letzten Sitzungen der
(französischen) Akademie der Wissenschaften über die Versuche gesprochen, welche in
England gemacht worden sind, um Wagenzüge auf Eisenbahnen mit starken Steigungen
mittelst Locomotiven fortzuziehen, die nach einem neuen System gebaut sind, welches
er mit Recht als seine Erfindung in Anspruch nimmt. Anstatt die zum Fortziehen des
Zuges nöthige Adhärenz, wie es bei dem gegenwärtig gebräuchlichen Systeme der Fall
ist, durch die Reibung der Treibräder zu erhalten, auf welche der Druck der Kolben
übertragen wird und die man eben deßhalb so nennt, soll bei den neuen Locomotiven
die Adhärenz durch ein Paar horizontaler Räder erzeugt werden, welche auf eine
dritte zwischen ihnen in der Mitte des Geleises befindliche Schiene (eine sogen.
Reibungsschiene) drücken, die gewissermaßen wie eine Eisenbarre zwischen den Walzen
eines Walzwerkes hindurchgeht, nur mit dem Unterschiede, daß hier die Barre
befestigt ist, das Walzwerk dagegen die fortschreitende Bewegung macht. Der Druck
der Räder gegen die Mittelschiene wird durch eine Art Zange, ähnlich derjenigen
einer Ziehbank, hervorgebracht, deren beide Schenkel durch die auf den Wagenzug
auszuübende Zugkraft selbst und der Größe dieser entsprechend oft einander in der
Weise genähert werden, daß der Druck auf die Schiene und folglich die dadurch
entstehende Reibung, welche die Adhärenz erzeugt, immer gerade groß genug ist, um
das Gleiten der Räder zu verhindern und die Fortbewegung des Zuges zu sichern.
Dieses System ist in Bezug auf die zu Grund liegende Idee gewiß ebenso einnehmend wie
geistreich; der Einführung desselben in die Praxis dürften sich aber unzweifelhaft,
wie fast allen neuen Vorschlägen im Maschinenbau, sehr große Schwierigkeiten
entgegenstellen. Letztere anzugeben und zu erörtern, ist hier nicht der Ort; ich
wünsche aber sehr, daß es dem Erfinder gelingen möge, dieselben glücklich zu
beseitigen.
Die wichtige Aufgabe, Locomotiven zu construiren, welche im Stande sind, Wagenzüge
auf Eisenbahnen mit starken Steigungen und Curven mit kleinen Radien fortzuziehen,
ist mehrerer Lösungen fähig. Dieselbe beschäftigt schon seit langer Zeit die
Ingenieure, welche sie zu lösen suchen, ohne das Princip aufzugeben, nach welchem die
jetzt gebräuchlichen Locomotiven gebaut sind. Der Betrieb der Bahn über den
Sömmering und der von Genua über die Apenninen nach Turin und andere Beispiele, die
ich anführen könnte, beweisen, daß die Bestrebungen der Ingenieure nicht ohne Erfolg
gewesen sind.
Die französische Nordbahn-Gesellschaft hat denselben Weg eingeschlagen und auf
den Vorschlag ihres rühmlichst bekannten Betriebsdirectors H. Petiet zehn neue Locomotiven von sehr großer Kraft bauen lassen, deren
ganzes Gewicht zur Adhärenz benutzt wird und welche nicht nur Curven mit einem
Radius von 80 Metern durchfahren können, sondern auch geeignet sind, sowohl schwere
Güterzüge auf horizontalen oder nur wenig ansteigenden Bahnstrecken, als auch
weniger schwere Züge auf starken Steigungen fortzuziehen.
Ich habe am 21. Januar l. J. mit mehreren anderen Ingenieuren einer Probefahrt einer
dieser Maschinen auf der Eisenbahn von Chauny nach Saint-Gobain beigewohnt,
deren Resultate befriedigend ausgefallen sind.
Diese Locomotiven haben vier Cylinder und sechs Achsen, die in zwei für sich
bestehende Gruppen von je drei zusammengekuppelten Achsen getheilt sind; jede Gruppe
wird durch die Kolben eines Cylinderpaares in Bewegung gesetzt. Die Räder haben
einen kleinen Durchmesser (1,065 Meter) und die Feuerbüchse ist so breit, daß sie
über dieselben hervorsteht, wodurch man in den Stand gesetzt wurde, dem Roste die
ungewöhnliche Größe von 3,33 Quadratmetern zu geben. Die gesammte Heizfläche beträgt
221 Quadratmeter und übertrifft daher an Größe die der stärksten bis jetzt gebauten
Maschinen. Bei der Abfahrt nimmt die Maschine einen Wasservorrath von 8000 Kilogr.
und einen Brennstoffvorrath von 2200 Kilogr. ein. Ihr Totalgewicht beträgt in diesem
Zustande 60000 Kilogr. und dasselbe ist fast gleichmäßig auf die sechs Achsen mit
den zwölf Rädern vertheilt, von welchen letzteren also jedes die Schienen mit
ungefähr 5000 Kilogr. belastet. Der Radstand beträgt sechs Meter. Um den Durchgang
dieser Maschine durch Curven mit kleinen Radien zu erleichtern, hat Hr. Beugniot in der Maschinenfabrik der HHrn. André Köchlin u. Comp.
