Titel: | Ueber die fabrikmäßige Darstellung der Cyanverbindungen; von Richard Brunnquell, früher technischem Dirigenten der Blutlaugensalz-Fabrik Hohenkamp bei Bremen. |
Fundstelle: | Band 140, Jahrgang 1856, Nr. LXXXIX., S. 375 |
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LXXXIX.
Ueber die fabrikmäßige Darstellung der
Cyanverbindungen; von Richard
Brunnquell, früher technischem Dirigenten der
Blutlaugensalz-Fabrik Hohenkamp bei Bremen.
Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleißes in Preußen, 1856, S. 30.
Brunquell, über die fabrikmäßige Darstellung.
Die Fabrication des Blutlaugensalzes steht, wie hinlänglich bekannt, unter den
verschiedenen Zweigen der chemischen Fabrication auf einer der niedrigsten Stufen;
das bis jetzt allein praktisch ausführbare Verfahren ist in jeder Hinsicht ein
verwerfliches, indem es von vornherein auf die Verwerthung des bei weitem größten
Theils der angewendeten Rohmaterialien in einer Weise verzichtet, daß eine
entschiedene Verbesserung desselben, selbst vom rein theoretischen Standpunkte,
abgeschnitten ist. Es läßt sich allerdings auch voraussagen, daß die Darstellung
eines Körpers, der sich eben so schwierig bildet, als er sich leicht zersetzt, wie
das Cyan, in der Praxis
mit großen Schwierigkeiten verbunden seyn muß. Kein Wunder ist es daher, daß sich
Theoretiker wie Praktiker vielfach mit Verbesserung des alten und Auffindung eines
neuen Verfahrens beschäftigten und in Folge dessen die chemischen Zeitschriften
Mittheilungen und Vorschläge aller Art enthielten, zum Theil auch neue
Verfahrungsarten im größeren Maaßstabe und mit bedeutenden Kosten versucht wurden.
Was die größere Anzahl der ersteren betrifft, so sind sie hauptsächlich nur insofern
zu erwähnen, als durch dieselben am besten die in allen Theilen dieser Fabrication
herrschende Ungewißheit bekundet wird, denn schon die darin obwaltenden vielfachen
directen Widersprüche nehmen der vielleicht schätzenswerthesten Angabe ihre
Bedeutung, wenn man sich nicht überall selbst durch Versuche überzeugen kann, welche
von den streitenden Angaben die rechte ist. So hat denn auch bis jetzt keine der
neuen Darstellungsweisen in die Praxis einzudringen vermocht; selbst die in neuerer
Zeit mit so großen Erwartungen begrüßte Gewinnung der Cyanverbindungen aus dem
Stickstoffe der atmosphärischen Luft ist, nach den großartigsten und kostspieligsten
Versuchen, als praktisch unausführbar aufgegeben worden. Factisch steht die
Fabrication des Blutlaugensalzes, mit Ausnahme einiger untergeordneten
Verbesserungen, auf ihrem ursprünglichen unvollkommenen Standpunkte.
Ich wende mich nun ohne Weiteres zu den drei Hauptpunkten der von dem Vereine des
Gewerbfleißes gestellten Aufgabe und zwar zunächst zu der Frage:
A. Welches sind die Ursachen der
geringen Ausbeute bei der jetzt üblichen Darstellungsweise des
Blutlaugensalzes?
Die Beantwortung der Frage zerfällt in zwei Theile; wir betrachten zuerst die
Ursachen der geringen Ausbeute in Bezug auf die zur Darstellung angewendeten
thierischen Stoffe, sodann rücksichtlich der Menge von Potasche.
I. Die Ursachen der geringen
Ausbeute in Bezug auf die angewendeten thierischen Rohstoffe.
Wenn man oft die Behauptung hört: der Ertrag, den die thierischen Rohstoffe
liefern, sey nur ein geringer Theil von dem, was die Theorie ergibt, so ist
dabei die falsche Voraussetzung gemacht, daß bei dem jetzt üblichen Verfahren
aller Stickstoff zur Cyanbildung disponibel sey. Es ist jedoch leicht zu
beweisen, daß auch die Theorie keine bedeutend größere Ausbeute verspricht, daß
vielmehr der in der Praxis erreichte Ertrag dem nach der Theorie
berechneten eben so nahe kommt, als es bei den meisten anderen chemischen
Fabricationszweigen der Fall ist.
Zur Beantwortung der vorliegenden Frage ist es nun zunächst nöthig, die Höhe der
in der Praxis erreichten und der nach der Theorie möglichen Ausbeute
festzustellen. Die Ausbeute, welche man aus unverkohlten thierischen Stoffen erhält, beträgt:
nach Hoefelmayer und Brückner (in ihrem speciellen Wertchen über diese
Fabrication): bei Blut 8 Proc., bei Hörn 9–10 Proc.,
nach Gentele (polytechn. Journal
Bd. XCIV S. 197) gegen 16 Proc.,
nach einer englischen Mittheilung (im polytechn. Journal Bd. CXXV S. 109) 10–11 1/4
Proc.
Nach Fleck (polytechn. Centralblatt
1852, S. 257) 11 Proc.
als Mittel von 459 Schmelzen, wobei jedoch nicht zu
übersehen ist, daß letzterer ziemlich 1/3 verkohlte Stoffe anwendete, welche
durchschnittlich der dreifachen Menge unverkohlter Stoffe gleichkommen. Letztere
Angabe kann ich übrigens als ganz authentisch bezeichnen, da der mir persönlich
bekannte Hr. Fleck, früher
Chemiker an einer bedeutenden Blutlaugensalz-Fabrik, die Freundlichkeit
hatte, mir die betreffenden Fabrications-Tabellen vorzulegen. Dieselbe
stimmt auch insoweit mit meinen eigenen Erfahrungen überein, daß ich glaube,
einen Ertrag von 10 Proc. als eine gute Durchschnittsausbeute bezeichnen zu
können.
