Titel: | Untersuchungen über die Zusammensetzung des Roheisens und des Stahls; von E. Fremy. |
Fundstelle: | Band 160, Jahrgang 1861, Nr. XLI., S. 123 |
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XLI.
Untersuchungen über die Zusammensetzung des
Roheisens und des Stahls; von E.
Fremy.
Aus den Comptes rendus, März 1861, t. LII p.
415.
Fremy, Untersuchungen über die Zusammensetzung des Roheisens und
des Stahls.
Dritte Abhandlung.
Die Anwendung des Stahls hat sich in der neuesten Zeit durch seine Benutzung im
Maschinenbau und zur Anfertigung der Feuerwaffen sehr ausgedehnt, daher es höchst
wünschenswerth ist, denselben unbeschadet seiner Güte auf ökonomische Weise erzeugen
zu können. Um dieses Problem zu lösen, welches in so hohem Grade die metallurgische
Industrie interessirt, und um die Stahlfabrication auf sichere wissenschaftliche
Principien begründen zu können, ist nach meiner Ansicht die Chemie jetzt
verpflichtet, sämmtliche
auf die Stahlbildung bezügliche theoretische Fragen einem neuen Studium zu
unterziehen.
Die bisher aufgestellten Theorien um die Stahlbildung zu erklären, sind offenbar kein
genügender Führer für den Metallurgen, welcher Stahl, sey es durch Cementiren des
Stabeisens mit Kohle oder durch Entkohlen des Roheisens mittelst des Stahlpuddelns,
erzeugen will. So läßt sich der Einfluß des Mangans und derjenige des Wolframs bei
der Stahlbildung nicht leicht erklären; der Nutzen der stickstoffhaltigen
organischen Substanzen und gewisser Salze beim Cementiren wird von erfahrenen
Metallurgen geläugnet: die Einen glauben, daß der beste Cementstahl durch Einwirkung
des Kohlenstoffs auf das reine Eisen entsteht; Andere nehmen an, daß die Cementation
nur unter dem Einfluß des Stickstoffs der Luft erfolgen kann. Jedenfalls sagt uns
die Theorie nicht, warum gewisse Stabeisensorten immer Stahl bester Qualität geben,
während andere, welche eben so rein zu seyn scheinen, immer nur einen wenig
geschätzten Stahl liefern werden. Bekanntlich bietet auch die Fabrication des
Puddelstahls Schwierigkeiten dar, welche oft die geschicktesten Techniker entmuthigt
haben.
Dieselbe Unsicherheit wie in den Methoden der Stahlerzeugung, findet sich in den
Theorien welche aufgestellt wurden um die Stahlbildung zu erklären.
Einige Chemiker nehmen an, daß der feste Kohlenstoff direct auf das Stabeisen wirken,
das Metall durchdringen, in seiner Masse circuliren und es in Stahl verwandeln
kann.
Andere, darunter insbesondere Leplay und Laurent, nehmen an daß der Cementstahl immer durch die
Einwirkung einer gasförmigen kohlenstoffhaltigen Verbindung auf das welche Eisen
entsteht. Laurent behauptet sogar, daß in den
Cementirkästen der Kohlenstoff sich verflüchtigt und sein Dampf den Stahl
erzeugt.
Die Wirkung der Cyanüre auf das Stabeisen hat in der letzten Zeit der Theorie der
Cementation eine neue Ausdehnung gegeben: die Praxis hat einen Versuch benutzt,
welcher seit langer Zeit in den Vorlesungen über Chemie gemacht wurde, und darin
bestand das Stabeisen durch Erhitzen mit einem Alkalicyanür oder einem Ferrocyanür
zu verstählen; überdieß hat unlängst Caron nachgewiesen,
daß das Cyanammonium, welches sich in den Cementirkästen bilden kann, auf das
Stabeisen wie die Alkalicyanüre wirkt und es rasch in Stahl verwandelt.
Die bisher über die Stahlbildung erschienenen Abhandlungen haben ohne allen Zweifel
die Wissenschaft mit neuen und für die Technik wichtigen Thatsachen bereichert; sie
haben hauptsächlich die Umstände festgesetzt, welche die Stahlbildung am leichtesten veranlassen, aber
sie haben kein neues Licht auf die theoretischen Fragen bezüglich der chemischen
Constitution des Stahls geworfen; man nimmt noch an, daß der Stahl eine Verbindung
des Eisens mit Kohlenstoff ist, welche nach ihrer Zusammensetzung zwischen das
Stabeisen und das Roheisen zu stehen kommt.
