Titel: | Ueber die Anwendung des Kalkwassers zur Verbesserung des Brodes, namentlich wenn zur Bereitung desselben Mehl von ausgewachsenem Getreide benutzt wird; von Dr. Artus in Jena. |
Fundstelle: | Band 154, Jahrgang 1859, Nr. LXXXIII., S. 391 |
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LXXXIII.
Ueber die Anwendung des Kalkwassers zur
Verbesserung des Brodes, namentlich wenn zur Bereitung desselben Mehl von ausgewachsenem
Getreide benutzt wird; von Dr. Artus in Jena.
Aus des Verfassers: Vierteljahresschrift für technische
Chemie, 1859.
Artus, über die Anwendung des Kalkwassers zur Verbesserung des
Brodes.
Kein Gegenstand dürfte gerade in der gegenwärtigen Zeit mehr unsere Aufmerksamkeit in
Anspruch nehmen, als die Erzielung eines guten und schmackhaften Brodes, da viele
Menschen auf den Genuß desselben fast ausschließlich angewiesen sind. Fragen wir:
wird denn immer ein gutes Brod in unseren Haushaltungen erzielt? so müssen wir die
Frage verneinend beantworten; ein Blick in unsere Haushaltungen wird dieß zur Genüge
beweisen. Fragen wir ferner: worin liegt denn der Grund, weßhalb aus den
verschiedenen im Handel vorkommenden Sorten von Mehl nicht immer ein Brod von guter
normaler Beschaffenheit erzielt wird? so liegt es – abgesehen davon, daß
sonst die hier üblichen und nothwendigen Cautelen beachtet werden, die zur Erzielung
dieses so allgemeinen Nahrungsmittels erforderlich sind, – meistens an der
schlechten Beschaffenheit des Mehls, oder dem Kleber, als dem stickstoffhaltigen
Bestandtheile des Mehls, welcher im frischen Zustande weich, elastisch und unlöslich
im Wasser erscheint, aber theils durch das längere Aufbewahren an feuchten Orten,
theils nun besonders in diesem Jahre durch das Auswachsen der Getreidearten, durch
Wasser auflöslich wird und dadurch seine wasserbindende
Kraft verliert, in welchem Zustande er mit dem Stärkmehle, dem anderen
stickstofffreien Bestandtheile des Mehls, keinen Teig mehr bildet, wodurch dann das
Brod fest, oder wie man zu sagen pflegt, klosig wird.
Die Teigbildung wird jedoch bedingt durch die Fähigkeit des Klebers, Wasser zu binden
und dieses wieder in den Zustand zurückzuführen, in welchem es in vielen Theilen des
thierischen Organismus sich befindet.
Um diesem gegenwärtig so fühlbar geworbenen Uebelstande entgegen zu kommen, wandten
früher besonders belgische Bäcker Kupfervitriol und ebenso Alaun an, um Mehl,
welches für sich ein schweres nasses Brod geliefert haben würde, so zu Brod zu
verbacken, als wenn Mehl von frischester und bester Beschaffenheit angewendet worden
wäre. Die Anwendung beider, jedoch für die Gesundheit höchst
gefährlichen Salze beruht darauf, daß sie mit dem löslich gewordenen Kleber in der
Wärme eine chemische Verbindung bilden, wodurch der Kleber seine ihm ursprüngliche
Eigenschaft wieder erhält, d.h. unlöslich wird.
Die Beziehungen des Getreideklebers zum Käsestoff, mit welchem er, wie Liebig zunächst gezeigt hat, so viele Eigenschaften
theilt, veranlaßten Liebig, den Gegenstand weiter zu
verfolgen und namentlich statt der oben bezeichneten schädlichen Salze einen anderen
unschädlichen Stoff aufzufinden, welcher mit jenen die Eigenschaft gemein hat, den
löslich gewordenen Kleber wieder in Wasser unlöslich und wasserbindend zu
machen.Polytechn. Journal Bd. CXXXIII S.