Was nun den Ertrag der thierischen Kohle betrifft, so stimmen alle Praktiker
darin überein, daß thierische Stoffe im Durchschnitte denselben Ertrag geben,
man möge dieselben vorher verkohlen oder nicht. (Vergleiche hierüber auch Desfosses im polytechn. Journal Bd. XXVIII S. 473 und Gentele ebendas. Bd. XCIV S. 197.) Nach Letzterem
geben 100 Pfd. thierische Rohstoffe höchstens 16 Proc.; dieselben vorher
verkohlt nur 13,44 Proc., also allerdings weniger (2,56 Proc.), was aber Gentele, und gewiß zum Theil mit Recht, dem
leichteren Verstäuben der Kohle beim Eintragen zuschreibt.Dagegen sagt derselbe an einer anderen Stelle im polytechn. Journal Bd. LXI S. 289: Wasserdampf wirkt
vor Allem nachtheilig, deßhalb geben auch unverkohlte thierische Stoffe
eher weniger als mehr Blutlaugensalz als verkohlte. Nach andern Angaben würde sich allerdings der Ertrag verkohlter Stoffe
etwas niedriger stellen, denn da 100 Theile thierische Rohstoffe bei der
Verkohlung im Großen durchschnittlich gerade 33,3 Proc. Kohle geben (vergl. Fleck; als Mittel von 91 Verkohlungen wurden erhalten
30,4 Proc., nach Dumas 30 Proc., nach Gentele 42 Proc., während mir meine eigenen Versuche
bei Horn und Hufen 30,3–31,5 Proc., bei Blut 30 Proc. lieferten), so müßten 100 Theile
Kohle durchschnittlich dreimal mehr als ein gleiches Gewicht Rohstoffe, also
3,10 = 30 Proc. geben, während allerdings einige Angaben darüber geringer sind.
Die Ausbeute beträgt nämlich nach Dumas 23,4 Proc.,
nach Mitscherlich 17,5 Proc., nach Gentele 32 Proc. – Daß in Wirklichkeit ein
wesentlicher Unterschied in der Ausbeute nicht stattfinde, lehrt uns auch hier
die Praxis, indem die Fabrikanten bald verkohlte, bald unverkohlte Stoffe
anwenden und sich darin nur von Nebenrücksichten, vorzüglich von Verwerthbarkeit
der Nebenproducte der Verkohlung bestimmen lassen.
Zur Feststellung des zweiten Punktes, der theoretisch möglichen Ausbeute, ist
eine nähere Betrachtung des Processes der Cyanbildung vorauszuschicken. Die
Bildung des Cyans und seiner Verbindung mit dem Kalium wird ganz allgemein so
erklärt, daß zunächst durch Einwirkung der Kohle auf die schmelzende Potasche
Kalium reducirt wird, welches nun die Vereinigung von Kohle und Stickstoff zu
Cyan veranlaßt und sich mit demselben zu Cyankalium verbindet. Grundbedingung
ist demnach die Reduction des Kalis zu Kalium, mithin eine so hohe Temperatur,
daß, bis diese erreicht wird, die Verkohlung der thierischen Stoffe so weit und
weiter vorgeschritten ist, als sie bei einer absichtlichen Verkohlung getrieben
wird. Nun hat zwar Liebig in seiner bekannten
Abhandlung (Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. XXXVIII S. 20, polytechn.
Journal Bd. LXXXII S. 346) noch auf eine
andere Bildungsweise des Cyans hingewiesen, welche darauf beruht, daß Ammoniak,
über glühende Kohle geleitet, Cyanammonium, und dieses dann mit dem kohlensauren
Kali Cyankalium und kohlensaures Ammoniak gibt (Näheres hierüber siehe im
letzten Abschnitte unter III.), und diesem Processe ebenfalls eine Rolle bei der
Blutlaugensalz-Fabrication nach dem jetzigen Verfahren zugeschrieben, was
theoretisch allerdings zugegeben werden muß. Ein Jeder, der sich überzeugt hat,
wie unvollkommen diese Bildung, selbst unter den günstigsten Umständen (bei dem
im letzten Abschnitte unter II. zu beschreibenden Verfahren) vor sich geht, und
wie ungünstig diese Bedingungen bei der Fabrication des Blutlaugensalzes sind;
wer einmal mit angesehen hat, wie die Gase beim Eintragen der thierischen
Rohstoffe in die schmelzende Potasche in großer Menge aus der etwa 4 Zoll
starken schmelzenden Schicht hervorbrechen, also kaum einen Moment mit derselben
in Berührung sind; ein Jeder wird meiner Behauptung zustimmen, daß das Product
dieses Processes kaum hinreichend seyn wird, den durch andere Einwirkungen
bedingten und auch vom theoretischen Standpunkte nicht wegzuläugnenden Verlust
an schon gebildetem Cyankalium durch Bildung von cyansaurem Kali und
Schwefelcyankalium etc. zu decken. Nehmen wir also an, daß sich der Gewinn auf der
einen und der Verlust auf der andern Seite in der Hauptsache das Gleichgewicht
halten, so kommen wir zu dem Schlusse, daß auch vom
theoretischen Standpunkte aus nur derjenige Theil des Stickstoffs der
thierischen Rohstoffe zur Cyanbildung beitragen könne, der auch bei einer
Verkohlung derselben zurückbleiben würde. Wir haben daher nur nöthig
die Menge des letzteren zu bestimmen, um daraus die theoretisch mögliche
Ausbeute und den bei diesem Processe nothwendig stattfindenden Verlust zu
berechnen.
