Titel: | Zur Theorie und Praxis der Weinbereitung; von G. E. Habich. |
Autor: | G. E. Habich |
Fundstelle: | Band 153, Jahrgang 1859, Nr. LXXXII., S. 300 |
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LXXXII.
Zur Theorie und Praxis der Weinbereitung; von
G. E. Habich.
Habich, zur Theorie und Praxis der Weinbereitung.
II.Fortsetzung von S. 223 des vorhergehenden Heftes.
Das Programm der zu Heidelberg stattfindenden 21sten Versammlung deutscher
Land- und Forstwirthe wirft unter Nr. 8 der Abtheilung für Weinbau die Frage
auf: „Durch welche bestimmte Merkmale, außer dem bekanntlich sehr
trügerischen Geschmacke, läßt sich ein richtig behandelter gallisirter Wein von
einem naturwüchsigen Weine unterscheiden?“
Diese Frage ist den Chemikern schon öfters gestellt worden; man ist der Meinung, daß
das chemische Experiment nicht nachzuweisen vermöge, ob der gefundene Alkoholgehalt
eines Weines dem Zucker der Traube oder einem Zuckerzusatz entstamme, und daß
deßhalb die eben verlangte Unterscheidung nicht zu bewerkstelligen sey. So kurzer
Hand aber ist die Frage doch wohl nicht abzuweisen. Es gibt allerdings
Anhaltspunkte, welche in manchen Fällen volle Gewißheit der Anwendung des
Gallisirens geben, ohne aber umgekehrt als Beweis für die Naturwüchsigkeit eines
Weines zu gelten. Ich will mich des Weitern darüber verbreiten.
Ein gallisirter Wein ist ein solcher, bei welchem der naturwüchsige übermäßige
Säuregehalt durch Verdünnen mit Wasser auf den humanen
Standpunkt reducirt, der durch diese Operation geschmälerte Zuckergehalt durch
Zuckerzusatz ergänzt und das Ganze dann einer regelmäßigen
„naturwüchsigen“ Gährung unterworfen wurde.
Durch die Verdünnung mit Wasser ist begreiflicherweise die Gesammtmenge der nicht
flüchtigen Weinbestandtheile, der sogenannte Extract,
ebenwohl auf einen geringeren Procentsatz zurückgegangen. Und wenn dieser
Extractgehalt in den naturwüchsigen Weinen ziemlich constant wäre, so hätte man
durch die Feststellung und Vergleichung desselben eine sichere Basis zur Ertheilung
einer Legitimationsurkunde an irgend einen verdächtigen Wein. In der That sind die
Schwankungen, welche sich bei dem Extractgehalt der Weine herausstellen, nicht so
groß, daß sich nicht in ausgeprägteren Fällen sichere Schlüsse daraus ziehen
ließen.
P. Bronner hat uns eine Reihe Analysen von Weinen, über
deren Naturwüchsigkeit kein Zweifel obwalten kann, geliefert (polytechn. Journal Bd. CXLVI S. 144). Aus diesen wollen wir uns
die Anhaltspunkte für die Beurtheilung des Extractgehalts herbeiholen. Dabei muß
zwischen weißen und rothen Weinen unterschieden werden, auch darf man die durch
langes Lagern extractreicher gewordenen alten Weine nicht in Rechnung ziehen.
Von weißen Weinen notirt Bronner den saccharometrisch bestimmten Extractgehalt:
beim
1854er Untertürkheimer
Rießling
mit
2,15 Proc.
1855er „
„
„
1,97 „
1855er „
gemischt
„
1,75 „
1855er Mundelsheimer
Rießling
„
1,95 „
1855er „
gemischt
„
2,10 „
1856er Untertürkheimer
Rießling
„
2,10 „
1856er Mundelsheimer
„
„
2,07 „
Hieraus ergibt sich ein mittlerer Extractgehalt von 14,09/7 = 2,01 Proc.
Bei den rothen Weinen stellt sich der Extractgehalt höher
heraus in Folge des Gehalts an Gerbsäure und Farbstoff; – Bronner fand beim:
1855er Clevner
2,87 Proc.
1856er „
2,92 „
1856er Trollinger
2,62 „
wonach sich der mittlere Gehalt auf 8,41/3 = 2,8 Proc.
feststellte.
