Titel: | Ueber den Seidenwurm der Eiche und seine Einführung in Europa; von Hrn. F. E. Guérin-Mèneville. |
Fundstelle: | Band 138, Jahrgang 1855, Nr. XXXIX., S. 146 |
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XXXIX.
Ueber den Seidenwurm der Eiche und seine
Einführung in Europa; von Hrn. F. E.
Guérin-Mèneville.
Aus den Comptes rendus, Mai 1855, Nr.
22.
Guérin-Mèneville, über den Seidenwurm der
Eiche und seine Einführung in Europa.
Seit mehreren Jahren machte ich auf die Vortheile aufmerksam, welche die
Landwirthschaft und die Industrie aus der Einführung mehrerer fremden
Seidenwürmer-Arten ziehen kann, welche mit andern Pflanzen, als dem
Maulbeerblatt, gefüttert werden. Ich hatte dabei vorzüglich den berühmten
Eichen-Seidenwurm im Auge, der im nördlichen China, in einem dem
französischen, ja selbst dem der Umgegend von Paris, ähnlichen Klima, so verbreitet
ist und dessen Seide mehrere Millionen Einwohner dieses großen Reiches bekleidet.
Ich wußte, daß Cocons, welche lebende Puppen enthalten, nach Frankreich gebracht
werden können; sogleich bei Gründung des Acclimatisirungs-Vereins besprach
ich in der Sitzung vom 10. März 1854 wiederholt die Wichtigkeit ihrer Einführung.
Hr. v. Montigny bemerkte dann, daß er solche Cocons von
wohlunterrichteten und stets bereitwilligen Missionären sogleich verlangen
wolle.
Die von ihm verlangten Cocons sind im vergangenen Winter angekommen; die auf der
Reise nicht umgekommenen wurden in die ihnen zuträglichen Umstände versetzt, und
nachdem ich solche nach Algier, nach Italien und der Schweiz versandt hatte, wurde
der größte Theil der in Frankreich verbliebenen von der erwähnten Gesellschaft mir
anvertraut, um das Auskriechen der Schmetterlinge, ihre Befruchtung und Verlegung
bestens zu besorgen.
Schon sind einige Männchen ausgeschlüpft, und ich lege der Akademie der
Wissenschaften hiemit zwei Varietäten derselben vor. Diese, in gewissen Theilen
China's so gemeinen Schmetterlinge bilden eine neue Species, welche noch niemals
nach Europa gebracht worden zu seyn scheint, da sie weder in wissenschaftlichen
Werken noch in öffentlichen oder Privatsammlungen vorkommt. Ich beschreibe sie hier
zum erstenmal und glaubte sie dem Missionär P. Perny widmen zu müssen, welcher sie schon im Jahr 1851 in Frankreich
einführte. Daß damals kein Gebrauch davon gemacht wurde, ist nicht seine Schuld,
denn ihm ist es durch große Mühe gelungen, mehrere Hundert dieser lebenden Cocons
nach Lyon zu schaffen, von denen man einige Schmetterlinge erhielt, die man aber
nicht zum Eierlegen bringen konnte.
Bombyx dePerny, B. (Saturnia) Pernyi.
– Alis patulis falcatis, omnino
testaceo-fulvis, costa anticarum griseo-fusca, omnino ocello
rotundato vitreo, iride intus albo-strigato, nigro-cincto, pone
medium striga tranversa recta, fusco-rosea extus albida, ocello valde
approximata – Flügelweite 11–14 Centimeter.
Dieser Nachtvogel steht dem Bombyx mylitta von Fabricius (Paphia, Lin.), welcher in Bengalen die Tussah-Seide
liefert, sehr nahe, und man möchte sich versucht fühlen, ihn bloß als eine örtliche
Varietät dieser Species zu betrachten, wenn man nur die geringen Verschiedenheiten
zwischen den vollkommenen Insecten in Erwägung zöge. Aber die großem
Verschiedenheiten, welche in der Gestalt, dem Gefüge und der Anknüpfungsweise der
Cocons zu bemerken sind, lassen bei dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse, die
Species des nördlichen China, welche auf verschiedenen Eichen lebt, nicht als eine
bloße Abart des Bombyx mylitta betrachten, der den
heißesten Gegenden Indiens angehört und auf fünf oder sechs, verschiedenen Familien
angehörenden, Pflanzen lebt.
Die schon ausgeschlüpften Männchen des Bombyx Pernyi
unterscheiden sich von jenen des B. mylitta zuvörderst
bedeutend durch den Schnitt der Flügel, besonders des zweiten Paares, deren Hinterer
Rand vielmehr zugerundet ist; ferner durch die pfauenäugigen Flecken, welche sich
etwas weiter von der Basis entfernt befinden, weil ihr durchsichtiger Theil durch
das scheibenartig-zellenförmige Nervchen, welches sich sehr nahe am innern
Rande dieses glasigen Theils befindet, nicht gleich getheilt ist; dann durch den
äußern Querstreifen der vier Flügel, welcher gerader und gewöhnlich minder
wellenförmig läuft, vom äußern Rand entfernter und viel weniger demselben parallel
ist, besonders aber auf den untern Flügeln viel näher beim pfauenäugigen Flecken
vorbeizieht, als beim Rand) endlich durch den grauen Theil der Rippe des ersten
Flügelpaares, welcher über die Mitte ihrer Länge hinausgeht.
Uebrigens gehört dieser neue Bombyx in eine Gruppe sehr
zahlreicher Species die einander sehr nahe stehen, oft aber sehr variiren und sehr
schwer von einander zu unterscheiden sind. Selbst wenn es sich später herausstellen
sollte, daß diese Insecten nur eine Abart des Bombyx
mylitta sind, so müßte diese, vom Typus besonders durch ihr Cocon so
abweichende Abart noch
immer durch einen Namen besonders bezeichnet werden. So weit wir diesen
Seidenschmetterling bis jetzt kennen, hat er wegen der Form seines Cocons viel
Verwandtschaft mit der Species des Königreichs Assam, Mooga genannt, welche eine vortreffliche Grezseide liefert, wovon im
englischen Indien viel verbraucht wird. Dieser Mooga-Seidenwurm, von Helfer unter dem Namen
Bombyx assamensis im Journal der asiatischen
Gesellschaft zu Bengalen, Januarheft 1837, beschrieben, unterscheidet sich von B.
Pernyi durch die pfauenäugigen Flecken seiner
Flügel, welche durchaus mit gefärbten Schuppen überzogen sind und keinen glasigen
Theil wahrnehmen lassen. Gleicher Beschaffenheit ist noch eine andere Seidenspecies,
der B. Perrottetii
(Guer Mag. zool., 1843; Insectes, pl. 123), entdeckt von dem um die Seiden-Industrie durch
zahlreiche nützliche Arbeiten sehr verdienten Hrn. Perrottet.
Ich brauche mich nicht näher darüber zu verbreiten, wie wichtig die Einführung des
Eichenseidenwurms wäre, dessen Vaterland hinsichtlich des Klima's dem Mittlern und
nördlichen Frankreich ganz analog ist und dessen Raupen man nur auf Eichenschlage zu
bringen braucht, um die unnützen Eichenblatter in eine sehr feste und dauerhafte
Seide umzuwandeln. Die Einführung dieser Species würde in Europa Erzeugnisse
liefern, welche die Production der ausgezeichneten Seide von unserm gewöhnlichen
Seidenwurm auch nicht mehr beeinträchtigen würden, als sie es in China thun.