Ueber den Stickstoffgehalt der thierischen Rohstoffe haben wir folgende
Angaben:
nach Boussingault
u. Payen.
nach Nöllner.
Horn (frisch u. ungetrocknet)
enthält
14,36
Proc.
10,5 Proc.
wollene Lumpen (deßgl.)
enthalten
15,99
„
10,0
„
Muskelfleisch (lufttrocken)
enthält
13,37
„
– „
Leder enthält
9,31
„
6,7
„
Blut enthält
– „
15–16 „
Die Angaben des Letzteren sind wohl im Durchschnitte in Folge der angewendeten
Methode (mit doppeltweinsaurem Ammoniak) etwas zu niedrig, und ich nehme daher
mit Fleck den mittleren Stickstoffgehalt der
thierischen Rohstoffe zu 12 Proc. an. Den Gehalt der thierischen Kohle, über
welchen die Angaben natürlich noch mehr von einander abweichen, da derselbe
wesentlich von der Art der Destillation abhängt, setzte ich, als Mittel mehrerer
Analysen, auf 5,5 Proc.; Fleck setzt denselben zu
6,67 Proc., jedenfalls ist aber 0,1 Proc. unwesentlich. Es bleibt nun zunächst
von jenen 12 Proc. nur 5,5 Proc.; da aber 1 Theil thierische Substanz nur 1/3
thierische Kohle liefert (was sowohl Fleck als Knapp in seinem Lehrbuch der chemischen Technologie
Bd. II S. 786 übersehen haben), so bleibt nur in Wirklichkeit 5,5/3 = 1,83 Proc.
Stickstoff, mithin gehen von vornherein 12,0 –
1,83 = 10,17 Proc. Stickstoff, oder mit andern Worten von
je 100 Pfd. thierischen Rohmaterialien gegen 85 Pfd. ganz für die
Cyanbildung verloren. Es sind somit in 100 Pfd. Rohstoffen nicht mehr
als 1,83 Pfd. verwerthbarer Stickstoff, welche
nach der Theorie nur 9,2 Pfd. Blutlaugensalz liefern können. Gewinnt
mithin der Fabrikant durchschnittlich 10 Proc., so muß er schon mit Materialien
von mehr als gewöhnlicher Güte arbeiten, oder es ist ihm durch geschicktes
Operiren beim Schmelzen gelungen, etwas mehr Ammoniak in Cyan überzuführen, als zur Deckung der
erwähnten Verluste nöthig ist. Jedenfalls ist dieses Resultat ein der Theorie
sehr nahe kommendes.
Wenn dagegen der ganze Stickstoffgehalt an der Cyanbildung theilnehmen könnte, so
würde daraus freilich eine Ausbeute von gegen 60 Proc. resultiren. Es kann dieß
aber, um es nochmals zu wiederholen, weder in der Praxis annähernd erreicht,
noch in der Theorie angenommen werden.
II. Die Ursachen der geringen
Ausbeute an Blutlaugensalz in Bezug auf die angewendete
Potasche.
Die Gründe, weßhalb in Bezug auf das zur Fabrication von Blutlaugensalz
angewendete Gewicht der Potasche das Product an Kalium-Eisencyanür in
keinem der Theorie entsprechenden Verhältnisse steht, sind mit dem vorstehend
Erörterten in genauem Zusammenhange. Da nämlich die Menge der auf 100 Theile
thierischer Stoffe anzuwendenden Potasche innerhalb gewisser Gränzen nicht
beliebig, man vielmehr (aus noch zu erörternden Gründen) genöthigt ist, eine
Menge anzuwenden, welche zur Umbildung sämmtlicher 12 Proc. Stickstoff in
Cyankalium mehr als genügen würde, so muß natürlich, wenn jene 12 Proc. nur zum
allergeringsten Theile in Cyan umgebildet werden, auch von der Potasche ein um
so größerer Theil im Ueberschuß bleiben. Nach der Theorie würden 10 Theile
Blutlaugensalz (erhalten aus 100 Theilen thierischer Stoffe) nicht mehr als 6,53
kohlensaures Kali, also etwa 8 Theile Potasche bedürfen, während man in der
Praxis auf 100 Theile der ersteren ebenfalls 100 Theile Potasche, mithin das
12,5fache nehmen muß, weil bei Anwendung von mehr thierischen Stoffen die
Schmelze zu schwerflüssig und trocken wird. Ich selbst habe mich durch Versuche
überzeugt, daß mehr als 120 Proc. thierischer Stoffe gar nicht verarbeitet
werden können, indem von da ab die Masse vollständig krümlich und bröcklich wird
und die absolute Ausbringung eher vermindert als vermehrt wird. Auch stimmen
alle Angaben überein, daß bei unverkohlten Stoffen etwa gleiche Theile, bei
verkohlten 60–80 Proc. (am besten 65–70 Procent) angewendet werden
sollen, was, da 70 Theile der letzteren 210 Theile unverkohlter Stoffe
repräsentiren, allerdings einen Vortheil zu Gunsten der verkohlten ausmacht.
