Titel: | Dampfkessel und Dampfmaschine von P. Verrier, Mechaniker in Marseille. |
Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. XLVIII., S. 172 |
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XLVIII.
Dampfkessel und Dampfmaschine von P. Verrier, Mechaniker in
Marseille.
Aus Armengaud's Génie industriel, März 1861, S.
143.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Verierr's Dampfkessel und Dampfmaschine.
Bei Dampfmaschinen für große Kraftentwicklung, welche mit überhitztem Dampfe
arbeiten, erfordert die Bedienung eine große Achtsamkeit und den besten Zustand der
Sicherheitsapparate, wenn anders die Unglücksfälle vermieden werden sollen.
Von diesem Gesichtspunkte aus sind die Verbesserungen zu betrachten, welche Hr. Verrier für den Kessel einerseits und die Maschine
andererseits angegeben hat.
Der Kessel bietet vermöge seiner eigenthümlichen Einrichtung die Möglichkeit, sehr
hoch gespannten Dampf zu entwickeln, ohne daß derselbe irgend welche Unfälle bei
seiner Anwendung in einem kleinen Cylinder mit einer gewissen Expansion veranlassen
könnte. Zugleich kann in einem besondern Raum Dampf von geringerem Druck und mit
Ueberhitzung erhalten werden, um zur Speisung eines von dem ersteren unabhängigen
großen Cylinders verwendet zu werden.
Auf diese Weise werden die Vortheile der Maschinen mit hohem und mittlerem Drucke
ohne deren Nachtheile vereinigt. Zugleich wird dieselbe Regelmäßigkeit erzielt, wie
sie bei Maschinen mit zwei verkuppelten Cylindern möglich ist, während man überdieß
mit der größtmöglichen Expansion arbeiten kann. Die Maschine hat nicht die
Unbequemlichkeiten der Woolf'schen, welche nur mit einem
großen Schwungrad, auf Schiffen also gar nicht, anwendbar sind.
Das System besteht aus zwei Theilen, nämlich:
1) aus zwei vereinigten Kesseln, nämlich einem mit Feuerung für den hohen, und einem
ohne Feuerung für den mittleren Druck;
2) aus zwei ganz von einander unabhängigen Cylindern. Der kleinere erhält Dampf von
hohem Druck aus der ersten Abtheilung des Kessels, und wird nur während eines Theils
des Kolbenlaufs in den Cylinder gelassen, um die erforderliche Expansion zu
erhalten; dann kehrt er nach dem zweiten Kesselraum zurück, wo er überhitzt wird und
geht in den großen Cylinder, wo er ebenfalls mit Expansion arbeitet und zieht
hernach zum Condensator ab.
Hiedurch sollen folgende Vortheile erreicht werden:
a) Vermeidung der Stöße und Unregelmäßigkeiten bei zu
weit getriebener Expansion;
b) Verminderung des Gewichtes der Maschine;
c) Vermeidung eines großen Theils des Wärmeverlustes,
welcher durch Verbindung eines Hochdruckcylinders mit einem Condensator veranlaßt
wird;
d) Benützung niedriger Temperaturen.
Dieser patentirte Apparat ist in den Figuren 16 bis 18
dargestellt.
Fig. 16 ist
der Verticaldurchschnitt durch die Achse der Siederöhren des doppelten Kessels;
Fig. 17 ist
der Durchschnitt durch die Achse der beiden Dampfcylinder;
Fig. 18 ist
der Grundriß des ganzen Apparates.
Die Details der Maschine sind theils aus der Zeichnung verständlich, theils können
sie beliebig abgeändert werden, daher wir nur die wesentlichen Theile näher
beschreiben.
Der Kessel ist ein Röhrenkessel mit vielen und weiten Siederöhren, welche zwei Bündel
bilden, wovon das eine Q zur Dampferzeugung, das andere
E zur Ueberhitzung dient.
Der Zug ist ein gezwungener und doppelter; er wird durch den im untern Theil des
Rauchfanges befindlichen Ventilator X bewirkt.
Hinter dem Dampfraum E des Kessels befindet sich ein
zweiter F (Fig. 18), welcher zur
Aufnahme des expandirten Dampfes aus dem kleinen Cylinder A bestimmt ist.
Die eigentliche Maschine besteht aus den beiden Cylindern A und B, jeder mit variabler Expansion; ihre
Krummzapfen greifen an dieselbe Welle D, aber unter
rechtem Winkel, an; hiezu dienen die Bleuelstangen a und
b und die Kolbenstangen e,
é. Zugleich sind auf diese Welle, wie gewöhnlich, die Excentrics i, i' für die Steuerung aufgezogen.
Da die Cylinder die gleiche Arbeit, obgleich jeder mit anderem Druck, hervorbringen
sollen, so müssen die Kolbenflächen in einem bestimmten Verhältnisse mit der
beabsichtigten Expansion stehen.
Nachdem der Kessel gehörig gefüllt ist, wird das Feuer angezündet und das Register
R geöffnet. Ist der Druck auf die richtige Höhe
gestiegen, z.B. auf 11 Atm., und man will den Dampf etwa mit 20facher Expansion
anwenden, so öffnet man die Klappe 8 (Fig. 18), welche auf dem
Hochdruckreservoir E angebracht ist und läßt den Dampf
in den Cylinder A abziehen, wo er mittelst des Schiebers
V mit der gewünschten Expansion, z.B. 1/5, zur
Wirkung kommt. Der expandirte Dampf geht dann in den Sammler F, wo er schwach erhitzt wird und von wo er nach dem Cylinder B mittelst des Expansionsschiebers V' (mit entsprechender Stellung, etwa 1/4) übergeht.
So liefert dieser Dampf bei seiner zweiten Anwendung eine mindestens der ersten
gleiche Arbeit, denn wenn der Dampf in B mit etwa 5mal
geringerer Kraft wirkt, so hat dagegen dieser Cylinder eine 4mal größere Oberfläche
und keinen Gegendruck. Von B aus geht der Dampf durch
den Condensator ins Freie.
Das Reservoir F muß etwa das 25–30fache Volum des
kleinen Cylinders A haben, um die Veränderungen des
Gegendruckes zu verhüten.
Die Erhitzung von F geschieht hinreichend durch die von
der ersten Erzeugung hochgespannten Dampfs abziehenden Feuergase.
Nach dem Erfinder soll die durch die beschriebenen Kessel bewirkte Kohlenersparniß 50
Proc. betragen, da man mit der halben Dampfmenge die gleiche Arbeit erhält. Für
große Maschinen können auch drei Cylinder, deren Kuppelung unter 120°
geschieht, angewandt werden, wo dann noch ein drittes Dampfreservoir erforderlich
wird. Der Kessel und die Siederöhren können bei diesem System dicker genommen
werden, ohne daß das Gewicht des Ganzen dadurch steigt, da die Oefen und Aschenräume
wegfallen, an deren Stelle eine leichte Ziegelmauerung angenommen wurde.