Meine Ansichten über die Zusammensetzung des Stahls sind ganz verschieden von den
bisher aufgestellten; ich glaube beweisen zu können, daß der Stahl nicht eine
Verbindung von Eisen und Kohlenstoff ist, und daß es eine Reihe von Stahlarten gibt,
welche durch Verbindung des Eisens mit Metalloiden, Metallen und sogar Cyanüren
entstehen.
Ich kenne keinen einzigen Versuch, welcher streng beweist, daß der Stahl eine
Verbindung von reinem Kohlenstoff mit Eisen ist. Kleine Antheile fremdartiger
Körper, welche die Analyse nicht immer nachweist, können die Eigenschaften des
Eisens modificiren, und wenn man die Wirkung des reinen Kohlenstoffs auf das Eisen
zu ermitteln beabsichtigte, so brachte man nothwendig noch andere Körper hinzu, als
diejenigen deren gegenseitige Einwirkung man bestimmen wollte; abgesehen von den
Verunreinigungen welche der Tiegel liefern mußte, hat man sowohl den Einfluß der in
die Apparate dringenden Feuergase, als die Einwirkung der Bestandtheile der Luft,
welche die Holzkohle nicht absorbirt, endlich die Gegenwart der verschiedenen in der
Holzkohle selbst enthaltenen Substanzen unberücksichtigt gelassen.
Ich erinnere hier an die in meiner ersten AbhandlungPolytechn. Journal Bd. CLVIII S.
209. mitgetheilte Thatsache, daß der Stahl beim Auflösen in den Säuren einen
Rückstand hinterläßt, welcher mit reinem Kohlenstoff gar keine Aehnlichkeit hat,
sondern durch seine Eigenschaften und seine Zusammensetzung sich den Derivaten des
Cyans sehr nähert; es sind also die synthetischen und analytischen Versuche weit
entfernt zu beweisen, daß der Stahl bloß Kohlenstoff und Eisen enthält.
Um die wirkliche Constitution des Stahls zu bestimmen und zu ermitteln ob es nicht
eine Reihe von Stahlarten gibt, welche unter sich hinsichtlich der Zusammensetzung
verschieden seyn können (wie der Wolframstahl und Holzkohlenstahl), aber durch
gewisse gemeinschaftliche Eigenschaften sich einander nähern, nahm ich mit vor, das
Eisen der Einwirkung aller Körper auszusetzen, welche bei der Stahlbildung eine
Rolle spielen können.
In dieser Hinsicht habe ich vorerst mit dem Stickstoff Versuche angestellt und
dieselben in meiner zweiten AbhandlungS. 43 im vorhergehenden Heft. mitgetheilt. Wie man aus derselben ersieht, war ich bemüht, das Stickstoffeisen ohne überschüssiges
Metall zu erhalten und so gut als möglich eine bestimmte Verbindung zu erzielen.
Der Stickstoff verbindet sich aber, wie der Kohlenstoff, mit dem Eisen in
verschiedenen Graden; bevor das Stabeisen unter dem Einfluß des Stickstoffs Schuppen
bildet, welche sich ablösen und nach meinen Analysen 9,5 Proc. Stickstoff enthalten,
erleidet es in seinen allgemeinen Eigenschaften eine große Veränderung; es behält
nämlich eine gewisse Hämmerbarkeit, wird aber körnig und weiß; in diesem Zustande
ist das Eisen noch metallisch und doch schon tief hinein mit Stickstoff verbunden.
Mit solchem Stickstoffeisen wurden die unten folgenden
Versuche über Stahlbildung angestellt.
Da ich die aufeinanderfolgende oder gleichzeitige Wirkung des Stickstoffs und des
Kohlenstoffs auf das Eisen studiren wollte, so mußte ich vorerst eine Methode
auffinden, welche dasselbe leicht und in beliebigem Grade mit Kohlenstoff zu
verbinden gestattet. Dazu liefert das Leuchtgas das Mittel. Ich fand nämlich, daß
wenn man zwei Stunden lang bei der Rothglühhitze getrocknetes Leuchtgas über
Stabeisen leitet, eine sehr regelmäßige Kohlung erzielt und das Metall in ein
graues, graphithaltiges Roheisen verwandelt wird, welches sehr hämmerbar ist und in
jeder Hinsicht dem besten Holzkohlen-Roheisen gleicht.