Es ist diesem Uebelstande bisher durchaus nicht die gehörige Aufmerksamkeit
geschenkt worden, indem man sich damit begnügte, daß der größte Theil der
angewendeten überschüssigen Potasche wiedergewonnen werden könne. Es liegt aber
auf der Hand, wie unvortheilhaft es ist, immer das 12fache als todten Ballast in Arbeit zu
nehmen, mit großem Aufwande zu schmelzen, wieder aufzulösen, einzudampfen und zu
calciniren. Es ist damit ferner ein bedeutender Verlust an Potasche verbunden,
welcher sich auf beinahe 1/3 der angewendeten Menge beläuft, was am sichersten
daraus hervorgeht, daß in den meisten Fabriken die Beschickung aus reichlich 2/3
Mutterlaugensalzen und 1/3 frischer Potasche besteht. Fleck gibt Seite 268 an: 23,3 Kil. Mutterlaugensalz auf 14 Kil.
Potasche, oder 28 Kil. Mutterlaugensalz und 9,3 Kil. Potasche, ferner Seite 325
26,4 Mutterlaugensalz und 11 Potasche. Es mußte also eher noch mehr Potasche
zugegeben werden, obschon diese Schmelzen in verschlossenen Gefäßen erzeugt
waren. Dieser Verlust erklärt sich, außer den wirklich verbrauchten 8 Procent
und außer dem eigentlichen Fabricationsverluste durch Verschütten etc., aus der
Bildung von kieselsaurem Kali, welches zum großen Theile in den kohligen
Rückstand geht, aus der Verflüchtigung von Kali und Kalium im Flammofen und
daraus, daß beim Rohkrystallisiren die fremden Salze der Potasche, vorzüglich
Chlorkalium und Chlornatrium, mit dem Blutlaugensalze auskrystallisiren.
Berechnet man also den eigentlichen Verlust mit 33,3 – 8 = 25 Procent und
bedenkt ferner die großen Kosten der Wiedergewinnung der Potasche aus den
Mutterlaugen bei dem höchst langwierigen Eindampfen dieser stark schäumenden und
hygroskopischen Laugen, so daß man dieselben für 66,6 Pfd. calcinirtes
Mutterlaugensalz mindestens einem weiteren Verluste von 5 Procent Potasche
gleichsetzen kann, rechnet endlich den Gesammtverlust = 25 + 5 = 30 Pfd.
Potasche mit reichlich 2 Thlr. 13 Sgr. (1 Ctr. à 9 Thlr.), dagegen 100 thierische Stoffe durchschnittlich zu 1
Thlr. 20 Sgr., so wird man nach diesen durchaus nicht zu hoch genommenen Angaben
zu dem Schlusse kommen, daß der zweite der eben abgehandelten Punkte: der geringe Procentische Ertrag in Bezug auf die
angewendete Potasche noch nachtheiligeren Einfluß auf das kaufmännische
Ergebniß ausübt, als die geringe Ausbeute der theoretischen
Rohmaterialien, und daß dieser Nachtheil des jetzigen Verfahrens bisher
noch nicht genügend beachtet wurde.
Das Endresultat aus den vorliegenden, wie ich hoffe, erschöpfenden Betrachtungen
ließe sich in den Worten zusammenfassen: die geringe
Ausbeute, die uns die Fabrication des Blutlaugensalzes gewährt, ist eine
nothwendige, unabänderliche Folge des dabei in Anwendung gebrachten
chemischen Processes. In zweiter Linie folgt daraus: daß ein
entschieden besseres Resultat nur auf einem anderen, vollkommneren chemischen
Processe begründet werden könne.
B. Welche Substanzen bilden sich bei den verschiedenen
Processen der Blutlaugensalz-Fabrication nach dem jetzt üblichen
Verfahren?
Im Allgemeinen sind die bei dem Processe der Blutlaugensalzbildung, d.h. bei der
Einwirkung schmelzender kohlensaurer Alkalien auf stickstoffhaltige organische
Substanzen entstehenden Producte hinlänglich erforscht und bekannt; es handelt sich
daher mehr darum, die bei diesem Processe auftretenden Cyanverbindungen einer
nähreren Betrachtung zu unterwerfen. Was die übrigen nicht stickstoffhaltigen dabei
entstehenden Substanzen betrifft, so wird ein kurzer Ueberblick genügen.
Sämmtliche in Wirkung tretende Stoffe lassen sich in drei Gruppen theilen:
1)in die Bestandtheile der Potasche,
2)in die eigentliche thierische Substanz der
Rohmaterialien,
3)in die nicht zu vermeidenden Unreinigkeiten, als: die
Aschenbestandtheile und anhängenden Unreinigkeiten der thierischen Stoffe,
Flugasche aus der Feuerung, hineinfallendes Mauerwerk (bei offenen
Schmelzschalen) etc. Die daraus resultirenden Producte (ebenfalls abgesehen von
den Cyan- oder überhaupt Stickstoffverbindungen) sind ebenfalls
dreifacher Art, nämlich: a)die Mutterlaugensalze,b)die ausgelaugten kohligen Rückstände,c)die beim Schmelzen entweichenden gasförmigen
Producte.
Die ursprünglichen Substanzen erlitten dabei folgende Veränderungen:
Zu 1) Das kohlensaure Kali der Potasche geht (soweit es nicht zur Bildung der
Cyanverbindungen in Anspruch genommen, oder als Kali oder Kalium verflüchtigt wurde)
nebst dem Chlorkalium, kieselsaurem, phosphorsaurem Kali und den entsprechenden
Natronverbindungen unverändert in die Mutterlaugensalze; zum kleineren Theile bildet
es mit den Bestandtheilen der Gruppe 3. schwer lösliche Verbindungen und geht daher
in den kohligen Rückstand. Das schwefelsaure Kali wird zu Schwefelkalium reducirt,
welches einestheils zur Bildung von Schwefelcyankalium und von Schwefeleisen
Veranlassung gibt, anderntheils in die Mutterlaugensalze übergeht und dann
wahrscheinlich beim Calciniren derselben in schwefelsaures Kali zurückgeführt wird,
von dem überdieß ein kleiner Theil der Zersetzung entgeht und nebst dem Chlorkalium mit
den Rohkrystallen des Blutlaugensalzes sich abscheidet.