zu Mülhausen dem Maschinengestell folgende Einrichtung gegeben. Die Spurkränze an
den Rädern der beiden mittleren Treibachsen erhalten eine etwas geringere Dicke. Der
Spielraum in den Achszapfenlagern der vier anderen Achsen ist in der Längenrichtung
der letzteren auf 46 Millimeter vergrößert und die beiden äußeren Achsen jeder
Gruppe werden unter einander durch einen horizontalen Balancier verbunden, der sich
um einen senkrecht auf die mittlere Achse angebrachten Bolzen dreht und die eine
dieser Achsen zwingt, sich in ihrer Längenrichtung um so viel von der Linken zur Rechten zu verschieben,
als sich die andere zugehörige von der Rechten nach der Linken bewegt, und
umgekehrt. Auf diese Weise wird eine angemessene Stellung der Räder auf den Schienen
in den Curven erleichtert, ohne daß die Achsen aufhören unter sich parallel zu
seyn.
Auf der Eisenbahn von Chauny nach Saint-Gobain mit einer Länge von 14500
Metern sind gleich nach der Abfahrt von Chauny Gefälle und Steigungen von 13
Millimetern mit Curven von 275 Meter Radius zu passiren. Ebenso endigt die Bahn nach
Saint-Gobain zu mit einer Steigung von 18 Millimetern und mit Curven von 220
Meter Radius. Das Bahnhofsgeleise zu Saint-Gobain selbst liegt in zwei Curven
entgegengesetzter Richtung von 125 Meter Radius bei einer Länge von 200 Meter. Das
Geleise ist über den Bahnhof hinaus bis zur Glashütte verlängert, wo es einen
vollständigen Halbkreis mit 80 Meter Radius bildet und eine Steigung von 25
Millimetern hat.
Die beschriebene Locomotive hat acht Tage hindurch den ganzen Dienst auf der Bahn von
Chauny nach Saint-Gobain gethan und konnte sich durch die Curve mit 80 Meter
Radius bewegen, ohne daß ihr dieß schwerer geworden wäre als den Locomotiven mit
vier gekuppelten Achsen, welche vorher zum Befahren dieser Strecke benutzt worden
waren.
Wir lassen nun im Nachstehenden einige Angaben über das Resultat der Probefahrt am
21. Januar d. J. folgen.
Der Wagenzug bestand aus einundzwanzig Fahrzeugen, und zwar aus Packwagen,
Kohlenwagen und Personenwagen mit einem Gesammtgewichte von 267000 Kilogr. Die Zeit,
um welche der Zug auf der Steigung von 18 Millimeter an jedem einzelnen der 100
Meter von einander abstehenden Bahnpfähle vorbeifuhr, wurde aufnotirt. Die ersten
1200 Meter wurden mit einer mittleren, fast regelmäßigen Geschwindigkeit von 20
Kilometer per Stunde durchfahren. In der Nähe des
zwölften Entfernungszeigers begannen die Räder der Locomotive auf den Schienen zu
gleiten, die äußerste Grenze der Adhärenz war erreicht. Dessenungeachtet trat aber
doch kein vollständiger Stillstand ein, sondern der Zug bewegte sich nur auf einer
Strecke von 800 Metern mit einer mittleren Geschwindigkeit von 8,3 Kilometern per Stunde weiter; die geringste vorgekommene
Geschwindigkeit war 1,43 Meter per Secunde oder 5,15
Kilometer per Stunde. Der Zug hat nachher wieder die
Geschwindigkeit von 20 Kilometern per Stunde angenommen
und die letzten 1100 Meter bis zum Bahnhof, welche kleine Curven enthalten, mit
einer Geschwindigkeit von 17 Kilometern per Stunde
zurückgelegt. Nach der Ankunft auf dem Bahnhofe zu Saint-Gobain stellte sich
die Locomotive hinter
einen kleinen Wagenzug und schob denselben durch die Curve von 80 Meter Radius mit
einer Steigung von 25 Millimeter in die Glashütte. Am Ende dieser Curve zog man die
Bremsen an, ließ die zwölf Räder gleiten und die Maschine sich mehrmals vorwärts und
rückwärts bewegen, ohne daß irgend ein Theil derselben eine Beschädigung erlitt und
ohne daß sie sehr erschöpft gewesen wäre.
Diese Probefahrt hat bewiesen, daß die neuen Locomotiven der Nordbahn mit vier
Cylindern und sechs Achsen, und mit den Balanciers nach dem System von Beugniot, sich durch Curven von sehr kleinen Radien
bewegen können; daß die geringste Adhärenz, nämlich bei einem ungünstigen Zustande
der Schienen (wie ein solcher am Tage der Probefahrt vorhanden war), ungefähr 13/100
von dem Totalgewichte der Maschine beträgt, womit eine Last von ungefähr 7300
Kilogr. fortgeschafft werden kann; daß endlich die Maschine, welche einen 267 Tonnen
(Brutto) schweren Zug über eine Steigung von 18 Millim. gezogen hat, einen Wagenzug
mit einem Bruttogewichte von ungefähr 100 Tonnen – ungerechnet ihr eigenes
Gewicht – mit einer Geschwindigkeit von 17 bis 20 Kilometern per Stunde über eine Steigung von 40 Millimetern mit
Curven von 250 Meter Radius fortziehen kann.