Ich hatte also in der Anwendung des Ammoniaks und des Leuchtgases zwei leicht
regulirbare Verfahrungsarten, welche mit gestatteten die Wirkung des Stickstoffs und
des Kohlenstoffs auf das Eisen, jedes für sich oder beider zugleich, zu
studiren.
Aus meinen Versuchen ging hervor, daß man durch Einwirkung des Leuchtgases auf das
Stabeisen nur Roheisen erhält; wenn man aber hierzu ein Eisen anwendet, welches
vorher mit Stickstoff verbunden worden ist, so bekommt das Product die Eigenschaften
des Stahls. Dabei zeigt sich die merkwürdige Thatsache, daß die Eigenschaften des
Stahls gewissermaßen von der Stickstoffmenge abhängen, welche vorher dem Eisen
mitgetheilt wurde. Wenn nämlich das Stabeisen nicht genügend mit Stickstoff
verbunden worden ist, so liefert es bei der Einwirkung des Leuchtgases einen Körper,
welcher ungefähr die Mitte zwischen Roheisen und Stahl hält; war hingegen das Metall
hinreichend mit Stickstoff verbunden, so erzeugt das Leuchtgas einen Stahl von
vortrefflichem Korn.
Wenn man, anstatt nacheinander den Stickstoff und den Kohlenstoff auf das Metall
einwirken zu lassen, über das zum Rothglühen erhitzte Stabeisen ein Gemisch von
Ammoniak und Leuchtgas leitet, so erfolgt unmittelbar die Stahlbildung in einem den
relativen Verhältnissen beider Gase entsprechenden Grade.
Bei den so eben beschriebenen Versuchen ist es mit zum erstenmal gelungen, Stahl
mittelst der aufeinander folgenden Wirkung zweier Gase auf das Stabeisen zu
erzeugen, von denen das eine, das Ammoniakgas, den Stickstoff liefert, das andere
aber, das Leuchtgas, den Kohlenstoff zubringt; bei dem auf diese Weise erhaltenen
Stahl wird also die Cementation nicht mehr mit Holzkohle, sondern mit einem aus der
Steinkohle gewonnenen Gase bewerkstelligt. Diese Versuche, welche mit in
theoretischer Hinsicht den Cementirproceß aufzuklären scheinen, dürften sich wohl in
der Praxis benutzen lassen.
Aus allen diesen Thatsachen geht schon unzweifelhaft hervor, daß der Stickstoff bei
der Stahlbildung eine wichtige Rolle spielt; es fragte sich nun noch, ob der
Stickstoff im Cementstahl zurückbleibt, oder ob er, wie vermuthet wurde, nur dazu
dient, dem Eisen den Kohlenstoff in einem zur chemischen Vereinigung geeigneten
Zustande darzubieten.
Um diese interessante Frage zu lösen, ließ ich auf den mittelst Ammoniak und
Leuchtgas erhaltenen Stahl das reine und trockene Wasserstoffgas einwirken, welches
die Gegenwart des Stickstoffs im Stahl mit der größten Sicherheit nachzuweisen
gestattet. Beim Erhitzen des durch Einwirkung von Ammoniak und Leuchtgas auf
Stabeisen erhaltenen Stahls in Wasserstoffgas, ergab sich sofort, daß er Stickstoff
enthält, denn während der ganzen Dauer des Versuchs entwickelte er Ammoniak in
beträchtlichen Mengen.
Es war interessant, diesen Versuch auch mit den im Handel vorkommenden Stahlsorten
anzustellen, um zu erfahren ob dieselben ebenfalls stickstoffhaltig sind. Ich habe
dazu den französischen Stahl von Jackson, den englischen
Stahl von Huntsman und den deutschen Stahl von Krupp gewählt. Diese Stahlsorten wurden in sehr feines
Feilicht verwandelt, dasselbe von aller fremdartigen Beimengung befreit und dann in
der Rothglühhitze der Einwirkung trockenen Wasserstoffgases unterzogen. Bei diesen
drei Proben entwickelte das Feilicht ebenfalls während der ganzen Dauer des Versuchs
beträchtliche Quantitäten von Ammoniak.
Dieser Versuch beweist unzweifelhaft, daß der Stickstoff, im Gegensatz mit den
bisherigen Ansichten, einen wesentlichen Bestandtheil des Stahls bildet.
Im Stahl ist also das Eisen nicht bloß mit Kohlenstoff
verbunden, sondern derselbe ist ein Kohlenstickstoff-Eisen.
