Titel: | Beiträge zur Gährungschemie; von E. Friedr. Anthon, technischer Chemiker in Prag. |
Autor: | Ernst Friedrich Anthon [GND] |
Fundstelle: | Band 157, Jahrgang 1860, Nr. LII., S. 219 |
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LII.
Beiträge zur Gährungschemie; von E. Friedr. Anthon, technischer
Chemiker in Prag.
Anthon, Beiträge zur Gährungschemie.
I. Verhältniß zwischen Bildung und
Wirkung der Hefe bei der geistigen Gährung.
Wenn man den Saft irgend einer Obstart unter den geeigneten Umständen der Gährung
überläßt und aufmerksam mit Zuhülfenahme des Mikroskops beobachtet, so wird man
wahrnehmen, daß nicht eher Kohlensäure-Entwickelung ( = Zuckerzersetzung oder
Alkoholbildung) eintritt, als bis sich in der Flüssigkeit wirklich gebildete
Hefenzellen vorfinden. Die Hefenbildung geht also hier
unverkennbar der geistigen Gährung voraus und muß sonach auch als ein von derselben
unabhängiger Proceß angesehen werden. – Daß dem so ist, geht weiter aus der
bekannten Thatsache hervor, daß reine Zuckerlösungen (die
also frei von Stickstoff und somit auch von hefenbildenden Stoffen sind) durch
Wein- und Bierhefe nicht nur schnell in Gährung gerathen, sondern auch
regelmäßig vergähren, wobei die Menge des zersetzten Zuckers im Verhältniß steht zur
consumirten (wirkungslos gewordenen) Hefe.
Hieraus geht hervor, daß aus der Menge der bei der geistigen Gährung sich bildenden
Hefen sich keine Folgerungen auf die zersetzte Menge Zucker oder die gebildete Menge
Alkohol ziehen lassen, und daß eine stattgehabte Vergährung in keiner Beziehung zur
Menge der werdenden oder gewordenen Hefenmenge steht – wohl aber durch
Bestimmung der zersetzten Zuckermenge auf die wirklich verbrauchte (wirkungslos
gewordene) Hefenmenge, und umgekehrt aus der Menge der wirkungslos gewordenen Hefe
genau auf die Menge des zersetzten Zuckers gefolgert werden kann.
Es stehen sonach Hefenbildung und Alkoholbildung oder (was hier gleichbedeutend ist)
Zuckerzersetzung nicht in unmittelbarer Beziehung zu einander, denn es kann, wie
sich aus dem Gesagten ergibt, nicht nur Alkoholbildung ohne Hefenbildung
stattfinden, sondern es können auch Hefenzellen (wirksame Hefe) entstehen, ohne daß
gleichzeitig Alkohol gebildet wird.
Bringen wir das Gesagte in Zusammenhang mit jener Theorie der geistigen Gährung, nach
welcher dieselbe abhängig ist von einem Vegetationsproceß, und nach welcher die
Hefenzelle als eine niedrig organisirte Pflanze (als ein Pilz) betrachtet wird, so
drängt sich unwillkürlich uns die Ueberzeugung auf, daß es nicht dieser
Vegetationsproceß ist, der während seines Verlaufes die Alkoholbildung bedingt,
sondern daß erst nach Beendigung dieses Processes, nämlich nach vollendeter
Entwickelung des Pilzes (der Hefenzelle), die Zersetzung des Zuckers beginnt, und
zwar als eine selbstständige Wirkung der bereits gebildeten
Hefenzelle.
Hat nun das Gesagte seine Richtigkeit, so müssen auch verschiedene herrschende
Ansichten der Zymotechniker ihre Berichtigung finden, namentlich jene, nach denen
angenommen wird, daß Hefenbildung und Alkoholbildung in unmittelbarer Beziehung zu
einander stehen und durch die Bildung der Hefe auch
unmittelbar die geistige Gährung hervorgerufen werde, – daß die gebildete
Hefenmenge in geradem Verhältniß zum gebildeten Alkohol stehe, – daß man bei
der geistigen Gährung den Vegetationsproceß des Hefenpilzes (das Werden der wirksamen Hefe) gleichsam
als den Hauptproceß, und das Auftreten des Alkohols und der Kohlensäure bei
demselben gleichsam als Nebenerscheinungen zu betrachten habe.
