Titel: | Ueber die mit überhitzten Dämpfen gespeiste Dampfmaschine von Testud de Beauregard und über den mit einem Gasgemisch gespeisten Motor von Lenoir. |
Fundstelle: | Band 156, Jahrgang 1860, Nr. XXII., S. 81 |
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XXII.
Ueber die mit überhitzten Dämpfen gespeiste
Dampfmaschine von Testud de
Beauregard und über den mit einem Gasgemisch gespeisten Motor von
Lenoir.
Aus Moigno's Cosmos, März 1860. t. XVI p.
253.
Ueber Testud de Beauregard's Dampfmaschine und über Lenoir's
Motor.
I. Dampfmaschine von Testud de
Beauregard.
Die von Testud de Beauregard seit sechs Jahren wiederholt
vorgenommenen Versuche zur Benutzung überhitzter Dämpfe als Betriebskraft sind jetzt
zu einem Abschluß gelangt. Der Apparat desselben zur Entwickelung solcher
überhitzten Dämpft besteht nicht, wie derjenige von Belleville und Isoard, aus einem Schlangenrohr,
sondern aus einem einfachen Dampfkessel, oder vielmehr aus einem gußeisernen oder
schmiedeeisernen Topfe. Mit Hülfe einer Speisepumpe, welche die pompe à équation genannt wird und deren
immer gleich sich bleibendes Spiel durch das Herabsinken eines bestimmten Gewichtes
regulirt wird, läßt der Erfinder die Menge Wasser, welche fast augenblicklich
verdampft werden soll, in den Topf eintreten und auf dessen Boden, der auf der sehr
hohen Temperatur von 500 bis 1000° C. und mehr erhalten wird, fallen. Die
Erfahrung, welche Testud de Beauregard aus seinen früheren Versuchen festgehalten hat, ist die
Thatsache, daß durch die Verdampfung des auf den Boden des Topfes tropfenden Wassers
plötzlich so hoch gespannte Dämpfe entwickelt werden, daß dieselben den Apparat
beschädigten, dessen Fugen aus einander trieben und ihn nach Verlauf weniger Stunden
oder Tage unbrauchbar machten.
So günstige Momente die Anwendung des überhitzten Dampfes, theoretisch und nach allen
Seiten hin betrachtet, hinsichtlich der Menge des erzeugten Dampfes, der großen
Regelmäßigkeit von dessen Erzeugung, der bedeutenden mechanischen Leistung oder des
Nutzeffectes, welchen derselbe gewähren müßte, auch darbieten mag, so war doch
dieses Problem in dieser ersten Entwickelungsperiode zu einer praktischen Lösung
noch nicht gebracht worden.
Diese praktische Lösung war indessen sehr einfach, nur mußte sie gefunden werden, und
nichts entzieht sich unseren Blicken länger als die Einfachheit.
Testud de Beauregard ist erst zuletzt auf den Gedanken
gekommen, daß, wenn er den Topfboden, den er zu dem Ende zuvor inwendig und
auswendig verzinnt hatte, unter ein Zinnbad brächte, einestheils in der Fortleitung
der Wärme eine bemerkenswerthe Unterbrechung nicht eintreten werde und anderntheils
nicht mehr dem Eisen, sondern dem flüssigen Zinn, welches offenbar von den durch die
plötzliche Wärmeentziehung bewirkten Gestaltveränderungen des Eisens gar nicht zu
leiden hat, die zu der plötzlichen Verdampfung des Wassers erforderliche Wärme
entnommen wird. Da der Topf auf solche Weise nicht mehr angegriffen wird, so muß er
von langer Dauer seyn.
Diese wesentliche Verbesserung, das Resultat zweijähriger vielfacher Versuche zu St.
Etienne und zu Lyon, ist als vollständig geglückt zu betrachten. Wir haben mit
unseren eigenen Augen einen Topf gesehen, welcher zwei Jahre hindurch bedeutende
Dampfmengen entwickelt hat, ohne im Geringsten gelitten zu haben.