447. Dieses Mittel besteht in der Anwendung von reinem
gesättigten Kalkwasser, welches von Jedermann und in jeder Haushaltung
leicht auf folgende Weise fast kostenlos dargestellt werden kann:
Es wird circa 1 Pfund gut gebrannter fester Kalk in ein
Gefäß, etwa in eine irdene Schüssel gegeben, mit so viel kaltem gewöhnlichen
Brunnenwasser benetzt, daß der Kalk in ein feines Pulver zerfällt, worauf der zu
Staub zerfallene Kalk (das Kalkhydrat) in einen großen irdenen gut glasirten Topf
gegeben, mit einer größeren Menge Wassers Uebergossen, die Masse mehrere Male
umgerührt und dann eine Zeit lang gut bedeckt der Ruhe so
lange überlassen wird, bis die oben befindliche Flüssigkeit wasserhell erscheint, welches dann als fertiges
Kalkwasser langsam von dem noch unaufgelösten Kalke so lange abgegossen
werden kann, als die Flüssigkeit wasserklar und nicht
trübe erscheint. Auf den Rückstand (d.h. auf den noch ungelösten Kalk) kann
zur Bereitung neuer Quantitäten von Kalkwasser noch mehrere Male frisches Wasser
gegossen und wie oben weiter verfahren werden.
Wird nun der zur Teigbildung bestimmte Antheil des Mehls mit diesem Kalkwasser
angemacht, sodann der Sauerteig zugesetzt und der Teig sich selbst überlassen, so
tritt die Gährung ein ganz wie ohne Kalkwasser; und wird ferner zur gehörigen Zeit
der Rest des Mehls dem gegohrenen Teige zugesetzt, werden die Brode geformt und wie
gewöhnlich verbacken, so erhält man ein schönes, säurefreies, elastisches,
kleinblasiges, nicht wasserrandiges Brod von vortrefflichem Geschmack.
Was nun die Quantität des Mehls zum Kalkwasser betrifft, so wendet man auf 100 Pfd.
Mehl 26 bis 27 Pfd. Kalkwasser an. Diese angegebene Menge Kalkwasser ist jedoch zur
Teigbildung noch nicht ausreichend, und es ist daher das Fehlende durch gewöhnliches
Wasser zu ergänzen.
Da aber durch den Kalkwasserzusatz der sonst etwas säuerliche Geschmack des Brodes
ein wenig vermindert wird, so muß der Kochsalzzusatz um etwas
vermehrt werden, als sonst bei dem gewöhnlichen Verfahren zugesetzt
wird.
Man hat nun ferner ermittelt, daß dem Mehle der Getreidearten die volle
Ernährungsfähigkeit abgeht und namentlich dieser Mangel in dem zur Knochenbildung
unentbehrlichen Kalk begründet ist; es ist anderntheils durch Versuche constatirt
worden, daß die Samen der Getreidearten Phosphorsäure in hinreichender Menge
enthalten, aber weniger Kalk als die Früchte der Leguminosen, wohin die
Hülsenfrüchte, z.B. Bohnen, Erbsen, Linsen u.s.w. gehören. Dieser Umstand erklärt
jedenfalls manche Krankheitserscheinungen, die man bei Kindern auf dem Lande oder
bei Sträflingen in Gefängnissen wahrnimmt, wenn deren Nahrung hauptsächlich nur auf
Brod beschränkt ist. Obiges Verfahren habe ich hier im Großen ausführen lassen und
dadurch die schönsten Resultate erzielt, weßhalb ich nicht anstehe, dasselbe dem
großen Publicum zur Beachtung zu empfehlen.
Nächst diesem Verfahren haben sich einige Stimmen über ein anderes Verfahren in
Sachsen erhoben, von woher in einem polytechnischen Blatte vom September d. J.
Folgendes berichtet wird:
„Man hat ein Verfahren gefunden, aus dem Mehle von ausgewachsenem Roggen
ein Brod zu bereiten, welches eben so gesund und wohlschmeckend ist, als wäre es
von Mehl aus nicht ausgewachsenem Getreide gebacken. Das Mehl von ausgewachsenem
Roggen wird, wie gewöhnlich, zu Teig verarbeitet, der Sauerteig dann zugefügt
und hiernächst auf 10 Pfund Mehl eine Quantität von 16 Loth Kochsalz (nach Dr. Lehmann soll man auf
3 Pfund Mehl nur 2 Loth Kochsalz anwenden)Man s. den Bericht über die unter seiner Leitung angestellten Versuche im
polytechn. Journal Bd. CLI S.
309. in wenig Wasser aufgelöst, beigemischt, und dieß gut
durchgearbeitet.“
Abgesehen davon, daß dieser Kochsalzzusatz nichts Neues bietet, denn bei obiger
Methode wird ja schon ein vermehrter Zusatz von Kochsalz angewandt, müssen wir,
nachdem wir eine Reihe von vergleichenden Versuchen hier angestellt haben, immer auf
unser obiges Verfahren verweisen, da nur dadurch dem Zwecke vollkommen entsprochen
wird, wofür sich auch hiesige Bäckermeister entschieden haben.