Wenn ich mich über die Tragweite meiner Untersuchungen nicht täusche, so müssen
dieselben einen gewissen Einfluß auf die Stahlfabrication ausüben. So wird man beim
Cementiren des Stabeisens in der Folge alle Bedingungen realisiren müssen, wodurch
dem Metall nicht bloß der Kohlenstoff, sondern auch der Stickstoff geliefert werden kann: es ist
wahrscheinlich, daß die verschiedenen Stahlqualitäten nicht nur von der Dauer der
Cementation abhängen, sondern auch von den relativen Verhältnissen der zwei
Elemente, welche sich mit dem Eisen verbinden können.
Für die Puddelstahl-Fabrication wird es wichtig seyn zu bestimmen, welche
Roheisensorten den zur Stahlbildung geeigneten Stickstoffgehalt haben und welche
wegen unzureichenden Stickstoffgehalts im Moment der Stahlbildung Stickstoff
empfangen müssen.
Es ist aber wahrscheinlich, daß die Körper welche einige Analogie, sey es mit dem
Kohlenstoff oder mit dem Stickstoff haben, ebenfalls Stahl erzeugen können; so
erhält man bekanntlich das Feinkorneisen, welches härter als das gewöhnliche
Stabeisen ist und sich gewissermaßen dem Stahl nähert, hauptsächlich beim Ausbringen
der Phosphorhaltigen Eisenerze. Die Verbindung des Eisens mit dem Kohlenstoff und
Stickstoff ist als der Typus des Stahls zu betrachten, und es fragt sich nun welche
Modificationen der Stahl erleidet, wenn man den Kohlenstoff oder Stickstoff durch
andere einfache Körper ersetzt; dieser interessante Punkt bildet den Gegenstand
meiner nächsten Abhandlung, worin ich zeigen werde, daß die zahlreichen Stahlarten
zusammen eine Familie von Verbindungen bilden, welche nacheinander untersucht werden
müssen.
Die im Vorstehenden mitgetheilten neuen Thatsachen scheinen mit zu folgenden
Schlüssen zu führen:
1) Um die aufeinanderfolgende oder gleichzeitige Wirkung des Stickstoffs und des
Kohlenstoffs auf das Stabeisen zu ermitteln, kann man mit Vortheil das Ammoniakgas
anwenden, welches den Stickstoff liefert, und das Leuchtgas, welches den Kohlenstoff
gibt. Die so durch Gase hervorgebrachten chemischen Reactionen geben reine
Verbindungen, und können leicht verfolgt und regulirt werden.
2) Wenn das Stabeisen nicht lange genug der Einwirkung des Ammoniakgases ausgesetzt
wurde, so entstehen keine Schuppen von Stickstoffeisen, es ist dann bloß azotirt,
wurde weiß wie Zink, behielt zum Theil seine Hämmerbarkeit und gleicht einer
wirklichen Legirung.
3) Das in einem Strom von Leuchtgas erhitzte Stabeisen kohlt sich sofort und
verwandelt sich in graues, graphithaltiges, sehr weiches Roheisen, welches sehr
leichtflüssig und daher zu den zartesten Güssen geeignet ist; bei dieser Reaction
des Leuchtgases auf das Stabeisen entsteht niemals Stahl.
4) Die Stahlbildung erfolgt, wenn man auf das Stabeisen den Kohlenstoff und den
Stickstoff einwirken läßt.
5) Das reine Stabeisen, welches sich unter dem Einflusse des Leuchtgases in leichtschmelzbares Roheisen
verwandelt, wird, nachdem es vorher azotirt (mit Stickstoff vereinigt) worden ist,
durch Einwirkung des Leuchtgases unschmelzbar gemacht und in Stahl verwandelt.
Stücke desselben Stabeisens wurden eine sehr verschiedene Zeit lang azotirt und
hernach der Einwirkung des Leuchtgases unterzogen: diejenigen welche eine geringe
Menge Stickstoff zurückhielten, verwandelten sich nur sehr unvollständig in Stahl;
diejenigen hingegen, welche stark azotirt wurden, lieferten einen vortrefflichen
Stahl: der Stickstoffgehalt eines Stabeisens bestimmt also im Moment seiner Kohlung
gewissermaßen den Grad seiner Umwandlung in Stahl.
6) Man kann nicht mehr annehmen, daß die Cementation ausschließlich durch einen
flüchtigen kohlenstoffhaltigen Körper bewirkt wird, weil das Leuchtgas, wenn es bei
der Rothglühhitze auf das Stabeisen einwirkt, nur Roheisen bildet, während, wenn das
Stabeisen vorher Stickstoff enthielt, sofort Stahl erzeugt wird.