Zu 2.) Die Zersetzungsproducte der thierischen Substanz sind (auch hier wieder vom
Stickstoffgehalte derselben abgesehen) im Allgemeinen dieselben, wie bei der
trockenen Destillation organischer Substanzen, die freilich hier mehr oder weniger
in eine Verbrennung ausartet. Sowie die thierischen Stoffe in die schmelzende
Potasche eingetragen werden, entweichen aus derselben Kohlenwasserstoff –,
Kohlenoxyd –, kohlensaures Gas, Wasserdampf, von denen die ersteren in
Berührung mit der heißen Feuerluft großentheils verbrennen; hierauf folgt die
reducirende Einwirkung der zurückbleibenden Kohle auf die Bestandtheile der Potasche
in schon angeführter Art und Weise, es entweicht nun hauptsächlich Kohlenoxydgas;
bei Anwendung verkohlter Stoffe beginnt natürlich der Proceß sogleich hiermit.
Zu 3.) Die hierher gehörigen mineralischen Stoffe bestehen hauptsächlich aus:
Kieselsäure, Thon, kohlensaurem Kalk und Magnesia, Eisenoxyd etc., sie bilden
hauptsächlich die große Masse der unorganischen Stoffe in den kohligen Rückständen;
die Kieselsäure verbindet sich mit Kali, die kohlensauren Erden verlieren zum Theil
ihre Kohlensäure, die sie aber beim Auflösen in Wasser wieder annehmen, und dadurch
Veranlassung zur Entstehung von Aetzkali geben können. Die qualitative
Zusammensetzung der unter a, b und c angeführten Producte ergibt sich hieraus von selbst.
Ihre quantitative Zusammensetzung, soweit sie für die Praxis von Interesse ist,
zeigen folgende von mir angestellte Analysen.
Schwach calcinirte Mutterlaugensalze von einmal gebrauchter Potasche (von 75,6 Proc.
Gehalt) enthielten:Eine Anleitung zur Untersuchung derselben für praktische Zwecke und für
Ungeübtere hat Gentele gegeben. (Siehe polytechn.
Journal Bd. LXXVI S. 352.)
71,9 Proc.
kohlensaures Kali (die geringe Menge Natron als solches
mit berechnet),
11,9 „
kieselsaures Kali,
4,3 „
Schwefelkalium,
1,6 „
in Wasser Unlösliches,
2,1 „
Wasser,
–––––––––
92,3 Proc.;
außerdem natürlich geringe Mengen Chlorkalium, phosphorsaures
Kali, Schwefelcyankalium, schwefelsaures Kali. Der relativ geringe Verlust an kohlensaurem Kali erklärt sich daraus, daß bei
der ersten Anwendung die Potasche von dem größten Theile der fremden Salze durch die
Krystallisation gereinigt wird und zugleich ihren Wassergehalt größtentheils
verliert.
Der absolute Verlust würde sich ganz anders herausstellen;
100 Pfd. Potasche geben bei einer allerdings sehr mangelhaften Einrichtung keine 60
Proc. des obigen Mutterlaugensalzes. Die Mutterlaugen enthalten meistens ziemliche
Mengen zweifach-kohlensaures oder 1 1/2fach kohlensaures Kali, dessen
Entstehung nur in der bekannten Zersetzung des cyansauren Kalis beim Kochen in
wässeriger Lösung zu suchen ist; Graeger (siehe
polytechn. Journal Bd. XCVI S. 174) wies
darin ein eigenthümliches leicht krystallisirendes Doppelsalz, bestehend aus 2
a + nach. Andere behaupten dagegen die Gegenwart von
Aetzkali. Ich habe dasselbe nicht finden können, doch ließe es sich in Schmelzen,
die zufällig kein oder sehr wenig cyansaures Kali enthielten, aus der Einwirkung der
alkalischen Erden (vergl. oben zu 3) und aus einer unvollendeten Reduction des
kohlensauren Kalis durch Kohle erklären. und C = und 2 .
Die kohligen Rückstände stark getrocknet bestanden aus: 15,5 Proc. Kohle (fast ganz
stickstofffrei), 84,5 Proc. anorganischen Bestandtheilen. Diese bestanden aus:
kieselsaurem, phosphorsaurem Kalk und Magnesia, Thonerde, Kali, Eisen, Kohlenstoff
und Schwefeleisen. Läßt man dieselben an der Luft längere Zeit liegen, so bildet
sich durch Verwitterung des Schwefeleisens Eisenvitriol und dieser gibt dann mit
kieselsaurem Kali, oder dem durch Einwirkung der Atmosphäre daraus entstandenen
kohlensauren Kali, schwefelsaures Kali und zwar oft in so großer Menge, daß sich die
Gewinnung desselben lohnt. (Vergl. hierüber auch Gentele
in der genannten Abhandlung.)
Was nun den wichtigeren Theil dieser Frage, die bei diesem Processe auftretenden stickstoffhaltigen Producte betrifft, so haben wir
zunächst zu unterscheiden zwischen der einzigen werthvollen Verbindung unter
denselben, dem Endziele dieses ganzen Processes und den übrigen stickstoffhaltigen
Verbindungen. Es zerfällt mithin dieser Abschnitt in zwei Theile:
I. Das Cyankalium und seine
Verbindung mit dem Cyaneisen, das „Blutlaugensalz.“
Da die Bildungsweise dieses Salzes schon unter A. I.
genügend erörtert wurde, so bleiben uns hauptsächlich nur noch zwei Verhältnisse
zu untersuchen, von denen das erstere mehr von theoretischem, das letztere mehr
von praktischem Interesse ist.
