Titel: | Ermittelung des Bitterstoffes der Kokelskörner (Pikrotoxins) in seiner Beimischung zum Biere; von W. Schmidt in St. Petersburg. |
Fundstelle: | Band 167, Jahrgang 1863, Nr. XXXII., S. 146 |
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XXXII.
Ermittelung des Bitterstoffes der Kokelskörner
(Pikrotoxins) in seiner Beimischung zum Biere; von W. Schmidt
in St. Petersburg.
Aus dem Journal für praktische Chemie, Bd. LXXXVII
S. 344.
Schmidt, Ermittelung des Pikrotoxins in seiner Beimischung zum
Biere
Zu Anfang dieses Jahres wurde durch die hiesige Presse die Nachricht verbreitet, es
werden bedeutende Mengen Kokelskörner (baccae cocculi
indici) nach St. Petersburg eingeführt (mehr denn 400 Ctnr. per Jahr), deren Verwendung eine geheimnißvolle sey, und
die wahrscheinlich zu unerlaubten und schädlichen Zwecken dienten. Diese Nachricht
erregte im Publicum die Besorgniß, man habe diese giftige Beere zum Verfälschen von
Bier und anderen Getränken, wie Branntwein, bitteren Liqueuren u. dgl. verwandt, und
diese Befürchtung wurde noch durch allgemeine Klagen über die betäubenden
Eigenschaften der hiesigen Biere und deren eigenthümliche Bitterkeit verstärkt.
Diese für die allgemeine Gesundheitspflege so wichtige Frage veranlaßte eine
gerichtliche Untersuchung, und aus einem Circular des Ministers des Innern, welches
vor Kurzem erschien, ist zu ersehen, daß besagte Kokelskörner wirklich zu
gesetzwidrigen und schädlichen Zwecken gedient haben (Verfälschen von Getränken,
Vergiften von Fischen), und in Folge dessen ist die Einfuhr dieses Artikels, sowie
jedwede Verwendung der Kokelskörner in ganz Rußland nunmehr streng verboten und
werden die vorhandenen Vorräthe vernichtet.
Durch obige Umstände wurde die Frage über die Ermittelung der Kokelskörner in ihrer
Beimischung zum Biere und anderen Stoffen angeregt, und da keine sichere Methode zur
Bestimmung des in den Kokelskörnern enthaltenen Bitterstoffes, des Pikrotoxins,
bekannt war, so unternahm ich eine Erforschung desselben, und es ist mit gelungen,
das Pikrotoxin, selbst in sehr geringen Dosen und in jeder Beimischung, rein
auszuscheiden und seine Gegenwart nachzuweisen.
Der von Herapath (Hill-Hassall, Food and its adulterations, London 1855, p. 630) zur Entdeckung des Pikrotoxins vorgeschlagene
Weg erwies sich als unbrauchbar, oder nur dann anwendbar, wenn die Beimischung eine
so bedeutende ist, wie sie in der Praxis wohl nicht vorkommen kann. Das gibt Herapath auch selber zu, indem er sagt: die Ermittelung
des Pikrotoxins ist eine sehr schwierige, und in vielen Fällen, wenn die Beimischung
eine geringe war, konnte das Pikrotoxin durch kein Mittel aufgefunden werden. Sein
Verfahren ist eine Wiederholung der von Hofmann und Graham zur Bestimmung des Strychnins angewandten Methode,
und gründet sich auf die vermeintliche Eigenschaft der Kohle, das Pikrotoxin aus
seinen Lösungen zu absorbiren. Das ist aber hier nicht der Fall. Die Kohle absorbirt
das Pikrotoxin nur sehr unvollkommen, und so ist es auch erklärlich, daß Herapath nur bei großen Mengen das Pikrotoxin in der
Kohle wieder finden konnte. Knochenkohle, Thier- und Holzkohle mit heißen und
kalten Lösungen von Pikrotoxin zu wiederholten Malen behandelt, und mit Wasser
ausgewaschen, wie es Herapath beschreibt, nahmen nur sehr
geringe Mengen Pikrotoxin auf; die durchgehende Flüssigkeit war bitter und enthielt
das Pikrotoxin in reichlicher Menge. Dieser Weg, um das Pikrotoxin zu isoliren, ist
nicht zu gebrauchen, er kann aber mit Nutzen angewandt werden, um aus dem Bier eine
Menge Extractiv- und Farbstoffe und Harze u.a. auszuscheiden, deren Gegenwart
bei der Extraction des Pikrotoxins hinderlich ist, und die von der Kohle
zurückgehalten werden. Zum Extrahiren bediene ich mich des Amylalkohols, er löst das
Pikrotoxin mit großer Leichtigkeit, und entzieht es seinen wässerigen Lösungen, von
denen es auch leicht zu trennen ist.
