Titel: | Ueber die neuesten Vorschläge, die Städte durch Verwendung der Excremente für die Landwirthschaft gesünder zu machen; von Hervé Mangon, Ingenieur des Brücken- und Straßenbaues. |
Fundstelle: | Band 141, Jahrgang 1856, Nr. CIII., S. 455 |
Download: | XML |
CIII.
Ueber die neuesten Vorschläge, die Städte durch
Verwendung der Excremente für die Landwirthschaft gesünder zu machen; von Hervé Mangon, Ingenieur
des Brücken- und Straßenbaues.
Aus den Annales de Chimie et de Physique, August 1856, S.
368.
Mangon, über die neuesten Vorschläge, die Städte durch Verwendung
der Excremente für die Landwirthschaft gesünder zu machen.
Der Unrath der Städte ist bekanntlich ein schätzbarer Dünger, welchen man der
Landwirthschaft zukommen lassen sollte. Täglich tauchen neue Projecte auf, um diesen
Zweck zu erreichen.
Das Princip aller bisherigen Vorschläge besteht darin, die befruchtenden Producte
mittelst Dampfpumpen, z.B. über Paris hinaus, fortzuschaffen und dann diese
Flüssigkeiten auf den Feldern durch Begießen zu verbreiten. Nur hinsichtlich des
Concentrationsgrades der Flüssigkeiten weichen die Vorschläge von einander ab, je
nachdem vorausgesetzt wird daß die Stadtbehörden den directen Abfluß des Unraths in
den Gossen zu gestatten geneigt sind, oder dazu ein besonderes System entweder von
Abzugsgräben oder von Entleerungscanälen empfohlen wird.
Ich bin weit entfernt, die Vortheile dieser Vorschläge läugnen zu wollen; aber die
Langsamkeit womit man in Paris mit ihrer Ausführung vorgeht, beweist schon daß das
Problem Schwierigkeiten von mehr als einer Art darbietet. Ich will deßhalb darauf
aufmerksam machen, daß die Wissenschaft das Mittel zur vollständigen Lösung dieser
Aufgabe liefert.
Es fragt sich vor Allem, ob man auf jedem cultivirten Feld, anstatt des
gebräuchlichen Düngers, dessen Aequivalent an fraglichen Flüssigkeiten ohne
Nachtheil verbreiten kann? Gewiß nicht; es wird keinem aufmerksamen Beobachter
entgangen seyn, daß, während gewisse Bodenarten die auf ihrer Oberfläche
verbreiteten Flüssigkeiten unmittelbar desinficiren, bei anderen dieser Erfolg sich
keineswegs einstellt. Welche Bedingungen sind nun zu erfüllen, damit die
Desinficirung stattfindet, folglich die flüssigen und festen Excremente einer Stadt
für die Pflanzen ein geeignetes Nahrungsmittel abgeben können?
Ich wurde in einem analogen Falle um Rath angegangen, als Rübenzuckerfabrikanten im
Nord-Departement, welche ihre Rüben auf Weingeist zu verarbeiten angefangen
hatten, in Verlegenheit kamen, wie sie sich ihrer Schlempe entledigen könnten, ohne
die Gewässer der Umgegend zu inficiren;Man sehe Prof. Göppert's Beobachtungen über die
Bildung einer Pilzalge in der Weistritz durch die Schlempe gegohrener
Runkelrübenmelasse, im polytechn. Journal Bd. CXXVII S. 233. A. d. Red. ich gab damals eine praktische Lösung dieser Frage, deren Befolgung seitdem
von den Behörden vorgeschrieben worden ist.
Da der Sauerstoff der Luft hinreicht um diese Schlempe zu desinficiren, so muß dieß
dadurch zu bewerkstelligen seyn, daß man sie auf einem drainirten (durch
Entwässerung der Luft zugänglich gemachten) Boden verbreitet. Nachdem die im
Laboratorium der Schule für Brücken- und Straßenbau in dieser Hinsicht
angestellten Versuche gelungen sind, kann die Anwendung dieses Verfahrens im Großen
mit vollem Vertrauen empfohlen werden.
Die Desinfection der Excremente der Städte behufs ihrer Verwendung in der
Landwirthschaft ist übrigens nicht die Hauptaufgabe; es sind noch wichtigere Punkte
zu lösen, deren unzertrennliche Folge die Desinfection seyn wird.
Bis jetzt wußte man nämlich nicht, auf welchem Wege, durch welche Reaction der
Stickstoff ein Bestandtheil der Pflanzen wird. Diese Frage ist jetzt aufgeklärt; die
letzten Versuche Boussingault'sIm polytechn Journal Bd. CXL S.