In der Werkstatt, die wir besucht haben, setzten zwei Dampfgeneratoren mit Zinnbädern
zwei Dampfmaschinen in Bewegung, von denen die eine, nach dem System von Giffard und Flaud construirt,
3 bis 4 Pferdekräfte und einen sehr schnellen Gang, die andere nach dem System Kientzy ausgeführt, einen oscillirenden Cylinder und eine
langsame Bewegung hatte. Beide Maschinen haben geleistet, was man nur erwarten
konnte: sie ließen nämlich nichts zu wünschen übrig. Die Menge des gelieferten
Dampfes hat die Sachkundigen, welche mit uns den Versuchen beiwohnten, Nicht nur
befriedigt, sondern in Erstaunen gesetzt. Die von Flaud
gebaute Dampfmaschine hat, nach Anlegung des Prony'schen
Zaumes, die Geschwindigkeit von 600 bis 1000 Kolbenwechseln per Minute erreicht und während so langer Zeit beibehalten als man wollte.
Die Luftpumpe, der Regenerator (aus einer Art von Röhrensystem bestehend, in welchem
der überhitzte Dampf nach Ausübung seiner Kraft den Ueberschuß seiner Wärme an das
Wasser abgibt welches verdampft werden soll, und somit dessen Verdampfung befördern
hilft), der Condensator, in welchem unter den günstigsten Bedingungen die
Condensirung des überhitzten Dampfes sich vollzieht, die Speisepumpe (pompe à équation) etc., alle diese
Hülfsapparate haben vollständig ihre Functionen verrichtet und wir haben nicht das
geringste Bedenken die Meinung auszusprechen, daß unter der Bedingung eines ganz
regelmäßigen Processes die beschriebene Wasserverdampfung (vaporisation spontanée) die vollkommenste und vortheilhafteste Weise der Dampferzeugung
werden wird. Die unbestreitbaren Vortheile der Dampferzeugung mittelst eines
Zinnbades sind:
1) eine sehr bedeutende Verkleinerung der verdampfenden
Oberfläche,
2) eine sehr bedeutende Verminderung des Volums des
Dampfkessels,
3) die absolute Unmöglichkeit einer Explosion,
4) eine sehr große Verringerung der Menge des
Speisewassers,
5) eine Speisung mit durch die Kondensation gewonnenem
destillirten Wasser,
6) der Wegfall der Ablagerung von Kesselstein,
7) der Wegfall einer Reinigung, oder eine höchstens mit einer
Bürste zu bewirkende Reinigung,
8) der Wegfall der Verzögerungen des Verdampfungsprocesses,
also der Wegfall der Zeitverluste,
9) ein durchaus trockener Dampf ohne alles mitfortgerissene
Wasser,
10) ein Dampf, dessen gleichbleibende Temperatur nach Belieben
von 200 bis 1000° C. erhöht werden kann,
11) die Verwerthung des benutzten Dampfes zur Erzeugung einer
neuen Bewegungskraft,
12) eine Condensation die eben so vollständig ist, als sie bei
der Hervorbringung des leeren Raumes seyn kann, welcher der Dampfpressung den
Luftdruck hinzufügt,
13) eine Regelmäßigkeit und Gleichmäßigkeit des Ganges der
Maschine, welche außerordentlich sind,
14) die Möglichkeit, die Kraft jeden Augenblick ohne irgend
eine Gefahr zu verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen etc.,
15) ein Feuerherd, der bei jedem beliebigen Brennmaterials
rauchverzehrend ist,
16) eine sehr geringe Mühe bei der Heizung.
Der beschriebene Dampferzeuger ist ohne Kostenvermehrung, ohne die Nothwendigkeit
eines hinderlichen oder lästigen Umbaues bei allen Dampfmaschinen anzubringen. Seine
Erfinder garantiren sowohl eine Ersparniß von 50 Proc. des bisher verwendeten
Brennmaterials, obschon dessen Menge durch eine zweckmäßige Dampfkesseleinrichtung
bei ihnen bereits verhältnißmäßig gering zu nennen war, als auch die Dauer des
Dampferzeugungsapparates bei regelmäßigem Betriebe für eine längere Zeit als
diejenige der gewöhnlichen Dampfkessel ist.
II. Lenoir's Motor.
Sollte dieser überhitzte Dampf nicht durch Wasserstoffgas, gekohltes oder nicht
gekohltes, vermischt mit atmosphärischer Luft, ersetzt werden können? Wir stellten uns diese
Frage beim Verlassen der Werkstatt, in welcher der durch Entdeckungen auf dem
Gebiete der Galvanoplastik bekannte Lenoir unter unseren
Augen einen neuen sehr ökonomischen und sehr einfachen Motor von großer Leistung,
wenigstens in einem kleinen Maaßstabe, in Thätigkeit
gesetzt hatte; denn es darf nicht übersehen werden, daß bei einer Ausführung im
Großen unvorherzusehende Schwierigkeiten sich darbieten dürften.