Zu meinen Versuchen bediente ich mich theils eines Aufgusses von Kokelskörnern in
Wasser oder Bier, theils einer Lösung von Pikrotoxin, welche dem Biere zugesetzt
wurde. Im erstern Falle wurden etwa 10 bis 12 Grm. Kokelskörner, grob zerstoßen, in
etwa 2 Glas Wasser abgekocht. Sie ertheilten demselben eine braunrothe Färbung,
welche dem Biere ziemlich ähnlich ist, und einen kaum bemerkbar bitteren Geschmack.
Dieser Aufguß wurde einer Flasche Bier beigemischt. In anderen Fällen wurde einer
Flasche Bier obengenanntes Quantum Kokelskörner zugesetzt, dasselbe zum Sieden
erhitzt und nach dem Kalkwerden filtrirt. Darauf wurde das Bier auf dem Wasserbade
bis zur Syrupsdicke eingedampft, und mit so viel warmem Wasser verdünnt, daß es eben
nur flüssig und nicht zähe oder klebrig erscheint, worauf es erwärmt und mit
5-6 Grm. frisch ausgeglühter Thierkohle geschüttelt wurde. Nachdem es einige
Stunden abgestanden, wurde das Bier von der Kohle abfiltrirt, leicht erwärmt und mit
basisch-essigsaurem Bleioxyd versetzt, bis sich kein Niederschlag mehr
bildet, worauf man die Lösung abfiltrirt, die ungefähr ein Drittel vom
ursprünglichen Volumen des Bieres enthält. Sind diese Operationen mit der gehörigen
Aufmerksamkeit ausgeführt worden, so erhält man, was sehr wesentlich ist, eine
vollkommen klare und reine Lösung von weingelber Farbe. Sollte sie noch der
Reinigung bedürfen, so mag man sie mehrmals durch Kohle filtriren. Zu dieser
gereinigten Bierlösung werden etwa 5-10 Proc. Amylalkohol, je nach der Menge
der Flüssigkeit, welche man behandelt, zugesetzt, mit demselben zu wiederholten
Malen tüchtig geschüttelt, und zum Abstehen an einen warmen Ort gestellt. Nach 24
Stunden hat sich die Schicht vom Amylalkohol von der unteren Schicht abgeschieden,
und in ihr ist der größte Theil von Pikrotoxin aus der Bierlösung enthalten.
– Um die letzten Spuren von Pikrotoxin aus dem Bier zu gewinnen, kann man die
Behandlung mit Amylalkohol wiederholen. Sind alle vorhergehenden Operationen gut
ausgeführt worden, so erhält man eine wasserhelle, klare Lösung von Amylalkohol.
Nachdem man sie vermittelst einer Pipette abgehoben hat, gießt man sie in ein
Porzellanschälchen und stellt dieses an einen mäßig erwärmten Ort zum ruhigen und
langsamen Abdampfen. Eine erhöhte Temperatur muß vermieden werden. Nach dem
Abdampfen bleibt in dem Schälchen ein gelblich gefärbter Ring zurück, der aus einem
Gemisch von Pikrotoxin, Amylalkohol, harzigen und ätherischen Theilen besteht. Man
löst ihn erst in schwachem Weingeist, dampft bis zur Trockne ab, löst darauf den
Rückstand in etwas kochendem Wasser, dem man ein paar Tropfen sehr schwacher
Schwefelsäure zusetzt, kocht die Lösung einige Zeit, um die flüchtigen Beimischungen
auszutreiben, setzt ein wenig Thierkohle hinzu, um die letzten Reste von Harzen und
Extractivstoffen auszuscheiden und filtrirt. Das kleine, farblose Filtrat wird
eingedampft, bis es einen deutlich bittern Geschmack zeigt, dann gießt man es in ein
Fläschchen oder Probirgläschen, fügt Aether hinzu, schüttelt, und wenn der Aether,
welcher das Pikrotoxin aufgelöst enthält, vollkommen von der unteren Flüssigkeit
abgestanden ist, hebt man ihn mit der Pipette ab, behandelt die Flüssigkeit noch
einmal auf dieselbe Weise mit Aether, gießt allen Aether in ein Porzellanschälchen,
fügt ein wenig Alkohol hinzu, und läßt verdampfen. Es bildet sich ein weißer oder
etwas gelblich gefärbter Ring von Pikrotoxin. Man löst ihn in schwachem Weingeist,
läßt langsam verdampfen und erhält die charakteristischen Krystalle von Pikrotoxin,
von welchen gleich die Rede seyn soll.