Zu diesen und ähnlichen Ansichten scheint man dadurch gelangt zu seyn, daß bei den
meisten geistigen Gährungen Zuckerzersetzung und Hefenbildung neben einander
herlaufen. Das Gesagte wird aber genügen die Nothwendigkeit darzuthun, die
Hefenbildung jedenfalls scharf von der Wirkung der Hefe zu unterscheiden. –
Die Bildung der Hefe ist das Resultat eines
Vegetationsprocesses, der mit der unmittelbaren Bildung von Alkohol gar nichts
zu schaffen hat, – Hefenwirkung dagegen (in Bezug auf geistige Gährung
gesprochen) ist das mit dem Absterben, – dem Verwesen – der
lebenden Hefenpilze zusammentreffende und dadurch bedingte Zerfallen des Zuckers
in Alkohol und Kohlensäure.
Die bekannten Gährungstheorien von Mitscherlich und Liebig schließen sich daher einander nicht aus, sondern
ergänzen sich gegen einander, indem ersterer die Hefenbildung, letzterer die
Hefenwirkung vorzugsweise vor Augen hat. Daß beide – Bildung und Wirkung der
Hefe, – bei den meisten geistigen Gährungen gleichzeitig auftreten, ist für
den Gährungsproceß selbst ganz unwesentlich und kann um so weniger befremden, als
wir analoge Erscheinungen über gleichzeitiges Entstehen und Vergehen lebendiger
Wesen in der Natur überall wiederfinden, wobei unverkennbar uns die Harmonie
entgegentritt, die zwischen der Wirkung der Wärme auf die raschere Entwicklung und
das raschere Vergehen der Pflanzen einerseits, und der die Gährung so sehr
belebenden Wirkung einer höheren Temperatur andererseits, besteht.
Um den Unterschied zwischen Bildung und Wirkung der Hefe gehörig zu würdigen, ist
noch der Umstand hervorzuheben, daß nicht von dem in einem Moste oder einer Würze
vorhandenen Eiweiß oder Pflanzenleim, oder den stickstoffhaltigen Bestandtheilen
überhaupt unmittelbar die geistige Gährung ausgeht, sondern daß diese Stoffe, bloß
Dünger, – bloße Nahrung – für die werdende Hefe sind, welche erst
nachdem sie ausgebildet ist und als pflanzliches Wesen ihre Vollkommenheit erreicht
hat, dadurch als geistiges Ferment zu wirken beginnt, daß sie als solches (als
pflanzliches Wesen) wieder untergeht. Keine einzige der in geistigen
Gährungs-Flüssigkeiten entstehenden Hefenzellen nimmt an der Zersetzung des
Zuckers – und folglich auch an der Bildung von Alkohol-Antheil, bevor
sie nicht ausgebildet ist. Erst nachdem sie als Pflanze ihr Ziel erreicht hat und
nun abzusterben beginnt, fängt ihre Thätigkeit im Dienste des Zymochemikers an, –
oder mit anderen Worten: die werdende Hefe ist dem Zucker gegenüber nur vital,
keineswegs aber gleichzeitig auch chemisch thätig, insofern diese Thätigkeit sich
auf die Alkoholbildung bezieht. Ihre chemische Thätigkeit beginnt erst nach
Beendigung ihrer vitalen Thätigkeit. – Ein anderes Verhalten ist kaum
denkbar, am wenigsten aber die Annahme zulässig, daß zwei so verschiedene Ursachen,
als Werden und Vergehen eines Wesens, eine und dieselbe Wirkung (im vorliegenden
Falle geistige Gährung) hervorzubringen im Stande seyn sollen.