Werden diese mittleren Extractgehalte als Norm festgehalten, so würde man, wenn sie
durch den Extractgehalt irgend eines verdächtigen Weines dividirt werden, einen
Quotienten bekommen, welcher anzeigt wie viel gallisirten Wein man aus 1 Naturwein
gemacht habe. Weine, deren Extractgehalte innerhalb der Gränzen der obigen Angaben
fallen, dürfen dann nicht als gallisirt betrachtet werden; ob sie als
„Naturweine“ anzusprechen sind, ist eine andere Frage, die
weiter unten beantwortet wird.
Auf dieser Grundlage mögen nun einmal aus den in Mulder's
Chemie des Weines (S. 299) mitgetheilten Extractbestimmungen diejenigen herangezogen
werden, welche zur Vergleichung passen, nämlich die der Rheinweine und die der
gewöhnlichen französischen Weine.
Namen der
Weine.
Extractgehaltin Proc.
Wie viel Wein aus 1Naturwein gemacht ist.
A. Weiße
Weine.
Rheinwein Nr. 1
1,94
Nicht gallisirt
„ „
2
2,11
deßgl.
„ „
3
2,00
deßgl.
„ „
4
1,33
2,01/1,33 = 1,5
„ „
5
1,58
2,01/1,58 = 1,3
„ „
6
1,45
2,01/1,45 = 1,4
„ „
7
1,61
2,01/1,61 = 1,2
„ „
8
1,90
Nicht gallisirt
„ „
9
2,15
deßgl.
„ „
10
1,56
2,01/1,56 = 1,3
„ „
11
1,83
Nicht gallisirt
Bordeaux Sauterne
0,95
2,01/0,95 = 2,1
Côtes
1,48
2,01/1,48 = 1,4
B. Rothweine.
Bordeaux
1,64
2,8/1,64 = 1,7
Burgunder Beaune
1,41
2,8/1,41 = 2,0
Hermitage
1,72
2,8/1,72 = 1,6
Roussillon
2,87
Nicht gallisirt
St. George
1,81
2,8/1,81 = 1,6
Narbonne
2,20
Nicht gallisirt
Diese Uebersicht zeigt wenigstens, daß man bei der dermaligen Praxis des Gallisirens
einigermaßen auf die oben aufgeworfene Frage
antworten kann. Freilich liegt auch die Consequenz auf der Hand, daß bei der
Anwendung dieser Prüfungsmethode die gallisirenden Weinproducenten – wenn sie
genöthigt wären, diese Verbesserung schlechter Jahrgänge zu verheimlichen –
fortan auch auf die Vermehrung des Extractgehaltes Bedacht nehmen müßten. Die
vorstehende Tabelle weist ferner nach, wie die Franzosen (ohne Zweifel schon seit
langer Zeit) die Multiplication ihrer Weine meisterhaft verstanden haben, ohne daß
man ihren Producten diese Manipulation angeschmeckt hat. Die Gegner des Gallisirens mögen sich diese
Thatsachen merken.
Da man nun in der oben aufgeworfenen Frage dem naturwüchsigen Weine nur den
gallisirten entgegensetzt, so will ich doch noch auf den Tresterwein (sowohl den weißen als den rothen à la Petiot) aufmerksam machen. Obwohl derselbe fast bloß mit
Wasser bereitet wird, so gibt dessen Extractgehalt dennoch den naturwüchsigen Weinen
kaum etwas nach, indem aus den Markzellen noch hinreichend Extractstoffe aufgenommen
werden.
Ich habe deßhalb in der obigen Zusammenstellung die Weine mit normalem Extractgehalte
als „nichtgallisirt“ bezeichnet, dadurch ist aber nicht etwa
ausgeschlossen, daß es Tresterweine seyen.
Mit diesen Andeutungen habe ich an alle die, welche Gelegenheit dazu haben, die Bitte
verbinden wollen, die spärlichen Untersuchungen der Weine auf ihren Extractgehalt zu
vervollständigen. Dabei ist es wünschenswerth, daß die deßfallsigen Bestimmungen
nicht durch Abdampfung bis zur Trockne geschehen, sondern vermittelst des
Saccharometers. Der Rückstand beim Eindampfen ist schwierig zu stets gleichem und
vollständigem Trockenheitsgrade zu bringen, – durch die Anwendung des
Saccharometers werden solche Irrthümer vermieden und die Resultate sind für unsere
Zwecke hinreichend genau.