Die dem Modelle zu Grunde liegende Idee, die explodirende Kraft des Pulvers, das
explosive Gemisch von Wasserstoffgas und Sauerstoffgas zur Erzeugung einer
Bewegungskraft zu verwenden, ist in der That nicht neu und ihre Realisirung schon in
sehr mannichfaltiger Weise versucht worden. Die weitere Idee, den elektrischen
Funken zur Entzündung des Pulvers oder des Gasgemisches zu benutzen, ist ebenfalls
nicht neu zu nennen; im dritten Bande des Exposé des
applications de l'électricité von Du
Moncel findet sich S. 311 die Beschreibung des elektrochemischen Motors von
Moeff. Dieser Motor wird durch ein Gemisch von
Sauerstoffgas und Wasserstoffgas gespeist, welches durch den mittelst einer
elektromagnetischen Maschine erzeugten Funken entzündet wird. Moeff fügt mit anerkennenswerther Bescheidenheit hinzu: „unsere
Maschinen sind noch weit davon entfernt vollkommen zu seyn, doch glauben wir
hoffen zu dürfen, daß andere Experimentatoren, durch unsere jetzigen
Mittheilungen dazu veranlaßt, auf dem von uns eingeschlagenen Wege weiter gehen
und uns vielleicht überholen werden, was uns zu besonderer Freude gereichen
sollte.“ Dieses Ziel zu erreichen, ist nach unserer Ansicht Lenoir wirklich gelungen oder derselbe ist mindestens
nahe daran. Er hat von dem Gemisch von reinem Sauerstoff und Wasserstoff Abstand
genommen, weil es eine sehr heftige, gefährliche und sehr schwer zu beherrschende
Detonation hervorbringt und zu dem gewöhnlichen Leuchtgase sich gewendet, welches
man sich zu sehr billigem Preise fast überall verschaffen kann. Lenoir verwendet indessen das Leuchtgas nur in sehr
geringem Verhältnisse, im Maximum 5 Proc. auf 95 Proc. atmosphärische Luft und im
Minimum 2 Proc. auf 98 Proc. atmosphärische Luft. Dasjenige was Moeff durch die Detonation von einem Volum Sauerstoff und
zwei Volumen Wasserstoff zu erreichen vermochte, war eigentlich nur ein luftleerer
Raum, welcher durch die Condensirung des gebildeten Wasserdampfes entstand. Die
Maschine desselben konnte daher nur einen niedrigen Druck, nämlich den Druck der
Atmosphäre, hervorbringen. Dagegen erzielt Lenoir durch
die Entzündung seines Gemisches und durch die mittelst dessen vollkommener
Verbrennung entstehende Wärme die Ausdehnung des Wasserdampfes, der gebildeten
Kohlensäure und des verbleibenden Stickstoffs, so daß sein Motor einen hohen Druck
ausübt, weßhalb die aus dem Ausgangsrohre entweichenden Gase mit Spannung und
Geräusch, wie bei einer Dampfmaschine, austreten. Seine Maschine, die wir als sehr
einfach bezeichnet haben, besteht aus einem conischen Cylinder mit vorn und hinten
durch einen den Dampfmaschinenkolben ähnlichen Kolben von einander getrennten
Canälen. Das aus einem gewöhnlichen Gasmesser durch eine mit einem Meßhahn versehene
Kautschukröhre ausströmende Gas tritt abwechselnd in jeden der beiden Canäle, deren
Inneres wie die Volta'sche Pistole eingerichtet ist; die atmosphärische Luft, welche
dem Gase beigemischt werden muß, zieht durch eine oben angebrachte, auswendig stets
offenbleibende Büchse, welche vermittelst ihrer innern Oeffnung alternirend mit den
beiden Canälen communicirt. Ein kleiner Ruhmkorff'scher
Inductionsapparat, welcher im Innern des Maschinengestelles angebracht ist, sendet
seinen Strom den beiden Polen der Volta'schen Pistolen zu, so daß an denselben die
entzündenden Funken springen.
Ein verhältnißmäßig kleines Schwungrad, nämlich von 25 Centimet. Halbmesser bei einer
Maschine von einer Pferdekraft, welche wir in Wirksamkeit
gesehen haben, nimmt die Kraft auf und bewirkt die Ueberwindung der todten Punkte.