1. In welcher Form ist das
Blutlaugensalz in dem ersten Producte dieses Processes, den Schmelzen,
enthalten?
Es ist dieß die bekannte Streitfrage zwischen Liebig (Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. XXXVIII S. 20,
polytechnisches Journal Bd. LXXXII S. 346), welcher behauptet, daß die
Schmelzen nur Cyankalium enthielten und dieses erst auf nassem Wege sich mit
Eisen zu Ferrocyankalium verbinde, und Runge (Poggendorff's Annalen Bd. LXVI
S. 95, polytechn. Journal Bd. XCVIII S. 228), der letzteres schon in den
Schmelzen fertig gebildet annimmt. Ich habe viele Versuche hierüber
angestellt, wobei mir leider keine ganz frischen Schmelzen zu Gebote
standen, weßhalb ich vorzüglich auf die vor kurzem im polytechn. Journal
Bd. CXXXI S. 39 von Aug. Reimann veröffentlichten Versuche hierüber
verweise, denen ich gern eine große Ausführlichkeit einräume und die ganz
entschieden die Liebig'sche Ansicht bestätigen.
Liebig und Runge
suchten ihre Ansicht dadurch zu bestätigen, daß sie die Schmelze mit Alkohol
von 5 Proc. extrahirten, wodurch sich nur Cyankalium lösen sollte, das
Ferrocyankalium dagegen im Rückstande bleiben müßte, wobei dann Runge in Lösung kein Cyankalium, sondern alles
als Blutlaugensalz im Rückstande behielt, während Liebig gerade das umgekehrte Resultat erhielt. Jedenfalls ist
diese Trennungs- und Beweismethode unzuverlässig, da einmal
Blutlaugensalz in Alkohol von 50 Proc. (und noch stärkerem) durchaus nicht
unlöslich ist. Nach meinen Versuchen lösten 100 Theile desselben 2,1 Theile
Blutlaugensalz, was bei wiederholter Anwendung von größeren Mengen Alkohol
allerdings genügt das wenige Blutlaugensalz zu lösen. Will man dann in der
alkoholischen Lösung, in der Meinung daß diese eben kein Blutlaugensalz
enthalten könne, das Cyankalium durch eine Lösung von schwefelsaurem
Eisenoxyd-Oxydul nachweisen, so kann man in den Fall gerathen, das
vorhandene Blutlaugensalz für Cyankalium anzusehen. Behandelt man dagegen
die Schmelze nur einmal mit wenig Alkohol, so bilden sich dann in der Lösung
zwei Schichten: unten eine wässerige Lösung von kohlensaurem Kali etc., oben
eine alkoholische, die aber durch die wasserentziehende Kraft der ersteren
viel stärker geworden ist, so daß auch Cyankalium darin schwer löslich
geworden ist. Endlich beweist ja nichts, daß der Wassergehalt des
50procentigen Alkohols nicht genüge, die Umwandlung des Cyankaliums beim
Behandeln mit demselben einzuleiten. So erhielt ich (freilich wie gesagt mit
älteren Schmelzen) neben Cyankalium immer viel Blutlaugensalz in Lösung. Der
mit Alkohol ausgelaugte Rückstand gab ebenfalls noch viel Blutlaugensalz.
Ein ganz ähnliches Resultat erhielt Löwig (vergl.
dessen organische Chemie). Eine heiße, rasch abfiltrirte wässerige Lösung gab ihm
kein Blutlaugensalz, nur Cyankalium. Die alkoholische Lösung enthielt
dagegen nur eine Spur Cyankalium und der Rückstand viel Blutlaugensalz, was
1) die Schwerlöslichkeit des Cyankaliums in starkem Alkohol, 2) die
Möglichkeit seiner Umsetzung in Blutlaugensalz auch in alkoholischer Lösung
beweist. Die Versuche von Reimann mit frischen
Schmelzen beweisen wenigstens ganz sicher, daß der allergrößte Theil des
Blutlaugensalzes in den Schmelzen als Cyankalium enthalten ist. Die
Abwesenheit von Blutlaugensalz in denselben absolut zu beweisen, dürfte es
wohl kein Mittel geben. Bedenken wir nun aber noch die Thatsache, daß das
Ferrocyankalium in der Glühhitze nicht bestehen kann, daß ferner Cyankalium
in eisernen Tiegeln geschmolzen werden kann, ohne daß dieselben angegriffen
werden, und vergegenwärtigen uns vorzüglich die Bildung des Cyankaliums aus
Blutlaugensalz und Potasche, so kommen wir zu dem Schlusse, daß, selbst wenn
sich beim Schmelzprocesse kleine Mengen Ferrocyankalium bilden sollten,
dieselben doch sogleich wieder in Cyankalium (unter Bildung von cyansaurem
Kali) verwandelt werden müßten, weßhalb wir uns ganz entschieden für die Liebig'sche Ansicht erklären müssen.
2. Wird das in den Schmelzen
enthaltene Cyankalium im weiteren Verlaufe der Fabrication wesentlich
nur in Ferrocyankalium übergeführt, oder können sich auch noch andere,
werthlose Verbindungen bilden?
