Titel: | Ueber die Gesetze des Widerstandes der Luft gegen Projectile von großer Geschwindigkeit; von Hrn. Didion. |
Fundstelle: | Band 141, Jahrgang 1856, Nr. LXVI., S. 275 |
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LXVI.
Ueber die Gesetze des Widerstandes der Luft gegen
Projectile von großer Geschwindigkeit; von Hrn. Didion.
Aus den Comptes rendus, Juni 1856, Nr.
22.
Didion, über die Gesetze des Widerstandes der Luft gegen Projectile
von großer Geschwindigkeit.
Die Gesetze des Widerstandes der Luft bilden die Grundlage für die Anwendung der
Ballistik auf Geschütze. Ihre Untersuchung bietet große Schwierigkeiten dar, weil
der Widerstand nicht direct gemessen werden kann, und man genöthigt ist seinen Werth
aus der Verminderung der Geschwindigkeit der Projectile zu bestimmen, welche man in
verschiedenen Entfernungen auf ein ballistisches Pendel abfeuert.
Die ersten von Robins mit Flintenkugeln angestellten
Versuche datiren vom Jahr 1742; hierauf folgten die von Hutton im Jahr 1788 und 1789 mit Kanonenkugeln von kleinem Kaliber
angestellten, endlich die zu Metz mit Kugeln vom stärksten Kaliber im Jahr 1839 und
1840 ausgeführten. Unter diesen Versuchen liefern nur die zu Metz angestellten
genaue und sichere Resultate.
Das Newton'sche Gesetz, wonach der Widerstand der Luft dem
Flächeninhalt des größten Kreises der Kugel und dem Quadrat der Geschwindigkeit
proportional wäre, ist bei großen Geschwindigkeiten der Geschosse nicht mehr
anwendbar; und wenn man den beobachteten Widerstand durch das Product dieser beiden
Größen dividirt, so erhält man einen Coefficienten, welcher sich nach einem Gesetze,
dessen Ausdruck erst gefunden werden muß, mit der Geschwindigkeit ändert.
Hutton hatte die Geschwindigkeiten der Kanonenkugeln in
sieben verschiedenen Distanzen von 30 bis zu 430 Fuß (9,14 bis 131 Metern) gemessen
und hieraus den Widerstandscoefficienten für eine regelmäßige Reihe von
Geschwindigkeiten abgeleitet, ohne jedoch einen bestimmten Ausdruck zu formuliren.
Dieses Resultat war lange Zeit die einzige Basis für die Anwendung der Ballistik auf
Geschütze. General Piobert hat einen linearen Ausdruck
vorgeschlagen und nach jenen Versuchen mit kleinen Kalibern die Coefficienten zweier
Ausdrücke bestimmt.
Bei den zu Metz im Jahre 1839 und 1840 angestellten Versuchen schoß man 8-,
12- und 24pfündige Kugeln gegen ein ballistisches Pendel auf Distanzen von
15, 25, 50, 75 und 100 Metern.
Der Verlust an lebendiger Kraft verglichen mit der Länge der Bahn, gab den mittleren
Widerstand während des Flugs und folglich den Widerstandscoefficienten. Auf diese
Weise hatte man so viele Coefficienten, als Pulverladungen oder verschiedene Geschwindigkeiten. Indem
man letztere als Abscissen und die Coefficienten als Ordinaten nahm, hatte man eine
gleiche Anzahl von Punkten; man brauchte alsdann nur diejenige Linie zu suchen,
welche die Gesammtheit derselben am besten repräsentirte. Zu dem Ende stellte man
die kleinsten, die mittleren sowie die größten Geschwindigkeiten gruppenweise
zusammen. Somit hatte man drei ungefähr in gerader Linie liegende Punkte, welche die
beiden Glieder der gesuchten Ausdrücke lieferten. General Piobert fand Hutton's Versuchen gemäß das
nämliche Verhältniß zwischen den beiden Gliedern, aber das erste Glied war größer.