140. lassen darüber keinen Zweifel übrig. Die Salpetersäure der salpetersauren
Salze spielt für die Fixirung des Stickstoffs dieselbe Rolle, wie die Kohlensäure
für die Fixirung des Kohlenstoffs. Hat man also einmal salpetersaure Salze, so
übernimmt es die Natur dieselben in nützliche vegetabilische Producte
umzuwandeln.
Da ein gedüngter Boden nichts anderes als eine große Salpeterplantage ist, so muß der
Unrath der Städte in diesem Sinne verwendet werden. Man muß die Excremente großen
Salpeterplantagen zuführen und sie von denselben absorbiren lassen, damit sie darin
verbrannt und in salpetersaure Salze umgewandelt werden; darin werden sie also
sowohl desinficirt als zubereitet, ohne Verlust und in der für die
landwirthschaftliche Verwendung günstigsten Form. Würde man diese Excremente aufhäufen, ohne sie zu
lüften, so müßte ihre Fäulniß fortschreiten und würde überdieß sehr begünstigt; wenn
man sie hingegen bei Gegenwart von Kalk und Alkalien lüftet, so kann man versichert
seyn, daß sie nicht nur schneller desinficirt, sondern auch in salpetersaure Salze
umgewandelt werden. Um eine Salpeterplantage herzustellen, braucht man nämlich nur
poröse kalk- oder alkalihaltige Erden mit thierischen oder pflanzlichen
Ueberresten unter dem Einfluß der Luft und einer günstigen Temperatur
zusammenzubringen.
Das Mittel, um die flüssigen und festen Excremente einer Stadt zu desinficiren und
ohne Verlust in leicht transportabler Form für die Landwirthschaft verwendbar zu
machen, bestünde also nach der Theorie darin, sie in Plantagen zur Salpeterbildung
zu benutzen. Der Gang der Salpeterplantagen ist jedoch ein langsamer, ungenügend
bekannt und daher schwierig zu reguliren.
Mittelst der neuesten Entdeckungen über die Eigenschaften der ozonisirten Luft oder vielmehr des ozonisirten Sauerstoffs, werden nun
aber viele bisher unbegreiflich gewesene Beobachtungen bei den Salpeterplantagen,
bei Anwendung der Dünger sowie des Mergels, auf einmal erklärlich.
Nach aller Wahrscheinlichkeit bilden sich vorzugsweise salpetersaure Salze, wenn man
Kalkstein, welcher ammoniakalische Producte (oder organische Substanzen die solche
erzeugen können) enthält, mit ozonisirter Luft zusammenbringt.Wird mit Stickstoff gemischter ozonisirter Sauerstoff, z.B. durch Phosphor
stark ozonisirte Luft, mit alkalischen Flüssigkeiten geschüttelt, so
entstehen nach Schönbein salpetersaure Salze;
derselbe hat einige Gramme Kalisalpeter auf diese Weise dargestellt.A. d. Red. Wenn man daher ozonisirte Luft durch Schichten von kalksteinhaltigem Boden,
welche mit organischen Substanzen begossen wurden, streichen ließe, so würde man
salpetersaure Salze in großer Menge erzeugen.
Ohne jedoch die Anwendung ozonisirter Luft zu Hülfe zu nehmen, kann man sagen, daß
ein kalkreicher und drainirter Boden eine sehr große, jedoch ziemlich unthätige
Salpeterplantage darstellt, die Oberfläche derselben könnte die größte Fruchtbarkeit
darbieten, während im Innern für die weniger günstig vertheilten Felder die
salpetersauren Salze sich erzeugen, also ein reicher und leicht transportabler
Dünger. Es versteht sich, daß die alsdann im Boden vorgehende langsame Verbrennung,
die Flüssigkeiten womit er begossen wird, unmittelbar desinficirt.
Das Wasser eines drainirten Bodens enthält wirklich, wie ich mich durch zahlreiche
vergleichende Versuche überzeugt habe, mehr salpetersaure Salze als das an der
Oberfläche gesammelte Wasser.
Was wird das praktische Resultat dieser Vermuthungen und der Versuche welche
gegenwärtig im Gang sind, seyn? Dieß läßt sich jetzt noch nicht mit Gewißheit sagen;
aber davon bin ich überzeugt, daß man die Aufgabe, die Städte gesünder zu machen und
ihre flüssigen und festen Excremente zum Nutzen der Landwirthschaft zu erhalten, nur
auf diesem Wege zu lösen hoffen kann.