7) Wenn das Stabeisen sich in Stahl umwandelt, so scheidet der Kohlenstoff den
Stickstoff nicht aus, denn ich habe gefunden daß der im Handel vorkommende Stahl
stickstoffhaltig ist und reichlich Ammoniak entwickelt, wenn man trockenes
Wasserstoffgas auf ihn einwirken läßt.
8) Alle diese Thatsachen führen daher zu dem Schluß, daß der Stahl nicht, wie man
bisher glaubte, ein mit Kohlenstoff verbundenes Eisen ist, sondern ein
Kohlenstickstoff-Eisen.
Um die Zusammensetzung des Stahls auszudrücken, habe ich die Bezeichnung
Kohlenstickstoff-Eisen (fer
azoto-carburé) angenommen, weil sie meine Ansicht über die
Konstitution dieses Körpers, worin sehr geringe Antheile von Metalloid in so hohem
Grade die Eigenschaften des Stabeisens modificiren, gut ausdrückt.
––––––––––
Nach dem Vortrage vorstehender Abhandlung in der Akademie der Wissenschaften bemerkte
Dumas, daß die Theorie der Stahlerzeugung jetzt
festgestellt zu seyn scheint und zu großen praktischen Konsequenzen führen dürfte.
Wenn es sich z.B. darum handelt, bloß die Oberfläche oder die Schneide gewisser
Instrumente oder Werkzeuge aus Schmiedeeisen zu Härten, so wird man sie, nachdem sie
im Zustande von Stabeisen durch Schmieden und Feilen in die erforderliche Gestalt
gebracht worden sind, in einem Strom von Ammoniakgas und von kohlenstoffhaltigem
Gase (Leuchtgas) mehr oder weniger tief verstöhlen. Die Tiefe der Stahlschicht läßt
sich durch die Dauer dieses Cementirens in Gasen mit
einer Sicherheit reguliren, welche man durch Anwendung des Cementirpulvers oder des
Horns und der
thierischen Stoffe beim sogenannten Einsetzen niemals erzielen kann. Wir müssen es
jedoch Hrn. Fremy überlassen, die Vortheile
auseinanderzusetzen und zu verfolgen, welche sich aus dem neuen Verfahren zur
methodischen und regulirbaren Stahlerzeugung ziehen lassen.
Bemerkungen von Chevreul.
Nachdem einige Mitglieder der Akademie die Ansicht geäußert hatten, daß das Roheisen
eine von derjenigen des Stahls verschiedene Zusammensetzung haben könne, theilte Chevreul zwei Bemerkungen mit, wovon die eine das graue
Roheisen, die andere die Zusammensetzung des Stahls betrifft.
Ueber das graue Roheisen. – Am Ende des letzten Jahrhunderts (1799)
beobachtete Proust, daß wenn man das graue Roheisen mit
schwacher Schwefelsäure behandelt, eine ölige Substanz gebildet wird, wovon ein
Theil durch das Wasserstoffgas mitgerissen wird und die Röhren des Apparats fettig
macht, während der andere Theil dem schwarzen Rückstand beigemengt bleibt, aus
welchem man ihn mittelst Alkohol ausziehen kann. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten
diese Beobachtung als Beispiel citirt, daß es möglich ist durch die chemischen
Kräfte Verbindungen hervorzubringen, welche denjenigen der organischen Natur analog
sind. Da ich längst durch angestellte Versuche wußte, daß der Wasserdampf bei seiner
Einwirkung auf die Holzkohle außer der Kohlensäure oder dem Kohlenoxyd nur
Wasserstoff gibt, und nicht Kohlenwasserstoff, wie man glaubteMan s. meine Leçons de Chimie appliquée
à la teinture, p. 23 et 24., so konnte ich nicht wohl annehmen, daß sich der Kohlenstoff des Roheisens
mit dem Wasserstoff in dessen Entbindungsmoment vereinigen kann; ich vermuthete
daher, daß bei dem Versuche von Proust außer dem
Kohlenstoff und Wasserstoff gleichzeitig Wasser bei der Erzeugung der öligen
Substanz eine Rolle spielt. Nun scheinen mit Fremy's
Beobachtungen über den Stahl diesen Gegenstand aufzuklären, indem daraus hervorgeht,
daß nicht Kohlenstoff, wie wir uns denselben bisher dachten, die Bildung der fetten
Substanz veranlaßt.