Jede andere Wirkung, und zwar jede unmittelbare Wirkung hefenbildender Stoffe in
zuckerhaltigen Flüssigkeiten, bevor dieselben sich zu Hefenzellen ausgebildet haben,
gibt zu einem unregelmäßigen Verlauf der Gährung – zu krankhaften Zuständen
der werdenden Hefe, Veranlassung. – Beobachtungen, denen zufolge auch
Kohlensäureentwickelung und Alkoholbildung vor der Bildung von Hefenzellen möglich
seyn sollen, bedürfen der weiteren Bestätigung, sind aber sicher, selbst wenn ihnen
diese zu Theil wird, keine normalen Erscheinungen.
II. Aceton als ein Bildungsproduct bei
der freiwilligen Zersetzung des Traubenzuckers.
Wenn man eine bei gewöhnlicher Temperatur vollkommen gesättigte Auflösung von ganz
reinem Traubenzucker in destillirtem Wasser (welche, wie ich schon früher angegeben,
eine Dichte besitzt von 24–25° B. bei 12°R. = 1,2060 spec.
Gewicht), in einer nur theilweise damit gefüllten Flasche ruhig stehen läßt, so
bildet sich nach 3–6 Wochen auf der Oberfläche der Zuckerauflösung eine
Schimmelhaut, unter Verbreitung eines widerlichen (der faulenden Stärke ähnlichen)
Geruchs. Wenn man dagegen die Flasche, anstatt sie ruhig stehen zu lassen, öfters
(etwa alle Tage oder jeden zweiten Tag) kräftig umschüttelt, unter zeitweiligem
Oeffnen des Stopfens, so findet keine Schimmelbildung oder höchstens nur in so
geringer Menge statt, daß von derselben mit dem bloßen Auge nichts wahrzunehmen ist.
Dagegen entwickelt sich, jedoch ohne daß eine Kohlensäureentwickelung zu bemerken
ist, anstatt des erwähnten höchst widerlichen Schimmelgeruchs ein äußerst angenehmer
geistiger Geruch, der so viel Aehnlichkeit mit dem des reinen Acetons hat, daß man sich veranlaßt sieht, ihn als von demselben
herrührend anzusehen, und die Bildung von Aceton in dem vorliegenden Falle
anzunehmen.
So oft ich den Versuch in der bemerkten Weise wiederholte, trat derselbe Erfolg ein.
Als aber der concentrirten Zuckerlösung eine geringe Menge Saft eines Beerenobstes
zugesetzt wurde, bildete sich zwar nebenbei auch Aceton, aber außerdem auch, in
Folge einer sehr matten geistigen Gährung, ziemlich gleichzeitig Alkohol, Essigsäure
und Essigäther.
Als ich das Aceton durch fractionirte Destillation auszuscheiden suchte, um seine
Natur mit Bestimmtheit nachweisen zu können, war nach der dritten fractionirten
Destillation die erhaltene Ausbeute so gering, daß eine weitere Reinigung nicht mehr
thunlich war. In diesem Zustand war sein spec. Gewicht 0,804, und ergab sich bei der
Destillation daß dasselbe flüchtiger war als Alkohol und Essigäther und sich daher
auch von von diesen abdestilliren ließ.
Herr Prof. Lerch, welchem ich diese Beobachtung
mittheilte, und in dessen Laboratorium man gerade mit Versuchen über die Zersetzung
des Harnruhrzuckers (der bekanntlich identisch mit dem Traubenzucker ist)
beschäftigt war, hielt es für wahrscheinlich, daß in dem von mir beobachteten Fall
ein Theil des Traubenzuckers sich in der Art zersetze, daß er dabei in ein
Aequivalent Aceton, 1 Aequivalent Essigsäure, 2 Aequivalente Kohlensäure und 2
Aequivalente Wasser zerfalle, wie sich aus folgender Formel ergibt:
1 Aequiv. Aceton
C6
H6
O2
1 „ Essigsäure
C4
H4
O4
2 „ Kohlensäure
C2
–
O4
2 „ Wasser
–
H2
O2
–––––––––––––––––
C12
H12
O12
welches, wie bekannt, die Zusammensetzung des Traubenzuckers
ist.
Vielleicht hängt diese Beobachtung mit der Erscheinung zusammen, nach welcher
Harnruhrkranke, in deren Harn sich viel Traubenzucker bildet, Aceton ausathmen.
(Der Schluß folgt im nächsten Heft.)