Die Zunahme hätte dem Unterschied der Kaliber zugeschrieben werden können –
ein Punkt, dessen Aufklärung von Wichtigkeit war. Die Beobachtung der Flugbahn der
Flintenkugeln und andere praktische Untersuchungen brachten mich jedoch auf die
Ansicht, daß jener Ausdruck von dem Kaliber des Projectils unabhängig sey.
Unter diesen Umständen ging ich alle Versuche noch einmal durch, wobei ich es mir
angelegen seyn ließ, alle beobachteten Geschwindigkeiten unter Berücksichtigung des
Stoßes der Pulvergase und der Neigung der Flugbahn beim Zusammentreffen mit dem
Pendel, zu corrigiren.
Würde man den Stoß der Gase gegen das ballistische Pendel, welcher insbesondere bei
starken Ladungen und kleinen Distanzen merkbar ist, nicht berücksichtigen, so
erhielte man eine zu geringe Geschwindigkeit und folglich einen zu großen
Widerstand. Berechnet man andererseits die Geschwindigkeiten, ohne die Neigung der
Bahn an ihren Enden zu berücksichtigen, so erhält man eine zu große Geschwindigkeit,
und die Zunahme ist um so merkbarer, je geringer die Geschwindigkeit und je größer
die Distanz ist. Die Correction kann sich bis auf eine Zunahme um 0,03 des zu
messenden Widerstandes erstrecken.
Nach der oben angedeuteten Methode habe ich für die Versuche mit 12- und
24pfündigen Kugeln von 0,12 und 0,15 Meter Durchmesser bei gewöhnlichen
Geschwindigkeiten und der mittleren Dichtigkeit der Luft = 1,2083, den Ausdruck
0,027 (1 + 0,0023 . v) gefunden, worin v die Geschwindigkeit des Geschosses bezeichnet, und der
Meter, das Kilogramm sowie die Secunde als Einheiten genommen sind. Dieser Ausdruck
muß mit dem Quadrat der Geschwindigkeit und dem Inhalte des größten Kreises der
Kugel multiplicirt werden, um den Widerstand zu geben. Das Kaliber von 24, für sich
betrachtet, gab einen etwas stärkeren, das von 12 einen etwas schwächeren
Ausdruck.
Indem ich denjenigen Werth des obigen Ausdruckes suchte, welcher für die direct
erhaltene Anfangsgeschwindigkeit, die auf eine Distanz von 400 Metern beobachtete
Flugbahn der Flintenkugel am besten repräsentirte, fand ich 0,0275. Die Versuche
von Robins mit Kugeln von 0,019 Met. Durchmesser gaben
gleichfalls ungefähr 0,027. Es ist demnach die Annahme nicht statthaft, daß sich der
Werth jenes Ausdruckes mit dem Durchmesser des Geschosses ändere. Um mich hievon
noch mehr zu überzeugen, nahm ich die Resultate sämmtlicher Versuche noch einmal
vor, und wandte eine neue Methode an, welche in der Annahme besteht, daß man in dem
Ausdruck A (1 + v/r) des Widerstandes das Verhältniß 1/r der beiden Glieder wenigstens näherungsweise kennt und
sich vorbehält dasselbe nöthigenfalls zu berichtigen und zu modificiren. A ist alsdann die einzige zu bestimmende Größe.