Zusammensetzung des Stahls. – Früher schrieb man
den Unterschied zwischen Stahl und Stabeisen der Gegenwart einiger Tausendtheile
Kohlenstoff im Stahl zu; später lernte man den Einfluß kennen, welchen verschiedene
Körper auf die Eigenschaften des Stahls haben, besonders durch die Versuche von Verthier mit Chrom, und durch diejenigen von Faraday und Stodart mit
Aluminium, Platin und den anderen Metallen des Platinerzes; als sehr wichtig erschien mit aber immer die
Thatsache, daß Faraday und Stodart durch Schmelzen des Stabeisens mit einigen Procenten Iridium und
Osmium einen Stahl erhielten, worin sie bei der Analyse keine Spur von Kohlenstoff
fanden.
Indem ich die Frage bei Seite ließ, ob der Stahl eine unbestimmte Verbindung von
Eisen mit einem oder mehreren einfachen Körpern ist, die in der ganzen Stahlmasse
vertheilt ist, oder eine bestimmte Verbindung von Eisen mit einem oder mehreren
einfachen Körpern, welche in unbestimmtem Verhältniß in dem überschüssig vorhandenen
Eisen vertheilt ist, schloß ich aus den vorher erwähnten Thatsachen, daß man in
einem Handbuch der Chemie den Stahl im Allgemeinen nicht als einen durch die Natur
seiner wesentlichen Bestandtheile bestimmten Körper betrachten sollte, sondern als
einen besondern Zustand des Eisens, welcher durch die
Vereinigung dieses Metalls mit Körpern von verschiedenartiger Natur
hervorgebracht wird. Nachdem ich, abgesehen von aller wissenschaftlichen
Betrachtung, den Stahl als Eisen, welches sich durch Ablöschen
in Wasser Härten läßt, definirt hatte, unterschied ich, jener Ansicht
entsprechend, in meinen im I. 1829 gedruckten Leçons
de Chimie appliquée à la teinture, p. 29 folgende Arten von
Stahl:
1) Stahl gebildet aus Eisen und Kohlenstoff;
2) Stahl gebildet aus Eisen, Kohlenstoff und einem dritten Körper;
3) Stahl gebildet aus Eisen und einem andern Körper, welcher nicht Kohlenstoff ist,
oder Stahl ohne Kohlenstoff.
Die Resultate von Fremy's interessanten Versuchen über den
Stahl lassen sich an unser bisheriges Wissen leichter anknüpfen, wenn man sich auf
meinen eben auseinandergesetzten Gesichtspunkt stellt, anstatt sie aus dem
gewöhnlichen Gesichtspunkt zu betrachten.
Es ist nun von Wichtigkeit zu erfahren 1) ob es wahr ist, wie Guyton behauptete, daß man das Stabeisen mit Diamantpulver in Stahl
verwandeln kann, und 2) ob in diesem Falle die Stahlbildung ohne Dazwischenkunft des
Stickstoffs stattfindet.
Erwiederung von Fremy.
Ich wollte mich in vorstehender Abhandlung auf die Frage beschränken, welchen Einfluß
der Stickstoff und der Kohlenstoff auf die Eigenschaften des Stabeisens ausüben,
aber alle Fragen welche für die Fabrication des Stahls und des Roheisens von
Wichtigkeit sind, werden seit langer Zeit in meinem Laboratorium einem vollständigen
Studium unterzogen, daher ich der Akademie nach einander Mittheilungen über folgende Punkte machen
werde:
1) relative Verhältnisse von Stickstoff und Kohlenstoff, welche man mit dem Stabeisen
vereinigen muß, um einen guten Stahl zu erzeugen;
2) Umstände welche sich der Stahlbildung widersetzen oder die Güte eines schon
gebildeten Stahls vermindern;
3) Eindringungsweise des Kohlenstoffs in die Metallmasse;
4) Erklärung des Einflusses der so geringen Mengen von Kohlenstoff und Stickstoff,
welche das Stabeisen in Roheisen oder in Stahl umwandeln;
5) Studium der Stahlarten, welche Metalle enthalten, wie Mangan, Chrom, Wolfram,
Aluminium etc.;
6) Classification der Roheisensorten; Untersuchung der Rolle welche darin das
Silicium, der Phosphor, Arsenik und Schwefel spielen; Studium des Roheisens, welches
sich am besten zur Puddelstahl-Fabrication eignet.