Ich glaube diese Frage dahin beantworten zu können, daß erstens die
Umwandlung des Cyankaliums in Blutlaugensalz bei richtiger (im letzten
Abschnitte unter I. näher anzugebender) Behandlung keine Schwierigkeiten
hat, und zweitens das fertig gebildete Blutlaugensalz während der weiteren
Manipulation keine Zersetzung erleidet.Der beste Beweis hiefür ist die Thatsache, daß durch einen
absichtlichen Zuschlag von Eisenvitriol etc., wodurch diese
Umwandlung erleichtert werden sollte, nie ein Mehrertrag erzielt
wird. Vergl. hierüber auch Gentele im
polytechnischen Journal Bd. LXXVI
S. 352. Was den ersten Punkt betrifft, so ist es allerdings auffällig, daß
es im Kleinen nur sehr schwierig und unvollkommen gelingt das Cyankalium
durch Kochen mit Eisen und unlöslichen Eisenverbindungen in Ferrocyankalium
zu verwandeln. Jedenfalls ist von diesen Verbindungen, wie ich selbst
bestätigt gefunden, und auch die Versuche von Reimann beweisen, das Schwefeleisen das geeignetsteWenn man Schwefelcyankalium mit fein zertheiltem Eisen schmelzt, so
bildet sich, nach der einfachsten Annahme, Schwefeleisen und
Cyankalium.KS +
CyS2 Fe2 FeS
KCyLöst man die Masse in Wasser, so erhält man augenblicklich
Blutlaugensalz; nach einstündiger Digestion ist alles Cyankalium
verschwunden. So schnell läßt sich allerdings diese Umwandlung durch
künstlich auf nassem Wege erzeugtes Schwefeleisen nicht erreichen,
und so wäre eo nicht unmöglich, daß sich eine eigenthümliche
Doppelverbindung mit Schwefeleisen bilde, der eben die Eigenschaft
zukommt, die augenblickliche Entstehung von Ferrocyankalium beim
Lösen im Wasser zu veranlassen. Es wäre durchaus nicht erzwungen,
diese Verbindung dann auch in den Schmelzen anzunehmen. Beim
Eintragen der Thierstoffe würde sich zunächst immer
Schwefelcyankalium bilden, welches dann wieder durch das vorhandene
Eisen zersetzt würde, bis am Schlusse nur ein gewisser Theil dieser
Zersetzung entginge. Die Annahme einer derartigen eigenthümlichen
Verbindung würde alle Räthsel in Bezug auf die Constitution der
Schmelzen lösen., und da nach Liebig in den Schmelzen
stets die leicht schmelzbare Verbindung 2KS +
FeS zugegen ist, jedenfalls aber die Schmelzgeräthe immer mit einer
dünnen Schicht Schwefeleisen bedeckt sind, die immer aufgenommen und von
neuem gebildet wird (wodurch jedenfalls die Zerstörung derselben vielmehr
als durch die Einwirkung der Feuerluft, oder gar die des Cyankaliums direct
bewirkt wird), so ist auch dieses Bedenken gehoben.
Was den zweiten Punkt betrifft, so ist mehrfach behauptet worden, daß die
Rohlaugen (b. h. die schon von dem kohligen Rückstande getrennten Lösungen
der Schmelzen) beim Eindampfen durchaus nicht kochen dürfen, indem damit ein
Verlust an Blutlaugensalz verbunden wäre.Diese Laugen dürfen natürlich kein Cyankalium mehr enthalten;
übrigens würde das doch noch etwa vorhandene auch ohne Kochen
zersetzt werden, da ihm die Gelegenheit fehlt in Ferrocyankalium
überzugehen. Durch das Kochen wird nur die mit der Zersetzung
verbundene Ammoniak-Entwickelung auffälliger, woher wohl
diese falsche Annahme rühren mag. Schon Gentele hat durch Versuche (im
polytechn. Journal Bd. LXXVI S. 352)
die Unveränderlichkeit des Blutlaugensalzes beim Kochen in diesen Laugen
nachgewiesen, woran überdieß kein Chemiker gezweifelt hat. Eine Zersetzung
bei den letzten Manipulationen, dem Roh- und
Rein-Krystallisiren, kann natürlich noch weniger angenommen
werden.
II. Die werthlosen
Cyan-Verbindungen.
Dieselben sind natürlich ebenfalls von großem Interesse, da jeder Theil um so
gewisser einen Verlust eines äquivalenten Theiles an Cyankalium, resp.
Ferrocyankalium repräsentirt, als dieselben nicht nur aus denselben werthvollen
Stoffen, sondern (wenigstens das cyansaure Kali) sogar aus dem bereits gebildeten
Cyankalium entstehen. Es sind dieß bekanntlich das cyansaure Kali und das
Schwefelcyankalium. Ersteres entsteht durch die oxydirende Einwirkung der
Feuerluft auf das schmelzende Cyankalium; seine Gegenwart wird durch die
Anwesenheit des zweifach-kohlensauren Kalis in den Rohlaugen und die oft
sehr starke Ammoniak-Entwickelung beim Kochen derselben bewiesen. Man
vermeidet seine Entstehung selbstverständlich durch möglichsten Abschluß der
Luft, worüber ich unter C. I. näheres angeben werde.
Jedenfalls wird übrigens cyansaures Kali noch durch verschiedene andere Processe
gebildet. So gibt z.B.: K + 2 KCy = KS + 2 Cy. Ebenso gilt es als
sehr wahrscheinlich, daß das Cyan des Cyankaliums bei sehr hohen Temperaturen
reducirend auf das überschüssige kohlensaure Kali wirkt und sich auf diese Weise
ebenfalls cyansaures Kali bildet. Gegen letztere Bildungsweisen gibt es kein
einfaches Mittel.
