Titel: | Ueber ein neues Saccharimeter; von H. Wild. |
Fundstelle: | Band 171, Jahrgang 1864, Nr. LXXVI., S. 296 |
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LXXVI.
Ueber ein neues Saccharimeter; von H. Wild.
Vorgetragen in der schweizerischen
naturforschenden Gesellschaft am 9. Januar 1864. – Aus den Berner Mittheilungen, Nr.
556.
Wild, über ein neues Saccharimeter.
Die große Genauigkeit, welche das Savart'sche Polariskop
in der Modification, wie ich es bei meinem PhotometerBeschrieben in Poggendorff's Annalen Bd. CXVIII S.
210. verwendet habe, auch bei der Bestimmung der Polarisationsebene des
einfallenden Lichtes gewährt, hat mich schon vor längerer Zeit auf den Gedanken
gebracht, dasselbe zur Construction eines vereinfachten und genaueren Saccharimeters
zu verwenden. Anderweitige Arbeiten verhinderten mich indessen an der Ausführung
dieser Idee, so daß ich erst im September des vorigen Jahres darauf bezügliche
Versuche anstellen konnte.
Das neue Saccharimeter hätte zu bestehen aus dem modificirten Savart'schen Polariskop, d.h. also aus 2 gekreuzten, unter 45° zur
optischen Achse geschnittenen, je 20 Millimet. dicken Quarzplatten, deren feines
Fransensystem in polarisirtem Lichte mit einem schwach vergrößernden astronomischen
Fernrohr (Objectiv von 33 Millimet. Brennweite, Ocular von 24 Millimet. Brennweite)
betrachtet wird. Das letztere ist auf die Unendlichkeit eingestellt, besitzt ein
Fadenkreuz und vor dem Ocular ein Nicol'sches Prisma. Vor
diesem Polariskop würde die mit der zu untersuchenden Zuckerlösung gefüllte Röhre
aufgestellt und das auf die letztere einfallende Licht durch ein Foucault'sches Kalkspath-Prisma polarisirt, das um
seine Achse drehbar ist. Die Größe dieser Drehung wäre vermittelst eines Verniers an einem kleinen,
in ganze Grade getheilten Kreise abzulesen.
Mein Photometer läßt sich ohne Weiteres in ein solches Saccharimeter verwandeln. Man entfernt nämlich bloß das
Kalkspath-Rhomboeder aus der Röhre zwischen dem Polariskope und dem Foucault'schen Prisma und ersetzt dasselbe durch eine
Röhre mit Zuckerlösung. Ich konnte daher die Leistungsfähigkeit des neuen
Instrumentes sofort prüfen. Um dabei zugleich einen Vergleich mit dem gegenwärtig am
häufigsten gebrauchten Soleil'schen Saccharimeter, das das bequemste und genaueste der bisherigen Instrumente
dieser Art ist, zu erhalten, stellte ich gleichzeitig unter denselben Umständen
entsprechende Beobachtungen mit einem derartigen Instrumente an, das dem chemischen
Laboratorium (in Bern) angehört und mir hierzu von Hrn. Prof. Schwarzenbach geliehen wurde. Dasselbe wurde vorher ganz auseinander
genommen, gereinigt und neu justirt. Bei den Beobachtungen schaltete ich stets
zuerst die 100 Millimet. lange Glasröhre entweder leer oder mit destillirtem Wasser
gefüllt ein und bestimmte so zuerst den Ausgangspunkt auf der linearen Scala dieses
Instrumentes, der nicht immer mit dem Nullpunkt derselben übereinstimmte. Hernach
wurde die Röhre mit Zuckerlösung gefüllt, und die Verschiebung des Verniers
beobachtet, die zur Herstellung des gleichen Farbentons auf den beiden Hälften der
Doppelquarzplatte nothwendig war. Eine Vergleichung mit meinem Instrumente ergab,
daß einem Theil der linearen Scala gerade 1/2° Drehung der Pol.-Ebene
entspreche. Analog verfuhr ich bei meinem Instrumente. Bei leerer oder mit Wasser
gefüllter Röhre, die eine Länge von bloß 50 Millimet. hatte, wurde das Foucault'sche Prisma bis zum Verschwinden der Farbfransen
im Polariskop gedreht, der Stand des Verniers abgelesen, dann das Polariskop
abgeschraubt, die Röhre herausgenommen, mit Zuckerlösung gefüllt und wieder
eingesetzt, das Polariskop in dieselbe Stellung wie vorher wieder aufgeschraubt, was
an einer Marke zu erkennen war, und endlich wieder durch Drehen des Prismas das
Verschwinden der Farbfransen herbeigeführt. Die Differenz der letzteren Stellung des
Verniers und der früheren gab unmittelbar die Drehung der Pol.-Ebene durch
die Zuckerlösung. Bei allen Versuchen wurde eine Zuckerlösung benutzt, welche bei
100 Millimet. Länge die Polarisationsebene für gelbes Licht um 21 1/2°
drehte, also in 1 Liter Lösung 298 Gramme Rohrzucker enthielt.