Die Betriebswelle, an deren einem Ende das Schwungrad angebracht ist, erhält ihre
Bewegung unmittelbar von der Kolbenstange mittelst eines Bleuels. Um die Maschine in
Thätigkeit zu setzen, öffnet man den Gashahn und läßt das Schwungrad eine oder zwei
Umdrehungen machen; das Gas tritt nun vor und hinter den Kolben und wird durch die
ununterbrochen springenden Funken entzündet; die Bewegung des Kolbens beginnt bald,
dauert so lange als Gas zuströmt und gehorcht gewissermaßen der Hand, welche
dieselbe mittelst einer einfachen Bewegung des Eintrittshahns nach Belieben jeden
Augenblick zu beschleunigen oder zu verzögern vermag.
Diese Leichtigkeit der Regulirung und die Möglichkeit, sehr langsame Bewegungen
herzustellen, haben die bei den Versuchen gegenwärtigen Ingenieure sehr in Erstaunen
gesetzt. Der sehr geringen Gasmenge im Gemisch ist es zuzuschreiben, daß weder Stöße
noch Geräusch bemerkbar sind; man glaubt weit eher einen durch Gas, welches mittelst
Erwärmens expandirt wird, als einen durch Detonationen wirkenden Motor zu erblicken.
Gleichwohl concurrirt die Wärme bei diesem Motor, denn der Cylinder erhitzt sich
nach einem längern Gange bedeutend und zwar über 100° C.; der Kolben beginnt
alsdann zu schnarren und die Bewegung verzögert sich; sie würde nach einiger Zeit
sogar aufhören; diesem Umstand läßt sich aber leicht begegnen, indem man entweder
den Cylinder mit einer Wassercirculation umgibt, oder bei jedem Kolbenwechsel in das
Innere des Cylinders
mittelst einer Brause eine kleine Quantität Wasser eintreibt, welches sich in Dampf
verwandeln und seine dadurch erhaltene Spannung mit derjenigen der erhaltenen Gase
vereinigen, gleichzeitig aber auch als Schmiermittel dienen und die verbliebene
schädliche Wärme abführen wird.
Wir wollen jetzt in Kürze dasjenige zusammenfassen, was wir zu beobachten Gelegenheit
hatten.
Mit 5 Proc. Gas und 95 Proc. atmosphärischer Luft macht die Schwungradwelle 120
Umdrehungen und die erzeugte Kraft entspricht derjenigen eines Pferdes. Ein
kräftiger Mann ist nicht im Stande die Maschine durch Bremsung des Schwungrades in
Stillstand zu bringen. Bei dieser Geschwindigkeit von 120 Umdrehungen beträgt in
zwölf Stunden der Verbrauch an Gas 3 Kubikmeter; nimmt man nun den Preis eines
Kubikmeters zu 6 Centimes an, so würden die Kosten pro
Pferdekraft und pro Stunde sich auf 9 Centimes belaufen,
also auf etwa die Hälfte der Kosten der Steinkohlenfeuerung pro gleiche Kraft bei einer Dampfmaschine. In wenigen Tagen wird Lenoir einen Motor von 4 Pferdekräften in Thätigkeit
setzen; fällt derselbe nach Erwartung aus, so wird man ein genaueres Anhalten für
die Kostenverhältnisse der neuen gewonnenen Kraft haben. Was wir heute schon
auszusprechen keinen Anstand nehmen, ist, daß ein großes und schönes Problem, das
Problem der Ersetzung der Menschenkraft durch einen Motor für den Gewerbebetrieb,
gelöst worden ist. Ueberall wird man die Gasleitung anbohren können, selbst in der
Kammer des einfachen Arbeiters; man wird im Stande seyn eine bedeutende Kraft zu
billigem Preise und unter günstigen Verhältnissen herzustellen; denn dieselbe wird
entstehen, wenn man sie haben will, und verschwinden, wenn man sie nicht mehr
verlangt, vermehrt oder vermindert werden mit der Bewegung des sie lenkenden
Fingers. Aus den Kammern der Arbeiter und aus den Werkstätten wird die neue Kraft
bald in die Straßen und auf die öffentlichen Wege herabsteigen, um die Pferde zu
ersetzen, deren Preis immer höher steigt; es hat ja keinen Anstand, auf einem
Fuhrwerke einen Lenoir'schen Apparat mit einem Behälter
für 10 bis 12 Kubikmeter comprimirten Gases anzubringen. Atmosphärische Luft findet
sich überall, und dieses neue Verfahren, sie zu einer forttreibenden Kraft
umzugestalten, ist gewiß einer der größten Fortschritte.
Moigno.