Um deutliche Krystalle zu bekommen, muß die Lösung eine vollkommen reine seyn, und
darf durchaus keine harzige Beimengungen enthalten. Ist daher der Aether gelblich
gefärbt, so erhält man beim Abdampfen desselben einen glänzenden gelben Ring, oder
eine klebrige, harzige Masse, aus welcher die Pikrotoxinkrystalle sich ausscheiden.
In diesem Falle muß man, je nach den Umständen, entweder von neuem den Rückstand in
Wasser auflösen, durch etwas Kohle filtriren und wie oben mit Aether behandeln, oder
die harzigen Theile durch wiederholtes Auflösen des Pikrotoxinrückstandes in Wasser
entfernen. Zuletzt krystallisirt man das Pikrotoxin aus schwachem Alkohol.
In dem Bierrückstande, welcher mit Amylalkohol behandelt worden war, verbleiben noch
Spuren von Pikrotoxin, welche man leicht extrahiren kann. Die Flüssigkeit wird
erwärmt, ein wenig eingedampft, durch Kohle filtrirt, und ebenso wie das erstemal
mit Amylalkohol behandelt u.s.w., worauf man diese Amylalkohollösung der ersten
zusetzt.
Die Kohle, welche zum Klären des Bieres diente, sowie der Bleiniederschlag enthalten
Spuren von Pikrotoxin; sie werden mit warmem, verdünntem Weingeist ausgezogen, den
man bis zur Trockne eindampft. Dieser Rückstand wird hierauf mit warmem Wasser
extrahirt, und mit Amylalkohol, wie oben angegeben, behandelt, welchen man dem
übrigen Amylalkohol zusetzt. Uebrigens ist dieses Extrahiren meist überflüssig, da
man nur unbedeutende Spuren von Pikrotoxin erhält.
Die Extraction von Pikrotoxin aus weingeistigen Lösungen ist viel einfacher. Der
Weingeist wird abgedampft, der Rückstand mit kochendem Wasser ausgezogen, durch
etwas Kohle filtrirt, etwas eingedampft, und wie oben mit Aether extrahirt.
Auf diese Weise ist es mit gelungen, unbedeutende Mengen Pikrotoxin aus dem Bier zu
extrahiren. Die Gegenwart von 6-8 Grm. Kokelskörnern, welche einer halben
Flasche Wasser eine kaum bemerkbare Bitterkeit ertheilen, konnte in einer Flasche
Bier deutlich nachgewiesen weiden. Pikrotoxin in reinem Zustande gab dieselben
Resultate. Es wurden 0,04 Grm. Pikrotoxin, die einem halben Glas Wasser einen
äußerst schwachen Geschmack ertheilen, mit großer Deutlichkeit in einer Flasche Bier
aufgefunden.