Die bei verschiedenen Beleuchtungen angestellten Versuche ergaben nun folgende
Resultate:
Das Soleil'sche Saccharimeter, das wegen der vielen
Stücke, die es enthält,
sehr viel Licht absorbirt, erreicht das Maximum seiner Leistungsfähigkeit nur wenn
das Auge sorgfältig vor Seitenlicht geschützt wird, d.h. das Instrument im
verdunkelten Zimmer entweder durch eine Oeffnung im Fensterladen gegen den hellen
Himmel oder gegen einen vor dem Fenster aufgestellten geölten Papierschirm oder dann
gegen eine Lampe gerichtet wird, welche hinter einem undurchsichtigen Schirm mit
entsprechender Oeffnung, oder noch besser in einer Duboscq'schen Laterne aufgestellt ist. Dieses Maximum der
Leistungsfähigkeit, d.h. der mittlere Fehler der einzelnen Einstellungen, betrug
unter den angegebenen Umständen für mein Auge 1° Winkeldrehung, gleichviel ob
die Röhre mit Wasser oder mit Zuckerlösung gefüllt war. War dagegen mein Auge, wie
z.B. bei der unmittelbaren Beobachtung im hellen Zimmer, nicht gehörig vor
Seitenlicht geschützt, so stieg der mittlere Beobachtungsfehler auf 1 1/2°.
Nach Biot und Clerget
berechnet man nun aus der Drehung der Pol.-Ebene die Concentration einer
Rohrzucker-Lösung, d.h. das in 1 Liter der Lösung enthaltene Gewicht Zucker
in Grammen nach der Formel:
G = 1391. v/l,
wo 1 die Länge der Flüssigkeitssäule in Millimetern und v den beobachteten Drehungswinkel im weißen oder gelben
Licht darstellen. Meinem obigen Beobachtungsfehler von 1° beim Soleil'schen Saccharimeter entspricht daher ein Fehler d.
G. in der Bestimmung des Zuckergehalts, der gleich ist:
d G = 1391 . 1/100 = 13,91,
d.h. die Genauigkeit betrüge bloß 1 Procent oder in 1 Liter
Zuckerlösung könnte ein Mehr oder Weniger von 13,9 Grm. nicht mehr erkannt
werden.
Bei meinem neuen Instrumente betrug bei der Füllung mit Wasser der Beobachtungsfehler
bloß 2', wenn das Seitenlicht gehörig abgehalten war; im hellen Zimmer stieg
derselbe auf 6'. Wurde aber die Röhre mit der Zuckerlösung gefüllt, so vergrößerte
sich die Unsicherheit der Einstellung im weißen Lichte in dem einen und anderen
Falle auf 12'.
Es rührt dieß davon her, daß die verschiedenen Farben ungleich stark gedreht werden,
daher bei keiner Stellung des vordern Polarisators die Farbfransen ganz
verschwinden. Sie erreichen aber ein Minimum ihrer Intensität, wenn der Polarisator
um eine Größe gedreht wird, welche der Drehung der hellsten Strahlen im weißen
Lichte, also der gelben und gelbgrünen, durch die Zuckerlösung entspricht. Die
Einstellungen geschahen
auf dieses Minimum und waren daher etwas unsicher. Dem obigen Beobachtungsfehler von
12' oder 1/5° entspricht aber immer noch eine 5 Mal größere Genauigkeit als
beim Soleil'schen Saccharimeter, oder also in der
Bestimmung der Concentration der Zuckerlösung ein Fehler: d
G = 2,78 Grm. Zucker bei einer Flüssigkeitssäule von 100 Millimet.
Länge.
Die besprochene Unsicherheit verschwindet indessen sofort, sowie man einfarbiges
Licht anwendet. Als ich nämlich vor dem Ocular ein dunkelroth gefärbtes Glas
anbrachte und im dunkeln Zimmer den Apparat nach der Flamme eines Argand'schen Gasbrenners richtete, betrug der
Einstellungsfehler bloß noch 3', und er verminderte sich sogar bis zu 1', als ich
das homogene Licht einer Kochsalzflamme anwandte. Die Genauigkeit meines Apparates
ist also bei den letzteren Beobachtungsweisen 30 resp. 60 Male so groß als beim Soleil'schen Saccharimeter. Bei einer Flüssigkeissäule
von 100 Millimet. Länge würde diesen Beobachtungsfehlern in der Bestimmung der
Concentration der Zuckerlösung ein Fehler von 0,7 resp. 0,2 Gram. Zucker
entsprechen.
Das neue Saccharimeter kann demgemäß auf folgende Vorzüge Anspruch machen:
1) Dasselbe gewährt unter den günstigsten Umständen eine 60 mal, unter den
ungünstigsten immer noch eine 5 mal größere Genauigkeit als die bisherigen
Instrumente der Art. Diese größere Genauigkeit kann entweder zu einer schärferen
Bestimmung des Zuckergehaltes resp. des Drehungsvermögens irgend einer Flüssigkeit
benutzt werden, oder, wo dieß nicht angestrebt wird, können die Drehungsvermögen von
5–60 mal kürzeren Flüssigkeitssäulen mit derselben Genauigkeit wie bisdahin
ermittelt werden. Das Letztere wird namentlich da mit Vortheil zur Anwendung kommen,
wo entweder nur geringe Mengen einer Flüssigkeit zur Verfügung stehen oder dann die
Flüssigkeit in dicken Schichten zu opak wird.
2) Es kann bei jeder Art von Beleuchtung und den verschiedenartigsten Färbungen der
zu untersuchenden Flüssigkeiten gebraucht werden.
3) Wegen einfacherer Construction läßt sich dasselbe zu einem bedeutend billigeren
Preise herstellen als das Soleil'sche Instrument.
4) Dasselbe kann leicht in eine solche Form gebracht werden, daß man es beim Gebrauch
bequem in der Hand halten und nach der Lichtquelle hin visiren kann.
Hr. Optiker Hofmann (Rue de Bucy
3) in Paris hat es übernommen, das neue Instrument zu einem möglichst
billigen Preise und in bequemer Form zu erstellen.