Sucht man die Relation zwischen den Geschwindigkeiten eines und desselben Geschosses
bei zwei verschiedenen Distanzen, so findet man die Geschwindigkeiten dergestalt
abnehmend, daß, wenn die Geschwindigkeiten genau sind, die Zunahme des log. (1 + r/v) den Distanzen proportional ist, und daß, wenn man bei
jedem Versuch die bestimmten Punkte in Betrachtung zieht, indem man die Distanzen
als Abscissen und log. (1 + r/v) als Ordinaten aufträgt, jene Punkte in
einer geraden Linie liegen müssen. Die Neigung dieser Geraden, oder das Verhältniß
der Zunahme zur Distanz, multiplicirt mit dem Verhältniß der Masse des Projectils
zum Flächeninhalt seines größten Kreises, gibt den gesuchten Werth von A. Wenn aber die Geschwindigkeiten aus den Beobachtungen
abgeleitet werden, so bieten sie immer gewisse Unregelmäßigkeiten dar; man zieht
alsdann die Linie so, daß sie die Gesammtheit der Punkte so gut wie möglich
repräsentirt. Die Neigung dieser Linie gegen die Abscissenachse gibt die gesuchte
Zunahme und mithin den Ausdruck A. Wenn auf die
nämlichen Distanzen Versuche mit verschiedenen Pulverladungen angestellt worden
sind, so kann man, da es sich nur um die Bestimmung einer Neigung handelt, für jede
Distanz die arithmetischen Mittel der Werthe des log. (1
+ r/v) für verschiedene
Pulverladungen nehmen, und eine einzige Linie sowie einen einzigen Werth für A sich verschaffen, um die Gesammtheit der Versuche mit
dem gleichen Kaliber zu repräsentiren.
Durch dieses Verfahren habe ich für die Versuche mit dem 24pfünder, bei den
gewöhnlichen Geschwindigkeiten unter 500m:s, A = 0,02713, und für diejenigen mit dem 12pfünder, A = 0,02603 gefunden. Die 8pfündige Kugel gab etwas
größere Resultate) und die Gesammtheit der Versuche mit den drei Kalibern gab A = 0,02705. Bei Geschwindigkeiten von 500m:s und darüber findet man A = 0,2682 – ein Werth der sich von dem ersteren kaum
unterscheidet.
Bei Anwendung der nämlichen Methode auf Hutton's Versuche
mit 1pfündigen Kugeln von 0,05 Met. Durchmesser fand ich A
= 0,0274 bei geringen und A = 0,0278 bei großen
Geschwindigkeiten.
Diese Uebereinstimmung in der Gesammtheit der Resultate ist sehr befriedigend, und
man hat für die aus Hutton's Versuchen abgeleiteten nur
noch eine Differenz von geringem Belang. Diese Differenz erklärt sich überdieß durch
kleine Fehler, welche aus der geringeren Steifigkeit des Hutton'schen Pendels entspringen. Diese geringere Steifigkeit erklärt auch
den kleinen Ueberschuß, welchen die Versuche mit den 3- und 6pfündigen Kugeln
für A geben. Man hat daher ganz recht gehabt, bei der
Anwendung für den Dienst der Artillerie, sich an den aus den Versuchen zu Metz
resultirenden Ausdruck zu halten, zumal da diese Versuche mit den in Gebrauch
befindlichen Projectilen angestellt worden sind.
Sucht man alsdann die Coefficienten des Luftwiderstandes mit Hülfe des aus jedem
Versuch resultirenden Werthes von A, d.h. A (1 + v/r) und vergleicht sie unter einander, so findet man, daß
sie besser repräsentirt wären, wenn man 1/r = 0,0025
oder v = 400m:s nehmen
würde; man erhält alsdann mit der 1pfündigen Kugel A =
0,0260 für die Versuche zu Metz und 0,0268 für die Hutton'schen, bei allen Geschwindigkeiten. Das einfachere Verhältnis 1/r hat außerdem den Vortheil, die Rechnungen und den
Gebrauch der ballistischen Tafeln zu erleichtern.
Das Resultat der Versuche zu Metz im Jahre 1839 und 1840 stimmt daher mit
vorstehenden neuen Untersuchungen überein, und Hutton's
Versuche weichen von ersteren nur sehr wenig ab – ein Umstand, welcher in der
minder vollkommenen Aufhängung des Pendels seine natürliche Erklärung findet. Man
hat somit jetzt einen einfachen Ausdruck für den Widerstand der Luft gegen
Projectile, der sich auf alle Kaliber und alle Geschwindigkeiten erstreckt. Die
Versuche welche man gegenwärtig zu Metz auch mit oblongen Geschossen mit aller
Umsicht und unter Benützung der neuesten Hülfsmittel anstellt, werden die Lösung der
wichtigen Frage vom Luftwiderstande gegen Projectile von großer Geschwindigkeit
vervollständigen.