Die Extraction des Pikrotoxins aus den Kokeiskörnern vermittelst Alkohol geht
leichter und vollkommener als mit Wasser. 13 Grm. Kokelskörner mit Alkohol
extrahirt, gaben 0,05 Grm. Pikrotoxin. Die Angaben von Pelletier und Couerbe über den Gehalt von
Pikrotoxin in den Kokelskörnern scheinen übertrieben zu seyn, und wie aus ihrer
Abhandlung (Annalen der Pharmacie Bd. X S. 181) zu ersehen ist, müssen sie mit sehr
unreinem Material gearbeitet haben. –
Das Pikrotoxin ist ein stickstofffreier Körper und wird zur Gruppe der Glykoside gerechnet. Es
reducirt Kupferoxyd und kann durch die Fehling'sche
Zuckerprobe erkannt werden. Dieß ist zugleich ein Mittel, um das Pikrotoxin von den
Alkaloiden zu unterscheiden, mit denen es in seinem äußeren Verhalten einige
Aehnlichkeit zeigt. Werden Krystalle von Pikrotoxin erhitzt, so schmelzen sie und
gehen in eine durchsichtige gelbe Masse über, welche dem Caramel ähnlich ist. Bei
höherer Temperatur verkohlt das Pikrotoxin. Es reagirt vollkommen neutral, und
verbindet sich weder mit Säuren noch mit Alkalien. In concentrirter Schwefelsäure
löst es sich mit schöner goldgelber Färbung. Bei erhöhter Temperatur wird das
Pikrotoxin von concentrirter Schwefelsäure verkohlt. Schwache Schwefelsäure hat
keine Wirkung. Wird Pikrotoxin mit einer solchen Lösung gekocht, und die Säure
darauf mit Kreide neutralisirt, so krystallisirt nach dem Abdampfen das Pikrotoxin
mit allen seinen Eigenschaften heraus. Ebenso wird das Pikrotoxin nur wenig von
schwacher Salpetersäure, Weinstein- und Essigsäure selbst beim Kochen
angegriffen. Auch aus Ammoniaklösung lassen sich die Krystalle unverändert
ausscheiden. Weder Ba-, Fe-, Cu-, Pb-, Ag-,
Au- oder Pt-verbindungen geben
Niederschläge mit Pikrotoxin. Wird in eine Lösung von Pikrotoxin in starker
Schwefelsäure ein Splitter von doppelt-chromsaurem Kali gethan, so wird die
Lösung rothbraun, und geht beim Erwärmer in Dunkelbraun über. Das Pikrotoxin löst
sich mit Leichtigkeit in Alkohol, Aether, Amylalkohol, Chloroform und in heißem
Wasser, weniger leicht in kaltem Wasser, und krystallisirt sehr schön, namentlich
aus der Alkohollösung. Aus Amylalkohol und Aether werden keine Krystalle erhalten,
man muß daher das aus diesen Lösungen gewonnene Pikrotoxin behufs Krystallisation in
Alkohol auflösen. In fetten Oelen, Naphta und anderen Kohlenwasserstoffen löst es
sich nur wenig.
Das Pikrotoxin ist ein Bitterstoff. Die geringste Menge bringt auf der Zunge einen
lange anhaltenden, sehr starken und rein bittern Geschmack hervor. Diese Eigenschaft
und die eigenthümliche Form der Krystalle, wodurch sich das Pikrotoxin von allen
anderen Bitterstoffen unterscheidet, können, unterstützt von den obengenannten
Eigenschaften des Pikrotoxins, zur Bestimmung desselben dienen. Nimmt man mit der
Spitze eines Federmessers ein äußerst geringes Quantum Pikrotoxin und legt es auf
eine Glasplatte (am besten auf eine dunkelgefärbte), benetzt es reichlich mit
Alkohol und läßt recht langsam verdampfen, so entsteht nach einiger Zeit eine Gruppe
von feinen weißen Krystallen, wie Seidenfäden, welche in furchenartigen, meist
gewundenen Büscheln sich ausbreiten, und deren zierliche Form leicht von anderen zu
unterscheiden ist. Die Verdünnung der Lösung muß richtig getroffen werden, um diese
Krystalle recht
deutlich zu erhalten, und das gelingt leicht durch Zufügen von mehr oder weniger
Alkohol, was man ohne Schwierigkeit nach ein paar Versuchen trifft.
Von den Alkaloiden unterscheidet sich das Pikrotoxin, wie wir schon gesehen haben,
durch seine Fähigkeit Kupferoxyd aus seinen alkalischen Lösungen zu reduciren. Von
den übrigen Bitterstoffen des Pflanzenreichs sind die meisten, wie z.B. Lupulin,
Gentianin, Cathartin, Pinipikrin, Ericolin, Menyanthin, Populin, Quercitrin,
Colocynthin, Chinopikrin, Digitalin u.a. nicht krystallisirbar, die übrigen aber,
wie Salicin, Aesculin, Fraxin, Absynthin, Columbin, Phloridzin, Santonin, Quassiin,
Aloïn schon in ihrer Form mit Pikrotoxin nicht zu verwechseln. Von letzterem
kann überhaupt die Anwesenheit von nur wenigen, wie Aloïn, Quassiin,
Absynthin, Santonin, auch Pikrinsäure im Bier vorausgesetzt werden, die sich aber
vom Pikrotoxin leicht unterscheiden lassen.