Das Schwefelcyankalium verdankt seine Entstehung hauptsächlich dem
Schwefelgehalte der Thierstoffe, indem sich (wie bei jeder Verkohlung)
Schwefelcyanwasserstoff oder Schwefelcyanammonium bildet, welches dann durch das
Kali in Schwefelcyankalium umgesetzt wird. Ich glaube nicht, daß der
Schwefelgehalt der Potasche allein das Schwefelcyan erzeugen kann, es wäre sonst
nicht zu erklären, warum sich nicht alles Schwefelkalium in Schwefelcyankalium
verwandle, da doch Cyankalium im Ueberschusse da ist; absolut beweisend ist dieß
allerdings nicht, da das Schwefelcyankalium umgekehrt bei seiner Zersetzung mit
Eisen Schwefelkalium liefert, wodurch sich dessen Vorkommen erklären könnte.
Letztere Zersetzung gibt uns zugleich das Mittel an die Hand, dasselbe zu
zersetzen und seinen Cyangehalt wieder nutzbar zu machen. Geht diese Umwandlung
in genügendem Maaße vor sich, so kann die Bildung von Schwefelcyankalium sogar
förderlich für den ganzen Proceß seyn, wie schon ausgeführt wurde. Es ist
deßhalb auch nicht gerathen, um die Bildung von Schwefelcyankalium zu vermeiden,
ganz schwefelsäurefreie Potasche anzuwenden.
Wie bedeutend der durch diese beiden Verbindungen erzeugte Verlust an Cyankalium
seyn kann, beweist folgende Analyse, die ich mit einem Gemische von 10
verschiedenen Schmelzen (bereitet aus 100 Potasche von etwa 75 Proc. Gehalt, 40
Lumpen, 30 Flechsen, 30 Leder, 10 Eisen) anstellte. Dasselbe enthielt:
8,2 Procent
Blutlaugensalz (oder richtiger die demselben
entsprechende Menge Cyankalium),
57,56 „
kohlensaures Kali (und Natron),
3,33 „
Schwefelcyankalium (entsprechend einem Verluste von
3,26 Proc. Ferrocyankalium),
2,46 „
cyansaures Kali, (entspr. einem Verluste
von 2,53 „ Ferrocyankalium,
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
5,89 oder nahe 6 Proc. Ferrocyankalium.)
2,82 “
schwefelsaures Kali,
3,10 „
Kieselsäure,
18,11 „
Unlösliches in Wasser.
–––––––––––––––––––––––––––
95,58 Proc.
Das Fehlende sind kleine Mengen von Chlor,
Phosphorsäure, Schwefelkalium etc.,sowie der Verlust der
Analyse.
Das Blutlaugensalz bestimmte ich nach der von mir angegebenen und im
polytechnischen Centralblatt 1853 S. 770 (polytechn. Journal Bd. CXXIX S. 361) veröffentlichten
Methode; die angegebene Zahl ist das Mittel von drei Versuchen.
Das Schwefelcyankalium wurde bestimmt, indem ich eine abgewogene Menge Schmelze
in Wasser löste, zur Entfernung des Schwefelkaliums mit kohlensaurem Bleioxyde
digerirte, abfiltrirte, mit Salpetersäure ansäuerte, eindampfte und unter
wiederholtem Zusatze von concentrirter Salpetersäure glühte, wodurch das
Schwefelcyankalium vollständig zersetzt und in schwefelsaures Kali umgewandelt
wurde, wobei man natürlich so operiren muß, daß kein Schwefelcyanwasserstoff
entweichen kann. Es wurde dann die gesammte Schwefelsäure bestimmt, die in einer
andern Probe bestimmt, ursprünglich vorhandene, Schwefelsäure abgerechnet, und
der Rest auf Schwefelcyankalium berechnet.
Das cyansaure Kali konnte nur annähernd berechnet werden, indem ich 1 Theil
Schmelze im verschlossenen Gefäße 24 Stunden lang mit frisch gefälltem
Schwefeleisen digerirte, um sämmtliches Cyankalium in Ferrocyankalium
umzuwandeln, dann die Flüssigkeit in einen Apparat zur Absorption des Ammoniaks
brachte, und unter Hindurchleiten eines Luftstromes sehr anhaltend kochte. Aus
dem erhaltenen Ammoniak wurde das cyansaure Kali unter der Voraussetzung
berechnet, daß es dabei in kohlensaures Kali und kohlensaures Ammoniak zerfalle.
Will man auch dieser Bestimmung keinerlei Zuverlässigkeit einräumen, so muß man
doch zugeben, daß das entwichene Ammoniak jedenfalls einem seinem
Stickstoffgehalte gleichkommenden Verluste an Cyan entspricht (denn die
Gegenwart eines Ammoniaksalzes in den Schmelzen kann doch niemand annehmen), und daß diese
Bestimmung eher etwas zu niedrig als zu hoch ausfallen muß.
Der gesammte, durch Entstehung dieser beiden Verbindungen
erzeugte Verlust an Ferrocyankalium beträgt demnach gegen 6 Proc.; ohne
denselben würde die Ausbeute statt 8,2 Proc. 14 Proc. betragen, wobei ich
allerdings bemerke, daß ein solches Mißverhältniß nicht immer vorkommen mag, und
daß die Schmelzen aus einer neuen, noch sehr unvollkommen betriebenen Fabrik
herstammten. Jedenfalls ist der hierdurch hervorgerufene Verlust immer ein sehr
beachtenswerther. Andere, bisher noch nicht beobachtete Cyan- oder auch
nur Stickstoffverbindungen habe ich nicht nachzuweisen vermocht, auch ist deren
Existenz unwahrscheinlich.
Folgerichtiger Weise müßte man noch unter den stickstoffhaltigen Producten des
Schmelzprocesses das unzersetzt entweichende Ammoniak aufführen.
(Die Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)