Titel: | Ueber den Einfluß des Lichtes auf das Chlorgas; von Prof. H. Roscoe in Manchester. |
Fundstelle: | Band 147, Jahrgang 1858, Nr. XXXVII., S. 127 |
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XXXVII.
Ueber den Einfluß des Lichtes auf das Chlorgas;
von Prof. H. Roscoe in Manchester.
Aus dem Philosophical
Magazine, December 1857, S. 504.
Roscoe, über den Einfluß des Lichtes auf das Chlorgas.
Dr.Draper hat sich in seiner Abhandlung „über
Messung der chemischen Wirkung des Lichtes“ (polytechn. Journal Bd.
CXLVI S. 29) über die von Prof. Bunsen und mir
veröffentlichten Untersuchungen über die chemische Wirkung des LichtesPoggendorff's Annalen der Physik und Chemie, Bd. C S. 34 und 481. in einer Weise geäußert, welche zu einer irrigen Ansicht über die von uns
erhaltenen Resultate und die aus denselben zu ziehenden Folgerungen führen muß.
Im J. 1843 beobachtete Dr.
Draper, daß wenn ein Gemisch von Chlorgas und
Wasserstoffgas dem Licht ausgesetzt wird, eine gewisse Zeit verstreicht bevor deren
Vereinigung zu Salzsäure beginnt, und daß die Wirkung des Lichtes, nachdem sie
begonnen hat, beständig zunimmt, bis ein constant bleibendes Maximum eingetreten ist. Bei
unseren Versuchen beobachteten wir dieselbe Thatsache, aber hinsichtlich der Ursache
dieser Erscheinung theilen wir keineswegs Dr.
Draper's Ansichten; ich will daher den experimentellen
Beweis, auf welchen wir unsere Erklärung stützen, kurz zusammenstellen.
Die Annahme, auf welche man natürlich zuerst verfallen wird, besteht darin, die
Ursache dieser eigentümlichen Erscheinung einer allotropischen Veränderung
zuzuschreiben, welche die Gase (oder eines derselben) bei der Bestrahlung erlitten
haben, in welchem Zustande deren Verbindungsfähigkeit eine größere geworden und
daher ihre nachfolgende Vereinigung durch Belichtung möglich gemacht ist. Dieß ist
auch in der That die von Dr. Draper gegebene Erklärung. Er nimmt an, daß von den beiden Gasen das Chlor
während der ersten Belichtung eine Veränderung seiner Eigenschaften erfährt; er
glaubt sich durch vielfach abgeänderte Versuche überzeugt zu haben, daß dieß der
Fall ist, und daß das Chlor diesen Zustand erhöhter chemischer Thätigkeit beibehält,
wenn es (selbst viele Wochen lang) im Dunkeln aufbewahrt wird. Wir haben diese
Versuche häufig mit großer Sorgfalt und Vermeidung ihrer Fehlerquellen wiederholt,
aber in keinem einzigen Falle Draper's Annahmen bestätigt
gefunden. Wir fanden, daß das Gas nach schwacher oder starker Bestrahlung (mit Licht
aus beliebiger Quelle), im Dunkeln rasch wieder in den Zustand zurückkehrt wo es
nicht verbindungsfähig ist; daß das Gas, nachdem es eine halbe Stunde lang im
Dunkeln stand, in seinen Eigenschaften durchaus nicht von denjenigen abweicht,
welche es vor der Belichtung besaß. Der von Dr. Draper behauptete constant bleibende allotropische
Zustand des Chlorgases wird dadurch ganz unhaltbar.
Daß Dr. Draper durch seine
früheren Versuche auf jene Folgerungen geführt wurde, ist nicht zu verwundern; es
ist überhaupt sehr schwierig, bei Versuchen über diesen Gegenstand genaue Resultate
zu erhalten, durch die von ihm angewandten unvollkommenen Methoden ist es aber
vollends unmöglich. Wir haben in unserer Abhandlung gezeigt, daß wenn die Mischung
von Chlor und Wasserstoff eine Spur von fremdem Gas enthält, welche nur 1/100,000
des Gesammtvolums beträgt, ihre photochemische Empfindlichkeit sich schon in sehr
auffallendem Grade ändert.
Um zu ermitteln, ob das Chlor- oder das Wasserstoffgas bei der Belichtung eine
bleibende oder vorübergehende Veränderung in seinen Eigenschaften erfährt, leiteten
wir die elektrolytisch entwickelten Gase getrennt durch lange Röhren, welche den
directen Sonnenstrahlen ausgesetzt werden konnten; wir beobachteten die
photochemischen Eigenschaften der Mischung von Chlor und Wasserstoff, erstens,
nachdem die gesonderten Gase stark belichtet worden waren, und zweitens, nachdem sie
sorgfältig gegen das Licht verwahrt gewesen waren, fanden aber daß im ersteren Falle
ihre Vereinigung (durch die chemischen Strahlen des Gaslichts) nicht rascher statt
fand als im zweiten Falle; dadurch ist der Beweis geliefert, daß die langsam
erfolgende chemische Vereinigung der Gasmischung bei der ersten Belichtung sich
nicht durch eine allotropische Modification des einen oder andern Gases, die durch
vorhergehende Belichtung veranlaßt wurde, erklären läßt. Draper's Einwand, daß wir die Gase nicht lange genug der Einwirkung der
Sonnenstrahlen ausgesetzt haben, hat keine Geltung, weil das directe Sonnenlicht,
welchem wir die Gase getrennt aussetzten, mehrere tausendmal so intensiv war als die
kleine Gasstamme, welche in vier Minuten die Wirkung (chemische Vereinigung) auf das
Maximum brachte.
Die fragliche Erscheinung beruht auf einem ganz andern Grunde. Bei allen chemischen
Vereinigungen und Zersetzungen muß eine gewisse Zeit verstreichen, ehe die volle
Wirkung erreicht ist. In keinem Falle beginnt die chemische Wirkung in dem
Augenblick wo die Körper unter den erforderlichen Umständen zusammengebracht worden
sind; in vielen Fällen ist die Zeitdauer welche verstreicht bevor die volle Wirkung
eintritt, sogar eine sehr beträchtliche.
Die Zunahme der chemischen Verbindungsfähigkeit mit der Zeit unter welcher die Kräfte
wirken, nennen wir chemische Induction und bezeichnen
dieselbe als photochemische, thermochemische, elektrochemische, idiochemische, je
nachdem Licht, Wärme, Elektricität oder chemische Einflüsse allein es waren, welche
bei der Beförderung der Verbindungsfähigkeit sich thätig zeigten.